Der Fall Humbert-Humbert. Klaus Beier spricht mit Camilo Jiménez über Humbert Humbert, 26.01.08

Vladimir Nabokovs Roman Lolita wurde oft als eine Verharmlosung der Pädophilie angesehen. Aber handelt es sich bei der Geschichte der 12-jährigen Dolores Haze und des 37-jährigen Humbert Humbert tatsächlich um einen Fall von Pädophilie? Professor Klaus Beier antwortet.

Der Leser des Romans hat manchmal den Eindruck, dass Lolita kein durchschnittliches Kind ist. Mehr noch nimmt man wahr, dass sie den Protagonisten, Humbert Humbert, der mit ihrer Mutter verheiratet ist, verführt. In manchen Kulturen hätten beide heiraten und eine Ehe führen können, ohne dass jemand Anstoß daran genommen hätte. Warum würden wir heute Humbert Humbert dermaßen strikt beurteilen?

Bei Lolita ist eine wichtige Überlegung anzuführen: Eine Jugendliche kann nicht mit einem Kind verglichen werden; die Pubertät beginnt bei Mädchen durchschnittlich mit elfeinhalb und bei Jungen etwa mit zwölf Jahren. Zu dieser Zeit stehen die Gehirne massiv unter dem Einfluss von Hormonen. Der Jugendliche befindet sich zunehmend auch auf sexueller Reizsuche – das Kind nicht. Diesem geht es um emotionale Bindungspartner.

Wie kann man sich das vorstellen?

Stellen Sie sich eine Antenne vor, durch die Kinder ihre Kontaktgestaltung organisieren. Die Antenne empfängt beim Kind folgende Informationen: Wer ist für mich eine emotional bedeutsame Bezugsperson? Wo fühle ich mich sicher und geborgen?

Und Lolita ist offenbar kein Kind.

Sie ist in die Pubertät gekommen und damit beginnt das Jugendalter – auch wenn sie erst zwölf Jahre alt sein mag. Im Übrigen besteht ein besonderes Verhältnis zu ihrer Mutter und familienstrukturelle Aspekte können bei der jugendlichen Entwicklung nicht außer Acht gelassen werden. Lolita konkurriert mit der Mutter, was eine zusätzliche Motivation für sie sein dürfte, Humbert Humbert für sich einzunehmen.

Zu verurteilen wäre also, dass Humbert Humbert diese kritischen Aspekte verkannt und sie sogar ausgenutzt hat.

Als Erwachsener sollte man mit fürsorglicher Distanz auf Entwicklungsaspekte von Jugendlichen reagieren – und sich keinesfalls von eigenen Interessen leiten lassen. Es gibt gute Gründe, warum Jugendliche zunehmend versuchen, erotische Attraktivität auszustrahlen. Erwachsene dürfen das nicht auf sich beziehen. Dass erotische Signale gesendet werden, muss man dem Jugendlichen zugestehen – was bei Kindern übrigens komplett wegfällt.

Humbert Humbert ist dann kein Pädophiler?

Er ist zunächst mal eine Romanfigur, die ich nicht explorieren kann. Aus sexualmedizinischer Sicht muss man aber auf folgendes hinweisen: Es gibt Männer, die auf Kinder orientiert sind, und andere, die ausschließlich auf Jugendliche orientiert sind. Diese letzteren haben in der Fachwelt sogar extra Namen: Ephebophile orientieren sich auf männliche Jugendliche und Parthenophile auf weibliche Jugendliche. Für diese Männer sind Kinder uninteressant und erwachsene Frauen auch. Da es bei Lolita genau um die Übergangsphase geht, wäre bei Humbert Humbert also allenfalls eine parthenophile – und keine pädophile – Neigung zu vermuten.

Das Gespräch führten Britta Verlinden und Camilo Jiménez.

Jiménez, Camilo / Verlinden, Britta: Pionierprojekt steht kurz vor dem Aus. Über das Pädophilie-Präventionsprojekt, 26.01.08

Am 30. Mai 2007 veröffentlichten Berliner Sexualmediziner erste viel versprechende Ergebnisse ihres Präventionsprojekts „Kein Täter Werden“. Jedoch droht dem Therapieprogramm das Ende: die Geldgeber fehlen.

Endlich sind die heiß erwarteten ersten Ergebnisse da. Das seit November 2005 laufende, weltweit einmalige Präventionsprojekt für Kindesmissbrauch an der Charité scheint die daran geknüpften hohen Erwartungen zu erfüllen. Von den über 500 Anmeldungen werden derzeit 90 pädophile Männer therapiert, 20 von ihnen haben ihre Behandlung bereits beendet. Die Teilnehmer haben gelernt, ihre Wahrnehmungsstörungen zu erkennen und abzubauen; sie stärkten ihr Verantwortungsbewusstsein, um z.B. sozial unkontrollierte Situationen zu vermeiden; ihnen wurden sowohl Verhaltensstrategien als auch Medikamente an die Hand gegeben, um schwierige Phasen zu bewältigen. Die zentrale Erkenntnis lautet: Sexueller Missbrauch von Kindern lässt sich durch eine gezielte Therapie pädophiler Männer eindämmen.

Jedoch zieht gleichzeitig mit der Verkündung dieser hoffnungsfrohen Nachricht eine dunkle Wolke über die Berliner Sexualmedizin. Die donnernde Tatsache: Das Pionierprojekt steht kurz vor dem Aus. Ihm droht das Ende im kommenden Herbst, wenn die Förderung durch den Hauptsponsor, die Volkswagen-Stiftung, die bisher rund 520 000 Euro zur Verfügung stellte, im November ausläuft. Eine Fortsetzung der Förderung kommt für sie nur in Frage, wenn sich andere Sponsoren beteiligen. Diese gibt es aber bisher nicht. Aus dem Forschungsministerium fließt kein Cent zur Unterstützung dieser bahnbrechenden Präventionsarbeit. Krankenkassen weigern sich, die Behandlungskosten zu übernehmen. Wenn keine Sponsoren gefunden werden, müsste die Studie abgebrochen werden – 45 bereits diagnostizierten pädophilen Männern, die keine Täter werden wollen, bliebe der versprochene Therapieplatz versagt.

Insgesamt schätzt man die Zahl deutscher Männer aller Altersgruppen, die pädophile Neigungen haben, auf 200 000; etwa ein Prozent der erwachsenen männlichen Bevölkerung hat eine Ansprechbarkeit auf den Kinderkörper. Weder das Medizinstudium noch die Ärzte-Fortbildung tragen diesen Zahlen Rechnung. Bereits jetzt fehlt es an sexualmedizinischen Ambulanzen, und wo es welche gibt, mangelt es an Ausstattung und Personal. Dass sich der präventive Ansatz flächendeckend durchsetzt, würde nach einem Abbruch des Pilotprojekts nicht gerade wahrscheinlicher.

Pädophile müssen lernen, dass die Auslebung ihrer Fantasien gegen Grundsteine der Gesellschaft ver- stößt und es deshalb nie dazu kommen darf. Dies- bezüglich kann es keine Toleranz geben. Aber andererseits wird es auch für die Gesellschaft Zeit zu lernen, ihre Mitglieder mit dieser Neigung nicht zu diskriminieren, sondern ihnen Hilfe dabei zu bieten, mit der schweren Bürde umzugehen.

