Troja, Regie: Wolfgang Petersen, Produktion: USA, Malta, Großbritannien 2004, Laufzeit: 165 Minuten.
Wolfgang Petersen hat in seinem Streifen alles eliminiert, was den Stoff interessant macht.
Es gibt Stoffe, die kehren mit schöner Regelmäßigkeit in den kulturindustriellen Verwertungskreislauf zurück, der immer wieder die gleichen Geschichten remediatisiert, sie zu neuen Clustern und Produktzyklen zusammenstellt. Dabei verändert sich der Stoff bei jeder Bearbeitung und sagt weniger etwas mittels seiner schon hinreichend erzählten Story aus, sondern vielmehr durch die Art und Weise eben jener Bearbeitung.
Troja-Cluster mit Brad Pitt und Wolfgang Petersen
Wolfgang Petersens Verfilmung des Troja-Stoffes mit Brad Pitt in der Rolle des Achill ist eines der herausragenden Ereignisse des neuen Troja-Clusters vor allem auf Grund der öffentlichen Aufmerksamkeit, die dem Film zu Teil wurde. Die Art und Weise der Petersen-Inszenierung erzählt dabei eine Geschichte der mythologischen Entkernung: die Debatte der Götter, die sich in Homers Epos immer wieder in das Geschehen einmischten, wurden ebenso aus dem von Petersen linear und eindimensional konstruierten Handlungsstrang eliminiert, wie die rund 10 jährige Belagerung von Troja oder gar die homophilen Neigungen des Helden Achill, mit denen ein Star wie Brad Pitt sich beim amerikanischen Publikum offenbar nicht den Ruf „ruinieren“ wollte.
Industrielle Verwertung
Sogar Mike Hillenbrand von der amazon.de-Redaktion, dem industriellen Verwerter der seit dem 17.09.04 erhältlichen DVD/VHS – Version, fällt auf: “Hollywood-Star und ‘sexiest man alive’ Brad Pitt dreht immer mal wieder Filme, in denen er seinen gelungenen Körper seinen weiblichen Fans präsentieren darf. Mit Troja legt er einen der besseren Streifen aus dieser Kategorie vor. Das Epos lebt hauptsächlich von seiner und Eric Banas Ausstrahlung, der Achills Widersacher Hektor spielt. Während die meisten anderen ihrer Kollegen gegen die aufwendig inszenierten Bilder und Special Effects hoffnungslos unterliegen (einzig wirklich erwähnenswerte Ausnahme ist hier Priamos-Darsteller Peter O’Toole), können Pitt und Bana dem opulent ausgestatteten Drama ihren Stempel aufdrücken. An ihnen liegt es sicher nicht, dass trotz aller Bildgewalt ein etwas schaler Beigeschmack nach dem Filmgenuss bleibt.”
Reduktion des Stoffes
Und sogar den Zuschauern fallen offensichtliche Schnitzer auf; so schreibt etwa Philipp Weinreuter als Rezensent für amazon.de: “Fangen wir also kurz und knapp mit einigen wesentlichen Inhalten an die fehlen, bzw. falsch sind:
* die Götter, der Apfel der Zwietracht werden ausgeklammert, keine Athene, keine Hera, keine Aphrodite, keine Heirat von Pelus und Thetis, kein Apollon usw.
* 10 Jahre Belagerung werden unterschlagen,
* Menelaos wird völlig unnötiger Weise von Hektor erstochen,
* Agamemmnon wird von Brisis erstochen,
* Ajax kommt viel zu kurz und wird auch von Hektor besiegt,
* auf griechischer Seite fehlen Dimomedes, Philoktetes und Neoptolemos gänzlich,
* Änäas komm auf trojanischer Seite viel zu kurz.”
Dabei ist ein Vergleich von literarischer Vorlage und filmischer Umsetzung mit Vorsicht zu genießen. Veränderungen sind häufig notwendig oder unumgänglich. Doch es fragt sich, wohin die Modifikationen führen sollen?
Internationales Popcorn-Kino
Bei Petersen kommt jedenfalls eine Troja-Geschichte heraus, die wie geschaffen ist fürs internationale Popcorn-Kino, nach gängigen Drehbuchrezepten angerichtet, frei von komplexen Zusatzstoffen, gewürzt mit hinreichend bekannten Stars (oder solchen, die es werden wollen wie Diane Kruger) und garniert mit durchaus beeindruckenden special effects, die die Kosten für das visuell aufgemotzte Schlachtengetümmel weiter in die Höhe treiben und damit auch die Budgets, an denen künftige Filme sich zu orientieren haben, wenn sie dem Zuschauer einfach nur eine gute Geschichte erzählen wollen.
The diverse documentary formats – with their “relatively random thematic content” (Mühl-Benninghaus) – now seem to have nearly no common denominator. Not considering affirmative formats (travel, instructional, industrial films and the like), it is remarkable how – regardless of individual filmmakers’ ambitions (and the quality of their films) – each documentary format attempts to underwrite its promise of authenticity through calculated interruptions and flaws, i.e. by refuting the traditional logic of conventional depiction.
This tendency, also called hybridization, is demonstrated not only in the aesthetics of new formats, but also on every level of production, technology, economy and reception, as Paul Soriano recently noted. It is not only mixing genres, or styles of depiction, but also using analogue and digital technologies, and a production rationale geared towards simultaneously employment in various media and the pluralization of communities.
Examining representative examples from German television, essential aspects of hybridization shall be determined by focusing on “Reality Television” (for example “Die Auswanderer”, “Frauentausch”, as well as pseudo documentaries like “Lenßen & Partner”, “ Abschlussklasse 05” etc.). Here we are dealing with typical aesthetic patterns characteristic of hybridization, and with new technical and economic challenges resulting from the Internet. From the perspective of the “ambitious documentaries” of the 1970s, these are often associated with a degradation and, moreover, a deterioration of television culture (Feil, Bertram et al.). Ultimately, it a question of analysing the functional transformation of documentary principles and the related changes in values and the criteria of plausibility, on which new documentary formats are oriented.
Ist das World Wide Web (WWW) überhaupt ein Medium? Die Frage wird vor allem dort relevant, wo es um disziplinäre Zuständigkeiten geht. Wenn das Web ein Medium wäre, dann würde es dem Bereich der Medienwissenschaft zugerechnet. Doch wie genau soll man ein Medium definieren – fragt Herausgeber Konrad Scherfer -, das sich anders als Fotografie, Film oder Malerei nicht über eine Kunstform definiert? Muss für das Web also eine eigene Wissenschaft, eine Webwissenschaft geschaffen werden, die das in den letzten Jahren sich rasant entwickelnde WWW zum Gegenstand hat?
Die Beiträge, die Konrad Scherfer in dem Band „Webwissenschaft – Eine Einführung“ versammelt, geben auf diese Fragen keine eindeutige Antwort, zeigen vielmehr ein heterogenes Feld von methodischen Ansätzen und Themen, die in der Summe einen guten Überblick bieten über zentrale Problemfelder, die derzeit die Diskussion über das Web 2.0 prägen und es damit als einen neuen Gegenstandsbereich wissenschaftlicher Forschung empfehlen: Beiträge zu anwendungsorientierten Aspekten wie Medienrecht fürs Internet, wirtschaftlichen Aktivitäten im Netz, Ratgebern (z. B. Medizin) im Web oder Webgestaltung finden sich ebenso wie Reflexionen über Forschungsmethoden etwa zur Suchmaschinenforschung oder zum Webjournalismus und mithin eine Reihe von z. T. hervorragenden Aufsätzen zu Einzelaspekten wie z. B. die übersichtliche Darstellung von unterschiedlichen Qualitätskriterien zur Beurteilung von Websites von David Kratz oder Rainer Leschkes entlarvende Analyse von Netzliteratur und ihres Mythos‘ der grenzenlosen Kombinationsmöglichkeiten.
Gerade die Heterogenität der verschiedenen Aufsätze scheint dabei das programmatisch angelegte Vorhaben von Scherfer zu rechtfertigen: Muss nicht tatsächlich gefragt werden, ob man die unterschiedlichen Beobachtungsstandpunkte bei der Analyse des WWW nicht in einer neuen Wissenschaft vereinen könnte?
Besonders markant nehmen hierzu die beiden Aufsätze von Konrad Scherfer und Helmut Volpers Stellung, können sich aber zunächst nur – wie sie selbst eindringlich begründen – nur in Abgrenzung zu etablierten Disziplinen positionieren. Konrad Scherfer skizziert in seinem einleitenden Beitrag grundlegende Positionen des Diskurses über das Web (z. B. Digitalisierung, Hybridisierung, Interaktivität) und versucht sie in einen systematischen Zusammenhang zu bringen. Und Helmut Volpers drängt in seinem konzeptionellen Beitrag „Warum eine Webwissenschaft?“ darauf, theoretische Unschärfen bei der nunmehr zu beobachtenden Verstetigung des WWW nicht länger in Kauf zu nehmen und verweist auf Ansätze – insbesondere der US-amerikanischen Kommunikationswissenschaft – das Web als eigenen wissenschaftlichen Gegenstandsbereich zu konstitutieren. Doch führt seine Konklusion letzthin zu der paradoxalen Feststellung, dass nur transdisziplinäre Ansätze hier weiterführend sein können, also Ansätze, die verschiedene Disziplinen im Hinblick auf eine übergreifende Fragestellung koordinieren. Dass dies „die Herausbildung einer eigenständigen Webwissenschaft kontraindiziert“, wird von ihm selbst eingeräumt, nicht ohne jedoch aus „forschungspraktischen Erwägungen für eine Webwissenschaft“ zu plädieren, um eine grundlegende „Phänomenologie“ des Webs zu erarbeiten.
