Hißnauer, Christian: Episodischer Variationsreichtum: Innovative Krimiserien abseits des ‚Quality TV‘, 18.08.2016

Episodischer Variationsreichtum: Innovative Krimiserien abseits des ‚Quality-TV‘.
Boomtown, Motive, Accused, Countdown und Krimiprinzipien jenseits ‚klassischer‘ Whodunit– und Howcatchem-Dramaturgien

Christian Hißnauer[1]

Der Mörder war wieder der Gärtner
Und der plant schon den nächsten Coup
Der Mörder ist immer der Gärtner
Und der schlägt erbarmungslos zu

Reinhard Mey: Der Mörder ist immer der Gärtner (1971)

Die Originalität liegt in anderem. Die Tatsache, daß ein Charakteristikum des Kriminalromans in der Variation mehr oder weniger festgelegter Elemente liegt, verleiht dem ganzen Genre sogar das ästhetische Niveau.
Bertolt Brecht[2]

Auch abseits des vielgerühmten, zuweilen überbewerteten, ‚Quality-TV‘ finden sich innovative – zumindest unkonventionelle – Serienproduktionen; oft übersehen und unterschätzt.[3] Das gilt auch für den immer noch (bzw. immer wieder) boomenden Bereich der Krimiserien.

Zu den Innovationen der vergangenen Jahre im Bereich der Krimiserie zählen m. E. die US-amerikanische Episodenserie Boomtown (2002–2003), das kanadische procedural Motive (2012–2016), die britische Anthologiereihe Accused/‌Accused – Eine Frage der Schuld (2010–2012)[4] sowie die spanische Produktion Cuenta atrás (2007–2008), die in Deutschland unter dem Titel Countdown – Die Jagd beginnt (2010–2012) adaptiert wurde. Im mittlerweile etwas abgeebbten ‚Quality-TV‘-Diskurs spielen sie keine Rolle (Boomtown wird beispielsweise bei Mittell 2012/2015 lediglich kurz erwähnt). Sie zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie nicht den klassischen Whodunit– und Howcatchem-Prinzipien folgen, sondern ‚neue‘ Krimidramaturgien serialisieren.

Hier soll nicht behauptet werden, dass es sich dabei grundsätzlich um innovative –grundlegend neue – dramaturgische Ansätze im Krimigenre handelt. Vermutlich finden sich bereits im Roman, im Film, im Hörspiel oder in einzelnen Fernsehspielen und Serienfolgen entsprechende Beispiele; und wahrscheinlich gar nicht wenige.

Neu ist hingegen die serialisierte Verwendung dieser Dramaturgien als wiedererkennbares Form(atierungs)prinzip der entsprechenden Produktionen, die im Folgenden vorgestellt werden sollen.[5] Dabei handelt es sich um serielle Prinzipien, die die ‚operationale Ästhetik‘ (Mittell in Anlehnung an Neil Harris) eines ‚narrativen Spektakels‘ (Mittell) in den Vordergrund rücken. Solche Serien sind daher in der Regel „mehr für ihren Erzähldiskurs[6] als für die ausgebreiteten Handlungen bemerkenswert“ (Mittell 2012: 114).

Im Dickicht der Serialität: Durch das Lustwäldchen der Rashomon-Serien

Was wir wissen – wissen wir nicht
Doch Du weißt: das, was Du weißt,
weißt Du nur für Dich selbst

Grobschnitt: Film im Kopf (1987)

Die in Los Angeles angesiedelte Serie Boomtown ist hinsichtlich ihres Umgangs mit Erzählperspektiven bzw. Fokalisierungswechseln[7] und der achronologischen Erzählweise[8] ungewöhnlich.[9] Die Fälle erschließen sich erst in der Zusammenschau der nacheinander präsentierten Polizisten-, Opfer-, Täter- und Staatsanwaltsperspektive (Ausnahme: die Episode Fearless/‌Schlechte Erinnerungen):[10]

Other programs are […] notable for their storytelling discourse (how the story is told) more than the story itself – Boomtown offers fairly typical police stories, but when told through changing, multiple, limited perspectives among an ensemble of characters, the case become more nuanced and complex that they first appear. (Mittell 2015: 48)

Boomtown ist eine hochgradig komplex erzählte Serie,[11] auch wenn es sich nicht um eine Fortsetzungsserie handelt (dies gilt insbesondere für die Folge Reelin‘ in the Years/Mord verjährt nicht, in der zusätzlich auf zwei Hauptzeitebenen erzählt wird).[12] Komplex ist die Serie, da sie die Verstehens- und (Re)Konstruktionsleistung der Zuschauer (heraus)fordert.[13]

Als filmischer ‚Urtext‘ eines solchen narrativen Verfahrens, wie es Boomtown ausstellt, wird immer wieder Akira Kurosawas Rashomon/Das Lustwäldchen (J 1950) genannt. Außerhalb der fokalisierten Analepsen gibt es keine ‚narrative Wirklichkeit‘, die dem Zuschauer erklärt oder zeigt, was ‚tatsächlich‘ passiert ist.[14] Dies wird zuweilen in einzelnen Folgen auch von Krimiserien aufgenommen (z.  B. der CSI-Folge Rashomama/Teamwork, 2006; dem 90-minütigem Mord mit Aussicht-Serienspecial Ein Mord mit Aussicht, 2015; oder – allerdings nur ansatzweise – der Notruf Hafenkante Episode Klassentreffen, 2016). Narrativ motiviert werden solche Folgen oft durch eine Rahmenhandlung, die die fokalisierten Analepsen als Aussagen bei einer Gerichtsverhandlung oder vor einem Untersuchungsausschuss ausstellen; immer also als Zeugenaussagen. So auch in der Serie The Affair (seit 2014), in der eine Mordermittlung, vor deren Hintergrund von einer außerehelichen Affäre erzählt wird, diese Rahmenhandlung bildet. Hier sind die Aussagen aber serialisiert: Die Ereignisse werden in der ersten Staffel abwechselnd – und vor allem fortgesetzt – aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählt – der der Protagonisten Noah (Dominic West) und Alison (Ruth Wilson). Ab Staffel zwei kommen weitere Sichtweisen hinzu.

Eine solche narrative Motivation fehlt in Boomtown. Auch in einem anderen Punkt unterscheidet sich Boomtown wesentlich von diesem ‚Rashomon‘-Verfahren: Klassischerweise werden die gleichen Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, sodass die ‚narrative Wirklichkeit‘ unbestimmbar bleibt. So widersprechen sich beispielsweise die Erinnerungen/‌Zeugenaussagen von Noah und Alison in The Affair nicht nur in Details. Noah glaubt z. B., sich an Annäherungsversuche Alisons zu erinnern, während in Alisons Wahrnehmung Noah immer wieder ihre Nähe gesucht hat. Schon der Beginn ihrer Affäre wird also völlig konträr dargestellt. Begegnungen finden je nach Erinnerung an anderen Orten statt und verlaufen unterschiedlich. Selbst Kleidung und Frisuren differenzieren – und charakterisieren die Figuren darüber jeweils aus Noahs oder Alisons Sicht; selbst die Farbsättigung ist oft eine andere.

In Boomtown ist dies nicht der Fall. Die jeweiligen Sequenzen sind zwar fokalisiert, doch sie ergänzen sich zu einem stimmigen, widerspruchsfreien Gesamtbild. Die ‚narrative Wirklichkeit‘ wird nicht in Frage gestellt – auch weil aus jeder Perspektive nur Teile des Plots erzählt werden (die zudem temporal unterschiedlich verortet sind). Auch in The Affair gibt es zunehmend mehr Szenen und Sequenzen, die lediglich die Erlebensperspektive einer der beiden Protagonisten darstellen, da der/die jeweils andere in diesem Moment nicht anwesend ist (z. B. Szenen mit Noahs Familie oder Alisons Ehemann). Aufgrund der gravierenden Widersprüche bei den ‚geteilten‘ Erinnerungen stellt sich immer wieder die Frage, ob und inwieweit auch in solchen Szenen und Sequenzen (un-)zuverlässig erzählt wird.

In Krimiserien, die in einzelnen Folgen auf dieses Rashomon-Verfahren rekurrieren (und tatsächlich die gleichen Ereignisse aus unterschiedlichen Erlebenshorizonten heraus darstellen), findet sich in der Regel am Ende ein Beweis, der die ‚Wahrheit‘ erkennen lässt. Zumindest wird ein Urteil gesprochen; die Zuschauer sollen nicht allzu sehr verunsichert werden.[15]

Als dezidiert serielles Formprinzip verwendete bereits die ZDF-Produktion Tod eines Schülers (1981) den Wechsel von Erzählperspektiven von Folge zu Folge; wobei die erste Folge noch ‚konventionell‘ erzählt war – quasi als Exposition. In ihr werden die Ermittlungen nach dem Suizid thematisiert, die ein sehr widersprüchliches Bild von Claus Wagner (Till Topf) ergeben. Die Widersprüche in den Aussagen werden – zumindest teilweise – durch die einzelnen Folgen aufgelöst, die immer wieder die Zeit vor dem Selbstmord (quasi auf ein Neues) erzählen. Zumindest wird deutlich, wie bei den Eltern, der Freundin, den Lehrern oder den Mitschülern so ein unterschiedliches Bild von Claus Wagner entstehen konnte. Die Geschichte um den Suizid des Abiturienten wird so weder fortgesetzt noch ist jeder Serienteil abgeschlossen: Die Narration breitet sich aus.[16] Entsprechend ist die Figurenentwicklung ebenfalls kein linearer Prozess, auch wenn es sich in der Rezeption als ‚kumuliertes Serienwissen‘ (vgl. Hickethier 1991) so darstellen mag. Das serielle Wechselspiel aus Wiederholung und Varianz (siehe Eco 1988) ergibt sich aus dem Erzählen der immer gleichen Geschichte (Wiederholung) aus unterschiedlichen Erlebensperspektiven[17] (Varianz), wodurch die erzählte Geschichte und die gezeigten Charaktere immer facettenreicher und ‚stimmiger‘ werden. Die Geschichte wird quasi ‚angedickt‘. Dabei wird vor allem die Begrenztheit der jeweiligen Perspektive – und damit der entsprechenden episodischen Erzählung – deutlich (vgl. dazu ausführlicher Hißnauer 2012a). Das macht Tod eines Schülers zu einer der innovativsten und originellsten Serien – nicht nur in der bundesdeutschen Fernsehgeschichte (vgl. Hißnauer 2012b).