Dass in Deutschland genug getan wird, um ein neues Bewusstsein zu schaffen, hofft Professor Klaus Beier, der Leiter des Projekts. Entscheidend sei, den Unterschied zwischen der pädophilen Neigung und dem sexuellen Kindesmissbrauch zu verstehen. Und da habe man bisher große Fortschritte gemacht: „Das war früher alles ein und dasselbe: Wer Pädophiler ist, ist gleich Kindesmissbraucher. Das ist falsch!“

Einem Bericht der American Psychiatric Association zufolge weist nur ein Viertel der begutachteten Kindesmissbraucher tatsächlich eine pädophile Präferenzstörung auf. Daraus lässt sich schließen, dass auch im Dunkelfeld nur ein Viertel der Täter pädophil ist. Während Beier einräumt, dass sein Projekt somit nur einen Teil der potentiellen und realen Dunkelfeldtäter erreicht, stellt er gleichzeitig klar: „Das Dunkelfeld ist eben nicht ausreichend erforscht.“

Um daran etwas zu ändern, leistet sein Projekt nun einen wichtigen Beitrag. Den Forschungsergebnissen zufolge tritt ein erstes Problembewusstsein bei Pädophilen im Schnitt mit 22 Jahren auf. Zwei Drittel der Hilfesuchenden sind Single. Die Teilnehmer kommen aus allen Bildungsschichten und aus allen Teilen der Republik, rund die Hälfte der Pädophilen nahm mehr als 100 Kilometer Reiseweg nach Berlin auf sich.

Noch ist der Beobachtungszeitraum natürlich zu kurz, um sagen zu können, ob die Therapien und Medikamente es den Pädophilen tatsächlich ermöglichen, ihre Neigungen dauerhaft zu kontrollieren. Aber bereits in den vergangenen anderthalb Jahren wurden aufgrund dieser Intervention Kinder vor sexuellem Missbrauch geschützt. Und dies muss bei den jährlich rund 15 000 zur Anzeige gebrachten Missbrauchsfällen – und einer noch viel höheren Dunkelziffer – doch das grundlegende Ziel von jeglicher Präventionsarbeit sein.

Drei Gewehrschüsse aus Kolumbien: Die kolumbianischen Schriftsteller Fernando Vallejo, Santiago Gamboa und Memo Ánjel zeichnen ein neues Bild ihrer Heimat

Besprochen von Camilo Jímenez

Die Herkunft.

„Der Roman wurde Antioquia als Gattung versagt. Viel zu viele waren wir, um in Fiktionen zu schwelgen. Außerdem stand unsere Realität immer im harten Licht der Mittagssonne, die jede Art von Atmosphäre ausschloss. Das Rot war rot und das Weiß weiß und basta. Was für eine Atmosphäre kann es geben, wo es dunkel wird und wie aus Strömen gießt in der unermesslichen Ewigkeit um sechs Uhr abends? Ohne Winter, ohne Herbst, ohne Sommer, ohne Zyklone, ohne Brandung, in einer Vorhölle von abgewaschenen Bergen, wo der anmutige Krummsäbel eine einfache Machete ist… Natürlich kann es in Antioquia keinen Roman geben!“[*] Dies scheint offenbar für ganz Kolumbien zu gelten.

Dabei hat der kolumbianische Schriftsteller Gabriel García Márquez für die Schilderung der fiktiven Stadt Macondo den Nobelpreis erhalten. Alvaro Mutis, ebenfalls Kolumbianer, erhielt 1993 den Cervantespreis. Der Roman La tejedora de coronas von Germán Espinoza wurde sogar in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen. Und Fernando Vallejo bekam erst 2003 den venezolanischen Literaturpreis Rómulo Gallegos. aus Venezuela. Doch erst seit kurzem wird die Literatur Kolumbiens in Deutschland zur Kenntnis genommen. Suhrkamp, Klaus Wagenbach und Rotpunkt, also ein Frankfurter, ein Berliner und ein Schweizer Verlag, wagten das Experiment. In den vergangenen zwei Jahren sind Bücher der Autoren Fernando Vallejo, Santiago Gamboa und Memo Ánjel auf Deutsch erschienen.

Man darf sich fragen, was der Grund dafür ist, dass in einem Land, das angeblich nicht literaturwürdig ist, die Belletristik gerade jetzt einen positiven Schub erlebt. Die Antwort: Kolumbien ist eine noch nicht geschriebene Geschichte. Kolumbien steckt voller Geschichten, als Hort korrupter Politiker, blutdurstiger Mafiosi oder Gossenkinder, die sich als Boxer, Radfahrer oder Fußballer aus dem Elend hocharbeiten. Kinderbanditen, jugendliche Klebstoffschnüffler, verhungernde Familien unter durchgeweichten Kartondächern prägen das Bild, das man sich hierzulande von dem Land macht. Kolumbien ist als ehemalige Kolonie Spaniens eine zwischen Indígenas und den Nachfahren unzähliger Zuwanderer aus aller Welt bunt zusammengewürfelte Gesellschaft.

Die Autoren

Fernando Vallejo, Santiago Gamboa und Memo Ánjel erobern nun die deutsche Leserschaft. Der 1942 geborene Fernando Vallejo verließ seine Heimat. Seine kritischen Filme wurden zensiert, er selbst von Guerillas bedroht. Er lebt heute in Mexiko City. Der studierte Biologe beschäftigt sich mit Sprachtheorie, spielt auf seinem Steinway-Flügel. Die Filmemacherei hat er eingestellt, seit einiger Zeit schreibt er Romane.

Er ist bekannt als militanter Tierfreund, bekennender Homosexueller und Frauenfeind, aber auch als höchst sympathischer und warmherziger Mensch, der wie die Leute aus dem Hügelgebiet Antioquias spricht und denkt.

2001 veröffentliche er den Roman El desbarrancadero (Der Abgrund), der sofort riesigen Erfolg hatte. Vallejo erhielt 2003 den mit 100 000 Dollar dotierten Premio Rómulo Gallegos, die er für die Pflege der Straßenhunde von Caracas spendete, was in seiner Heimat für einen Skandal sorgte.

Der ehemalige Journalist und studierte Literaturwissenschaftler Santiago Gamboa wohnt in Rom, von Natur aus ein Literat , ein mit seiner Heimatstadt Bogota zutiefst verbundener Weltreisender, ein Schriftstellerfreund und Autorenförderer, selbst ein Talent, das dieses Jahr zu einer Lesetour durch Deutschland eingeladen wurde und dabei mit seinen heiteren Geschichten seinen Anhängern großes Vergnügen bereitete.

2002 erschien sein dritter Roman, eine Kriminalkömodie mit hohem Niveau, intelligente Unterhaltung für Krimifans und Freunde gut geschriebener Prosa mit Humor: Los impostores (Die Blender). Gamboa war nach China geschickt worden, um einen Reiseführer zu schreiben. Die Arbeit brachte ihn auf die Idee für seinen Roman: Drei Männer begeben sich auf die Suche nach einer Urkunde des 19. Jahrhunderts. Sie finden in der Riesenstadt Peking aber nichts weiter als sich selbst und einen Haufen subtiler Späße für Gelehrte. Die kolumbianischen Leser nahmen die weltbürgerliche und anspruchsvolle Geschichte von sophistischen Loser begeistert auf. Das Buch war der Renner der letzten Buchmesse in Bogotá.

Memo Ánjel wohnt zurzeit in Berlin, ein Sepharde aus Medellín, der Hauptstadt der bereits erwähnten Region Antioquia, ein leidenschaftlicher Raucher mit spanischem Akzent, ein vielseitiger Autor für Zeitungen und das Radio, außerdem Professor für Kommunikationsmanagement in seiner Heimatstadt und DAAD-Stipendiat im Berliner Friedenau.

Der Autor von bislang acht Romanen ist der geborener Erzähler, der von der Kritik gefeert wird. Unter dem humboldtschen Motto: „Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache” stellte er in Berlin seinen neuesten, auf spanisch noch nicht erschienenen Roman La mesa de los judíos (Das meschuggene Jahr), im Deutschen Historischen Museum vor. Die Veranstaltung mit seinem Übersetzer, dem Kolumbienkenner Peter Schulze-Kraft, war ein voller Erfolg. Ánjel gewann mit Sympathie und Klugheit Publikum und Rezensenten in Deutschland und in der Schweiz.