Vielleicht ließe sich das Paradoxon in zukünftigen Arbeiten zum Web leichter auflösen, wenn man sich von der Logik der institutionellen Ausdifferenzierung des universitären Wissenschaftsbetriebs und dem Profilierungsdruck von Einzeldisziplinen zumindest für die forschungsleitende Diskussion befreien und stärker auf die – ja bereits existierenden – transdisziplinären Ansätze einlassen würde.
Fürs erste ist Konrad Scherfern und seinen Mit-Autoren mit dem Band „Webwissenschaft – Ein Einführung“ ein erhellender Fragenkatalog gelungen, der Grenzen bisheriger disziplinärer Methoden und Zuordnungen aufzeigt, eine erste Bestandsaufnahme von aktuellen Diskussionsansätzen über das Web bietet und damit eine wichtige Orientierungshilfe in einem neuen Forschungsfeld leistet.
Rezension erstmals erschienen in: „Webwissenschaft?“, Rezension zu Scherfer, Konrad (Hrsg.): „Webwissenschaft – Eine Einführung“, Münster 2008, „Medien und Kommunikation“ 1/2009, S. 94-95.
Im Kino mehr noch als im Theater finden sich immer wieder Maschinen und Objekte, die der Inszenierung des Komischen dienen. Jeder kennt die Dinge, an denen Komiker wie Charlie Chaplin, Buster Keaton, Laurel & Hardy, die Marx Brothers oder Jacques Tati verzweifeln. Die Dramaturgie des komischen Dings beschränkt sich dabei jedoch nicht allein nur auf Slapstick, sondern transzendiert das Komische selbst, das einem plötzlich „komisch“ vorkommt, also fremd oder eigenartig. Es ist, als würde das „komische“ Ding lebendig oder sei von einer fremden Macht gesteuert, die sich gegen die Protagonisten verschworen hat („Die Tücke des Objekts“). Dies weist nun einerseits auf eine gestörte Beziehung des Protagonisten zu seiner Umgebung hin oder anders gesagt: auf die – meist gesellschaftliche – Ordnung der Dinge, mit der der Protagonist nicht zurechtkommt. Andererseits scheint in der Inszenierung dieser Störung eine „Präsenz“ im Sinne von Groys auf, die auf einen verborgenen submedialen Raum hinweist und damit auf die abgründige Doppelbödigkeit des Komischen selbst.
Der Aufsatz befasst sich mit der Problematik von Gedenkkultur im Web 2.0 am Beispiel von zwei unabhängig voneinander entstandenen WebSites zum Frauenkonzentrationslager Ravensbrück: derjenigen der Gedenkstätte Ravensbrück und derjenigen der Bundeszentrale für Politische Bildung zu Ravensbrück. Der Schwerpunkt der Studie liegt auf einer Analyse der medialen Transformation von Gedenkkultur durch das Internet und einer Reflexion über mögliche Qualitätskriterien (wie z.B. „Transmersion“) von WebSites.
Troja, Regie: Wolfgang Petersen, Produktion: USA 2004, Laufzeit: 156 Minuten.
Es gibt Stoffe, die kehren mit schöner Regelmäßigkeit in den kulturindustriellen Verwertungskreislauf zurück, der immer wieder die gleichen Geschichten remediatisiert, sie zu neuen Clustern und Produktzyklen zusammenstellt. Dabei verändert sich der Stoff bei jeder Bearbeitung und sagt weniger etwas mittels seiner schon hinreichend erzählten Story aus, sondern vielmehr durch die Art und Weise eben jener Bearbeitung.
Troja-Cluster mit Brad Pitt und Wolfgang Petersen
Wolfgang Petersens Verfilmung des Troja-Stoffes mit Brad Pitt in der Rolle des Achill ist eines der herausragenden Ereignisse des neuen Troja-Clusters vor allem auf Grund der öffentlichen Aufmerksamkeit, die dem Film zu Teil wurde. Die Art und Weise der Petersen-Inszenierung erzählt dabei eine Geschichte der mythologischen Entkernung: die Debatte der Götter, die sich in Homers Epos immer wieder in das Geschehen einmischten, wurden ebenso aus dem von Petersen linear und eindimensional konstruierten Handlungsstrang eliminiert, wie die rund 10 jährige Belagerung von Troja oder gar die homophilen Neigungen des Helden Achill, mit denen ein Star wie Brad Pitt sich beim amerikanischen Publikum offenbar nicht den Ruf „ruinieren“ wollte.
Industrielle Verwertung
Sogar Mike Hillenbrand von der amazon.de-Redaktion, dem industriellen Verwerter der seit dem 17.09.04 erhältlichen DVD/VHS – Version, fällt auf: “Hollywood-Star und ‘sexiest man alive’ Brad Pitt dreht immer mal wieder Filme, in denen er seinen gelungenen Körper seinen weiblichen Fans präsentieren darf. Mit Troja legt er einen der besseren Streifen aus dieser Kategorie vor. Das Epos lebt hauptsächlich von seiner und Eric Banas Ausstrahlung, der Achills Widersacher Hektor spielt. Während die meisten anderen ihrer Kollegen gegen die aufwendig inszenierten Bilder und Special Effects hoffnungslos unterliegen (einzig wirklich erwähnenswerte Ausnahme ist hier Priamos-Darsteller Peter O’Toole), können Pitt und Bana dem opulent ausgestatteten Drama ihren Stempel aufdrücken. An ihnen liegt es sicher nicht, dass trotz aller Bildgewalt ein etwas schaler Beigeschmack nach dem Filmgenuss bleibt.”
Reduktion des Stoffes
Und sogar den Zuschauern fallen offensichtliche Schnitzer auf; so schreibt etwa Philipp Weinreuter als Rezensent für amazon.de: “Fangen wir also kurz und knapp mit einigen wesentlichen Inhalten an die fehlen, bzw. falsch sind:
* die Götter, der Apfel der Zwietracht werden ausgeklammert, keine Athene, keine Hera, keine Aphrodite, keine Heirat von Pelus und Thetis, kein Apollon usw.
* 10 Jahre Belagerung werden unterschlagen,
* Menelaos wird völlig unnötiger Weise von Hektor erstochen,
* Agamemmnon wird von Brisis erstochen,
* Ajax kommt viel zu kurz und wird auch von Hektor besiegt,
* auf griechischer Seite fehlen Dimomedes, Philoktetes und Neoptolemos gänzlich,
* Änäas komm auf trojanischer Seite viel zu kurz.”
Dabei ist ein Vergleich von literarischer Vorlage und filmischer Umsetzung mit Vorsicht zu genießen. Veränderungen sind häufig notwendig oder unumgänglich. Doch es fragt sich, wohin die Modifikationen führen sollen?
Internationales Popcorn-Kino
Bei Petersen kommt jedenfalls eine Troja-Geschichte heraus, die wie geschaffen ist fürs internationale Popcorn-Kino, nach gängigen Drehbuchrezepten angerichtet, frei von komplexen Zusatzstoffen, gewürzt mit hinreichend bekannten Stars (oder solchen, die es werden wollen wie Diane Kruger) und garniert mit durchaus beeindruckenden special effects, die die Kosten für das visuell aufgemotzte Schlachtengetümmel weiter in die Höhe treiben und damit auch die Budgets, an denen künftige Filme sich zu orientieren haben, wenn sie dem Zuschauer einfach nur eine gute Geschichte erzählen wollen.
Der Vorschlag eines allgemeinen, bedingungslosen Grundeinkommens, das jedem Bürger zustehen und ihm eine Grundversorgung ermöglichen soll, wird von Kritikern gern als unfinanzierbar und unrealistisch verworfen.
Doch gerade in einer Zeit, in der die Nationalstaaten durch supranationale politische Organisationen und global organisierte Kapitalmärkte in ihrer Wirkungsmächtigkeit marginalisiert werden und angesichts eines drohenden (und auf Grund demographischer Faktoren, von Globalisierung und Rationalisierung schon seit Jahrzehnten abzusehenden) Kollapses der Sozialsysteme in Deutschland fragt es sich, ob man es sich heute überhaupt noch leisten kann, auf die Diskussion hierüber zu verzichten.
Die Ausgaben für die Rentenversicherung und die Arbeitsförderung haben sich seit 1991 fast verdoppelt, die Ausgaben für die Krankenversicherungen sowie die Sozial- und Jugendhilfe sind seither um rund 50 % gestiegen. Inzwischen ist weit über die Hälfte des Bundeshaushalts durch die verschiedenen Etatposten für Sozialausgaben festgelegt – Tendenz: dramatisch steigend.
Wurde nicht längst durch die Hintertür eine Art von kompliziert konditioniertem Grundeinkommen eingeführt, kontrolliert und verwaltet durch eine Sozialbürokratie wie z.B. der Bundesagentur für Arbeit, die– wie in den letzten Jahren bekannt wurde – nur 10% ihres Potentials überhaupt ihrer eigentlichen Aufgabe, der Vermittlung von Arbeit, widmet, und die nicht erst seit der Einführung von Hartz IV die Bürger mit z. T. aberwitzigen und ebenso ineffizienten Kontroll- und Bearbeitungsmaßnahmen traktiert? Die Effizienz des Systems darf bezweifelt werden. (So beklagt etwa der Bund der Steuerzahler Jahr für Jahr – alle Haushaltsposten zusammengenommen – rund 30 Mrd. EUR an Verschwendungen.)