Tod eines Schülers zeigt dabei auch, dass ‚komplexes Erzählen‘ keine (reine) Erfindung des US-amerikanischen Fernsehens der letzten zwei Dekaden ist, wie es beispielsweise Mittell (2015: 15) jüngst erst wieder betont hat. Erinnert sei nur an Acht Stunden sind kein Tag (1972-1973) und Berlin Alexanderplatz (1980) von Rainer Werner Fassbinder, Ein Mann will nach oben (1978) von Herbert Ballmann, Rote Erde (1983/1990) von Klaus Emmerich, Das Boot (Filmversion 1981, TV-Mehrteiler/-Serie 1985/1987[18]) von Wolfgang Petersen oder den Heimat-Zyklus[19] von Edgar Reitz (1984-2013). Insbesondere Berlin Alexanderplatz und Heimat wurden – allerdings in der Regel als ‚Film‘ – international breit rezipiert, sodass sich durchaus die Frage stellt, welchen Einfluss diese Produktionen und ihre Erzählweisen auf den US-amerikanischen Serienmarkt hatten.[20] Zumindest legt auch die kanadische Bloggerin Riley Haas den Gedanken nahe, Produktionen wie Berlin Alexanderplatz als Vorreiter des US-amerikanischen ‚Quality-TV‘ zu begreifen:

Berlin Alexanderplatz features one of the great German directors […] telling an ambiguous story about an unlikable ex-con which is an allegory for the problems of the Weimar Republic which resulted in Nazism. Though it’s the kind of thing that, with better production values, would be at home in our new Golden Age of Television, it would have been utterly foreign to American television audiences in 1980 and, come to think of it, probably in the late ’80s when it was finally aired on PBS. (Riley 2016; Unterstreichung CH)

Meines Wissens ist das narrativ-serielle Verfahren von Tod eines Schülers in dieser Konsequenz bislang erst einmal adaptiert worden. Zwar wechseln auch die US-amerikanische Serie Band of Brothers/Band of Brothers – Wir waren wie Brüder (2001), die britischen Produktionen As if (2001-2004) und Skins/Skins – Hautnah (2007-2013) oder die australische Miniserie The Slap/The Slap – Nur eine Ohrfeige (2011) in jeder Folge die Erlebensperspektive, aus der heraus erzählt wird, doch die Handlung wird dabei stets vorangetrieben, sodass es eine klare zeitliche Entwicklung innerhalb dieser Serien von Folge zu Folge gibt (zuweilen wiederholen sich die Erzählperspektiven auch).[21] In Tod eines Schülers steht die erzählte Zeit hingegen ‚still‘ und wird jeweils pro Folge noch einmal (aus einer anderen Sicht) erzählt – und dabei ergänzt; im besten Sinne einer Rashomon-Serie.[22]

Der irische Mehrteiler Amber/Amber – Ein Mädchen verschwindet (2014) funktioniert teilweise ähnlich. Die sehr fragmentarisch erzählte Miniserie ist allerdings weitaus weniger konsequent in ihrem narrativ-seriellen Muster. Zwar ergänzen sich auch hier unterschiedliche Erzähl-/Erlebensperspektiven, doch Fokalisierungswechsel spielen eher für einzelne Sequenzen – und nicht für komplette Folgen – eine Rolle. Zunehmend rückt zudem die Erlebensperspektive des Vaters in den Mittelpunkt (vor allem zum Schluss hin wird vermehrt aus seiner Sicht heraus erzählt). Auch der zeitliche Horizont der Erzählung weitet sich in den Folgen aus (insbesondere in Teil zwei und vier). Das wiederholte ‚Neuerzählen‘ einzelner Handlungselemente verliert so als serielles Verfahren schnell an Bedeutung (und das bei ohnehin nur vier Folgen).

Lediglich in der vierten Staffel der US-amerikanischen Sitcom Arrested Development (2003-2006, Fox; seit 2013 Netflix), die als ‚full drop season‘[23] auf der Web-TV-Plattform Netflix veröffentlicht wurde, wird, wohl auch aus einigen pragmatischen Gründen, das erzählerische Verfahren von Tod eines Schülers aufgenommen.[25] Ob die geplante fünfte Staffel wieder diesem narrativen Muster folgen wird, ist m. E. aber mehr als nur fraglich. Ein Indiz dagegen ist, dass Mitchell Hurwitz, Creator und Showrunner von Arrested Development, einen recut der vierten Staffel vorgenommen und sie völlig neu montiert hat: „Now we have 22 episodes, and they’re delightful to watch and they’re much less work than the Netflix series“ (Hurwitz/ Miller 2016; Herv. CH)

Während in Tod eines Schülers stets Claus Wagner der narrative Bezugspunkt, der Kern der Erzählung bleibt (um ihn ‚kreisen‘ alle Folgen),[27] ist dies in Arrested Development nicht der Fall. Die Rekonstruktionsanforderung an die Zuschauer ist daher – bei mehreren Hauptfiguren, 15 Folgen[28] und einer Vielzahl an Zeitsprüngen[29] – deutlich höher. Die vielfältigen Berührungspunkte der einzelnen Handlungsstränge ergeben sich erst nach und nach (während in Tod eines Schülers die relevanten plotpoints nach der ersten Folge bereits bekannt sind).[30] Die Staffel ist für ein hoch konzentriertes Publikum konzipiert und zielt offenkundig darauf ab, in relativ enger zeitlichen Taktung konsumiert zu werden. Als ‚full drop season‘ ermöglicht sie nicht nur das binge watching – also das neuartige ‚Marathonsehen‘ von Serien(staffeln) innerhalb kürzester Zeit (zum Teil auch abfällig ‚Komaglotzen‘ genannt) – sondern fordert dies regelrecht ein.

Why did you do it? Motive und die Frage nach dem Warum

Why did you do it?
Why did you do that thing to me
Why did you do it?
Why did you do that thing to me
The only one who knows the truth
man, that’s him and me and you

Stretch: Why Did you Do it (1975)

Auf den ersten Blick handelt es sich bei Motive um ein ‚klassisches‘, episodales police procedural. Im Mittelpunkt steht ein ‚Fall der Woche‘, der von dem Team rund um Detective Angelika ‚Angie‘ Flynn (Kristin Lehman) in Vancouver gelöst wird. Die – fortgesetzt erzählten – privaten Nebenhandlungen sind marginal. Doch bereits in den ersten Sekunden wird deutlich, dass es hier nicht einfach um die Tätersuche geht.

Motive folgt einem strengen dramaturgischen Aufbau: In der ersten Szene wird das Opfer kurz vorgestellt, direkt im Anschluss der Täter (oder umgekehrt). Sie werden jeweils als Opfer bzw. Täter („The Killer“) insertiert. Von daher handelt es sich um eine offene Täterführung (inverted detective story), denn der Täter ist von Anfang an dem Zuschauer bekannt.[31] Unklar ist aber zunächst die Beziehung zwischen den Figuren, es gibt in der Regel keinen offensichtlichen Bezug zwischen ihnen. Bereits in der dritten Szene nehmen die Detectives ihre Ermittlungen am Tatort auf.

Zwar wird die Handlung narrativ durch die Tätersuche der Polizei motiviert, rezeptionsästhetisch hingegen – darauf spielt der Serientitel bereits an – soll die Frage nach dem Warum, dem Tatmotiv bzw. die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass der Mord geschieht, das Interesse der Zuschauer wecken, Spannung erzeugen und die Sinnkonstruktion lenken.[32] Entsprechend wird mit langen Rückblenden erzählt, die die Tatentwicklung nachzeichnen. Die Folgen sind vor allem Krimidramen. Die Ermittlungsarbeit selbst wird – zumindest in der ersten Staffel – nahezu nebensächlich; die Detectives sind wenig mehr als Stichwortgeber.[33]

Anders als in CSI/‌CSI – Den Tätern auf der Spur/‌CSI: Vegas (2000-2015), Without a Trace/‌Without a Trace – Spurlos verschwunden (2002-2009) oder Cold Case/ ‌Cold Case – Kein Opfer ist je vergessen (2003-2010)[34] werden die Analepsen nicht diegetisch durch die Befragung der Polizei motiviert. Sie sind in der Regel auch nicht als Erinnerungen von einzelnen Figuren markiert. Während in CSI, Without a Trace oder Cold Case daher aufgrund der intern fokalisierten Rückblenden immer die Möglichkeit besteht, dass flashbacks unzuverlässig erzählen (weil Täter lügen, Verdächtige etwas verschweigen oder Zeugen irren), ist dies in Motive nicht der Fall. Vielmehr verweisen die Analepsen auf die narrative Instanz, die die Erzählung organisiert und die Informationsvergabe steuert.

Die formale Versiertheit einer operationalen Ästhetik findet man nicht nur auf der narrativen, sondern auch auf der visuellen Ebene. So sind die Übergänge zwischen erzählter Vergangenheit und Gegenwart in der Regel mit match cuts gestaltet, die Bild-/Motivähnlichkeiten und/oder gleiche Bewegungsrichtungen (sowohl der Objekte/Figuren im Bild als auch der Kamera) nutzen. Match cuts suggerieren einen zeitlichen, räumlichen und/oder inhaltlichen Zusammenhang von Einstellungen bzw. Szenen und/oder erzeugen eine Kontinuitätsillusion. Bei Motive verspielen sie die Zeitsprünge – auch, um kurzfristige Irritationen zu evozieren. Daher wird ebenfalls auf harte Schnitte verzichtet. Vielmehr unterstützen Überblendungen und Wischblenden diesen Effekt noch.

In Cold Case haben Blenden eine andere Funktion. Anders als in CSI, Without a Trace oder Motive liegt das Verbrechen Jahre, manchmal Jahrzehnte zurück. Entsprechend werden die Figuren in den verschiedenen Zeitebenen zum Teil von anderen Schauspielern dargestellt (beispielweise als Kind und als Erwachsener) oder unterscheiden sich zumindest durch Maske, Kostüm etc. wesentlich. Die Verkörperung einer Figur als junges und als älteres ‚Ich‘ wird in der narrativen Gegenwart daher durch Wischblenden – die in der Regel durch Gegenstände, um die sich Figuren herumbewegen, oder andere Figuren kaschiert werden – immer wieder enggeführt (womit die Zeitebenen verschmelzen), um die Wahrnehmung der unterschiedlichen Darstellungen als Verkörperung einer Figur zu evozieren.

Deutlicher markiert ein anderes häufig zu beobachtendes Verfahren in Motive den Wechsel der Zeitebene: das Hinein- oder Herauszoomen in Fotografien. Dabei fährt die Kamera entweder auf eine Fotografie (beispielsweise des Tatorts) zu, bis diese bildfüllend zu sehen ist. Dann wird die Szenerie quasi ‚zum Leben erweckt‘. Oder aber die Kamera fährt aus der Szenerie heraus, die quasi zur Fotografie ‚einfriert‘. Diese liegt dann – wie der Zuschauer entdecken kann – auf dem Schreibtisch der Ermittler oder hängt an der Ermittlungswand.

Beide ästhetische Verfahren stellen die Künstlichkeit der Verknüpfung aus und verweisen auf die dahinter liegende operationale Ästhetik: die visuelle Gestaltung der Zeitsprünge als virtuose Formspielerei.

Eine – vielleicht die – bekannte(ste) Krimiserie, die auf eine offene Täterführung setzt, ist Columbo (1968-1978, 1989-2003).[35] Es liegt daher nahe, beide Serien miteinander zu vergleichen. Allerdings wäre es falsch, Motive lediglich als eine von Columbo inspirierte Aktualisierung des howcatchem-Prinzips zu begreifen.[36] Außer dem Prinzip der offenen Täterführung haben beide Serien nichts gemein. So geht es in Columbo stets um das – vermeintlich – perfekte Verbrechen. Die Tat ist geplant und gut vorbereitet. Der Zuschauer weiß von Beginn an nicht nur, wer der Täter ist, sondern auch, warum und wie er mordet (entsprechend lang sind die Expositionen der einzelnen Folgen, Rückblenden werden nicht eingesetzt). Das Vergnügen für den Zuschauer ergibt sich aus dem mehr oder weniger offenen intellektuell-kriminalistischen Zweikampf eines sich überlegen fühlenden Täters mit dem kauzigen, auf den ersten Blick wenig intelligent erscheinenden und daher vom Mörder stets unterschätzten Ermittler. Es steht dabei die Frage im Vordergrund, wie es Columbo (Peter Falk) diesmal schaffen wird, den Täter zu überführen; welchen Trick er anwendet, welchen kleinen Fehler er entdeckt. Der Zuschauer werde dabei, so Umberto Eco (1988: 168)

nicht so sehr zu dem naiven Ratespiel des Whodunit eingeladen, sondern einerseits aufgefordert, die Aktualisierung der Untersuchungstechniken des Inspektors zu genießen […] und andererseits zu entdecken, wie es dem Autor diesmal gelingen wird, seine Wette zu gewinnen – nämlich Columbo das tun zu lassen, was er immer tut, ohne daß es banal repetitiv erscheint.

Da es der Serie um diesen Zweikampf geht, spielen andere Verdächtige in der Regel keine Rolle. Columbo weiß offenbar von Beginn an intuitiv, auf wen er sich konzentrieren muss. Columbo ist dabei als Figur der ‚geniale Cop‘, der durch sein Gespür und seine Kombinationsgabe die Fälle klärt. Dagegen sind die Ermittler in Motive bodenständige Polizisten mit privaten Problemen, die in mühsamer Kleinarbeit die Täter überführen. Die Taten geschehen oft im Affekt, sind spontan und ungeplant. Selbst vorsätzliche Morde werden in der Regel nicht von eiskalten (Berufs-)Verbrechern begangen, sondern entstehen aus persönlichen Notlagen heraus.