Die Werke

Der Abgrund

Svenja Beckers Übersetzung des anspruchvollen Roman Der Abgrund (Suhrkamp) ist rundum gelungen. Dabei ist der hochstilistische Vallejo für jeden Übersetzer eine harte Nuss. Das sah man beim Scheitern des Wiener Zsolnay Verlags mit Klaus Laabs liebloser Übersetzung von Vallejos meist verkauftem Werk, La Virgen de los Sicarios (Die Madonna der Mörder, Wien 2001; 1993 orig. ersch.). Svenja Becker zeigt dagegen Sorgfalt bei der Verwandlung der künstlerisch verschlüsselten Sprachformen Vallejos ins Deutsche. Sie bezeichnet Vallejo vor allem als „Sprachfreak“.

Der Autor hat sich skeptisch zu Übersetzungen seiner Werke geäußert. Er schreibe für die spanische Sprache. Svenja Becker hat sich nicht abschrecken lassen und eine deutsche Übertragung vorgelegt, deren einziger Mangel ist, dass die Leichtigkeit des Originals an manchen Stellen verloren geht.

Die iberoamerikanische Jury des Rómulo Gallegos-Preises in Caracas lobte den Abgrund: „Wir stehen vor einem tiefst literarischen und bewegenden Roman, der Themen von dramatischer Aktualität durch eine unerhörte Kraft der Sprache zu reflektieren vermag.“ Die Schilderung der täglichen Gewalt, der Familienkrise und Krankheit, so die Jury, schafften eine Erneuerung der spanischsprachigen Literatur.

Vallejo mischt in seinem Roman Realität und Fiktion. Der Autor schildert die Aids-Krankheit, das Leiden und den Tod seines Bruders Darío. In Medellín, in den achtziger und neunziger Jahren Ort brutaler Auseinandersetzungen rivalisierender Drogenkartelle, spielt sich die absurde Inszenierung einer zerbrechenden Familie ab. Vallejo beschreibt den Todesweg eines geliebten Menschen. Der Ich-Erzähler schützt sich mit zynischen Sprüchen über Politiker, Kolumbien, Gott und die Welt. Sein Motto lautet: Die Existenz ist ein Müllsack von Erinnerungen.

Die Blender

Die Übersetzerin Stefanie Gerhold ist mit Santiago Gamboa vertraut. Die 1999 mit dem Preis der spanischen Botschaft für junge Übersetzer ausgezeichnete Münchenerin hat bereits Werke des spanischen Krimiautors Manuel Vázquez Montalbán sowie drei Romane von Gamboa übertragen und arbeitet im Moment am Neuprojekt des 2004 in Bogotá erschienenen El retrato de Ulises, Gamboas letztem Buch.

Gamboa bedient sich des Genres Krimi, um seine aberwitzige Geschichte voll subtiler Ironie voranzutreiben. Die Herausforderung an die Übersetzung liegen in den Details und den kleinen Wortspielen. Obwohl man die deutsche Version, genauso wie die spanische, schnell und gut gespannt liest, bleibt der im Original unmittelbar wirkende Witz mitunter auf der Strecke.

Die Story ist eine Verkettung von Absurditäten. Drei Männer suchen das verschollene Manuskript einer Sekte aus dem Umkreis des Boxer-Aufstands um 1900 in China. Sie treffen in Peking aufeinander und fangen an, gegeneinander zu intrigieren. Indessen ist ihnen die Boxer-Sekte bereits auf der Spur. Die unzähligen Abenteuer enden in einer doppelten Verfolgungsjagd: Die Blender sind hinter dem Manuskript her, und die Anhänger der Sekte jagen die Blender.

Das meschuggene Jahr

Memo Ánjel betraute auf eigenen Wunsch den Kolumbien-Literaturexperten Peter Schultze-Kraft und den bekannten Schriftsteller Erich Hackel aus Österreich mit der Übersetzung des noch nicht einmal auf Spanisch erschienenen neuesten Romans. Die Übersetzung ist hervorragend. Der leichte Humor und die Kraft mancher Stellen zeigen die Feinsinnigkeit des Übertragungsteams. Ein ausführliches Glossar der verwendeten jüdischen Begriffe ergänzt die prachtvolle Edition des Schweizer Rotpunktverlags. Kolumbien, das unbelesene Land, verbleibt zwar uninformiert über Ánjel, im deutschsprachigen Raum aber können Leser und Kritiker sich freuen. Memo Ánjel verspricht übrigens im Klappentext eine Fortsetzung.

Im Herzen der kolumbianischen Kaffeeregion prophezeit eine jüdische Großfamilie in den fünfziger Jahren den Auftakt des „meschuggenen Jahres“, der Zeit, in der sie sich endlich den Traum erfüllen können, das auserwählte Land Israel zu besuchen. Der Autor schildert aus der Sicht eines 13-jährigen eigene Erlebnisse. In Das meschuggene Jahr weiß man nicht, ob das Medellín im Roman in der Tat die Gewaltmetropole der letzten Jahrzehnte ist oder ob es sich um eine Fantasie Ánjels handelt. Aber abgesehen davonist das Werk außergewöhnlich innerhalb der Literatur Kolumbiens, wo Autoren, der márquezschen Legenden müde, sich fast zwanghaft der realistischen Schilderung der tagtägliche Gewalt verschrieben haben. „Ich schreibe ganz bewusst nicht über Gewalt“, sagt ein stets lächelnder Memo Ánjel auf die Frage nach dem Fehlen von Killern oder von den Liebesgeschichten zwischen toten Kaimanen, toten Flussfahrten und was das márquezsche Genre noch zu bieten hat.

Bibliografische Angaben:

Vallejo, Fernando: Der Abgrund (übers. v. Svenja Becker). Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004. ISBN: 3-5184-1655-3. 19,80 Euro. Gebunden. 192 Seiten.

Gamboa, Santiago: Die Blender (übers. v. Stefanie Gerhold). Berlin: Klaus Wagenbach 2004. ISBN: 3-8031-3195-2. 21,10 Euro. Gebunden. 320 Seiten.

Ánjel, Memo: Das meschuggene Jahr(übers. v. Erich Hackl u. Peter Schultze-Kraft). Zürich: Rotpunktverlag 2005. ISBN: 3-8586-9290-5. 19,50 Euro. Gebunden. 194 Seiten.

VALLEJO, Fernando, Los días azules. Madrid: Santillana 1985. S. 118

„Wir gehen den umgekehrten Weg.“ Klaus Beier spricht mit Jiménez/Verlinden über sein Pädophilie-Präventionsprojekt, 02.06.07

Klaus Beier, Leiter des Präventionsprojekts der Berliner Charité, spricht über pädophile Menschen, den Tabubruch in Deutschland und die Ziele seines Pionierplans zur Behandlung der Pädophilie.

Professor Beier, viele Menschen setzen Pädophilie mit sexuellem Kindermissbrauch gleich. Ist das richtig?

Das ist falsch. Die sexuelle Ansprechbarkeit auf den kindlichen Körper muss keinesfalls zu sexuellen Handlungen mit Kindern führen. Von Interesse für die Prävention sexueller Übergriffe auf Kinder sind aus sexualmedizinischer Sicht daher vor allem die Bedingungen, welche die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass von dem Betroffenen eine pädophile Neigung ausgelebt wird. Das ist dann der Fall, wenn die Betroffenen keine adäquaten Verhaltensstrategien aufgebaut haben, um ihre pädophile Neigung zu kontrollieren. Hierfür gibt es gut geeignete Hilfsmöglichkeiten, welche die Betroffenen aber kaum in Anspruch nehmen, wenn sie für die Neigung selbst verurteilt werden.