Auch die Behauptung, dass der nächste Aufschwung schon Geld in die öffentlichen Kassen spülen werde und die Arbeitslosigkeit drastisch sinke, erscheint nach einem Blick auf die Statistik als Rechtfertigung ungeeignet (woran nunmehr drei Bundeskanzler – Schmidt, Kohl und Schröder – letzthin scheiterten): Zwar geht die Arbeitslosigkeit in Phasen des Aufschwungs kurzfristig etwas zurück, nimmt jedoch in der Tendenz mittel- und langfristig seit Jahrzehnten immer weiter zu.
Einer der Gründe hierfür ist sicher, dass der Faktor Arbeit (und vor allem der Faktor Arbeit) mit viel zu hohen Abgaben belastet wird, die kaum mehr erwirtschaftet werden können, schon gar nicht mit schlecht- oder unqualifizierten Jobs, deren Produktivität unterhalb der Rentablitätsschwelle liegt. Dies führt de facto zu einer fortschreitenden Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen, die nicht mehr oder zumindest immer schlechter vertraglich abgesichert werden, um reguläre, sozialversicherungspflichtige (und damit teure) Arbeitsverträge zu vermeiden (auch Formen der Schwarzarbeit müssen hier genannt werden) – eine Entwicklung, an der der Staat sich trotz gegenteiliger Beteuerungen teilweise sogar selbst beteiligt.
Ordnungspolitische Vorstellungen, die eine Rückkehr zu traditionellen sozialversicherungspflichtigen Festanstellungen erzwingen wollen, blenden die Dynamik eines Systems aus, das einen „Rückwärtsgang“ nicht kennt.
Auch ein garantiertes Grundeinkommen stellt keine einfache Lösung der aktuellen Finanzierungsprobleme dar, da es kaum darum gehen kann, einfach nur mehr Geld zu fordern, das längst nicht mehr vorhanden ist. Wohl aber könnte es um Verteilungsgerechtigkeit und eine größere Effizienz des Systems gehen, die zugleich auch eine wirtschaftliche Dynamik entfaltet, die diesem Land seit Jahren abgeht.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen, gekoppelt mit einem einfacheren, auch für den Bürger überschaubaren Steuersystem und einem Ab- und Umbau der Bürokratie, wäre nicht nur ein Beitrag zu einer größeren sozialen Gerechtigkeit und einer angemessenen sozialen Absicherung, sondern auch zu einem effizienteren Wirtschaften, von dem gerade auch kleine und mittlere Unternehmen (in denen die meisten Arbeitsplätze entstehen) besonders profitieren würden.
Über die konkreten Wege und Umsetzungsmöglichkeiten eines Grundeinkommen kann und wird sicher im Einzelnen zu streiten sein.
Vorschläge reichen vom Bürgergeld über eine negative Einkommenssteuer bis hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen und werden inzwischen von zahlreichen, z. T. völlig unterschiedlichen Akteuren gefordert wie etwa von dem Kulturwissenschaftler und Direktor der Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin, Wolfgang Engler (www.aufbauverlag.de/index.php4?page=28&show=4901), oder dem Chef der Drogeriemarkt-Kette DM Götz Werner (www.unternimm-die-zukunft.de).
Weitere Hinweise zu dieser breit angelegten Debatte finden sich beispielsweise unter www.archiv-grundeinkommen.de, einer Website, die Links zu wichtigen Artikeln zum Themenfeld zusammengestellt hat und auch Kritiker eines Grundeinkommens nicht unerwähnt lässt. Spannend ist auch das Netzwerk Grundeinkommen (www.netzwerk-grundeinkommen.de), das vor allem politische Bündnisse zur Bekanntmachung und Durchsetzung eines Grundeinkommens voranbringen möchte und zuletzt im Oktober 2005 zusammen mit dem Österreichischen Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenarbeit (www.grundeinkommen.at) und zahlreichen anderen Organisationen die Konferenz „Grundeinkommen – In Freiheit tätig sein“ (www.grundeinkommen2005.org) in Wien organisierte.
LINDNER, Burkhardt (Hrsg.): Benjamin Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Metzlar, Stuttgart, Weimar 2006. ISBN 978-3-476-01985-1.
Wie soll man ein Werk rezensieren, das die Arbeiten von über 40 international renommierten Benjamin-Experten aus dem In- und Ausland zusammenträgt und damit einen Meilenstein, in gewisser Hinsicht auch einen Schlussstein der Benjamin-Forschung der letzten Jahrzehnte setzt? Wäre das Handbuch ein Sammelband, würde sich der versierte Rezensent einzelne Aspekte herausgreifen und ihrem Für und Wider nachspüren. Er würde die Gelegenheit nutzen, griffige Benjamin-Zitate anzubringen, Benjamin-Restkenntnisse, die praktisch jeden nach 1969 lesefähigen, kultur- und sozialwissenschaftlich gebildeten Akademiker auszeichnen, oder gar versuchen, diesen oder jenen Expertenbeitrag in seinem Gewicht zu beurteilen, ihn vielleicht zurechtzurücken, in dem er ihn von der einen in die andere Rubrik verschiebt oder gar einen übersehenen Winkel zum Vorschein bringt. Doch angesichts der geballten kollektiven Intelligenz, die sich auf über 700 Seiten äußert, wäre ein solches Unterfangen nicht nur aussichtslos, sondern würde gerade auch die Leistung des Handbuchs verkennen, das als Ensemble konzipiert wurde.
Das Handbuch wendet sich gerade gegen den weit verbreiteten Eindruck, Benjamins Schriften bieten ein „Arsenal aparter Formulierungen (…), aus dem jedermann sich unbekümmert bedienen könne“ (S. VIII). Tatsächlich wirkten Benjamins Arbeiten wie ein offener Steinbruch, aus dem sich jeder bedienen konnte oder wie eines jener wilden Untertagebergwerke, die das Ruhrgebiet durchziehen (jenes andere Antlitz der „Berliner“ Moderne, ihr industrielles Herz, das Benjamin nicht beschrieben hat), aus denen sich die Kumpels auf eigene Faust ihren Brennstoff für zu Hause organisierten; nicht nur ist ihre Lagebestimmung bis heute schwierig und oft erst durch Bodensenkungen erschließbar, die Häuser, ja Siedlungen zum Einsturz bringen, sondern einmal in sie geraten, besteht immer die Gefahr, sich in den unterirdischen Stollen zu verirren.
Herausgeber und Autoren wissen um die Probleme ihres Unternehmens. Sie verdanken viel Rolf Tiedemann und den von ihm herausgegeben Gesammelten Schriften, die bis heute die wichtigste Textgrundlage der wissenschaftlichen Diskussion der verstreuten Arbeiten von Benjamin bilden.
Das Benjamin Handbuch ist auf Bestandsaufnahme der bisherigen Benjamin-Rezeption ausgerichtet. Es weiß insofern mehr als Benjamin selbst wusste, nicht nur weil es das Wissen über seine Rezeption mit aufnimmt, sondern auch die Kontextualisierung von Benjamins eigenen Texten. Das Buch erklärt, es drängt jedoch keine bestimmte Sichtweise von Benjamin auf, sondern dokumentiert eher die unterschiedlichen Facetten seines Werks.
„Wie immer man sich in dieser Diskussion um die Bedeutung Benjamins zu Lebzeiten positionieren mag, unbestreitbar bleibt, daß wir es heute mit einem anderen Autor Benjamin zu tun haben, als dies bis vor einigen Jahrzehnten möglich und denkbar war“ (S. 17), heißt es einleitend bei Thomas Küpper und Timo Skrandies.
So sehr dies auch auf eine – durchaus reflektierte – Konstruktion des Autors Benjamin hinausläuft, so sehr wird gerade hier die besondere Dimension des Projekts deutlich: Im ersten, etwa 100seitigen Teil wird nicht nur ein kurzer Abriss der Biographie Benjamins und seiner wichtigsten Werkphasen gegeben, sondern auch ein prägnanter und doch weitgreifender Überblick über die Benjamin-Rezeption der letzten Jahrzehnte, der selbst für Benjaminkundige die Orientierung erleichtert (als leserfreundliche Hilfsmittel seien hier auch das Werk-, das Namens- und das Sachregister erwähnt, die das Handbuch zum gebrauchsfähigen Nachschlagewerk werden lassen).
Der zweite, mit rund 600 Seiten umfangreichste Teil des Buches stellt Analysen verschiedener Benjamin-Arbeiten vor, die zusammengenommen die wichtigsten Facetten von Benjamins Werk umfassend abdecken. Dem Herausgeber Burkhardt Lindner ist eine Sammlung von größtenteils hervorragenden Studien gelungen, die die Entstehungsgeschichte der verschiedenen Arbeiten rekonstruieren, sie einordnen und kundig kommentieren. Dabei versucht das Handbuch nicht, die unterschiedlichen Schichten und Elemente von Benjamins Werk zu hierarchisieren, sondern es eher in seiner Gesamtheit sichtbar zu machen. Ordnend vorgeschlagen werden fünf Sektionen, deren Begriffe nicht nur zentrale Themen von Benjamins Werk widerspiegeln, sondern zugleich auch Fluchtlinien darstellen, an denen entlang sich sein Denken, seine Arbeiten bewegten: 1) Die intellektuelle Freundschaft, 2) Messianismus, Ästhetik, Politik, 3) Literaturkritik, Avantgarde, Medien, Publizistik, 4) Dichtungsanalyse und Autorbild und 5) Sprachphilosophie, literarisches und autobiographisches Schreiben.