Wenn sich das Vergnügen der Zuschauer bei Columbo aus den einfalls- und trickreichen Ermittlungen des Inspektors ergibt – und der großen Geste, mit der er die Täter überführt –, so ergibt es sich bei Motive aus dem erzählerischen Geschick der Autoren, immer wieder Figuren, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, in einer gewalttätigen Situation zusammenzuführen; mithin aus der erdachten Gewaltdynamik. Die krimitypische Zuschaueraktivität des ‚Mitratens‘ verlagert sich hier auf die Motiv- und Verbindungssuche. Motive ist sozusagen ein ‚whydunit‘. Falsche Fährten werden diesbezüglich nicht wie im klassischen Krimi hinsichtlich möglicher Täter gelegt, sondern durch vermeintliche Hinweise auf mögliche Tathintergründe in den Analepsen (wie bereits angedeutet wurde, werden relevante Informationen in der Regel nicht als Ergebnis der Ermittlungsarbeit vermittelt).

What‘s going on? Accused, Countdown und die Frage was überhaupt passiert ist

And so I wake in the morning
And I step outside
And I take a deep breath and I get real high
And I scream from the top of my lungs
What’s going on?

4 Non Blondes: What’s Up? (1992)

Während in Motive bereits nach wenigen Sekunden klar ist, wer wen ermordet hat, was also geschehen ist (wenn auch nicht warum),[37] so bleibt dies in Accused und Countdown bis zum Ende einer jeden Folge (nahezu) offen. Damit unterscheiden sich die beiden Produktionen von klassischen Krimiserien, bei denen das verübte Verbrechen in der Regel Ausgangspunkt und Auslöser der Ermittlungen ist und die Handlung so in Gang bringt.[38]

Accused/‌Accused – Eine Frage der Schuld ist in erster Linie als Kriminaldrama zu verstehen, weniger als klassischer Krimi (polizeiliche Ermittlungsarbeit wird nicht thematisiert). Im Mittelpunkt der einzelnen Folgen stehen die Angeklagten und ihre Geschichten. Entsprechend setzt jede Episode mit einer Art visuellen ‚Anklageerhebung‘ ein: Die dem Zuschauer als ‚Täter‘ oder ‚Täterin‘ nahegelegte Figur wird von Polizisten aus einer Zelle geholt und – so ist zu erahnen – in den Gerichtssaal eskortiert; gleichsam zur Anklageerhebung (in der filmischen Rhetorik) und zur Urteilsverkündung (in der Diegese).

Es gibt in Accused keine wiederkehrenden Ermittlerfiguren, da – wie gesagt – die Detektion an sich keine Rolle spielt (in Motive bilden die polizeilichen Ermittlungen hingegen den narrativen Rahmen der einzelnen Folgen). Es handelt sich bei Accused um eine Reihe, bei der in jeder Folge neue Protagonisten[39] etabliert werden (auch wenn die Handlung – dem Gerichts­saal und dem teilweise gleichbleibenden Richter nach zu urteilen – offenkundig in jeweils der gleichen Stadt angesiedelt ist). Die intraserielle Kohärenz (Weber/Junklewitz 2008)[40] wird dabei nur über einen gleichbleibenden Vorspann, die Titelmusik bzw. das Titelsignet, das Thema und das (narrative/dramaturgische) Konzept hergestellt (vgl. Hickethier 2001: 199; zur Differenzierung verschiedener Serienformen siehe auch Klein/Hißnauer 2012).

Solche Anthologien sind heutzutage eher ungewöhnlich (Dates, 2013; Paare, seit 2015). Zumindest in der Geschichte des bundesdeutschen Fernsehkrimis haben sie aber eine große Tradition[41] (beispielweise Stahlnetz, 1958-1968; Das Kriminalmuseum, 1963-1968; vgl. ausführlich dazu Hißnauer 2014). Im aktuellen Diskurs bezieht sich die Bezeichnung Anthologie-Serie zuweilen auch auf Formate wie American Horror Story (seit 2011) oder True Detective (2014-2015), bei denen innerhalb einer Staffel zwar eine starke intraserielle Kohärenz vorliegt (es wird innerhalb der Staffel ein abgeschlossener Handlungsbogen fortgesetzt erzählt), folgende Staffeln aber völlig neue Figuren, Handlungsorte und Geschichten etablieren.[42]

In wenigen Fällen gibt es auch eine weitere Hybridform, die sich als Reihe aus (Episoden‑)Serien bezeichnen lässt. Dabei werden alternierend Folgen einzelner Serien unter dem Titel des Reihendachs ausgestrahlt. Etabliert wurde sie durch den Tatort (seit 1970). Weitere Beispiele sind das DDR-Tatort-Pendant Polizeiruf 110 (seit 1971), das bei der Eingliederung in das bundesdeutsche Fernsehprogramm 1991 das föderale Formprinzip des Tatort übernahm, oder die europäische Koproduktion Eurocops (1988-1993) (vgl. Hißnauer 2014 und Hißnauer/‌Scherer/‌Stockinger 2014).[43]

Davon zu unterscheiden sind wiederum Franchisestrategien mit verschiedenen Spin-Off-Serien (beispielsweise SOKO, seit 1978; CSI, 2000-2015) oder Dachmarkenstrategien, bei denen einzelne – eigenständig positionierte – Serien unter einem übergeordneten Titel wie Der Samstagskrimi (seit 1995) oder Heiter bis Tödlich (2011-2015) zusammengefasst werden.

Ähnlich wie in Motive wird auch in Accused der Fall in Rückblenden erzählt, während der Angeklagte auf den Urteilsspruch wartet. Auf dem Weg in den Gerichtssaal bzw. beim Warten auf das Urteil lässt sich der Angeklagte die Geschichte nochmal ‚durch den Kopf gehen‘, wodurch die Rückblenden narratologisch motiviert werden. Die Analepsen sind nahezu ausschließlich aus der Erlebensperspektive der Angeklagten heraus erzählt.[44] Es wird rekonstruiert, wie der Angeklagte schuldig geworden ist – wenn zuweilen auch nur im moralischen und nicht im rechtlichen Sinne (die Serie interessiert sich für Täterpsychogramme und Gewaltdynamiken).[45] Autor Jimmy McGovern beschreibt das Konzept wie folgt:

In the time it takes to climb the steps to the court we tell the story of how the accused came to be here. We see the crime and we see the punishment. Nothing else. No police procedure, thanks very much, no coppers striding along corridors with coats flapping. Just crime and punishment – the two things that matter most in any crime drama.(BBC 2010)

Die (Rätsel-)Spannung für die Zuschauer entsteht aus dem Wissen darum, dass etwas passieren wird (bzw. erzähllogisch bereits passiert ist), wodurch der Angeklagte schuldig wird. Weder weiß der Zuschauer was, noch wem etwas geschieht (geschweige denn warum). Immer wieder aufkeimende Konflikte, aufkommende Probleme und/oder falsche Entscheidungen erscheinen als mögliche Auslöser für eine (Gewalt-)Tat. Erst bei – oder kurz vor – der Urteilsverkündung am Ende einer Folge erfährt man, wessen der Angeklagte beschuldigt wird.[46] Dabei geht es nicht immer um Mord, sondern auch um Falschgeld, Brandstiftung, Drogenhandel, Vertuschung oder Fluchthilfe.

Die Anlage der Serie rückt aber nicht nur die am Ende angeklagte Straftat in den Mittelpunkt, sondern fokussiert auch – sogar noch stärker – andere moralische ‚Verfehlungen‘ der Angeklagten und/oder weiterer Figuren. So handelt Accused von fremdgehenden Männer und Frauen, Spielsucht, Stalking, Selbstjustiz, aus ökonomischen Gründen vernachlässigten Sicherheitsvorschriften in Betrieben, (falschverstandenen) militärischem Korpsgeist oder dem Im-Stich-Lassen eines Freundes. Die filmische Rhetorik legt dabei nahe, dass die Tat bzw. die Anklage – zumindest in den meisten Fällen – eine direkte Folge des moralischen Fehltritts, der moralischen ‚Schuld‘ ist.

Von diesem Muster scheint oberflächlich betrachtet – und wenig subtil – die dritte Folge abzuweichen. Darin wird eine Frau (Helen) zur Brandstifterin, nachdem sämtliche juristischen Instanzen ihr nicht dabei haben helfen können (oder wollen) nachzuweisen, dass fehlende Sicherheitseinweisungen den tödlichen Arbeitsunfall ihres Sohnes verursacht haben.[47] Hier wird das ‚moralische Versagen‘ des Rechtssystems, das nur Recht und keine Gerechtigkeit kennt, der lügenden Verantwortlichen und der bestochenen Zeugen angeklagt (die Tat erscheint somit als Folge von Fehltritten anderer). Daher gibt es am Ende der Folge ein Plädoyer der Angeklagten. Helen (Juliet Stevenson) appelliert an die Geschworenen, nicht dem Gesetze nach sondern ihrem Gerechtigkeitsempfinden nach zu urteilen. Sie wird freigesprochen. Die Prozessbeobachter brechen spontan in Jubel aus.[48]

In der sechsten und letzten Folge der ersten Staffel gibt es ebenfalls eine Abweichung von diesem Muster. Es ist die insgesamt dritte Folge der ersten Staffel, in der eheliche Untreue Auslöser der folgenden Entwicklungen ist.[49] Eine Lehrerin (Alison; Naomie Harris) geht ihrem arbeitslosen Ehemann fremd. Nachdem sie von ihrem zunehmend eifersüchtiger werdenden Ehemann vergewaltigt wird, strengt sie die Scheidung an; der Kampf um die Kinder beginnt. Ihr Ehemann und dessen Vater – ein Polizist – schieben ihr Drogen unter, damit sie wegen Drogenhandels verurteilt wird und so dauerhaft das Sorgerecht verliert.[50] Hier wirkt die ‚moralische Verfehlung‘ der Ehefrau auf sie selbst zurück – sie macht sich quasi selbst zum Opfer, indem ihr Verhalten ihren Mann (quasi als Reaktion auf ihre Untreue) zu einem misogynen Täter werden lässt.[51] – Man kann fast den Eindruck gewinnen, dass den Machern der Reihe Ehebruch als Wurzel allen Übels erscheint. Diese implizit negative Bewertung des Fremdgehens wird bereits in der ersten Folge deutlich, in der ein untreuer Ehemann – unwissentlich – Falschgeld in Umlauf bringt und dafür zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wird.[52]

Da – wie bereits erwähnt – die Rätselspannung dadurch entsteht, dass zunächst unklar ist, wessen die Angeklagten beschuldigt werden, werden alle anderen Figuren rezeptionsästhetisch zunächst zu potentiellen Opfern. Während in klassischen Krimis Figuren nach und nach als mögliche Täter ausscheiden, kommen in Accused im Laufe der Handlung immer weniger Figuren als Opfer in Frage.[53] Zwar geht es letztendlich nicht immer um Tötungsdelikte, doch kann man davon ausgehen, dass Zuschauer aufgrund ihrer Krimiseherfahrung einen Mordfall erwarten; zumal die Dramaturgie darauf abzielt, nach und nach Figuren als Opfer auszuschließen: Die Rückblenden sind gelegentlich von kurzen Szenen im Gericht unterbrochen (zumeist zeigen sie, wie nach und nach die Prozessbeteiligten und Zuschauer den Saal betreten, zuweilen auch Teile der Verhandlung). Dabei sieht man sukzessive immer mehr der für die Episode relevanten Figuren im Publikum. Sie scheiden damit als mögliche Opfer (vermeintlich) aus.

Im herkömmlichen Krimi werden Figuren aufgrund von Aussagen, Alibis und Beweisen als Täter ausgeschlossen. Aussagen können falsch sein, Zeugen sich irren (oder lügen), Alibis können platzen, Beweise gefälscht sein. Daher steht die Entlastung einer Figur narrativ prinzipiell unter dem Verdacht der Unzuverlässigkeit. In Accused hingegen erzeugt das Erscheinen einer Figur im Gerichtssaal visuelle Evidenz. Gleichzeitig wird so die Aufmerksamkeit immer wieder auf andere Figuren verlagert – denn diese sind vor allem als potentielle Opfer interessant. Der Fall ist erst geklärt, wenn das Opfer gefunden ist. Das gilt selbst dann, wenn es kein eigentliches (Todes-)Opfer gibt (weil keine Gewalttat angeklagt ist). Nur wird in solchen Episoden besonders deutlich, wie sehr Accused mit den Zuschauererwartungen spielt und sie immer wieder unterläuft. Die evozierte Opfersuche läuft dann ins Leere und verweist darauf, dass der Zuschauer auf die narrativen Strategien der Reihe ‚hereingefallen‘ ist (die sich somit in ihrer ‚Selbstzweckhaftigkeit‘ ausstellen). Die Erzählstrategien erzeugen in solchen Episoden eine Spannung, die letztendlich nicht aufgelöst wird.