Was ist Pädophilie und was ist Kindermissbrauch?

Hintergrund eines sexuellen Kindesmissbrauchs kann einerseits eine pädophile Neigung sein: Es handelt sich dann um eine Abweichung der sexuellen Präferenzstruktur, die ab der Jugend festgelegt ist und bis zum Lebensende bestehen bleibt – ob man das nun will oder nicht. Nun gibt es aber andererseits auch Täter, die sind sexuell auf Erwachsene orientiert, begehen jedoch aus verschiedenen Gründen sexuelle Übergriffe auf Kinder, welche dann als Ersatzhandlungen für die eigentlich erwünschten sexuellen Interaktionen mit erwachsenen Partnern aufzufassen sind. Für die Prävention erreichbar sind nach unserer Erfahrung Männer mit einer pädophilen Neigung, die Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen und problembewusst sind.

In der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá herrscht zurzeit eine scharfe Kontroverse: Im Namen der Kinderrechte werden auf den Straßen Riesenplakate errichtet, die Namen und Fotos von Kindesmissbrauchern zeigen sowie eine Kurzbeschreibung der von ihnen jeweils begangenen Straftat. In großen Buchstaben ist zu lesen: „Bogotá bittet seine Opfer um Verzeihung“. Tragen solche Maßnahmen zur Eindämmung sexueller Verbrechen bei?

Sokann man praktisch keine Prävention betreiben: Diejenigen, die diese Neigung haben, verstecken sich. Sie befürchten, dass sie, wenn bekannt würde, dass sie Pädophile sind, gleichgesetzt werden mit denen, die schon Straftaten begangen haben. Ein weiteres Problem ist, dass die Gefahr erhöht wird, dass in einer Missbrauchssituation der Täter einen Verdeckungsmord begeht, damit das Risiko einer Überführung sinkt. Was daraus resultiert, ist eine Verringerung des Kinderschutzes.

Was ist der Vorschlag des Projekts „Kein Täter werden“?

Wir gehen den umgekehrten Weg. Wir machen uns zunutze, dass die Gesetzeslage in Deutschland einen Vertrauensschutz für Menschen garantiert, die sich an Therapeuten oder Ärzte wenden. Zentral für unsere Überzeugung ist, dass die pädophile Neigung eine Abweichung in der sexuellen Präferenzstruktur ist, die man weder verurteilen noch bewerten darf: Durch seine sexuelle Präferenz wird der andere nicht zum schlechten Menschen. Keiner kann das beeinflussen. Dass es eine Vielzahl von Erscheinungsformen des sexuellen Erlebens gibt, ist ja kennzeichnend für das große Spektrum menschlicher Sexualität.

Täter müssen aber verurteilt werden.

Ja. Wenn die Phantasien ausgelebt und auf der Verhaltensebene umgesetzt werden – also wenn aus Phantasien Taten werden –, dann muss man das verurteilen. So bekommen pädophile Menschen von uns die Botschaft: Wegen der Neigung wirst Du von uns nicht moralisch bewertet. Vorstellen und phantasieren darfst Du alles. Tun darfst Du nichts. Das ist Deine Aufgabe für das ganze Leben. Menschen hierbei zu unterstützen, ist eine sehr wichtige Form der Prävention.

Was ist ein Kind in der Sexualwissenschaft?

Ein Kind erkennt man am körperlichen Entwicklungsschema, welches mit Eintritt in die Pubertät endet. Bis zum Beginn dieses Entwicklungsabschnittes liegt eine kindliche Entwicklungsform vor. Und ausschließlich auf diese letzte reagieren Männer mit pädophiler Neigung. Wenn ein Mensch erst mit zwanzig Jahren in die Pubertät kommt, kann er mit zwanzig immer noch interessant sein für einen Pädophilen. Anders herum ist ein Kind, das mit zehn bereits in die Pubertät kommt, für ihn völlig uninteressant.

Wesentlich für einen pädophilen Menschen ist es, die Akzeptanz von Kindern zu erlangen – viel wichtiger als die von anderen Erwachsenen. Warum hat ein Pädophiler die Kinderwelt lieber als die Welt der Erwachsenen?

Da jeder Mensch die Sehnsucht nach Annahme und Akzeptanz in zwischenmenschlichen Bindungen in sich trägt, sucht er den Kontakt zu für ihn bedeutsamen Partnern und er tut dies entsprechend seiner sexuellen Präferenzstruktur. Die meisten Menschen können ihre Sehnsucht in partnerschaftlichen Beziehungen mit altersadäquaten Sexualpartnern verwirklichen – und zwar deshalb, weil ihre sexuelle Orientierung das für sie zielführend macht: Sie weisen eine sexuelle Ansprechbarkeit für den erwachsenen Körper auf, am allerhäufigsten für den des Gegengeschlechts. Deshalb verlieben sich die meisten Männer in Frauen und umgekehrt. Menschen mit pädophiler Neigung verlieben sich in Kinder – sie begehren das Gefühl der Akzeptanz von ihnen.

Es geht bei einem pädophilen Menschen also weit über das Sexuelle hinaus. Seine ganzen sozialen Interessen konzentrieren sich auf die Kinderwelt.

Richtig. Das ist im Grunde genommen sogar der Hauptaspekt. Und unter der fehlenden Umsetzbarkeit leiden die Männer mit pädophiler Neigung diesbezüglich am meisten: Es geht nicht nur um Orgasmen.

Gibt es pädophile Frauen?

Ganz, ganz selten. Ich bin jetzt fast zwanzig Jahre in der Sexualmedizin tätig und lernte erst im Rahmen dieses Projektes die erste Frau kennen, bei der wirklich eine pädophile Neigung bestand. Pädophil sind nicht alle Frauen, die ein Kind sexuell missbrauchen. Bei den meisten Frauen, die sexuelle Übergriffe auf Kinder begehen, sind es Ersatzhandlungen – und die Täterinnen stellen sich, wenn sie erregt sind, gerade nicht den Kinderkörper vor.

Pädophile, die zu Ihnen kommen, haben meistens die Hoffnung, dass sie von ihrer besonderen Neigung befreit werden können. Jedoch ist das erste, was Sie den Männern sagen, die zu Ihnen kommen, dass es für sie keine Heilung gibt. Ist ein solches Leben in der Hoffnungslosigkeit ein attraktives Angebot für einen Pädophilen?

In der Medizin ist der Fall eher häufig, dass wir nicht heilen, sondern nur Folgeschäden verhindern können. Und ein verantwortlicher Umgang mit einer chronischen Erkrankung ist eine lebenslange Aufgabe und setzt „eiserne“ Disziplin voraus, für die man aufgebaut und innerlich ausgestattet werden muss. Um diese Problematik zu erfassen ist vielleicht der Vergleich mit dem jugendlichen Diabetes hilfreich: Hier ist die Bauchspeicheldrüse strukturell verändert und die Medizin kann auch nicht heilen, sondern „nur“ Folgeschäden verhindern helfen. Der Betroffene kann nichts dafür, dass seine Produktion an Insulin nicht ausreicht, aber er ist dafür verantwortlich, dass der Schaden für seinen Körper möglichst gering bleibt. Er muss daher sein Verhalten kontrollieren, um Gefahren abzuwenden.

Aber da gibt es einen Unterschied.