Auch wenn keine systematische Aufarbeitung von Benjamins Werk intendiert wurde, so ist dies doch gerade aus der Perspektive seiner Wirkung gelungen. Trotz der Unterschiede in der Anlage und Stoßrichtung der Analysen im Einzelnen, zeigt sich bei allen die Aufarbeitung nicht nur des Entstehungskontextes, sondern der durch sie ausgelösten oder über sie geführten Diskurse.
Dass das Handbuch damit zur zentralen Referenz für jede zukünftige Benjamin-Forschung wird, birgt beim gewählten Thema doch zugleich ein Problem: Die Faszination von Benjamins Werk ging immer auch von dem Eindruck aus, dass sich jeder aus diesem wilden Bergwerk an Bruchstücken bedienen oder seine Ideen in den unterirdischen Stollen vorantreiben konnte. Neue Arbeiten in diesem Feld sind nunmehr denkbar allenfalls noch zu Spezialfragen oder aus ungewöhnlichen Perspektiven. Das Handbuch arbeitet nun jeden Vortrieb auf, katalogisiert die Debatten der Vergangenheit und schließt sich damit gegen Zukunft ab. Gerade die unscharfen Ränder von spekulativen Lektüren werden abgeschnitten, schmerzhaft vielleicht dort, wo dies – wie bei neuen Medien – zu kreativer Re-Lektüre animieren könnte (wie einst etwa bei Enzensberger, der nur noch als historische Referenz zitiert wird). So ist bezeichnend, dass gerade Autoren neuerer Benjamin-Lesarten wie Groys oder Bolz selbst nicht zu Wort kommen, dass das Spekulative sich zum Gegenstand literaturwissenschaftlicher Exegese und Rezeptionsgeschichte wandelt. Das wilde Bergwerk wird zum Untertagemuseum.
Für den naiven, neugierigen Flaneur ist das Buch sicher nicht gedacht (hier bieten Benjamins Schriften den interessanteren, unmittelbareren Zugang), wohl aber für alle, die es genauer wissen wollen: Es bietet eine verlässliche Kartographie von Benjamins Werk.
Eine Analyse der institutionellen und ökonomischen Strukturbedingungen des „britischen“ Kinos muss zunächst bei einer Frage ansetzen, die kaum hinreichend zu klären ist: was soll in einer zunehmend globalisierten Welt und insbesondere in einer international organisierten Filmindustrie überhaupt noch unter einem nationalspezifischen Kino verstanden werden? International verbindliche Kriterien für die nationale Attribuierung eines Films fehlen; jedes Land und hier auch wiederum verschiedene Institutionen legen unterschiedliche Maßstäbe an, wenn sie einen Film einer bestimmten Nation zuschreiben.
Wenn hier dennoch mit nationalen Zuordnungen argumentiert wird, dann weil sie im Sinne der Cultural Studies wirtschaftliche und kulturelle Machtverhältnisse erkennen lassen. Wenn im folgenden insbesondere von amerikanischer Dominanz gesprochen wird, dann ist dies jedoch weniger als undifferenzierter Anti-Amerikanismus zu werten als vielmehr als kritische Anmerkung gegenüber bestimmten Verhaltensweisen der Europäer, die diese Dominanz begünstigen.
Der Boom der letzten Jahre
Ein erster Blick auf das „britische“ Kino beschert uns eine angenehme Überraschung. Offenbar ist es in den 90er Jahren in Großbritannien gelungen, einen regelrechten Kinoboom auszulösen. Filme wie Four Weddings and A Funeral,Notting Hill, The English Patient oder The Full Monty haben international ein großes Publikum gefunden und bieten eine breite Palette vom ART HOUSE – Film bis zum großen Multiplex-Melodram.
Auch die Zahlen scheinen für sich zu sprechen: Die Zuschauer gehen wieder ins Kino. Von ca. 54 Millionen Besuchen im Jahr 1984 stiegen die Besuchszahlen auf 167 Millionen im Jahr 2003. Und die Anzahl der Kinoleinwände erhöhte sich von 1559 im Jahr 1989 auf 2954 im Jahr 2000, wovon allerdings mit 1660 mehr als die Hälfte zu Multiplex-Kinos gehörte (siehe Jäckel 2003, 123). Auch die Anzahl der produzierten Spielfilme stieg von 30 im Jahr 1989 auf 90 im Jahr 2000 (siehe Jäckel 2003). Kurzum, man hat es auf den ersten Blick innerhalb einer guten Dekade mit einer Verdreifachung von Produktion und Umsatz zu tun.
Doch ist die jüngere Geschichte des britischen Kinos wirklich eine Erfolgsstory?
Schon bei Helbig, der die bisher einzige, deutschsprachige Geschichte des britischen Kinos vorlegte, deuten sich Zweifel an, wenn er schreibt: „In den 90er Jahren erfuhr die britische Filmindustrie eine überwiegend positive Entwicklung. Der vielbeschworene Niedergang des Kinos oder gar dessen Verdrängung durch andere Zweige der Unterhaltungsindustrie ist nicht eingetreten.“ (Helbig 1999, 298)
Tatsächlich ist eine differenzierte Betrachtung angebracht, die nicht allein nur konjunkturelle Schwankungen visiert, wie sie die britische Filmindustrie immer wieder erlebte, sondern eine, die die strukturellen Bedingungen des britischen Kinos zum Vorschein bringt. Performanceschwankungen lassen sich in der Tat kaum durch mangelnde künstlerische Ambitionen oder Talente erklären und auch der Hinweis auf die offensichtliche Übermacht Hollywoods hätte kaum Erkenntniswert, wenn nicht auch deutlich würde, was dies eigentlich bedeutet.
Zum Strukturwandel der europäischen Filmindustrien
Zunächst fällt auf, dass alle europäischen Filmindustrien seit den 80er Jahren einen tiefgreifenden Strukturwandel durchlaufen haben, der vor allem durch folgende Faktoren geprägt ist:
Die folgende Grafik zeigt recht eindringlich einen Ihnen in groben Zügen sicher vertrauten Prozess: das Schrumpfen des Kinomarktes in den letzten 50 Jahren. Wenn Sie sich die Kurven für die europäischen Filmmärkte anschauen, dann sehen sie – etwa für Deutschland – zwei charakteristische Rückgänge der Zuschauerzahlen: 1) In den 60er Jahren muss von rund 7000 Kinos etwa die Hälfte schließen, Grund bekannt: das Fernsehen. 2) In den 80er Jahren kommt es zu einem weiteren Einbruch. Dieser ist schon schwerer zu interpretieren: Mögliche Gründe sind die Privatisierung der staatlichen Fernsehsysteme oder eine veränderte Strategie der US-Majors (also der großen Filmproduktions- und –verleihgesellschaften wie z.B. Paramount, Disney bzw. Buena Vista etc). Fakt ist jedenfalls, dass für die Finanzierung der Filme ein insgesamt deutlich zurückgegangener Anteil an Zuschauern zur Verfügung steht
Die Verwertungskette des Films verlängert sich, d.h. die Auswertung eines Films erfolgt nicht mehr allein nur im Kino, sondern im Idealfall bereits auf dem Buchmarkt, dann als Kinofilm, anschließend im PAY TV, danach in einem offenen Kanal und schließlich auf Video bzw. DVD. Das Kino reicht als Amortisationsbasis ebenso wenig aus, wie der Markt eines einzigen europäischen Landes. Daher werden Fernseh- und DVD- Rechte schon vorab möglichst in zahlreiche Länder verkauft und die Erlöse fließen implizit schon in die Finanzierung der aktuellen Produktion mit ein. Das Kino ist häufig nur noch das Schaufenster, das die öffentliche Aufmerksamkeit bringt, Geld wird an anderer Stelle mit dem Film verdient.
Das US-Kino besitzt auf allen europäischen Märkten einen mehr oder weniger starken, immer aber dominanten Marktanteil, der je nach Land zwischen 60 Prozent (Frankreich) und knapp 90 Prozent (Deutschland) schwankt.