Drei, zwei, eins …

I gonna chance to tell you off
And I’m gonna use it well
Everybody, everywhere
You can all go to hell
[…]
I’m a time bomb, baby
I’m a time bomb, baby – yeah, yeah
I’m a time bomb, baby
I’m a time bomb, baby – yeah, yeah

Ramones: Time Bomb (1983)

 

Die tickende Bombe – am besten mit einem gut sichtbaren, runterzählenden Zeitzünder versehen – ist der Inbegriff einer Suspence-Spannungsdramaturgie. Zwischenschnitte auf die ablaufende Uhr visualisieren die (auch dramaturgisch gegebene) Deadline, auf die die Handlung hinausläuft (sie kulminiert kurz vor Ablauf des Countdowns). Die Spannung entsteht aus dem Wissen der Zuschauer um die drohende Gefahr und der immer knapper werdenden Zeit des Helden, die Katastrophe abzuwenden (bzw. der Hoffnung der Zuschauer, dass der Held die Gefahr abwenden kann). Cuenta atrás (bzw. die RTL-Formatadaption Countdown – Die Jagd beginnt) macht, wie der Titel schon andeutet, aus der Suspence-Dramaturgie ein serielles Prinzip. Allerdings wird Spannung hier nicht durch eine tickende Bombe erzeugt. Vielmehr fungieren narrative Vorausblenden (Prolepsen/flashforwards) dazu – also Eingriffe in die zeitliche Struktur der Erzählung (‚klassische‘ Suspence-Dramaturgien funktionieren durch das Vorwissen der Zuschauer[54] oder die Parallelmontage zweier zeitgleich stattfindender Handlungsstränge[55]).

Im Folgenden beziehe ich mich aus sprachlichen Gründen auf die deutsche Formatadaption. Die Folgen basieren zumindest teilweise auf den Originaldrehbüchern (so z. B. die Pilotfolge). Countdown hat aber im Gegensatz zu Cuenta atrás einen weniger realistisch-düsteren – und brutalen – Stil und setzt stattdessen auf einen humorvoll-gefälligen Tonfall (das zeigt sich insbesondere bei dem ständigen – zudem schlecht gespielten – ‚Geplänkel‘ zwischen den beiden Ermittlern und der weniger expliziten Gewaltdarstellung).[56] RTL orientiert sich hier erkennbar an dem Modell seiner an buddy movies erinnernden Erfolgsserie Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei (seit 1996).[57]

Die einzelnen Episoden von Countdown folgen einem strikten Aufbau, für den – teilweise unzuverlässig erzählte – Prolepsen entscheidend sind. Im Prinzip beginnen die Folgen mit dem show down: Gezeigt wird eine kurze Szene vom dramatischen Höhepunkt, auf den hin sich die Geschichte (zwangsläufig) zubewegen wird. Im Laufe der Folge wird sich aber in der Regel zeigen, dass der Eindruck, den diese Szene erweckt hat, täuscht. Opfer- und Täterrollen verschieben und/oder vermischen sich, die vermeintlich eindeutige Szene wird ambivalent. Es stellt sich somit während der Rezeption nicht nur die Frage, wie es zu dem show down kommt, sondern ebenso, was dort wirklich geschieht; was dort eigentlich zu sehen ist.

Auch Damages/Damages – Im Netz der Macht (2007-2012) oder How to get away with Murder (seit 2014) spielen mit mehr oder weniger unzuverlässigen flashforwards, wobei der auflösende, quasi sich zeitlich auf die Prolepse zubewegende Handlungsstrang sich jedoch über eine komplette Staffel (Damages) – oder zumindest einen großen Teil davon (How to get away with Murder) – erstreckt, bis die Vorausschauen von der narrativen Gegenwart ‚eingeholt‘ werden. Auch hier evozieren die flashforwards den suspence. Während Damages eine reine Fortsetzungsserie ist, stellt sich How to get away with Murder als Hybridform aus Episoden- und Fortsetzungsserie dar (neben dem Erzählstrang, der auf einen Mord und dessen Vertuschung hinausläuft – und der auch Gegenstand der vorausdeutenden narrativen Szenen ist – gibt es in dieser Anwaltsserie immer auch einen ‚Fall der Woche‘).

Die Produktionen sind auch davon geprägt, dass auf beiden Zeitebenen unvorhersehbare storytwists sowie die verschachtelte Erzählstruktur die Geschichte immer komplexer werden lassen. So gibt es sowohl auf der narrativen Gegenwartsebene als auch bei den Voraussichten erzähllogisch zurückweisende Einschübe. Im seriellen Verlauf können Prolepsen so einen analeptischen Charakter innerhalb des vorausschauenden Erzählstrangs annehmen. Für die Rezeption ist dabei wichtig, immer im Blick zu behalten, was die Figuren auf der jeweiligen Zeitebene schon oder noch nicht wissen. – Auch in anderen Genres finden sich solche verschachtelten Erzählweisen, so z. B. im Bereich Mystery (Lost, 2004–2010), Science Fiction (Heroes, 2006–2010) oder Thriller (Quantico, seit 2015).

Dramaturgisch/narratologisch betrachtet hat Cuenta atrás/Countdown ein Problem, da die suggerierte Deadline innerhalb der Diegese nicht existiert.[58] Sie ergibt sich nur für den Zuschauer aufgrund des Wissens um das drohende Ende bzw. den kurzen flashforwards und dem immer wieder kurz eingeblendeten – allerdings als extradiegetisch zu betrachtenden – Countdown. Daher kann sie die Ermittlungshandlung der Polizei nicht motivieren oder die Kommissare unter Zeitdruck setzen. Sie zielt lediglich auf das Rezeptionsverhalten der Zuschauer und evoziert eine ‚äußere‘ Spannung (dies gilt auch für Serien wie Damages, How to get away with Murder, Heroes oder Quantico).[59] Damit verweist sie auf die zugrundeliegende operationale Ästhetik. Entsprechend dient diegetisch in der Regel ein Mord dazu, die Polizei in die Geschichte zu involvieren und diese voran zu treiben. Die Ermittlungen in der narrativen Gegenwart offenbaren dabei immer mehr Hinweise darauf, was am Ende ‚wirklich‘ geschieht, und führen auf den show down zu.

Die Prolepsen werden dagegen narrativ kaum dazu genutzt, weitere Aufschlüsse über das Geschehen zu vermitteln. Das unterscheidet Cuenta atrás bzw. Countdown von den deutlich anspruchsvoller erzählten Serien Damages und How to get away with Murder, in denen die Prolepsen Informationen über den weiteren Verlauf des Geschehens liefern und das bereits Gesehene immer wieder in einem neuen Licht erscheinen lassen.[60] Countdown bleibt daher im Grunde genommen einer typischen umgekehrten Dramaturgie verhaftet: Der innovativere narrative Aufbau wird von einem klassischen Whodunit-Ansatz ‚unterlaufen‘. Countdown ist auch kein Krimidrama wie Accused oder Motive, sondern ein (leidlich) humorvolles und actionorientiertes police procedural.

Die Produktion ist die unentschlossenste der hier vorgestellten Serien, da sie ihre narrativen Möglichkeiten nicht ausschöpft. Dies wird bereits in der ersten Folge Die Zeugin deutlich: Die circa einminütige Prolepse zeigt eine rothaarige, schwangere Frau, die von einem mit einer Pistole bewaffnetem Mann durch einen Wald gejagt wird. Als er sie einholt und mit der Waffe auf sie anlegt, bricht sie ab. Zu Beginn der ‚eigentlichen‘ Handlung – insertiert als 25,5 Stunden zuvor – sieht man diese Frau hinter der Polizeiabsperrung eines Tatorts. Ein Mann liegt erschossen auf dem Boden vor einem kleinen Café in Köln, ein anderer ist schwer verletzt. Die Frau – Sara Schümann (Henny Reents) – scheint Zeugin der Tat zu sein (was auch erklären würde, warum der Täter ihr nach dem Leben trachtet). Nach und nach kommt heraus, dass Sara vor einigen Monaten von dem Täter – Michael Wittner (Jeroen Willems) – auf ihrem Junggesellinnenabschied vergewaltigt wurde. Da er ihr jetzt wieder nachgestellt hat, hat sie aus Angst vor ihm mit Hilfe einer Freundin seine allerdings misslungene Ermordung in Auftrag gegeben. Wittner jagt also (eigentlich) kein völlig unschuldiges Opfer durch den Wald, sondern die Frau, die ihn töten lassen wollte.[61]

Die im weiteren Folgenverlauf verwendeten Prolepsen – drei Stück – sind gegenüber der ersten stark verkürzt, erscheinen mithin als bloße remainder. Die erste und längste dient dazu, den titelgebenden Countdown ‚in Gang‘ zu setzen, die weiteren flashforwards sollen den Zuschauer lediglich gelegentlich daran erinnern (dazu dienen auch Inserts von Zeitangaben und des ablaufenden Countdowns; oft auch ohne vorhergehende Prolepse).

Erzählerische Qualitäten entwickeln diese repetitiven flashforwards nicht, sondern bleiben aufgesetztes narratives Gimmick, da sie nur bereits Gesehenes raffend erneut erzählen. Die Informationen zu dem Fall werden entweder dem Polizeicomputer entnommen oder – stärker noch – in der Standardsituation eines Krimis vermittelt: der Zeugenbefragung. Die Zeugenaussagen werden dabei in der Regel – wie es spätestens im Nachgang zu CSI, Without a Trace und Cold Case nahezu üblich geworden ist – als flashbacks visualisiert; sogar als (doppelte) Analepsen innerhalb der Rückverweise (insgesamt gibt es in dieser Folge deutlich mehr Analepsen als narrative Vorausdeutungen).[62] Die erzählerische Raffinesse von Damages oder How to get away with Murder sucht man hier vergeblich; die Verstehensleistung der Zuschauer wird kaum herausgefordert.

Und der Mörder ist…

In seinem Gewächshaus im Garten
Steht in grüner Schürze ein Mann
Der Gärtner rührt mehrere Arten
Von Gift gegen Blattläuse an
Der Gärtner singt, pfeift und lacht verschmitzt
Seine Heckenschere, die funkelt und blitzt
Sense, Spaten und Jagdgewehr stehen an der Wand
Da würgt ihn von hinten eine meuchelnde Hand

Der Mörder war nämlich der Butler
Und der schlug erbarmungslos zu
Der Mörder ist immer der Butler
Man lernt eben täglich
Man lernt eben täglich
Man lernt eben täglich dazu

Reinhard Mey: Der Mörder ist immer der Gärtner (1971)

So wie nicht immer der Gärtner der Mörder ist, so gehen derzeit nicht alle Innovationen im Serienbereich vom sogenannten ‚Quality-TV‘ aus. Manchmal ist der unscheinbare Butler der Täter – und manchmal findet man neue erzählerische und/oder ästhetische Qualitäten (wie auch immer definiert) in der vom Feuilleton ungeliebten Episodenserie. „Wir müssen uns fragen“, schrieb Eco (1988: 169) schon in den 1980er Jahren, „ob nicht womöglich dort, wo wir keine Innovation im Seriellen finden, dies weniger an den Strukturen des Textes liegt als an unserem Erwartungshorizont und an der Struktur unserer Sensibilität“.