Ja, und zwar: Der Diabetiker gefährdet sich selbst – der Pädophile andere, nämlich Kinder. Umso größer müssen dann aber die allseitigen Bemühungen der Prävention sein. Die Unversehrtheit anderer muss immer Vorrang haben. Ein wirklich verantwortlicher Umgang mit der pädophilen Präferenzabweichung trägt dem unbedingt Rechnung. Denn wie beim Diabetes verfügt die Medizin über hervorragende Möglichkeiten, das Verhalten so kontrollierbar zu machen, dass aus Phantasien keine Taten werden. Dies schließt auch die Nutzung von impulsdämpfenden Medikamenten ein, auf die ein verantwortungsbewusster Betroffener zur Gefahrenabwendung gegebenenfalls zurückgreift.

Eine solche Einsicht führt, wie in Berichten Ihrer Patienten zu lesen ist, sehr schnell zu Depressionen. Deckt das Therapieprogramm auch diese Problematik ab?

Es ist ein wichtiger Teil des Programms. Für die Betroffenen ist es schwer, die Einsicht zu erlangen, dass sie sich wirklich dauerhaft und lebenslang mit ihrer sexuellen Grundproblematik auseinandersetzen müssen. Ganz falsch wäre ein Ausweichen oder sich falschen Hoffnungen hinzugeben. Man muss sein Schicksal annehmen. Und es ist ein häufiger Fall in der Medizin, dass eine strukturelle Veränderung dauerhaft und unabänderlich Lebenseinschränkungen verursacht. Dies muss keineswegs dazu führen, dass die Betroffenen sämtliche Lebensqualität einbüßen.

Drogensüchtige Menschen, die sich ihrer Probleme bewusst sind und sich sogar in ärztliche Behandlung begeben haben, werden in vielen Fällen rückfällig. Besteht ein solches Risiko bei Ihren pädophilen Patienten?

Das ist nicht vergleichbar. Entscheidend ist die sexuelle Präferenzstruktur, denn pädophile Männer haben diesbezüglich eine echte Besonderheit im Gehirn. Die Impulse, die sie kontrollieren lernen müssen, sind ganz spezifisch. Sie können noch zusätzlich eine Abhängigkeitserkrankung entwickeln, die sie im Übrigen ja bei Menschen mit allen möglichen sexuellen Ausrichtungen finden können. Für eine Suchtproblematik spielen mutmaßlich eine genetische Disposition, die Persönlichkeitsstruktur, die Droge selbst sowie Einflüsse des sozialen Umfeldes eine Rolle – alles zunächst einmal unabhängig von der sexuellen Präferenzstruktur.

Wird sich das Projekt „Kein Täter werden“ irgendwann bundesweit etablieren?

Ich hoffe sehr, dass es sich ausdehnt. Denn das Problem besteht nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten und auf dem Land. Man wird spezielle Ambulanzen etablieren müssen – eine für die Versorgung ausreichende Ausstattung besteht auch an den sexualmedizinischen Instituten in Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg und Kiel nicht, wobei übrigens die Situation in Berlin an der Charité besonders ungünstig ist, da dort überhaupt keine Planstellen für die Therapie zur Verfügung stehen, sondern alles aus Forschungsmitteln finanziert wird.

Wie verbreitet ist das Tabu gegenüber der Pädophilie in der Gesellschaft?

Sehr. Denn grundsätzlich gilt ja, dass sexuelle Themen immer eine gewisse tabubesetzte Befangenheit wecken. Und es wird umso schwieriger, wenn problematische Formen sexuellen Erlebens thematisiert werden müssen, die ganz viele Menschen nicht nachvollziehen und die sogar mit Opferschäden verbunden sein können. Es entsteht dann eine emotionale Belastung, mit der viele Leute nichts zu tun haben wollen – und dies begünstigt erfahrungsgemäß einfache Lösungen: Der, der das tut, ist ein Verbrecher und muss weg. Aber die Wirklichkeit sieht eben anders aus und fügt sich diesem Wunsch nach einfachen Lösungen nicht. Wir wissen mittlerweile sehr genau, was für unterschiedliche Menschen sich hinter den Taten verbergen – und vor allem wissen wir, dass es einen Teil gibt, den man so beeinflussen kann, dass keine Übergriffe begangen werden. Diesen Teil erreichen sie über Strafandrohungen und moralische Verurteilung eben nicht. Aber wenn sie ihn erreichen, dient das dem Kinderschutz – das sollte es allemal wert sein.

Wirkt sich das fortbestehende Problem der Diskriminierung pädophiler Menschen nicht bremsend auf Ihr Projekt aus?

Wenn Sie es so genau eingrenzen, dann ja. Wenn die Diskriminierung aufhören würde und man in der Gesellschaft ein Bewusstsein anträfe, wonach man denen, die sich helfen lassen wollen, diese Hilfe zuteil werden lässt, ohne dass man sie verurteilt, dann würden dies vermutlich sehr viel mehr in Anspruch nehmen. Wir können nur darauf hinwirken.

Aber diejenigen, die Taten begehen, müssen diskriminiert werden.

Wer einen sexuellen Übergriff auf ein Kind begeht, gehört bestraft. Das muss man ganz klar unterscheiden. Das Motto muss also lauten: Keine Diskriminierung der Neigung, aber Diskriminierung des Verhaltens.

Viele pädophile Menschen denken, einen Schutz vor der Diskriminierung sowie vor dem weit verbreiteten Mythos der Heilbarkeit der Pädophilie böte die Entwicklung einer pädophilen Identität. Wie sehen Sie das?

Sexuelle Identität heißt, dass man seine Präferenzstruktur auch integriert hat, also, dass ein Mann mit pädophiler Neigung sagen kann: Ich bin so; es gibt diese Phantasie, die bleibt so; ich habe mir das nicht ausgesucht, aber ich werde mein Leben so führen, dass ich keinem Kind einen Schaden zufüge. Dann hat er eine sexuelle Identität, auch wenn er sie nicht leben kann. Aber sie ist bei ihm integriert. Bei den meisten Begutachtungsfällen sieht man, dass ein Mann, der schon fünf Mal vorbestraft wurde und zwanzig Mal einen Jungen missbraucht hat, trotzdem behauptet, er sei eigentlich auf Frauen orientiert – und er glaubt das sogar. Damit vermeidet er eine realitätsbezogene Auseinandersetzung mit sich selbst. Die Neigung ist dann bei ihm ‚desintegriert‛ und er hat keine sexuelle Identität aufgebaut, sondern folgt dem Wunschdenken dahingehend, dass er gerne eine andere sexuelle Identität hätte. Aber das ist eben Schicksal und nicht Wahl.

Prof. Beier, vielen Dank für das Gespräch.


„Der Alltag auf der Welt muss sich ändern“. UNO-Vize Achim Steiner im Interview mit Camilo Jiménez über das Weltklima, 08.03.07

UNO-Vize und UNEP-Chef Achim Steiner spricht über die Folgen des jüngsten Weltklimaberichts, über die Möglichkeit eines Weltklimagipfels und erklärt, warum der Alltag des Menschen sich in den nächsten Jahren rasch verändern wird.

Der am 2. Februar 2007 in Paris veröffentlichte Weltklimabericht des von der UNEP geleiteten IPCC stellte dreierlei fest: Der Klimawandel ist im vollen Zug, der Mensch ist für diesen verantwortlich und es muss dringend gehandelt werden, um das Schlimmste zu vermeiden. Was wird die Strategie der UNO sein, um dies zu erreichen?