Die Europäer versuchen, den amerikanischen Einfluss einzuschränken und haben eine Fülle von staatlichen Schutzmaßnahmen etabliert, die von einer gesetzlich vorgeschriebenen Quotierung für Fernsehsendungen bis hin zu verschiedenen Formen der direkten Subventionierung reichen. Über den Erfolg kann gestritten werden, denn:
Auch die US-Majors verfolgen seit den 80er Jahren eine Strategie, die die gerade erwähnten Maßnahmen zum Teil wirkungslos werden lässt. Dazu gehört:
a.die Erhöhung der Produktionsbudgets, mit denen die technischen Standards der Produktion nach oben geschraubt werden (Special Effects, Post-Production, Sound etc. etc.) und Filme entstehen lassen, die für ihre optimale Rezeption entsprechend ausgestattete Multiplex-Kinos benötigen.
b.die Erhöhung der Marketing-Budgets: Von einem durchschnittlichen US-Film fließen inzwischen knapp 30% des Gesamtbudgets ins Marketing. D.h. von einer im Durchschnitt 76 Mio. US$ teuren Produktion, stehen 21 Mio. US$ für das Marketing zur Verfügung (siehe Jäckel 2003, 43). Zum Vergleich: In Europa kostet ein durchschnittlicher Film je nach Land zwischen 3 – 8 Mio. EUR, wovon häufig nur ca. 10% für das Marketing abgezweigt werden können.
c.die Anzahl der (nur teuer zu ziehenden) Kopien stieg in den 90er Jahren exponentiell an und damit auch die Marketingkosten. Ziel dieser Strategie ist es, den Film in möglichst kurzer Zeit in möglichst vielen Kinos auszuwerten; entsprechend werden auch andere Marketing-Mittel konzentriert, um das Publikum auf den Filmstart einzustimmen. Zudem wird mit dieser Strategie jene Konkurrenz marginalisiert, die nicht über die gleichen Kapitalreserven verfügt. Nicht mehr die Qualität der Produktion ist für den Erfolg entscheidend, sondern die zur Verfügung stehenden Ausgangsbudgets.
Abb.1: Entwicklung der Zuschauerzahlen in Mio. pro Jahr in den wichtigsten industrialisierten Ländern
Zur neueren Geschichte des britischen Kinos
Das britische Kino war in den 70er Jahren schon einmal in einer strukturellen Krise, in der einige Kritiker schon durch die Ausweitung des Fernsehsystems um weitere Kanäle ein rasches Ende der Kinokultur prophezeiten. „Die Zahl der britischen Kinos nimmt weiter ab Studios werden geschlossen. Viele der Tausende von Kinotechnikern sind arbeitslos. Die Mittel für die Herstellung neuer Filme zu finden, ist nicht das einzige, aber das Hauptproblem.“ (NZZ, 12.01.1974)
Doch die Befürchtungen erwiesen sich als übertrieben. Auf der Suche nach sendefähigen Formaten, mit denen sich ein Publikum vor dem Fernsehschirm versammeln und d.h. für die Werbewirtschaft nutzbar machen ließ, erwiesen sich gerade Kinofilme als probates Mittel. Und die für die Sender günstigste Methode, an den begehrten Stoff heranzukommen, war die Beteiligung an der Produktion.
Die oben beschriebene Verlängerung der Auswertungskette wirkte sich unter den gegebenen Umständen nicht nur negativ auf die Filmindustrie aus, sondern etablierte eine neue Form der Filmfinanzierung, die die Kinoproduktion sogar stabilisierte. Durch die Einbeziehung der Fernseh- (und später Video- bzw. DVD-) Auswertung in die Produktionsplanung konnten neue Geldquellen erschlossen werden, die die Produktion auch etwas unabhängiger machte von einem unmittelbaren Erfolg an der Kinokasse. Als Ko-Produzenten beteiligen sich praktisch alle britischen Fernsehsender, insbesondere aber Channel 4.
Der 1982 gegründete Sender hatte zunächst ein in Europa einmaliges Statut. Obwohl als staatliche Fernsehanstalt organisiert, finanzierte sie sich durch das Anrecht auf 14% der Werbeeinnahmen, die bislang von dem privaten Senderverbund ITV allein vereinnahmt worden waren. Damit war nicht nur die Finanzierung gesichert, sondern auch eine gewisse Unabhängigkeit von konkreten Einschaltquoten, da Channel 4 nicht direkt mit Werbekunden verhandeln musste.
Auch wenn Channel 4 sicher nicht mit einem Kultursender wie ARTE zu vergleichen ist und auch von der Größe her nicht mit einem Sender wie etwa Canal Plus in Frankreich, ist doch hervorzuheben, dass allein von 1982 bis 1987 rund 100 Kinofilme von Channel 4 koproduziert wurden und er sich damit als wichtigster britischer Fernsehkanal etablierte, der in die Kinoproduktion investiert. Zwar übernimmt Channel 4 meist nur einen Teil der Produktionskosten – der andere Teil wird von anderen, meist ausländischen und insbesondere amerikanischen Produktionsgesellschaften getragen – doch kann der Erfolg sich durchaus sehen lassen; es finden sich darunter Filme wie Wetherby, A Room with a View, Prick up your Ears, Dance with a Stranger, Wish you were here, A Month in the Country, Mona Lisa, Letter to Breshnev oder The Draughtmans Contract. (Vgl. Waser, Georges: NZZ 04.08.1988) Auch wenn nach einer Statut-Änderung seit 1993 Channel 4 sich selbst um die Vermarktung der Werbezeiten kümmern muss, führte dies nicht zu einem damals befürchteten wesentlichen Rückgang der Investitionen in Kino-Filme.
Kritiker beklagten zwar den Einzug von Fernsehdramaturgien ins Kino (vgl. Wegener, Horst E.: Tagesspiegel, 10.07.1987), doch konnte man dieser Strategie die Achtungserfolge kaum absprechen, denen es jedoch nicht gelang, den allgemeinen Abwärtstrend zu stoppen. Die Zuschauerzahlen sanken rapide, ähnlich fast wie in den 70er Jahren. Und der Staat zog sich unter der Torie-Regierung schrittweise aus der Filmförderung zurück.
Die ‚NFFC’ wurde aufgelöst und die Nachfolge-Bank ‚British Screen’ privatisiert und von vier privaten Gesellschaften getragen: Rank, Cannon, Channel 4 und Granada. Die 1979 eingeführten Steuervorteile für Filminvestitionen, die die Renaissance des britischen Kinos mitinitiierten, wurden 1986 abgeschafft. „Nebenbei kappte die Regentin“, wie Thomas Langhoff anmerkte, „noch den 12,5 prozentigen Aufschlag auf die Kinotickets“, von denen 10 Millionen Mark jährlich von den Kinobesitzern in die Produktion geschleust wurden (Langhoff, Thomas: taz, 12.12.1991).
British Screen gibt nur 25% der Finanzierung dazu unter der Kondition, dass mindestens ebensoviel Mittel privat aufgebracht werden. Die direkten staatlichen Mittel via BFI sind sehr bescheiden, nur ca. 450.000 Pfund per anno stehen in den 80er Jahren für künstlerisch besonders wertvolle oder auch experimentelle Filme zur Verfügung.
Hinzukommen lediglich noch jene Gelder, die aus EU-Programmen stammen wie Eurimage (oder später Media) -aus denen die Torie-Regierung auch noch erwog, sich zurückzuziehen -, obwohl diese insgesamt in ganz Europa jedoch kaum an die Subventionen für die europäischen Tabakbauern heranreichen.
Das Ergebnis war ernüchternd: die Zahl der Zuschauer erreichte 1984 mit rund 54 Mio. Eintritten einen Tiefpunkt. 1986 sackte die Zahl der produzierten Spielfilme auf unter 40, 1992 wurden wahrscheinlich nicht einmal mehr 30 Spielfilme gedreht. Der Kritiker H.G. Pflaum stellte 1993 lakonisch in der Süddeutschen Zeitung fest: „Großbritannien hat praktisch aufgehört, Kinofilme zu produzieren.“ (Pflaum, H.G.: SZ, 09.03.1993). Schon wenige Jahre zuvor konstatierte der Regisseur Stephen Frears: „Es gibt kein British Cinema. Es existiert nicht, es ist weg“. (Zitiert nach Fischer, Nina: Tagesspiegel, 28.12.1998)
Der Niedergang der heimischen Produktion musste um so deprimierender auf die britischen Filmemacher wirken, je mehr sie mit ansehen mussten, dass die Zuschauerzahlen seit Ende der 80er Jahre ebenso wieder anstiegen wie die Anzahl der Kinos. Doch ganz offensichtlich kam dies dem britischen Film nicht zu Gute. Das Publikum schaute sich lieber in den neu gebauten Multiplex-Kinos amerikanische Filme an.
Die Situation war derart dramatisch, dass sogar die konservative Torie-Regierung über einen Kurswechsel in ihrer bisherigen Filmpolitik nachdachte und Gegenmaßnahmen einleitete. Hiervon profitierte freilich erst die Labour-Regierung, die Mitte der 90er Jahre ernten konnten, was die Vorgänger gesät hatten.
Der Umschwung wurde rein äußerlich von einem Film markiert, der von diesen Maßnahmen noch gar nicht profitierte, sich aber als kleine Channel 4–Produktion als Glückstreffer erwies: Four Weddings and A Funeral.
Der Film wurde deswegen so erfolgreich, weil er sowohl in Nordamerika als auch Europa sein Publikum fand und damit eine extrem hohe Gewinnspanne aufwies.
In Großbritannien entschloss sich der Staat in den 90er Jahren wieder zu intervenieren. Das Budget von 450.000 Pfund per anno des BFI für Filmproduktionen wurde verdreifacht, ein Steuerabschreibungsmodell wurde wieder eingeführt und zudem servierte man noch ein ganz besonderes Bonbon:
Abb. 2: Chris Smith, Britischer Kulturminister
Chris Smith, damaliger Kulturminister, hatte das Vergnügen, den Beschluss umsetzen zu dürfen, dass ab 1997 92 Mio. britische Pfund (verteilt auf sechs Jahre), d.h. ein Teil der britischen Lotterie-Einnahmen, an die Filmindustrie ausgeschüttet werden sollte. Zunächst oblag diese Aufgabe dem Art Council, doch schon bald richtete man dafür eine eigene organisatorische Einheit ein: den British Film Council.