Zwar ging es Eco in seinem Aufsatz wesentlich darum, überhaupt die Vorstellung eines ästhetischen Wertes des Seriellen gegen die Idee einer Werkästhetik der ‚hohen Kunst‘ zu verteidigen – was mit der Nobilitierung der Serie mit dem Aufkommen des ‚Quality-TV‘ obsolet geworden scheint, doch letztendlich hat sich der Diskurs nur verlagert. Soaps, Telenovelas und Episodenserien werden weiterhin als die ‚Schmuddelkinder‘ einer seriellen Ästhetik betrachtet, während der ‚Quality-TV‘-Diskurs andere serielle Formen zur ‚neuen‘ Erzählkunst erhoben hat. Völlig außerhalb der Betrachtung liegen dabei in der Regel nicht-fiktionale serielle Formen und Verfahren, obwohl sie eine ihnen eigene Formstruktur aufweisen (siehe dazu Hißnauer 2016).[63]

Eco (1988: 168) nennt Columbo als Paradebeispiel für „serielle Werke, die einen expliziten Pakt mit dem kritischen Leser schließen und ihn sozusagen herausfordern, die innovativen Kräfte des Textes freizulegen“.[64] Dabei differenziert er modellhaft bzw. idealtypisch zwischen dem naiven und dem kritischen Leser:[65]

Der erste nimmt das Werk als rein semantisches Gebilde und wird zum Opfer[66] der Strategien des Autors […]; der zweite bewertet das Werk als ästhetisches Produkt und beurteilt die Strategien, die der Text anwendet, um ihn zum Modell-Leser der ersten Art zu machen. Es ist dieser Leser der zweiten Art, der die Serialität der Serie genießt, und zwar nicht so sehr wegen der Wiederkehr des Immergleichen (das der naive Leser für immer verschieden hält), sondern wegen der Variationsstrategien beziehungsweise der Art, wie das Immer­gleiche behandelt wird, um es jeweils verschieden erscheinen zu lassen. (Eco 1988: 167; Herv. CH)

Operationale Ästhetik im Sinne einer Erzählstrategie, die das Gemacht-Sein der Serie ausstellt, adressiert also vor allem den ‚kritischen‘ Leser, der daran ein ästhetisches Gefallen findet. Schon Eco (1988: 76) sah es geraten, „ein Publikum zu konzipieren, das fähig ist, diese Produkte aufgrund ihrer reinen Form zu genießen“:[67]

Denn nur unter dieser Voraussetzung kann man von einer neuen Ästhetik des Seriellen sprechen. Nur unter dieser Voraussetzung ist das Serielle nicht mehr ein armer Verwandter der Kunst, sondern die Kunstform, welche die neue ästhetische Sensibilität befriedigt […]. (Eco 1988: 76f.)

In diesem Sinne können auch Episodenserien ihre ihnen eigenen Qualitäten haben: „Das Dargestellte ist ohne Interesse, es interessiert allein die Art und Weise der Darstellung“ (Eco 2005: 108).

Boomtown, Motive, Accused und – mit Anstrichen – Countdown sind jeweils auf ihre Art innovative Episodenserien im Krimigenre, die ihre Erzählverfahren im Sinne einer ‚operationalen Ästhetik‘ (Mittell) bzw. eines ‚narrativen Spektakels‘ (Mittell) ausstellen und darüber „eine explizite Übereinkunft mit dem kritischen Leser herstellen“ und ihn dazu einladen „ein Urteil über die beste Variation [des Erzählmusters] zu fällen“ (Eco 2005. 98); gerade weil sie so ein starres Erzählmuster haben. So verschleiert Countdown gar nicht, dass es sich bei der suggerierten, aber diegetisch nicht motivierten ‚Deadline‘ um einen „narrative special effect“ handelt (Mittell 2006: 35). Boomtown besticht durch komplexes, achronologisches erzählen. In Motive gefällt die kunstvolle Verknüpfung der Handlungsbögen und Zeitebenen während Accused zur Opfer- statt zur Tätersuche einlädt – und die Zuschauer dabei immer wieder geschickt in die Irre führt.

Die hier vorgestellten Serien sind für bestimmte Rezeptionsweisen gedacht:[68] Für das binge watching sind viele von ihnen eher nicht geeignet. Darauf weisen beispielsweise bei der teilweise fortgesetzt erzählten Serie How to get away with Murder die vielfältigen recaps in den Dialogen und die repetitive Dramaturgie hin, die die wöchentliche Rezeption unterstützen, weil sie die Erinnerung der Zuschauer aktivieren. Beim binge watching ist Vergessen ein weitaus geringeres Problem. Permanente Erinnerungsstützen sind daher unnötig und wirken schnell störend. Bei Boomtown, Motive, Accused und Countdown kann man sich aufgrund der Formalhaftigkeit kaum vorstellen, fünf oder sechs Folgen hintereinander mit Genuss anzuschauen.

Boomtown, Motive, Accused und Countdown sind ‚klassische‘ Fernsehserien – und wollen es auch sein. Sie zielen auf ein Publikum, das die Variation erzählerischer Muster schätzt, nicht das Sich-Entfalten einer sich stetig ausdehnenden, beweglichen Erzählung eines quasi ‚endlosen‘ Films. Sie sind gemacht für die Unterbrechung, für die rhythmisierte Rezeption von Woche zu Woche. Insbesondere Boomtown, Motive und Accused finden dabei ihre jeweils eigenen Qualitäten.

Literatur

  • BBC (2010): „Christopher Eccleston and Mackenzie Crook take lead roles in opening episodes of Accused, compelling new drama series from Jimmy McGovern for BBC One“, http://www.bbc.co.uk/pressoffice/pressreleases/stories/2010/05_may/11/accused.shtml [16.08.2016].
  • Branigan, Edward (2007): „Fokalisierung.“, in: montage/av 16:1, S. 73-84.
  • Brecht, Bertolt (1998) [1938/1940]: „Über die Popularität des Kriminalromans.“, in: Vogt, Jochen (Hrsg.): Der Kriminalroman. Poetik – Theorie – Geschichte. München: Fink, S. 33-37.
  • Brück, Ingrid (2004): Alles klar, Herr Kommissar? Aus der Geschichte des Fernsehkrimis in ARD und ZDF. Bonn: ARCult Media.
  • Brück, Ingrid et al. (2003): Der deutsche Fernsehkrimi. Eine Programm- und Produktionsgeschichte von den Anfängen bis heute. Stuttgart und Weimar: Metzler.
  • Eco, Umberto (1988): „Die Innovation im Seriellen.“, in: derselbe: Über Spiegel und andere Phänomene. München: Hanser, S. 155-180.
  • Eco, Umberto (2005): „Serialität im Universum der Kunst und der Massenmedien.“, in: derselbe: Streit der Interpretationen. Hamburg: Philo & Philo Fine Arts/Europäische Verlagsanstalt, S. 81-111.
  • Feuer, Jane; Kerr, Paul und Tise Vahimagi (Hrsg.) (1984): MTM: Quality Television. London: BFI.
  • Hickethier, Knut (1991): Die Fernsehserie und das Serielle des Fernsehens. Lüneburg: Univ.
  • Hickethier, Knut (2001): Film- und Fernsehanalyse. 3., überarb. Aufl., Stuttgart: Metzler.
  • Hißnauer, Christian (2012a): „Perspektiven auf den Tod eines Schülers: Fokalisierung als serielles Prinzip.“, in: Frisch, Simon und Tim Raupach (Hrsg.): Revisionen – Relektüren – Perspektiven. Dokumentation des 23. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums. Marburg: Schüren, S. 139-149.
  • Hißnauer, Christian (2012b): „Tod eines Schülers.“, in: Klein, Thomas und derselbe (Hrsg.): Klassiker der Fernsehserie. Stuttgart: Reclam, S. 152-157.
  • Hißnauer, Christian (2014): „Stahlnetz + Kommissar = Tatort? Zur Frühgeschichte bundesdeutscher Krimiserien und -reihen.“, in: derselbe; Scherer, Stefan und Claudia Stockinger (Hrsg.): Zwischen Serie und Werk. Fernseh- und Gesellschaftsgeschichte im Tatort. Bielefeld: transcript, S. 147-218.
  • Hißnauer, Christian (2016):   „‚Die Geschichte ist weitergegangen – die im wirklichen Leben.‘ Real-Life-Storytelling und die dreifache Formstruktur nicht-fiktionaler Serialität.“, in: Klug, Daniel et al. (Hrsg.): Scripted Reality: Fernsehrealität zwischen Fakt und Fiktion. Perspektiven auf Produkt, Produktion und Rezeption. Baden-Baden: Nomos. [Im Erscheinen]
  • Hißnauer, Christian; Scherer, Stefan und Claudia Stockinger (2014): Föderalismus in Serie. Die Einheit der ARD-Reihe Tatort im historischen Verlauf. Paderborn: Fink.
  • Hornung, Steffen (2010): „Subjektive Erzählperspektiven im Spielfilm. Über die Möglichkeiten und Grenzen, filmisches Erzählen an der Erlebensperspektive einer Figur zu orientieren.“, in: Großmann, Stephanie und Peter Klimczak (Hrsg.): Medien – Texte – Kontexte. Dokumentation des 22. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums. Marburg: Schüren, S. 112-126.
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  • Jahn-Sudmann, Andreas und Frank Kelleter (2012): „Die Dynamik serieller Überbietung. Amerikanische Fernsehserien und das Konzept des Quality-TV.“, in: Kelleter, Frank (Hrsg.): Populäre Serialität: Narration – Evolution – Distinktion. Zum seriellen Erzählen seit dem 19. Jahrhundert. Bielefeld: transcript, S. 205-224.
  • Junklewitz, Christian und Tanja Weber (2016): „Die Vermessung der Serialität: Wie Fernsehserien zueinander in Beziehung stehen.“, in: MEDIENwissenschaft 32:2, S. 8-24.
  • Klein, Thomas (2012): „Diskurs und Spiel. Überlegungen zu einer medienwissenschaftlichen Theorie serieller Komplexität.“, in: Kelleter, Frank (Hrsg.): Populäre Serialität: Narration – Evolution – Distinktion. Zum seriellen Erzählen seit dem 19. Jahrhundert. Bielefeld: transcript, S. 225-239.
  • Klein, Thomas und Christian Hißnauer (2012): „Einleitung.“, in: dieselben (Hrsg.): Klassiker der Fernsehserie. Stuttgart: Reclam, S. 7-26.
  • Kuhn, Markus (2007): „Narrative Instanzen im Medium Film. Das Spiel mit Ebenen und Erzählern in Pedro Almodóvars La Male Educatión.“, in: Müller, Corinna und Irina Scheidgen (Hrsg.): Mediale Ordnungen. Erzählen, Archivieren, Beschreiben. Marburg: Schüren, S. 56-76.
  • Kuhn, Markus (2013): Filmnarratologie. Ein erzähltheoretisches Analysemodell. Berlin und Boston: De Gruyter.
  • Kupper, Fabian (2016): Serielle Narration: Die Evolution narrativer Komplexität in der US-Crime-Show von 1950-2000. Würzburg: Königshausen & Neumann. [Im Erscheinen]
  • McCabe, Janet und Kim Akass (Hrsg.) (2007): Quality TV. Contemporary American Television and Beyond. London: I.B. Tauris.
  • Mittell, Jason (2006): „Narrative Complexity in Contemporary American Television.”, in: The Velvet Light Trap 58, S. 29-40.
  • Mittell, Jason (2012): „Narrative Komplexität im amerikanischen Gegenwartsfernsehen.”, in: Kelleter, Frank (Hrsg.): Populäre Serialität: Narration – Evolution – Distinktion. Zum seriellen Erzählen seit dem 19. Jahrhundert. Bielefeld: transcript, S. 98-122.
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  • Nelson, Robin (2013): „Entwicklung der Geschichte: vom Fernsehspiel zur Hypermedia TV Narrative.“, in: Eichner, Susanne; Mikos, Lothar und Rainer Winter (Hrsg.): Transnationale Serienkultur. Theorie, Ästhetik, Narration und Rezeption neuer Fernsehserien. Wiesbaden: Springer VS, S. 21-43.
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  • Orth, Dominik (2009): „Eine Frage der Perspektive. Greg Marcks’ 11:14, polyfokalisiertes Erzählen und das Problem der Fokalisierung im Film.“, in: Birr, Hannah; Reinerth, Maike Sarah und Jan-Noël Thon (Hrsg.): Probleme filmischen Erzählens. Münster: Lit, S. 111-130.
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  • Schmöller, Verena (2010): „Die Wirklichkeit als Konstruktion? Strategien und Funktionen von Perspektivierung im zeitgenössischen Spielfilm.“, in: Großmann, Stephanie und Peter Klimczak (Hrsg.): Medien – Texte – Kontexte. Dokumentation des 22. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums. Marburg: Schüren, S. 141-155.
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  • Schweinitz, Jörg und Margrit Tröhler (2007): „Editorial.“, in: montage/av 16:1, S. 3-12.
  • Thompson, Robert J. (1996): Television’s Second Golden Age: From Hill Street Blues to ER. New York: Continuum.
  • Weber, Tanja und Christian Junklewitz (2008): „Das Gesetz der Serie – Ansätze zur Definition und Analyse.“, in: MEDIENwissenschaft 24:1, S. 13-31.
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  • Weissmann, Elke (2013): „Schauspielerische Qualität und narrative Innovation in CSI: Den Tätern auf der Spur.“, in: Eichner, Susanne; Mikos, Lothar und Rainer Winter (Hrsg.): Transnationale Serienkultur. Theorie, Ästhetik, Narration und Rezeption neuer Fernsehserien. Wiesbaden: Springer VS, S. 121-135.