Wir konzentrieren uns jetzt auf drei Handlungsprioritäten: Als Erstes, im Rahmen der UN-Klimakonvention schnellstmöglich viel ambitiösere Ziele bei der Reduzierung von CO2-Emissionen zu erreichen. Das Kyotoprotokoll läuft 2012 aus. Wenn wir es Ende dieses Jahres bei der Klimakonventionskonferenz in Bali nicht schaffen, einen signifikanten Sprung vorwärts zu machen, damit wir ein Nachfolge-Abkommen bis 2009 verhandelt bekommen, dann haben wir ein sehr großes Problem. Die erste Priorität ist also, den internationalen Konsens weiter zu stärken. Zweitens: Schnellstmöglich den Entwicklungsländern Mittel und Wissen – vor allem im Bereich der Anpassungsstrategien – bereit zu stellen, um sie dabei zu unterstützen, sich in einer Welt zu bewegen, die vom Klimawandel geprägt ist. Drittens ist unser Ziel auch die sog. Befreiung der Energiewirtschaft vom CO2. Hier wollen wir vor allem im Bereich Energieeffizienz, Energieeinsparungspotenzial und erneuerbare Energien Ländern eine andere Zukunft für die Strom- und Energieversorgung ermöglichen.

Wie genau sollen dies die ärmsten Entwicklungsländer zustande bringen?

Gerade durch die Entwicklung der erneuerbaren Energien gibt es in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren eine Riesenchance für diese Länder. In vielen Ländern Lateinamerikas, Asiens und Afrikas muss sehr viel Energieinfrastruktur ausgewechselt und sehr viel Neues gebaut werden – in China, wie man sagt, muss jede Woche ein Kohlekraftwerk errichtet werden und in Afrika wird eine ganze neue Generation von Energieinfrastruktur mit Milliarden von Dollars gebaut. Wenn wir jetzt einen großen qualitativen Sprung schaffen, haben wir die Energieversorgung für die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre gerade in den Entwicklungsländern beeinflusst.

Es gibt aber sehr wenig Zeit…

Ja, es gibt sehr wenig Zeit und vor allem: Je mehr Zeit vergeht, umso teurer wird es. Davon ist man überzeugt, wenn man den IPCC-Bericht und den Stern-Bericht von 2006 zusammenkoppelt. Nicht zu handeln, hat jetzt einen ökonomischen Preis; dieses ist für viel zu lange Zeit vergessen worden, weil man immer nur berücksichtigt hat, wie viel es kostet, zu handeln. Doch das Nicht-Handeln ist heute teurer geworden als das Handeln. Das ist vielleicht der große Schwenk bei der ganzen Klimadiskussion.

Vor wenigen Wochen haben Sie von der Möglichkeit eines Weltklimagipfels gesprochen. Wie sehen jetzt die Chancen einer solchen Veranstaltung aus und, realistisch betrachtet, was für Ergebnisse könnte ein Weltklimatreffen bringen?

Gemeinsam mit dem Exekutiv-Sekretär des UNO-Rahmenübereinkommens über Klimaänderungen (UNFCC) haben wir dem Generalsekretär in verschiedenen Gesprächen diese Idee vorgeschlagen. Nun hängt es nur davon ab, ob Regierungsoberhäupter und vor allem die Staaten, die die größte Verantwortung für den Klimawandel tragen und auch die größten Handlungsmöglichkeiten haben, ein Interesse daran haben, einen solchen Gipfel zu nutzen.

Haben Sie dabei die Unterstützung des UNO-Generalsekretärs bekommen?

Ja. Klar ist aber, dass Ban Ki-Moon nicht da einberufen wird, wenn die Bereitschaft, einen großen Sprung nach vorne zu machen, nicht da ist. Das Ziel eines solchen Gipfels wäre es, nicht ein Endergebnis zu verhandeln, sondern das Endziel gemeinsam zu vereinbaren und dem Prozess, der dann mit den Verhandlungen für 2012 in Bali beginnen soll, einen höheren Anspruch sowie politisches Moment zu geben. Im Moment handeln auch die Diskussionen, die wir und auch der Generalsekretär mit seinen Mitarbeitern in New York mit verschiedenen Staaten besprechen, darum, ob es irgendwann dazu kommt, dass im Zusammenhang der Generalversammlung im September in New York ein solcher politischer Gipfel stattfinden und somit große Fortschritte ermöglichen kann. Der Gipfel sollte gerade ein Signal davon geben, dass die Vereinten Nationen letztendlich den besten Rahmen bilden, um eine globale Vereinbarung und den Beginn eines Klimaprozesses zu ermöglichen.

Aber sollten Länder wie Indien und China oder Regionen wie Lateinamerika nicht auch mit einbezogen werden?

Es steht zunächst fest, dass die G-8 die Vorreiterrolle übernehmen muss. Denn letztlich sind heute die Industrieländer gefragt, da sie zum großen Teil die historische Verantwortung für den Klimawandel tragen. Nichtsdestotrotz dürfen wir nicht weiter mit der Klimaproblematik so umgehen, dass die einen sagen: Ja, ihr habt das verursacht, also macht ihr erstmal. Und die Anderen sagen wiederum: Ja, wenn ihr nicht mitmacht, dann machen wir nicht weiter; denn z.B. Lateinamerika hat inzwischen auch die Verantwortung für 12% der CO2-Emissionen weltweit. Es ist nicht so, als ob wir Lateinamerika, China, Indien und andere Länder dabei nicht brauchen. Jedenfalls bin ich der Überzeugung, dass der endgültige Auswahl nur stattfinden wird, wenn man am Tisch sitzt und darüber diskutiert, wer hat die größte Verantwortung und wer hat die größten Möglichkeiten, bei der Reduzierung der CO2-Emissionen einen Beitrag zu leisten.

Was lässt Sie denken, dass alle Verantwortlichen – auch die im Privatsektor! – sich diesmal doch für den Klimawandel engagieren werden?

Ich glaube, im Augenblick geschehen drei sehr wichtige Dinge. Erstens: die Öffentlichkeit. Diese hat inzwischen, wenn sie auch nicht unbedingt die Wissenschaft versteht, doch so weit akzeptiert, dass das Phänomen Klimawandel wirklich eine große Bedrohung für unsere Zukunft lokal, aber auch global bedeutet. Und sie verlangt zunehmend von den politischen Führern, dass etwas geschieht. Zweitens ist vor allem in Entwicklungsländern in den letzten Jahren sehr deutlich geworden, dass der Klimawandel sehr wohl Konsequenzen für die Menschen und für die wirtschaftliche Entwicklung hat und dass es daher auch in diesen Ländern ein gesteigertes Interesse daran geben muss, in einem globalen Klimakonsens nach Möglichkeiten zu suchen, wie man auf den Klimawandel reagieren kann. Und drittens: die Unternehmen. Vor drei Wochen hat man in den USA gesehen, wie zehn Unternehmen an George W. Bush geschrieben haben, dass sie eine 30%ige Reduzierung der CO2 Emissionen möchten. Unternehmen, die mit einem 10- bis 20-jährigen Produktions- oder Investitionszyklus arbeiten und globale Unternehmen sind, haben erkannt, dass der Klimawandel zu einer kritischen Variabel, also zu einem Faktor für ihre Wettbewerbsfähigkeiten in der Zukunft wird; und sie wollen letztlich, dass eine globale Vereinbarung ihnen Sicherheit im globalen Markt gibt.

Aber da fehlt doch das Wichtigste: das internationale, politische Engagement.

Ich glaube, diese drei Kräfte schaffen zumindest eine andere Dynamik. Nun kommt es natürlich darauf an, ob einzelne politische Regierungsoberhäupter auch den politischen Willen oder sogar noch mehr den politischen Mut haben, hier eine Führungsrolle zu übernehmen, denn es ist nicht einfach.

Worauf wird sich jetzt der normale Bürger einstellen müssen, um seinen Beitrag für den Stopp des Klimawandels zu leisten?

