Weber, Thomas: Über neuere Ansätze zum Grundeinkommen, 11.01.08

Der Vorschlag eines allgemeinen, bedingungslosen Grundeinkommens, das jedem Bürger zustehen und ihm eine Grundversorgung ermöglichen soll, wird von Kritikern gern als unfinanzierbar und unrealistisch verworfen.

Doch gerade in einer Zeit, in der die Nationalstaaten durch supranationale politische Organisationen und global organisierte Kapitalmärkte in ihrer Wirkungsmächtigkeit marginalisiert werden und angesichts eines drohenden (und auf Grund demographischer Faktoren, von Globalisierung und Rationalisierung schon seit Jahrzehnten abzusehenden) Kollapses der Sozialsysteme in Deutschland fragt es sich, ob man es sich heute überhaupt noch leisten kann, auf die Diskussion hierüber zu verzichten.

Die Ausgaben für die Rentenversicherung und die Arbeitsförderung haben sich seit 1991 fast verdoppelt, die Ausgaben für die Krankenversicherungen sowie die Sozial- und Jugendhilfe sind seither um rund 50 % gestiegen. Inzwischen ist weit über die Hälfte des Bundeshaushalts durch die verschiedenen Etatposten für Sozialausgaben festgelegt – Tendenz: dramatisch steigend.

Wurde nicht längst durch die Hintertür eine Art von kompliziert konditioniertem Grundeinkommen eingeführt, kontrolliert und verwaltet durch eine Sozialbürokratie wie z.B. der Bundesagentur für Arbeit, die– wie in den letzten Jahren bekannt wurde – nur 10% ihres Potentials überhaupt ihrer eigentlichen Aufgabe, der Vermittlung von Arbeit, widmet, und die nicht erst seit der Einführung von Hartz IV die Bürger mit z. T. aberwitzigen und ebenso ineffizienten Kontroll- und Bearbeitungsmaßnahmen traktiert? Die Effizienz des Systems darf bezweifelt werden. (So beklagt etwa der Bund der Steuerzahler Jahr für Jahr – alle Haushaltsposten zusammengenommen – rund 30 Mrd. EUR an Verschwendungen.)

Auch die Behauptung, dass der nächste Aufschwung schon Geld in die öffentlichen Kassen spülen werde und die Arbeitslosigkeit drastisch sinke, erscheint nach einem Blick auf die Statistik als Rechtfertigung ungeeignet (woran nunmehr drei Bundeskanzler – Schmidt, Kohl und Schröder – letzthin scheiterten): Zwar geht die Arbeitslosigkeit in Phasen des Aufschwungs kurzfristig etwas zurück, nimmt jedoch in der Tendenz mittel- und langfristig seit Jahrzehnten immer weiter zu.

Einer der Gründe hierfür ist sicher, dass der Faktor Arbeit (und vor allem der Faktor Arbeit) mit viel zu hohen Abgaben belastet wird, die kaum mehr erwirtschaftet werden können, schon gar nicht mit schlecht- oder unqualifizierten Jobs, deren Produktivität unterhalb der Rentablitätsschwelle liegt. Dies führt de facto zu einer fortschreitenden Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen, die nicht mehr oder zumindest immer schlechter vertraglich abgesichert werden, um reguläre, sozialversicherungspflichtige (und damit teure) Arbeitsverträge zu vermeiden (auch Formen der Schwarzarbeit müssen hier genannt werden) – eine Entwicklung, an der der Staat sich trotz gegenteiliger Beteuerungen teilweise sogar selbst beteiligt.

Ordnungspolitische Vorstellungen, die eine Rückkehr zu traditionellen sozialversicherungspflichtigen Festanstellungen erzwingen wollen, blenden die Dynamik eines Systems aus, das einen „Rückwärtsgang“ nicht kennt.
Auch ein garantiertes Grundeinkommen stellt keine einfache Lösung der aktuellen Finanzierungsprobleme dar, da es kaum darum gehen kann, einfach nur mehr Geld zu fordern, das längst nicht mehr vorhanden ist. Wohl aber könnte es um Verteilungsgerechtigkeit und eine größere Effizienz des Systems gehen, die zugleich auch eine wirtschaftliche Dynamik entfaltet, die diesem Land seit Jahren abgeht.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen, gekoppelt mit einem einfacheren, auch für den Bürger überschaubaren Steuersystem und einem Ab- und Umbau der Bürokratie, wäre nicht nur ein Beitrag zu einer größeren sozialen Gerechtigkeit und einer angemessenen sozialen Absicherung, sondern auch zu einem effizienteren Wirtschaften, von dem gerade auch kleine und mittlere Unternehmen (in denen die meisten Arbeitsplätze entstehen) besonders profitieren würden.

Über die konkreten Wege und Umsetzungsmöglichkeiten eines Grundeinkommen kann und wird sicher im Einzelnen zu streiten sein.

Vorschläge reichen vom Bürgergeld über eine negative Einkommenssteuer bis hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen und werden inzwischen von zahlreichen, z. T. völlig unterschiedlichen Akteuren gefordert wie etwa von dem Kulturwissenschaftler und Direktor der Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin, Wolfgang Engler (www.aufbauverlag.de/index.php4?page=28&show=4901), oder dem Chef der Drogeriemarkt-Kette DM Götz Werner (www.unternimm-die-zukunft.de).

Weitere Hinweise zu dieser breit angelegten Debatte finden sich beispielsweise unter www.archiv-grundeinkommen.de, einer Website, die Links zu wichtigen Artikeln zum Themenfeld zusammengestellt hat und auch Kritiker eines Grundeinkommens nicht unerwähnt lässt. Spannend ist auch das Netzwerk Grundeinkommen (www.netzwerk-grundeinkommen.de), das vor allem politische Bündnisse zur Bekanntmachung und Durchsetzung eines Grundeinkommens voranbringen möchte und zuletzt im Oktober 2005 zusammen mit dem Österreichischen Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenarbeit (www.grundeinkommen.at) und zahlreichen anderen Organisationen die Konferenz „Grundeinkommen – In Freiheit tätig sein“ (www.grundeinkommen2005.org) in Wien organisierte.

Die Debatte über ein Grundeinkommen wird nicht nur in nationalen Kontexten, sondern weltweit geführt (siehe dazu auch: http://www.etes.ucl.ac.be/BIEN/Index.html).

Hier im AVINUS Magazin stellen wir daher nicht nur das Vorwort (www.avinus.de/html/vorwort2.html) des 2002 erschienenen Bandes des Wiener Sozialwissenschaftlers Manfred Füllsack: Leben ohne zu arbeiten? Zur Sozialtheorie des Grundeinkommen vor, sondern die gleichfalls von Manfred Füllsack herausgegebene Sammlung von englischsprachigen Aufsätzen von international renommierten Experten zum Thema. Eine um einige Aufsätze erweiterte deutsche Version der Texte ist bereits unter dem Titel Globale soziale Sicherheit? Grundeinkommen weltweit beim Avinus-Verlag erschienen.

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