Film- und Serienverzeichnis

  • 24 (FOX 2001-2010) – 192-teilige Actionserie.
  • 77 Sunset Strip (ABC 1958-1964) – 206-teilige Krimiserie.
  • Accused/‌Accused – Eine Frage der Schuld (BBC 2010-2012) – 10-teilige Kriminaldramareihe.
  • Acht Stunden sind kein Tag (WDR 1972-1973) – 5-teilige Familienserie.
  • Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei (RTL seit 1996) – Actionserie.
  • Amber/Amber – Ein Mädchen verschwindet (RTÉ 2014) – 4-teilige Kriminaldramaserie.
  • American Horror Story (FX seit 2011) – Horror-Anthologie-Serie.
  • Arrested Development (Fox 2003-2006; Netflix seit 2013) – Sitcom.
    • Double Crossers (2013) – Dean Lorey, Richard Rosenstock (Buch) und Troy Miller, Mitchell Hurwitz (Regie).
  • As if (Channel 4 2001-2004) – 76-teilige Dramedy.
  • Banana (E4 2015) – 8-teilige Dramedy.
  • Band of Brothers/Band of Brothers – Wir waren wie Brüder (HBO 2001) – 10-teilige Kriegsserie.
  • Berlin Alexanderplatz (WDR 1980) – 14-teilige Literaturverfilmung.
  • Boomtown (NBC 2002-2003) – 24-teilige Krimiserie.
    • Reelin‘ in the Years/Mord verjährt nicht (2002) – Laurence Andries (Buch) und Bobby Roth (Regie).
    • Fearless/Schlechte Erinnerungen (2003) – Graham Yost (Buch) und Fredrick K. Keller (Regie).
  • Broadchurch (ITV seit 2013) – Krimiserie.
  • Broen/Bron/Die Brücke – Transit in den Tod (SVT1/DR1/ZDF seit 2011) – Krimiserie.
  • Cold Case/ ‌Cold Case – Kein Opfer ist je vergessen (CBS 2003-2010) – 156-teilige Krimiserie.
  • Columbo (NBC 1968-1978; ABC 1989-2003) – 69-teilige Krimiserie.
  • Countdown – Die Jagd beginnt (RTL 2010-2012) – 24-teilige Krimiserie.
    • Die Zeugin (2010) – Hagen Moscherosch (Buch) und Christian Theede (Regie).
  • CSI/‌CSI – Den Tätern auf der Spur/‌CSI: Vegas (CBS 2000-2015) – 337-teilige Krimiserie.
    • Rashomama/Teamwork (2006) – Sarah Goldfinger (Buch) und Kenneth Fink (Regie).
  • Cucumber (E4 2015) – 8-teilige Dramedy.
  • Cuenta atrás (Cuatro 2007-2008) – 29-teilige Krimiserie.
  • Damages/Damages – Im Netz der Macht (FX 2007-2012) – 59-teilige Kriminaldramaserie.
  • Das Boot (BRD 1981) – Kinofilm von Wolfgang Petersen (Buch und Regie); 3-teilige Fernsehversion (WDR/SDR 1985), 6-teilige Fernsehfassung (WDR/SDR 1987).
  • Das Kriminalmuseum (ZDF 1963-1968) – 40-teilige Krimireihe.
  • Dates (Channel 4 2013) – 9-teilige Fernsehserie.
  • Deadline – Jede Sekunde zählt (Sat.1 2007-2008; 9live 2011) – 13-teilige Krimiserie.
  • Derrick (ZDF/ORF/SRG/SFDRS 1974-1998) – 281-teilige Krimiserie.
  • Der Samstagskrimi (ZDF seit 1995) – Dachmarke.
  • Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht (D/F 2013) – Kinofilm von Edgar Reitz, Gert Heidenreich (Buch) und Edgar Reitz (Regie).
  • Die zweite Heimat – Chronik einer Jugend (WDR et al. 1992/93) – 13-teilige Serie.
  • Dragnet/Polizeibericht (NBC 1951-1959; später mit Unterbrechungen fortgeführt bis 2004) – 276-teilige Krimiserie.
  • Ein Mann will nach oben (ZDF/ORF/SRG 1978) – 13-teilige Literaturverfilmung.
  • Eurocops (ZDF et al. 1988-1993) – 70-teilige Krimiserie.
  • Forbrydelsen/Kommissarin Lund (DR1 2007-2012) – 40-teilige Krimiserie.
  • Gesucht wird Mörder X (NWRV 1959) – 4-teilige Krimiserie.
  • Heimat – Eine deutsche Chronik (SFB/WDR 1984) – 11-teilige Familienserie.
  • Heimat 3 – Chronik einer Zeitenwende (SWR/ARD Degeto 2004/05) – 6-teilige Familienserie.
  • Heimat-Fragmente – Die Frauen (BRD 2006) – Kinofilm von Edgar Reitz (Buch und Regie).
  • Heiter bis Tödlich (ARD 2011-2015) – Dachmarke.
  • Heroes (NBC 2006-2010) – 77-teilige Science-Fiction-Serie.
  • How to get away with Murder (ABC seit 2014) – Krimiserie.
  • Lost (ABC 2004-2010) – 121-teilige Mysteryserie.
  • Mörderische Entscheidung – umschalten erwünscht (ARD/ZDF 1991) – Fernsehfilm von Tony Grisoni (Buch) und Oliver Hirschbiegel (Regie).
  • Mord mit Aussicht (ARD seit 2008) – Krimiserie.
    • Ein Mord mit Aussicht (2015) – 90-minütiges Serienspecial von Benjamin Hessler (Buch) und Jan Schomburg (Regie).
  • Motive (CTV 2012-2016) – 52-teilige Krimiserie.
  • Notruf Hafenkante (ZDF seit 2007) – Krimiserie.
    • Klassentreffen (2016) – Jochim Scherf (Buch) und Daniel Drechsel-Grau (Regie).
  • Paare (Arte seit 2015) – Comedyanthologie.
  • Polizeiruf 110 (DFF 1971-1991; ARD seit 1993) – Krimiserie/-reihe.
    • Schwere Jahre (1984) – Hans Joachim Hildebrandt (Buch und Regie).
  • Quantico (ABC seit 2015) – Thrillerserie.
  • Rashomon/Das Lustwäldchen (J 1950) – Kinofilm von Shinobu Hashimoto, Akira Kurosawa (Buch) und Akira Kurosawa (Regie).
  • Rote Erde (WDR 1983/1990) – 13-teilige Familienserie.
  • Secrets and Lies (ABC seit 2015) – Krimi-Anthologie-Serie.
  • Skins/Skins – Hautnah (E4 2007-2013) – 61-teilige Dramedy.
  • SOKO 5113/SOKO München (ZDF seit 1978) – Krimiserie.
  • Stahlnetz (NWRV/NDR 1958-1968) – 22-teilige Krimireihe.
  • Tatort (ARD/ORF/SRG/SFDRS seit 1970) – Krimireihe.
    • Kressin und der tote Mann im Fleet (WDR 1971) – Wolfgang Menge (Buch) und Peter Beauvais (Regie).
    • Frankfurter Gold (HR 1971) – Eberhard Fechner (Buch und Regie).
    • Wohnheim Westendstraße (BR 1976) – Herbert Rosendorfer (Buch) und Axel Corti (Regie).
    • Sterben für die Erben (SWR 2007) – Dorothee Schön (Buch) und Lars Montag (Regie).
  • The Affair (Showtime seit 2014) – Dramaserie.
  • The Broken Horseshoe (BBC 1952) – 6-teilige Krimiserie.
  • The Silence of the Lambs/Schweigen der Lämmer (USA 1991) – Kinofilm von Ted Tally (Buch) und Jonathan Demme (Regie).
  • The Slap/The Slap – Nur eine Ohrfeige (ABC1 2011) – 8-teilige Dramaserie.
  • Tod eines Schülers (ZDF 1981) – 6-teilige Dramaserie.
  • True Detective (HBO 2014-2015) – 16-teilige Krimi-Anthologie-Serie.
  • Without a Trace/‌Without a Trace – Spurlos verschwunden (CBS 2002-2009) – 160-teilige Krimiserie.