Der Alltag des Menschen auf der Welt wird sich ändern müssen – für Einige mehr als für Andere. Die Zukunft wird jedenfalls nicht mehr so sein wie die Vergangenheit. Das beginnt damit, dass man schon seit einigen Jahren in vielen Entwicklungsländern erlebt, wie die Extreme zwischen Trockenheit und Flut, Dürre und Überschwemmung immer größere Konsequenzen haben. Z.B. in Kenia erleben wir gerade mit dem El Niño-Effekt die Wiederkehr des Rifttal-Fiebers, eines Phänomens, das nur auftritt, wenn Überschwemmungen in sehr intensiven Regenzeiten stattfinden. Es ist ein Krankheitsherd, der inzwischen 140 Menschen in nur drei Monaten das Leben gekostet hat, eine Krankheit, die sogar vorhersagbar war nach der Erfahrung mit früheren El Niño-Aktivitäten. Also: Im Gesundheitssystem werden sich die Sachen ändern müssen, aber auch in der Landwirtschaft, denn Leute, die in marginalen Zonen landwirtschaftlich tätig sind, werden nicht mehr dort arbeiten und leben können, weil sie dort nichts mehr zu wirtschaften haben werden.

Gemeint war eigentlich der Bürger Europas oder Nordamerikas.

In Europa und in Nordamerika haben wir heute schon viele Möglichkeiten, unseren Konsum so zu verändern, dass wir unsere CO2-Emissionen reduzieren können: beim Häuserbau, Energienutzung, Fahrzeugkauf, Kauf landwirtschaftlicher Produkte, Auswechseln von Glühbirnen. Aber das ist nicht nur in Industrieländern der Fall: Ich habe gehört, dass Kuba in den nächsten zwei Jahren alle Glühbirnen und alle Eisschränke auf der Insel ersetzen will – tolle Aktion! Damit spart sich das Land ein gesamtes Kraftwerk ein, das es sonst bauen müsste. Das sind Beispiele, wie auch der Einzelne heute bereits einen Beitrag leisten kann, der – kollektiv zusammengezählt – sehr wohl einen Unterschied macht.

Wie will die UNEP die Einleitung solcher neuen Gewohnheiten bewirken?

Das wird vor allem durch unsere Arbeit an den Richtlinien für den im Rahmen des Kyotoprotokolls gültigen Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM) stattfinden. Wir haben gerade eine große Vereinbarung getroffen, um gemeinsam vor allem den Ländern Afrikas und den ärmsten Entwicklungsländern aktiv dabei zu helfen, in den CDM zu kommen. Im Bereich der erneuerbaren Energien machen wir zurzeit große Fortschritte: Wir haben eine Studie gemacht in einer ganzen Reihe von Ländern, wo wir das Investitionspotenzial für erneuerbare Energien auf der Grundlage einer Potentialanalyse für Solar- und Windenergien gemacht haben. Damit ermöglichen wir einzelnen Ländern in Afrika, an Investoren heranzutreten. Also zu sagen: Hier, das hat die UNO als unser Potenzial anerkannt, habt ihr Interesse zu investieren?

Ein Beispiel?

Wir arbeiten mit einem Teeproduzenten in Kenia, wo wir Kleinwasserkraftwerke einbringen, um Dieselaggregate durch normale, fossile Brennstoffe nutzende Stromgeneratoren zu ersetzen. Sein Geschäft wird nicht beeinträchtigt, und dafür haben wir es zu einem umweltfreundlichen Unternehmen gemacht.

In einer Mitteilung unterstrich vor kurzem Ban Ki-Moon, dass gerade die ärmsten Drittweltländer diejenigen sein würden, die am meisten von der Umweltkatastrophe betroffen wären. Wie kann die Dritte Welt vor dem Schreckenszenario, das der IPCC-Bericht für sie mit klaren Worten voraussagt, gerettet werden?

Wir sind im Moment an einem Punkt, in dem in den Regierungen sowie in den Unternehmen der Dritten Welt endlich das Bewusstsein dafür geschärft werden muss, dass wir die Veränderung des Klimas in unsere gesamte Entwicklungsplanung einbeziehen müssen. Zum Einen: Wie gehen wir mit der Infrastruktur um, die wir heute schon haben? Wie passen wir uns mit diesem Kapitalstock an eine Welt an, die morgen anders sein wird als heute? Und Zweitens: Wie schaffen wir es, in den Investitionen und in der Infrastruktur, Transport, Verkehr, Energie, heute schon eine Klima orientierte Investition zu schaffen, die Ländern wie z.B. Peru, Kolumbien oder Argentinien ermöglicht, diese Chance nicht zu verpassen?

Was heißt das konkret?

In den nächsten Jahren werden wir noch extremere Entwicklungen erleben, die den Preis des Klimawandels vor allem für Entwicklungsländer noch weiter hoch schrauben wird. Die beste Antwort auf die Frage, wie sich Entwicklungsländer vor der Katastrophe noch retten können, ist: Sie müssen sich vorbereiten. Deswegen gibt es jetzt eine hitzige Diskussion über Anpassungsstrategien: Man muss beobachten, was in den jeweiligen Küstenzonen passiert, was in den Staudämmen passiert, die gebaut worden sind auf der Grundlage von hundertjährigen Regenfallstatistiken und der Hundertjahresflut, die heutzutage in zwei Jahren zwei Mal stattfindet. Das heißt, Länder müssen vorbeugen und gerade da haben auch die internationale Gemeinschaft, die UNO, aber auch die Entwicklungszusammenarbeit eine sehr wichtige Rolle zu spielen. Das hat mit Grundelementen zu tun wie der Entwicklung von Modellen, der Ermöglichung von Technologietransfer und der Unterstützung bei Infrastrukturentwicklung.

Seit Beginn Ihres Amtes als Leiter der UNEP folgen Sie einer Richtlinie, die die Marktwirtschaft sowie die Strategien der nachhaltigen Entwicklung zusammen zu bringen versucht. Was für Erkenntnisse haben Sie hierzu nach einem Jahr Erfahrung als UNO-Untersekretär gewonnen?

Unsere Wirtschaft, ob sie nun national oder global betrachtet wird, ist ja heute so, dass vom lokalen Wochenmarkt bis zum Weltmarkt letztendlich ein großer Teil unserer Konsum- und Produktionsentscheidungen in einem Marktkontext getroffen werden. Lange Zeit haben wir den Markt als ein natürliches Phänomen betrachtet, nach Gesetzen funktionierend, die wir überhaupt nicht beeinflussen können. Das Interessante der letzen hundert Jahre ökonomischer Entwicklung ist, dass wir immer wieder bewiesen haben, dass wir Märkte schaffen und sie auch prägen durch ethische oder andere Grundsätze, die wir dann versuchen, in einer marktkonformen Gesetzgebung festzuhalten. Wir leben heute schon in regulierten Märkten und ich glaube, die wichtigste Transformation der nächsten Jahre wird es eben sein, unser Wissen über Klimawandel in einem Marktkontext auch gesetzlich und rechtlich zu verankern, damit Unternehmen anders arbeiten. Denn wir subventionieren ja heute unseren Konsum, als gäbe es morgen keinen Preis zu zahlen! Heute wissen wir schon, dass es diese Kosten geben wird: Wir müssen sie nur mit ökonomischen oder gesetzlichen Instrumenten so gestalten, dass der Einzelne sowie die Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes anders handeln können. Dann schaffen wir auch die Transformation.

Geben Sie ein Beispiel.

Hier in Deutschland, das Energieeinspeisungsgesetz. Deutschland hat es geschafft, innerhalb von sechs Jahren mit einer einzelnen Gesetzgebung zum größten Windkraftproduzenten zu werden, indem es den Kapitalmarkt, die Unternehmen und die Konsumenten in ein neues Verhältnis zueinander gesetzt hat. Das sind die Beispiele der Zukunft.

Deutschland ist aber weltweit fast die absolute Ausnahme.