Seither schien es aufwärts zu gehen mit der britischen Filmindustrie.
Die Lottomillionen wurden drei Firmenkonsortien gegeben, die sich zusammengetan hatten mit der Verpflichtung, in den Folgejahren jeweils ca. 30 – 40 Filme zu produzieren: Pathé Productions (bestehend aus Pathé Films, Murdochs Satellitensender BSKyB, einer Investmentbank und der Produktionsfirma von Mike Leigh), The Film Consortium (u.a. zusammengesetzt aus der Virgin-Kinokette und vier britischen Produktionsfirmen, die u.a. auch Filme von Ken Loach und Neil Jordan produzieren) und DNA Film.
Doch die Konsortien ließen sich Zeit. Und da ihnen das Geld sicher war, wurde es nicht immer effizient eingesetzt.
Von den 103 im Jahr 1999 gedrehten britischen Filmen hat es knapp zwei Jahre später nicht einmal die Hälfte auf die Kinoleinwand geschafft. Dies lag zum einen vielleicht daran, dass durch die finanzielle Eigenständigkeit auch ungewöhnliche, mutige Filme entstanden sind, die in das in Großbritannien von den US-Majors dominierte Verleih- und Vertriebssystem nicht hineinpassten. Zum anderen steht zu befürchten, wie der Kritiker Georges Waser zu bedenken gab, dass die Regierung Blair mit den Lottomillionen „ein ganzes Heer von Leuten ohne jegliches Talent zum Filmemachen ermuntert“ hat. (Waser, Georges: NZZ, 28.03.2002)
Doch es sollten hier nicht nur die negativen Folgen geschildert werden. Von den Subventionen profitierten durchaus auch unabhängige, britische Filmemacher, die interessante, ungewöhnliche Filme drehten, häufig zu sozialen Problemen wie etwa Trainspotting oder mit komplexen Dramaturgien, die sich für ein amerikanisches Publikum kaum eignen wie etwa Billy Elliot oder auch verstärkt rein europäische Ko-Produktionen wie etwa der deutsch-britische Film Bend it like Beckham. Das unabhängige Kino, das im Hinblick auf die Marktanteile zwar nur eine Nischenposition besetzt und häufig inGroßbritannien gar nicht in die von den Amerikanern dominierten Verleih und Kinos gelangt, erwies sich jedoch in den letzten Jahren als stabilisierender Faktor der britischen Filmindustrie und verringerte die Abhängigkeit zumindest geringfügig dadurch, das sich ein Tor nach Europa öffnete. Davon profitieren letzthin auch kommerziellere Produktionen wie etwa in jüngster Zeit die Jane Austen-Verfilmung Pride and Prejudice (Stolz und Vorurteil), bei der die Einnahmen auf den europäischen Märkten erstmals die in Nordamerika übertrafen.
Dieses Tor könnte sich allerdings aus zwei Gründen wieder schließen: Zum einen, weil es nicht genügend qualifizierten Nachwuchs gibt. Zwar unterhält Großbritannien verschiedene Filmhochschulen und insbesondere die traditionsreiche National Film and Television School, doch die qualifiziertesten Absolventen ziehen es vor, sich entweder gleich auf das leichter zu finanzierende Fernsehen zu konzentrieren oder in die USA auszuwandern, wo sie für ihre Arbeit besser bezahlt werden. Selbst ein Stephen Frears ging in die USA, weil er dort seinen Film Gefährliche Liebschaften leichter finanzieren konnte, zog sich dann aber an die oben genannte Filmhochschule als Dozent zurück. Nicht alle haben das Durchhaltevermögen z.B. eines Terence Davies, der nach seinem gelungenen Film Distant Voices Still Lives Jahre brauchte, um seinen nächsten Film The Long Day Closes zu finanzieren.
Amerikanische Dominanz
Doch haben die Independence Ansätze überhaupt eine Chance gegenüber der amerikanischen Konkurrenz bzw. welches Ausmaß hat eigentlich die amerikanische Dominanz? Man kann dies an vier Punkten festmachen:
Zunächst einmal bedeutet amerikanische Dominanz, dass die US-Majors mit hren Produktionen den Löwenanteil der Zuschauer für sich gewinnen können, d.h. sie verfügen regelmäßig seit Jahrzehnten über einen Marktanteil von ca. 80% in Großbritannien. Dies betrifft nicht allein nur die großen Multiplex-Ketten, sondern eben auch unabhängige Abspielstätten. Der britische Film hat auf dem heimischen Markt nur einen Anteil von durchschnittlich ca. 10 – 15% (vgl. Jäckel 2003, 69), andere europäische Filme spielen nur eine untergeordnete, zu vernachlässigende Rolle.
Die Vertriebsstrukturen sind in Großbritannien ein besonderer Schwachpunkt. Traditionell wird der Markt aufgeteilt zwischen den Kinokettenbetreibern Rank und Cannon, in die sich inzwischen aber auch US-Majors eingekauft haben, so sie nicht eigene Vertriebsstrukturen unterhalten. Außerhalb dieser Ketten gibt es kaum unabhängige Kinos, in London nur eine handvoll und außerhalb von London ca. 35 regionale Kinos (siehe Wetzel, Kraft: FAZ, 11.01.1997). Selbst Universitätskinos sind durchaus als alternative Abspielstätten begehrt. So verwundert es nicht, wenn kaum Gelder aus den Kinoeintritten im Land verbleiben. H.G. Pflaum bemerkt dazu: „1991 waren zwar noch 16,5 Prozent aller im Inland aufgeführten Filme mit britischer Beteiligung (in welcher Höhe auch immer) entstanden, dann aber nur mit sechs Prozent am Kino-Einspiel beteiligt.“ (Pflaum, H.G.: SZ, 09.03.1993)
Großbritannien ist weithin bekannt für den hohen Qualitätsstandard seiner Filmindustrie und für eine ganze Reihe traditionsreicher Filmstudios wie z.B. die in Pinewood. Immer wieder entstanden und entstehen in England auch internationale Superproduktionen, angefangen bei James Bond bis hin zu Star Wars. Doch ohne amerikanische Produktionen, die lieber in Großbritannien drehen, weil es durch den Wechselkurs oder fehlende gewerkschaftliche Bestimmungen billiger für sie als in den USA zu drehen, wären die Studios kaum ausgelastet und könntet allein nur mit britischen Filmen nicht kostendeckend arbeiten. Georges Waser merkt dazu an: „Die britische Filmindustrie ist weniger das Rückgrat der landeseigenen Produktion als vielmehr Gastgeberin für ausländische Filmemacher.“ (Waser, Georges: NZZ, 28.03.2002)
Doch die Gäste aus Übersee drehen nicht nur gerne immer mal wieder in britischen Filmstudios, auch sonst investiert man großzügig in Filme, d.h. genauer gesagt, ist man oft genug der Mehrheitsfinanzier. Oder um es in Zahlen auszudrücken: Der Grad der Gesamtinvestitionen von ausländischen und d.h. vor allem amerikanischen Geldgebern in die britische Filmindustrie beträgt rund 80%. Durch die Lottosubventionen und durch die Ausweitung von Koproduktionen mit europäischen Partnern ist es kurzfristig immer mal wieder gelungen, diese Quote auf 60% zu senken. Doch reicht dies bei weitem nicht, um sich aus der Abhängigkeit zu befreien. In Großbritannien ist man insofern den konjunkturellen Launen der US-Majors viel unmittelbarer ausgesetzt als in Kontinentaleuropa. Steigt der Kurs des britischen Pfunds gegenüber dem US-Dollar, ziehen die US-Majors weiter nach dem dann billigeren Australien bzw. Neuseeland und produzieren die nächste Star Wars Episode eben dort, wie Ende der 90er Jahre geschehen. So schnell, wie sie sich in der britischen Filmindustrie engagieren, sobald Gewinne locken und durch Steuersparmodelle auch in die USA transferierbar bleiben, so schnell werden Investitionen auch wieder abgezogen, wenn Erfolge ausbleiben. Fakt ist, berichtet Angus Finney, dass mehr als 80 Prozent der jährlichen Einspielergebnisse in den USA verschwinden. (Finney, Angus: FR, 24.11.1995) Das britische Kino hat trotz steigender Zuschauerzahlen kaum etwas von dem Boom. „Sobald britische Filme Erfolg haben, stellen sich die Amerikaner als Finanzgeber ein – einige Jahre später besinnen sie sich dann und ziehen bei Flaute sofort ab – es folgt für die abhängige Industrie der Zusammenbruch.“ (Waser, Georges: NZZ, 22.01.1999)
Abb.3: Marktanteil von US-Filmen
Abb.4: Marktanteile von heimischen Filmen auf den jeweiligen europäischen Märkten
Die Konsequenzen sind schlagend: Man stelle sich ein Würfelspiel vor, bei dem der gewinnt, dessen Würfel die höchste Punktzahl zeigt. Während die englische Filmindustrie mit einem einzigen Würfel auskommen muss, hat die amerikanische mindestens 6 Würfel, die sie zeitgleich ausspielen und sich zudem noch den mit der höchsten Punktzahl aussuchen darf. Oder anders gesagt: Es stellt sich nicht die Frage, ob es hin und wieder mal einen gelungenen britischen Film geben wird, der aus eigener Kraft finanziert sein Publikum findet und den die Kritik lobt, sondern ob es gelingt, diesen Erfolg in eine Struktur umzusetzen, die ihn wiederholbar macht.