Endnoten

  • [1] Dieser Text entstand im Rahmen der Göttinger/Berliner DFG-Forschergruppe 1091 „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“.
  • [2] Brecht 1998 [1938/1940]: 33.
  • [3] Zum ‚Quality-TV‘ vgl. grundlegend Feuer et al. 1984; Thompson 1996; McCabe/Akass 2007; kritisch dazu Klein/Hißnauer 2012; Weissmann 2013. Jahn-Sudmann/Kelleter (2012: 209) weisen darauf hin, dass der akademische ‚Quality-TV‘-Diskurs „die Qualitätspraktiken der Sender und Serientexte, also die Selbstbeschreibungen des amerikanischen Quality-TV, oft erstaunlich genau reproduziert“ statt sie kritisch zu hinterfragen.
  • [4] In Deutschland wurde Motive bislang vor allem auf dem Pay-TV-Kanal TNT Serien ausgestrahlt. Der Free-TV-Sender VOX hat 2015 die Serie mangels Zuschauerresonanz nach wenigen Folgen abgesetzt, dann jedoch 2016 die Ausstrahlung der ersten sowie der zweiten Staffel überraschend fortgeführt. Der Bezahlsender Sky Atlantic zeigte Accused.
  • [5] Zuweilen entsteht auch der Eindruck, dass Produktionen wie Forbrydelsen/Kommissarin Lund (2007-2012), Broen/Bron/Die Brücke – Transit in den Tod (seit 2011) oder Broadchurch (seit 2013) aufgrund der komplex erzählten Fortsetzungshandlung als Innovation im Bereich der Krimiserie angesehen werden. Dies ist zumindest zu relativieren, da bereits in den 1950er Jahren bspw. in Großbritannien (spätestens seit The Broken Horseshoe, 1952) und der Bundesrepublik Deutschland (seit Gesucht wird Mörder X, 1959) mehrteilige Kriminalgeschichten ausgestrahlt wurden. In der Bundesrepublik wurden sie (anfänglich auch) als Serien rezipiert und waren regelrechte ‚Straßenfeger‘ (siehe Hißnauer 2014). Während die frühen bundesdeutschen Produktionen überliefert sind, ist dies bei den britischen aufgrund der Produktionsweise (live-Übertragung aus dem Studio) in der Regel nicht der Fall.
  • [6] Mit Erzähldiskurs bezieht sich Mittell an dieser Stelle auf den discours, also die formale Gestaltungen einer Erzählung/Darstellung (im Unterschied zur historie, also der eigentlichen Geschichte bzw. dem Dargestellten).
  • [7] Zur Fokalisierung in audiovisuellen Medien siehe u. a. Branigan 2007; Kuhn 2007/2013; Schweinitz 2007; Schweinitz/Tröhler 2007; Orth 2009/2010; Hornung 2010; Schmöller 2010; Hißnauer 2012.
  • [8] Mittell (2012: 116) spricht von „Analepsen, die nur von wenigen Orientierungspunkte markiert werden“. Diese Einschätzung geht m. E. an der temporär verschachtelten Erzählweise vorbei, bei der keine (momentane) narrative Gegenwart bestimmbar ist, von der aus Rückblenden zeitlich zu verorten wären.  Eine Ausnahme stellt hier die Folge Reelin‘ in the Years/Mord verjährt nicht dar, in der eine zweite, klar in der Vergangenheit angesiedelte, Zeitebene existiert. Ebenso scheint es mir nicht möglich, (ggf.) Prolepsen – also narrative Vorwegnahmen/Vorausschauen – zu identifizieren. Von daher lässt sich die Narration von Boomtown nur als achronologisch beschreiben.
  • [9] Die Serie lief in Deutschland bislang nur auf dem Pay-TV-Kanal 13th Street.
  • [10] Die Reihung der Erzählperspektiven ist dabei nicht einheitlich. Daher ist auch die Täterführung unterschiedlich.
  • [11] Zur Unterscheidung zwischen komplexem und lediglich kompliziertem Erzählen vgl. Klein 2012.
  • [12] Nicht nur im deutschen Diskurs – so scheint mir – wird das Schlagwort Komplexität in gewisser Weise (zu) eng an das fortgesetzte Erzählen gebunden (siehe auch Weissmann 2013). Für Mittell (2012: 105) handelt es sich bei narrativer Komplexität „um eine Neudefinition episodischer Erzählmuster unter dem Einfluss der seriellen Fortsetzungserzählung – das aber nicht als Verschmelzung von Episoden- und Fortsetzungsserien, sondern als eine Verschiebung des Gleichgewichts zwischen beiden Formaten“ (wobei Mittell hier die soap opera als Inbegriff der seriellen Fortsetzungserzählung auffasst – und damit andere seriellen Fortsetzungsformen ausgrenzt). Dieses ‚neue‘ Erzählmuster des ‚Quality-TV‘ (gegenüber ‚klassischen‘ Fernsehserien) wird auch als flexi-narrative bezeichnet (vgl. Nelson 2013: 23ff.). Komplex erzählte Serien zeichnen sich nach Mittell (2012: 120) zudem aus durch „ein größeres Maß an Selbstreflexion bei der Ausgestaltung von Erzählmechanismen sowie gestiegenen Ansprüchen an das Zuschauerengagement, und zwar sowohl auf der Ebene des diegetischen Vergnügens als auch bezüglich formaler Kenntnisse und Kompetenzen“. Wenn Mittell (2012: 120) betont, dass „komplexe Erzählungen die Anforderungen narrativer Auffassungsgabe und medialer Nutzungskompetenz in den Vordergrund“ stellen, so wäre dabei stärker zu berücksichtigen, inwiefern ‚Lernprozesse‘ – seitens des (angenommenen) Publikums aber auch seitens der Serien – zu beobachten wären. In diesem Sinne wäre die evolutionäre Entwicklung seriellen Erzählens – nicht nur anhand des US-amerikanischen Fernsehens – stärker in den Blick zu nehmen, anstatt das Aufkommen des sogenannten ‚Quality-TV‘ fernsehgeschichtlich als nahezu revolutionären Einschnitt zu begreifen. Beispielhaft hat Kupper (2016) Die Evolution narrativer Komplexität anhand US-amerikanischer Krimiserien der 1950er bis 2000er Jahre aufgearbeitet.
  • [13] Auch Weissmann (2013) arbeitet am Beispiel von CSI (2000-2015) heraus, dass Episodenserien in einzelnen Folgen durchaus komplex erzählen (können).
  • [14] Im Sinne von Orth (2009: 124) wäre dies als Form der Relativierung narrativer Wirklichkeiten durch polyfokalisiertes Erzählen zu begreifen.
  • [15] Orth (2009: 124) folgend kann man dies als hierarchisch organisierte Form polyfokalisierten Erzählens begreifen, da im Sinne der narrativen Wirklichkeit bestimmt werden kann, welche Darstellung ‚wahr‘ und welche ‚falsch‘ ist.
  • [16] Tod eines Schülers lässt sich daher weder als Episodenserie noch als Fortsetzungsserie begreifen.
  • [17] Zur Erlebensperspektive bei der audiovisuellen Fokalisierung im Unterschied zur Wahrnehmungsperspektive in der Literatur siehe Schweinitz 2007.
  • [18] Die Fernsehfassung von Das Boot wurde sowohl als drei- wie auch als sechsteilige Fassung ausgestrahlt.
  • [19] Der Zyklus umfasst die Serien Heimat – Eine deutsche Chronik (1984), Die zweite Heimat – Chronik einer Jugend (1992/93), Heimat 3 – Chronik einer Zeitenwende (2004/05) sowie die beiden Kinoproduktionen Heimat-Fragmente – Die Frauen (2006) und Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht (2013).
  • [20] Heimat lief sogar im US-amerikanischen Fernsehen, erreichte aber so gut wie keine Zuschauer (vgl. Alan Andres: „Published reviews. Reception in the United States.“ In: www.heimat123.net, ohne Datum [http://‌www.heimat123.net/‌pubrevus.html]).
  • [21] In Die zweite Heimat – Chronik einer Jugend erzählt Edgar Reitz von der Studentenzeit des Hunsrücker Hermann Simon (Henry Arnold) in München während der 1960er Jahre. Jede Folge fokussiert dabei neben Hermanns Erlebensperspektive noch jeweils die einer anderen Figur. Die zweite Heimat serialisiert den Fokalisierungswechsel – bei einer grundsätzlich fortsetzungsorientierten Erzählweise – somit weniger stringent als die anderen genannten Beispiele, da Hermann stets der Protagonist bleibt. Die zweite Heimat vertieft dabei einen Erzählstrang, der schon in Heimat angedeutet, dort aber nicht näher ausgeführt wird (nachdem Hermann das Dorf Schabbach verlassen hat, spielt seine Münchner Zeit nur noch indirekt eine Rolle). Im Unterschied zu Heimat 3 ist Die zweite Heimat daher auch nicht als Fortsetzung zu Heimat anzusehen. Der Kinofilm Die andere Heimat ist ein Prequel zu den Fernsehserien.
  • [22] Die britischen Produktionen Cucumber (2015) und Banana (2015) sind Serien, „welche aus zwei unterschiedlichen Perspektiven die Schwulenszene in Manchester beleuchten – und dabei fortwährend ihre Handlungsstränge überkreuzen“ (Junklewitz/Weber 2016: 18). Das ist wahrscheinlich der einzige Fall, in dem serienübergreifend das Rashomon-Prinzip eingesetzt wird. Mit dem deutschen Fernsehfilm Mörderische Entscheidung – umschalten erwünscht (1991) gingen ARD und ZDF sogar soweit, zeitgleich auf den beiden Sendern jeweils eine fokalisierte Version des Films auszustrahlen, sodass sich die Zuschauer ihren ‚eigenen‘ Film zusammenzappen konnten. Die Gesamtschau beider Perspektiven war aber unerreichbar (es sei denn, man hätte eine Version auf Video aufgezeichnet).
  • [23] Full drop seasons werden nicht – wie bei Fernsehserien üblich – ‚portionsweise‘ Folge für Folge veröffentlicht, sondern von der jeweiligen Plattform sofort komplett als Streaming oder zum Download zur Verfügung gestellt; quasi in Form einer nicht materiellen ‚DVD-Box‘.
  • [24] „Mitchell Hurwitz had a few pragmatic problems filming the new episodes, the most galling being that few of his actors were available for filming at the same time. But he found a smart workaround, devising an ambitious ‚Rashomon‘-like structure, with each episode homing in on a different character (though a few characters are the subject of more than one). Over time, details accrete, through flashbacks and flashforwards, until we’re faced with a dazzling puzzle box of a narrative, as much like a video game as a story“ (Nussbaum 2013).
  • [25] Allerdings kommt es bei Arrested Development aufgrund der geringeren Folgenlänge (ca. 30 bis 35 Minuten) dazu, dass sich Figurenperspektiven wiederholen – der zeitliche Horizont der Staffel öffnet sich damit allerdings nicht. Zuweilen wird auch innerhalb einer Folge – zumindest kurzfristig – eine andere Erzählperspektive eingenommen (so z. B. in Double Crossers, Folge 4/06).
  • [26] Interessant ist, dass Hurwitz dies auch mit der Hoffnung getan hat, die vierte Staffel so im Fernsehen zeigen zu können. In seinen Augen war die Netflix-Version offenbar geradezu für das sog. binge watching gedacht und damit ungeeignet für die ‚klassische‘ wöchentliche Ausstrahlung.
  • [27] Die Figur Claus Wagner wird regelrecht von der narrativen Form der Serie eingekreist.
  • [28] Der Tod eines Schülers wird lediglich in sechs Folgen erzählt.
  • [29] Immer wieder springt die Geschichte auch innerhalb einer Folge vor und zurück.
  • [30] Arrested Development ist darauf angelegt, dass Zuschauer das Beziehungsgeflecht, die Handlungsstränge und deren Zusammenhänge rekonstruieren. In Tod eines Schülers geht es hingegen darum, dass sich die Zuschauer mit den möglichen Motiven und Ursachen für den Suizid beschäftigen; sicherlich auch, um aus dem Gezeigten etwas lernen zu können (im Sinne einer Suizidprävention). ‚Klassische‘ Handlungsbögen haben beide Serien daher nicht.
  • [31] Von diesem Muster weichen die Folgen in der Regel nicht ab. Daher ist beispielsweise die 13. Folge eine unerwartete Variation. Hier stirbt der Mörder mitten in der Episode selbst – von der eigenen Psychiaterin in den Selbstmord getrieben.
  • [32] Im ‚klassischen‘ Rätselkrimi ist die Suche nach dem Motiv dramaturgisch betrachtet stets nur Mittel zum Zweck, um den Täter überführen zu können.
  • [33] Ab der zweiten Staffel nehmen die Ermittlungsarbeiten einen etwas breiteren Raum ein.
  • [34] Die drei Serien nutzen flashbacks extensiv als narratives Verfahren und serielles Formatierungsprinzip. Zuvor wurden Analepsen in Krimiserien eher selten, meist bei einzelnen Folgen eingesetzt, um die Auflösung des Falles am Ende visuell zu illustrieren.
  • [35] Im bundesdeutschen Fernsehen verwendete Autor Herbert Reinecker in den ersten Derrick-Folgen (1974-1998) ebenfalls eine offene Täterführung. Da dies aber bei Zuschauern und Kritikern nicht gut ankam, orientierte man sich relativ rasch wieder an der herkömmlichen Rätseldramaturgie des whodunit (vgl. Weber 2012; allg. zur bundesdeutschen Krimiserienentwicklung siehe Brück et al. 2003; Brück 2004; Hißnauer 2014; Hißnauer/‌Scherer/‌‌Stockinger 2014).