Was sind überhaupt britische Filme?
Kann man vor diesem Hintergrund überhaupt noch von britischen Filmen sprechen?
Folgt man den Statistiken des BFI dann hat es offenbar nie eine Krise des britischen Kinos gegeben, wie eine wahrhafte Flut britischer Filme in den letzten 25 Jahren zu zeigen scheint. Doch wenn plötzlich auch Filme wie z.B. Top Gun, Blade Runner oder Alien in der Auflistung stehen, und lediglich bei Star Wars in einer Fußnote die englische Beteiligung eingeschränkt wird, stellt sich erneut die Frage, nach welchen Kriterien eine nationale Zuschreibung überhaupt erfolgt, denn die eingangs erwähnten Konventionen werden hier offenbar sehr großzügig ausgelegt. Und eine sprachliche Differenz zur US-Konkurrenz kann – anders als bei den meisten anderen europäischen Filmindustrien – auch kaum als Kriterium dienen.
Ohne hier eine abschließende Antwort geben zu können, sei doch angemerkt, dass gerade weiche, d.h. inhaltliche, aus der Literaturgeschichte abgeleitete Attribuierungsmodelle sich unter Umständen als trügerisch erweisen. Aus einer ökonomisch-institutionellen Perspektive sei hier nur auf einige mögliche Widersprüche hingewiesen:
Betrachtet man den Produktions- und Rezeptionshintergrund von Filmen, die als typisch britisch gelten, die sich durch ihre „Britishness“ geradezu auszuzeichnen scheinen, also Filme wie Der Kontrakt des Zeichners, Die Stunde des Siegers oder Local Hero, dann fällt auf, dass gerade sie vor allem im Hinblick auf ein us-amerikanisches Publikum produziert und häufig auch gleich mit us-amerikanischem Geld finanziert wurden. In Local Hero wurde zudem auch gleich noch der Blick des Amerikaners mit in die Filmhandlung aufgenommen. Kraft Wetzel schrieb 1983 in der FAZ: „Ein US-Kino-Erfolg wird freilich der bisherigen Erfahrung nach nur den Filmen beschieden sein, für die der englische Kritiker Simon Blanchard (…) die Formel ‚cine-tourism’ prägte: Filme, die Großbritannien mit den Augen eines an Postkarten und Schnappschüssen geschulten Touristen zeigen, die die landschaftliche, architektonische, auch die soziale Schokoladenseite von ‚good old England’ präsentieren.“ Diese Formel gilt selbst noch für Filme, an deren Finanzierung sich die Amerikaner nicht beteiligt haben, die aber von vorneherein für einen amerikanischen Geschmack hergestellt werden und dem amerikanischen Publikum letzthin ihren Erfolg verdanken. Man denke hier nicht zuletzt an einen Film wie den bereits erwähnten Four Weddings and a Funeral, der mit 16 Drehbuchfassungen im Vorfeld derart weichgespült wurde, dass er noch bruchlos in Wisconsin oder Texas konsumiert werden konnte.
Dies gilt gerade auch für die so genannten Heritage-Filme, die häufig das literarische oder historische Erbe des Königreichs für die Leinwand aufbereiten, und die bevorzugt von amerikanischen Majors finanziert bzw. meist mit amerikanischem Mehrheitsanteil ko-produziert werden wie z.B. Shakespeare in Love, Jane Eyre, Richard III. (mit Kenneth Branagh) und insbesondere auch der Oscar prämierte, von Miramax produzierte The English Patient, von dem selbst noch die Einnahmen in den britischen Kinos dank der speziellen Verleihpolitik der US-Majors zu 80% nach Amerika wanderten.
Ko-Produktionen erweisen sich dabei als probates Mittel, um überhaupt noch mit einem britischen Signet werben zu können, wie etwa bei Mary Shelley’s Frankenstein (Columbia, 1994), The Madness of King George (1995), Mary Reilly, (1996), The Full Monty (Fox, 1997), Notting Hill (Universal, 1999), Chicken Run (2000), Bridget Jones (UIP, 2001), Harry Potter and the Chamber of Secrets (Warner Bros., 2001) oder auch den James-Bond-Filmen.
Die Abhängigkeit des britischen Films von fremden, und vor allem US-Kapital wird deutlich, wenn man sich einmal die Top Listen des Box Office anschaut, die vor allem die ökonomischen Größenverhältnisse widerspiegelt: grob geschätzt entfallen 80% der Einnahmen auf die ersten 20 Filme, davon 80% auf die ersten fünf Filme.
Abb.5: Top Ten UK Filme in UK
Abb.6: Top Ten Filme in UK
Unter den All Time besten UK-Filmen, die je in UK liefen, gibt es keinen einzigen unter den ersten 10, der nicht von den USA ko-finanziert worden wären! Und unter den All Time besten Listen aller Filme, die je in UK liefen, gibt es unter den besten 20 seit 1993 nur wenige britische Filme, die es ohne fremdes Geld geschafft hätten wie z.B.:
Much Ado About Nothing (1993), Four Weddings and a Funeral (1994), Bean (1997), Lock Stock & Smoking Barrels (1998), East is East (1999) – um nur einige zu nennen – sowie Billy Elliot (2000).
Von diesen Filmen sind die meisten Komödien, vom Fernsehen, d.h. Channel 4 ko-produziert oder beides.
So gesehen hat die so genannte Erfolgsgeschichte des britischen Kinos einen bitteren Nachgeschmack: Zwar „verzeichneten Grossbritanniens Kinos im Jahr 2000 die höchste Besucherzahl seit 1972“ – wie Georges Waser anmerkt – „doch nur einer unter den zehn populärsten Filmen, nämlich ‚Billy Elliot’, war eine britische Produktion.“ (Waser, Georges, NZZ, 28.03.2002)
Globalisierung als Politikum
Die beschriebene Abhängigkeit hat freilich auch politische Konsequenzen. Dass die Europäer überhaupt fortfahren können, ihre heimischen Filmindustrien mit staatlichen Subventionen zu unterstützen, ist keineswegs sicher und gerade in den letzten 15 Jahren zu einem heiß umstrittenen Politikum geworden.
Globalisierung heißt übersetzt auf die europäischen Medienindustrien nichts anderes, als sich verschärft der us-amerikanischen Konkurrenz zu stellen. Hier kollidieren zwei recht unterschiedliche Auffassungen über den Status von Film, der in Europa eher als Kulturgut, in den USA eher als Ware bzw. Dienstleistung interpretiert wird.
Als 1993 die so genannte Uruguay-Runde der GATT- (bzw. später WTO genannten) Verhandlungen anstand, prallten diese Vorstellungswelten recht ungebremst aufeinander. Die USA schlugen vor, die Filmindustrie im Paket mit dem Dienstleistungssektor zu verhandeln, also einem Bereich, in dem es vor allem um Handel, Banken und Versicherungen geht.
Unbehagen darüber, dass die deutsche Position zur Kultur- und übrigens auch längerfristig Bildungspolitik in weiten Teilen von Unternehmen wie der Allianz, der Münchner Rück oder der Deutschen Bank bestimmt wird, kam hierzulande nur in geringem Maße auf, nicht zuletzt deswegen, weil das Thema wenig tauglich war für die Massenpresse und auch akademisch gebildete Kreise aus dem Kulturbereich Berührungsängste zur Wirtschaftspolitik zeigen. Hätten sich die Amerikaner mit ihren Vorstellungen durchgesetzt, dann wären nach Schätzungen von Carlos Pardo in LeMonde diplomatique innerhalb weniger Jahre etwa 1,8 Mio. Arbeitsplätze in der europäischen Medienindustrie verloren gegangen. Das konnte damals abgewandt werden durch die ungewöhnlich scharfe Intervention des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand, der trotz des Drucks der französischen Bauern, eine „exception culturelle“ erwirkte, die zunächst für 10 Jahre gelten sollte.
Danach sollten die Europäer, so die amerikanischen Vorstellungen, einfach eine Liste mit schützenswerten Kulturgütern aufstellen wie z.B. Museen und Theatern, die im Rahmen der Exception Culturelle weiterhin mit Subventionen bedacht werden könnten – so eine Art europäisches Kulturreservat. Doch was wäre im Fall von Neugründungen geschehen, die nicht auf der Liste vermerkt waren, oder Universitäten, deren staatliche Alimentierung in den USA ebenso wenig selbstverständlich ist wie die der Filmindustrie?
Zu einer endgültigen Klärung dieser Streitfragen ist es nicht gekommen. Die nächste Runde 1998 in Seattle klammerte diese Frage aus wegen massiver Proteste vor Ort und einem Streit über Agrarsubventionen. 2003 in Doha (Katar) vertagte man das Problem der Klärung des Kulturbegriffs auf die UNESCO, die tatsächlich vor kurzem, d.h. im Herbst 2005 eine recht weitgehende Richtungsentscheidung traf:
Mit nur zwei Gegenstimmen (von den USA und Israel) einigte man sich auf eine Resolution, die die kulturelle und mediale Vielfalt unter besonderen Schutz stellt. (Ausführliche Erläuterungen dazu siehe auch Mattelart 2005)
Der Ausgang der Verhandlungen in der UNESCO lässt immerhin hoffen, dass sich die Europäer endlich zu einem Kino bekennen, das nicht nur die Erfolgsrezepte der Amerikaner kopiert, sondern Mut zu eigenwilligen Geschichten hat, und sich Europa auf eine Politik verständigt, die für seine Entfaltung auch die notwendigen Strukturbedingungen schafft.
Literaturliste
Helbig, Jörg: Geschichte des britischen Films. Stuttgart 1999 (Metzler)
Jäckel, Anne: European Film Industries. London 2003 (BFI)
Weber, Thomas: „Kino in Frankreich. Zum Strukturwandel der achtziger und neunziger Jahre“, in: Weber, Thomas/ Wollendorf, Stefan (Hrsg.): Wegweiser durch die französische Medienlandschaft, Marburg 2001, S. 125-150
Creton, Laurent: Cinema et Marché, Paris 1997
Presseliste
NZZ, 12.01.1974
FAZ, 11.01.1977
Waser, Georges, NZZ, 19.06.1980
Wetzel, Kraft, FAZ, 03.12.1983
Wegener, Horst E., Tagesspiegel, 10.07.1987
Waser, Georges, NZZ, 04.08.1988
Taz, 18.12.1988
Langhoff, Thomas, taz, 12.12.1991
Pflaum, H.G., SZ, 09.03.1993
Finney, Angus, FR, 24.11.95
Schönfeld, Carl-Erdmann, SZ, 01.08.1996
Schönfeld, Carl-Erdmann, Freitag, 09.08.1996
Wetzel, Kraft: FAZ, 11.01.1997
Howald, Stefan, FR, 21.05.1997
Pardo, Carlos, „Cinquanteinaire du Festival de Cannes. Grande détresse pour le film européen“, http://www.monde-diplomatique.fr, Mai 1997
Fischer, Nina, Tagesspiegel, 28.12.1998
Waser, Georges, NZZ, 22.01.99
Waser, Georges, NZZ, 06.04.01
FAZ, 14.01.02
Waser, Georges, NZZ, 28.03.02
Mattelart, Armand, „Kampf der Kulturen“, in LeMonde diplomatique, Oktober 2005, S. 16/17
Hamann, Götz, „Die Kultur schlägt zurück“, in DIE ZEIT, 44/2005, http://www.zeus.zeit.de/text/2005/44/kultur-hoheit; 12.12.2005
Weber, Thomas: „Das französische Kino der 80er und 90er Jahre“, in: https://magazin.avinus.eu/html/kino_in_frankreich.html, 18.02.05
Wichtige Begriffe
NFFC: National Film Finance Corporation (Aktivitäten geregelt durch Sondergesetz, die Cinematograph Film Production Acts (1949 – 1975)
British Screen Finance Consortium (kurz: British Screen) (seit 1985 Nachfolger von NFFC); erhält 1,5 Mio Pfund von der brit. Regierung, 1,1 Mio von privaten Partnern wie Rank und Cannon, Channel 4 und Granada. Durchschnittlich werden 25% der Produktionskosten übernommen, wenn private Einlagen in gleicher Höhe aufgebracht werden. 1993 erhielt die Einrichtung 2 Mio. Pfund. Weitere 2 Mio. Pfund werden via British Screen für den europäischen Coproductions-Fonds zur Verfügung gestellt. Filme, die unterstützt wurden waren z.B. Land and Freedom, Before the Rain, The Crying Game, Orlando, Tom and Viv.
BFI: British Film Institut. Fördert den Film als Vermittlungsmöglichkeit von Gegenwartskultur und –problemen und pflegt den künstlerischen Film. Das BFI hat einen Zuschuss von 450.000 Pfund p. a. Ab 1995 Budget von 450.000 Pfund pro Film für drei Filme p. a.
National Film and Television
School in Borehamwood
Channel 4: 1982 gegründeter staatlicher TV-Sender, der sich durch Werbeeinnahmen finanziert und sich kontinuierlich an der Finanzierung britischer Produktionen beteiligte wie z.B. The Draughtman’s Contract (1982), My Beautiful Laundrette (1985), Mona Lisa (1986); King George (1994), Secrets and Lies (1996)
Art Council später Film Council soll Verteilung der Lottogelder überwachen sowie das BFI und die BFC (British Film Commission)
Pinewood, eines der bekanntesten Studios, gegründet 1935 in Hertfordshire nördlich von London von Joseph Rank, einem überzeugten Methodisten (der das Medium zur Verbreitung des Evangeliums nutzen wollte).
US-Majors: Große amerikanische Filmfirmen wie Disney bzw. Buena Vista, Paramount, Warner bros. etc., die meist nicht nur die Produktion, sondern auch Verleih und Vertrieb organisieren.
Box Office – Offizielle Statistik von Eintrittszahlen und Einnahmen
IMDB – International Movie Data Base – frei zugängliche Internet-Datenbank zum Thema Film
Bei meinem ersten Film hatte ich unglaubliches Glück. Ich konnte ihn ohne Exposé und Drehbuch beginnen, was wirklich selten ist. Ich hatte vorher einen Kurzfilm gedreht, der auf zahlreichen Festivals gelaufen war und großen Anklang gefunden hatte. Es war ein unglaublicher Zufall: Einmal wurde direkt davor ein Film von Jean-Luc Godard gezeigt, den ich nicht kannte und den ich im Übrigen bis heute nicht kenne. Er meinen Kurzfilm gesehen, sprach mit seinem Produzenten und empfahl ihm, diesen Film zu produzieren. Der Produzent sah sich den Film an und wollte mich kennen lernen. Da war ich noch an der Schule, in der Drehbuchklasse, und ich war überhaupt noch nicht sicher, ob ich selber drehen will, und in diesem Moment kam der Produzent und fragte mich, ob er meinen ersten Spielfilm produzieren dürfte. Das war eine enorme Chance, denn ich war noch recht jung, gerade 25. Hinzu kam, dass Jean-Luc Godard sich für den Film einsetzte, was ihm ein großes Gewicht verlieh.
Gab es bei diesem Film nie größere Differenzen zwischen Ihnen, der jungen Filmemacherin, und einem Vertreter der Nouvelle Vague?
Natürlich gab es die, denn die Filmemacher der Nouvelle Vague sind eine spezielle Generation. Man kann sie mit uns überhaupt nicht vergleichen. Es gibt in Frankreich viele Filmemacher und Produzenten, die die Nouvelle Vague nicht mögen – aber das ist nicht mein Fall. Ich erkenne bei den Vertretern der Nouvelle Vague viel wieder, also bei François Truffaut, Godard oder Rohmer.
Wie war die Resonanz auf Ihre Filme in Frankreich?
Meine ersten beiden Filme wurden sehr gut aufgenommen von der Kritik, dadurch hatten sie auch ein größeres Publikum, aber ich habe nie einen Produzenten kennen gelernt, der allein wegen mir Geld verdient hätte. Aber mein Film war das, was die Produzenten einen „populären Erfolg“ nennen.
Gab es auch kritische Stimmen?
Ja, sicher. Nicht direkt, aber natürlich gab es so etwas. Die Kritik mag es ja, einem Etiketten aufzukleben und auf einmal wird man darüber definiert, dass der Film 1,3 Mio. Zuschauer hatte, trotzdem er noch ein Autorenfilm ist.
Haben Sie eine besondere Arbeitsweise?
Ich weiß nicht, ob es da eine bestimmte Arbeitsweise gibt. Auf jeden Fall, brauche ich immer viel Zeit für Proben mit den Schauspielern. Solange wie möglich, zwei, drei Monate, im Durchschnitt zwei bis drei Stunden am Tag besprechen und wiederholen wir die Szenen. Und das sind Wiederholungen am Tisch, d.h. wir lesen das Drehbuch immer wieder und sprechen darüber. Das ist eine Art, es kennen zu lernen und uns kennen zu lernen. Beim Dreh selbst kann man dann viel spontaner arbeiten. Ich erwarte von den Schauspielern, dass sie mir etwas anbieten für die Szene. Ich dirigiere sie ein wenig und ich schaue mir das mit dem Kameramann an. Und dann entscheiden der Kameramann und ich, wie wir die Szene aufnehmen und schneiden werden.
Wie bringen Sie die Emotionen der Figuren zum Ausdruck?
Nun, man muss den Zustand der Figur und den der Szene zusammenbringen. Wenn man während der Vorbereitungsphase über Gefühle spricht, kann man sie analysieren, man kann versuchen, sie zu verstehen. Am Set aber geht es nicht mehr darum, zu analysieren, sondern dann ist es nötig, sich in diesen Zustand zu versetzen. Also spreche ich mit den Schauspielern über ihre Gefühle, aber ohne große Worte zu machen, das können eher Gesten sein. Das ist eine sehr körperliche Arbeit!
Welche Rolle spielt die Musik in Ihren Arbeiten?
Musik war immer sehr wichtig für mich. Sie ist meist mit den Figuren verbunden. Ich habe oft Figuren, die gerne tanzen oder singen. Oder ich setze einen Chor ein wie z.B. in Les Sentiments.
Das Gespräch führten Caroline Elias und Dr. Thomas Weber am 3.5.2005 in Babelsberg im Rahmen der Reihe „Mit Frankreich am Set“. Danke an HFF, Institut Français, Mediaoffice und das MAE. Übersetzung: Dörte Richter
Les Sentiments, Frankreich 2003. 90 Min. Regie: Noemi Lvovsky. Buch: Noemi Lvovsky, Florence Seyvos. Darsteller: Nathalie Baye, Jean-Pierre Bacri, Isabelle Carré u.a.
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