  • [36] Bezogen auf die Hauptfigur zieht Amber Dowling 2013 einen solchen Vergleich: „‚Columbo’-inspired Canadian crime drama ‚Motive’ debuts.”, http://archive.today/0r3dR#selection-881.1-881.14[16.08.2016].
  • [37] Natürlich ist auch der genaue Tathergang zunächst unbekannt.
  • [38] Als Varianz des Krimimusters ergibt sich dabei zuweilen, dass sich ein vermeintlicher Mord,um den es meistens geht, wenn auch nicht ausschließlich (siehe z. B. frühe Tatort-Folgen wie Frankfurter Gold, 1971), als Unfall oder Selbstmord entpuppt, also der Folge eigentlich gar kein Verbrechen zugrunde liegt (so z. B. in den Tatort-Folgen Wohnheim Westendstraße, 1976 oder Sterben für die Erben, 2007).
  • [39] Nur in der letzten Folge spielen auch zwei Figuren aus der vorherigen Episode eine Rolle.
  • [40] Zur interseriellen Kohärenz, also zu Verknüpfungsformen unterschiedlicher Serien miteinander, siehe Junklewitz/Weber 2016.
  • [41] Im US-amerikanischen Fernsehen der 1950er Jahre spielen Anthologien vor allem beim television drama eine wichtige Rolle (vgl. Nelson 2013), m. W. jedoch nicht beim Krimi. Hier finden sich schon früh Episodenserien wie Dragnet/Polizeibericht (1951-1959; später mit Unterbrechungen fortgeführt bis 2004) und 77 Sunset Strip (1958-1964).
  • [42] Auch Produktionen wie Secrets and Lies (seit 2015) können dazu gezählt werden – auch wenn hier die Protagonistin auch über die Staffeln hinweg für intraserielle Kohärenz sorgt.
  • [43] Sowohl Polizeiruf 110 als auch der Tatort experimentieren dabei immer mal mit Doppelfolgen oder sog. horizontalen Handlungsbögen. Obwohl dies in den letzten Jahren deutlich verstärkter der Fall ist, lassen sich bereits deutlich frühere Beispiele dafür finden (so z. B. die Polizeiruf 110-Doppelfolge Schwere Jahre, 1984; die Kressin- oder die Bienzle-Tatorte in den 1970er bzw. 1990er Jahren).
  • [44] In Folge drei werden die Rückblenden davon abweichend als Aussage der angeklagten Lehrerin vor Gericht inszeniert (mit entsprechenden gedanklichen Reflexionen der Figur als voice over).
  • [45] So schreibt die BBC in einer Pressemitteilung: „As each hour-long episode unravels viewers learn how each person came to be there. But on reflection should they be the accused? Are they innocent or guilty or somewhere in between? And will the jury make the right judgement?“ (BBC 2010)
  • [46] Eine Ausnahme stellt Folge fünf dar. Hier wird der Mord an einem vermeintlichen Kinderschänder bereits in Minute 11 gezeigt. Die Ermittlungen – und wie die Täter mit dem Ermittlungsdruck umgehen – spielen in dieser Folge eine große Rolle.
  • [47] Sie zündet die Lagerhalle an, in der ihr Sohn gearbeitet hat, nachdem der Besitzer des Betriebes nicht einmal nach Abschluss sämtlicher polizeilichen Untersuchungen und Prozesse bereit ist, ihr unter vier Augen zu sagen, dass ihm der Tod ihres Sohnes leid täte.
  • [48] Auch in die fünfte Folge spielt das Thema Recht/Gerechtigkeit hinein. Ein junger Familienvater (Kenny) wird, nachdem seine kleine Tochter von einem Pädophilen missbraucht wurde, von zwei Freunden zur Selbstjustiz gedrängt. Der vermeintliche Vergewaltiger stirbt an den Folgen der Schläge und Tritte, die vor allem von den beiden Freunden ausgeübt wurden. Natürlich stellt sich der vermeintliche Täter kurz darauf als unschuldig heraus (so wie es typisch für selbstjustizkritische Filme ist). Kenny (Marc Warren) kann damit nicht leben und geht zur Polizei. Aufgrund seines Geständnisses wird aber nur er wegen Mordes verurteilt. Seine Freunde werden freigesprochen. Diese Folge wirft damit die Frage auf, ob es gerecht sein kann, dass ein geständiger Mittäter verurteilt wird, die Hauptschuldigen aber nicht belangt werden (können).
  • [49] In der zweiten Staffel spielt nur in einer von vier Folgen Ehebruch eine Rolle.
  • [50] Sie kann allerdings vor Gericht ihre Unschuld beweisen. Ihr Ehemann und ihr Schwiegervater werden am Ende verhaftet.
  • [51] Zuvor gibt es keine Anzeichen für eine frauenverachtende Haltung des Mannes.
  • [52] Die zuweilen extreme moralisierende Plotkonstruktion wird vor allem in der vierten Folge deutlich, in der ein spielsüchtiger Taxifahrer (Liam; Andy Serkis) zunächst bei einem weiblichen Fahrgast einbricht, sie anschließend stalkt und ihre Beziehung (mit einem verheirateten Mann!) hintergeht, bis sie sich in ihn verliebt und sie zusammenkommen. Er belügt sie und behauptet, seine an Multiple Sklerose erkrankte, im Rollstuhl sitzende Frau sei verstorben. Als ihr Ex-Freund dahinter kommt, überfährt er ihn mit seinem Taxi.
  • [53] Geht es in der Regel im Krimi um die Tätersucher, steht hier die Opfersuche im Mittelpunkt.
  • [54] Z. B. über die tickende Bombe unter dem Tisch oder das Gift in einem Getränk.
  • [55] Der Eindruck der zeitlichen – oder auch räumlichen – Synchronizität wird dabei lediglich evoziert. Er kann auch dafür genutzt werden, den Zuschauer zu desorientieren bzw. in die Irre zu führen; so z. B. in einer bekannten Szene aus The Silence of the Lambs/Schweigen der Lämmer, USA 1991: FBI-Agenten klingeln an der Tür eines gesuchten Killers (Ted Levine). Im Inneren reagiert dieser vermeintlich auf das Schellen. Als die Agenten das Haus stürmen, ist es jedoch leer. Der Killer öffnet lediglich der noch in Ausbildung befindlichen Agentin Clarice Starling (Jodie Foster) die Tür, die sich in hunderten Kilometern Entfernung vom Einsatzort – und von nun an in höchster Gefahr – befindet. Erst in dem Moment, als Außen- und Innenraum zusammengeführt werden (durch das Stürmen des Hauses bzw. das Öffnen der Tür) wird offenbar, dass die Szene unzuverlässig erzählt ist.
  • [56] Zudem gibt es in dem gemischtgeschlechtlichen Ermittlerduo – natürlich – eine starke erotische Spannung. Dabei kann man es als Reminiszenz an den ersten WDR-Tatort-Ermittler Zolloberinspektor Kressin (Sieghardt Rupp) verstehen (Kressin und der tote Mann im Fleet, 1971), dass die männliche Hauptfigur Jan Brenner (Sebastian Ströbel) die Nacht mit zwei Frauen verbracht hat und auch sonst keine Gelegenheit auslässt, mit Frauen – nicht nur – zu flirten.
  • [57] Die Macher von Alarm für Cobra 11 versuchten in den Sendestaffeln 33 bis 36 (2014-2015) den Ton der Serie ernsthafter und düsterer zu gestalten und experimentierten mit längeren story arcs, kehrten aber 2016 (Staffel 37) zur ‚bewährten‘ humorvollen Lockerheit zurück; und damit auch zur episodenhaften Erzählweise. Das ‚komplexere Erzählen‘ und vielschichtigere Figuren waren offenkundig beim Publikum unerwünscht. Bei Cobra 11 muss es krachen – der Rest ist bloßes Beiwerk für die Stunts.
  • [58] Obwohl beide Serien das Countdown-Prinzip nutzen, unterschiedet sich Countdown deutlich von der Sat1-Produktion Deadline – Jede Sekunde zählt (2007-2008/2011), da hier die Story tatsächlich von einem diegetisch gestellten Ultimatum vorangetrieben wird. Die Deadline erzeugt eine inhärente narrative Spannung.
  • [59] In der sog. Echtzeitserie 24 (2001-2010) beispielsweise wechselt der erzähllogische Umgang mit der Deadline. Während sie in den ersten Staffeln narrativ begründet wird, ist dies bei den späteren Staffeln nicht mehr der Fall. Das führt dann zu dem Effekt, dass der Serienzuschauer – im Unterschied zu den handelnden Figuren – von vornherein weiß, dass die Krise erst nach 24 Folgen endgültig beendet sein wird, während dramaturgisch ca. alle sechs Folgen eine Bedrohung abgewendet wird und eine neue Gefahr aufscheint.
  • [60] Die Zuschauer von Damages oder How to get away with Murder müssen sich die Geschichte im Staffel- bzw. Serienverlauf aus den unterschiedlichen Informationen zusammenpuzzeln, die in der narrativen Gegenwart, teilweise in der narrativen Vergangenheit und in der narrativen Zukunft gegeben werden. Das Sehvergnügen ergibt sich daraus, die oft leicht unzuverlässig erzählten Prolepsen mit dem bereits Erzähltem abzugleichen und immer wieder neue Vermutungen über den Fortgang der Handlung bzw. den Schluss anzustellen – und wieder zu revidieren. Diese Möglichkeit ‚verschenkt‘ Countdown, da die Prolepsen die Erzählung nicht vorantreiben.
  • [61] Der skrupellose Wittner wird am Ende von Brenners Partnerin Leonie ‚Leo‘ Bongartz (Chiara Schoras) erschossen. Obwohl Sara Selbstjustiz üben wollte, decken Brenner und Leo sie am Ende und begehen damit ebenfalls Selbstjustiz.
  • [62] Aus erzähllogischer Sicht legitimieren und markieren die Zeugenaussagen damit die Analepsen.
  • [63] Zwar gibt es beispielsweise zu Reality-TV-Serien eine reichhaltige, mittlerweile fast unüberschaubare Forschungsliteratur, doch die spezifische Serialität der Produktionen wird dabei kaum berücksichtigt.
  • [64] Unter Serie versteht Eco die Episodenserie (1988: 159): „Wir haben eine feststehende Situation und eine Anzahl ebenso feststehender Hauptpersonen, um welche sich Nebenpersonen gruppieren, die von Fall zu Fall wechseln, damit der Eindruck einer neuen Geschichte entsteht“.
  • [65] In einer anderen Übersetzung wird letzterer zuweilen auch als gewitzter Leser bezeichnet (vgl. Eco 2005: 97).
  • [66] An anderer Stelle (Eco 2005: 97) wird der naive Leser als „Gefangener der Strategien des Autors“ bezeichnet. – Mit der Unterscheidung zwischen den zwei Modell-Lesern widerspricht Eco seiner eigenen Setzung (oder schränkt sie zumindest implizit ein): „In der Serie glaubt der Konsument, sich an der Neuheit der Geschichte zu erfreuen, während er faktisch die Wiederkehr eines konstanten narrativen Schemas genießt und sich freut, bekannte Personen wiederzufinden, mit ihren charakteristischen Ticks, ihren feststehenden Redeweisen, ihren immer gleichen Techniken zur Lösung der Probleme […]. In diesem Sinne entspricht die Serie dem infantilen, aber darum nicht krankhaften Bedürfnis, immer wieder dieselbe Geschichte zu hören, Trost zu finden an der (oberflächlich maskierten) Wiederkehr des Immergleichen.“ (Eco 1988: 160) Der ‚kritische‘ Leser erfreut sich eben nicht an der vermeintlichen Neuheit des Erzählten, sondern an der – mehr oder weniger – geschickten Variation des Immergleichen.
  • [67] „Aber all dies setzt voraus, daß der naive Leser der ersten Sorte verschwindet, um nur den kritischen Leser der zweiten Sorte übrigzulassen. Es gibt ja faktisch keinen naiven Leser eines abstrakten Gemäldes oder einer minimalistischen Plastik […]. Abstrakte oder minimalistische Werke lassen sich immer nur kritisch lesen, an ihnen interessiert nicht das bißchen, das da geformt worden ist, sondern einzig die Art der Formung. Können wir dasselbe von den seriellen Produkten des Fernsehens erwarten? Müssen wir an die Geburt eines neuen Publikums denken, dem die erzählten Geschichten, die es eh schon alle kennt, gleichgültig sind und das nur darauf aus ist, die Wiederholung und ihre winzigen Variationen zu genießen? Steht uns […] in naher Zukunft eine echte genetische Mutation bevor? Wenn es nicht so wäre, erschiene der radikale Vorschlag einzigartig snobistisch: wie in Orwells 1984 gäbe es dann Vergnügen der zweiten Art, die den Parteimitgliedern vorbehalten blieben, und Vergnügen der ersten Art für die Proleten. Die gesamte Industrie des Seriellen würde nur existieren […], um den wenigen, die es zu goutieren wissen, das neobarocke Vergnügen zu liefern, und den vielen anderen falsche (degradierte) Freuden.“ (Eco 1988: 77) – In der heutigen Serienlandschaft scheint (zumindest auf den ersten Blick) die selbstvollzogene Distinktion von Zuschauergruppen entlang der Achse ‚Quality-TV‘ (‚kritische Leser‘) vs. proceduals/Reality-TV (‚naive Leser‘) zu verlaufen (wobei es natürlich auch beim Reality-TV unterschiedliche Rezeptionshaltungen gibt).
  • [68] Was natürlich nichts über die tatsächlichen – in der Regel unterschiedlichen – Rezeptionsweisen aussagt.