Dann nehmen wir Brasilien, das heute den Weltrekord hält für die Anzahl der Motoren, die mit dem Doppelsystem Benzin und Ethanol fahren können. Das ist rein aufgrund brasilianischer staatlicher Förderungspolitik geschehen. Auch Brasilien hat bewiesen, dass es in den letzten dreißig Jahren sehr wohl Markt regulierende Signale entwickelt hat, die eine andere Art von Energiemix ermöglichen.

In Deutschland erwägt man den Wiedereinstieg in die Atomkraft zur Eindämmung der Energie- und Umweltproblematik. Sind Atomkraftwerke tatsächlich eine Lösung für den Klimawandel?

Technologisch gesehen sind sie ohne Zweifel eine Option. Die Frage, die man sich stellen muss, darf aber nicht nur über den kurzfristigen Gesichtspunkt „CO2-Emissionen“ getroffen werden, sondern es bleiben weiterhin drei Kernfragen, die die Befürworter der Kernkraft beantworten müssen, wenn Letztere ein Teil des Energiemix’ der Zukunft werden soll: Das Erste ist die ökonomische Kosten-Nutzen-Bilanz; es gibt immer noch große Zweifel, wie man den vollen Kostenzyklus mit hereinnimmt, d.h. ob eigentlich die Kernkraft betriebs- und volkswirtschaftlich konkurrenzfähig ist. Zweitens haben wir immer noch das Problem, dass wir bis heute nicht wissen, wie wir eigentlich mit dem Phänomen des Atommülls umgehen sollen. Und drittens leben wir in einer Welt, in der nukleare Proliferation und auch Terrorismus die Sicherheitsfrage eher noch erhöht haben im Vergleich zu früher. Die Welt braucht klare Informationen, um sich dann entscheiden zu können, ob eigentlich die Kernkraft wirklich ein Schlüssel ist für die Energieproblematik.

Herr Steiner, vielen Dank für dieses Gespräch.


Wirtschaftlicher und sozialer Umbruch weltweit…wann? UNO Vizegeneralsekretär José Antonio Ocampo im Interview mit Camilo Jimenez, 12.01.07

Interview* mit dem UNO Vizegeneralsekretär José Antonio Ocampo

Auch im Wirtschafts- und Sozialbereich ist der Prestigeverlust der UNO nichts Neues. Schon während der achtziger und neunziger Jahre büßte die Hauptabteilung für Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten heftig an Einfluss ein, als die Weltbank und andere Organisationen die Zügel der Weltwirtschafts- und -sozialordnung übernahmen. Aus dieser Ohnmacht heraus zu kommen und eine regulierende und letztendlich definierende Rolle im wirtschaftlichen und sozialen Geschehen zu spielen, sind die Ziele des UNO Vizegeneralsekretärs José Antonio Ocampo. Im Gespräch mit dem AVINUS Magazin sprach der seit 2003 amtierende Leiter der Hauptabteilung für Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten über Armut und Elend, über die Weltwirtschaftslage und über seine Bemühungen auf der weltpolitischen Spitze.

Ein weiteres Jahr ging zu Ende und die Jahresberichte der UNO enthüllen einen katastrophalen Zustand der Weltgemeinschaft: Armut und Ungleichheit nehmen zu, die Arbeitslosigkeit gerät sogar in den Industrieländern außer Kontrolle, Hunger und Elend kosteten letztes Jahr Millionen von Menschen das Leben. Wie sehen Sie als Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen und Leiter der Hauptabteilung für Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten diese Situation?

Lassen Sie mich das Ganze auf die wirtschaftlichen und sozialen Themen konzentrieren. In Wirklichkeit ist die Situation viel besser als die etwas düsteren, in der Welt kursierenden Bilder es annehmen lassen. Als Gruppe erleben die Entwicklungsländer seit vier Jahren ihre größte wirtschaftliche Wachstumsperiode seit langer Zeit. Sie sind dieses Jahr durchschnittlich um 6,5% gewachsen. Gleichzeitig erlebte der afrikanische Kontinent dieses Jahr die wirtschaftliche Blütezeit seiner Geschichte. Obwohl es bisher noch keine Schätzungen für Probleme wie extreme Armut gibt, sehen wir somit eine Verbesserung der Situation in Teilen der Welt, in denen es bisher keine starken Signale der Verbesserung gab. Auch in Lateinamerika, wo die Armut durch die Krise Ende der neunziger Jahre zugenommen hatte, beginnen die Zahlen dieses Jahrhundert zurückzugehen.

Aber die Zahlen zeigen, dass weltweit – und besonders in Lateinamerika – weiterhin eine groteske Ungleichheit herrscht. Die Hälfte des globalen Vermögens gehört 1% der Weltbevölkerung und 40% der lateinamerikanischen Bevölkerung lebt noch immer in extremer Armut.

In keinster Weise. Ich bin fest davon überzeugt, dass Lateinamerika die extreme Armut beseitigen kann. Klar sind die enormen Ausmaße der Ungleichheit immer noch das große Problem. Aber selbst in Bezug auf diese Ungleichheit, auch wenn die Geschichte bis heute das Gegenteil zeigt, ist Fortschritt möglich. Darüber hinaus muss man berücksichtigen, dass jegliche Maßnahme gegen die Ungleichheit unweigerlich eine langfristige Maßnahme ist. An erster Stelle muss man den Aufbau eines Bildungskapitals, eines höheren Bildungsstandards – und zwar eines qualitativ hochwertigen – für die ärmsten Schichten der Bevölkerung ermöglichen. Gleichzeitig müssen Mechanismen entwickelt werden, die den kleinen Produzenten und Unternehmen, besonders in ländlichen Gegenden, Zugang zu Land und Technologien verschaffen und die gleichfalls einen aktiven Gebrauch des Steuer- und besonders des Finanzsystems erlauben, um die Verteilung des Einkommens zu verbessern. In einigen dieser Maßnahmen, muss ich sagen, machen viele lateinamerikanische Länder Fortschritte. Ergebnisse werden wir erst längerfristig sehen.

Man sieht aber mehr Rückschritte als Fortschritte…

Das liegt daran, dass diese Fortschritte eben auch Rückschritte mit sich bringen: Zwei Schritten nach vorne folgt meist ein Schritt nach hinten. Sehen wir uns zum Beispiel die Bildung an. Zweifelsohne ist Lateinamerika in Sachen Bildung vorangekommen – das ist eins der Millennium-Entwicklungsziele, das auf diesem Kontinent mit Sicherheit erreicht werden wird. Gleichzeitig deuten allerdings viele Daten an, dass sich die Spaltung, die das Bildungssystem verursacht, in vielen Ländern immer mehr besonders in der Kluft zwischen privater, qualitativ hochwertiger und öffentlicher Bildung widerspiegelt. Insofern bietet das Bildungssystem zwar einerseits höhere Ausbildungsstandards für die ganze Bevölkerung, entfernt sich aber andererseits in gewissem Sinne von der Bevölkerungsmehrheit. Infolgedessen sind die Fortschritte ambivalent. Und dies kann man nur langfristig lösen, indem man die Qualität der öffentlichen Bildung signifikant verbessert.

Von der UNO unabhängige Organisationen entwickeln seit einigen Jahren Modelle, durch die beispielsweise die extreme Armut beseitigt werden könnte. Wie sieht die UNO das vom Basic Income Earth Network (BIEN) angestoßene Projekt zur Einführung eines weltweiten Grundeinkommens?

Einige von diesen Modellen werden zurzeit in Lateinamerika umgesetzt; sie gehen in eine entsprechende Richtung und haben ihre Ziele tatsächlich erreicht. Besonders in Brasilien durch die so genannte Bolsa Familia und in Mexiko durch das Programm Oportunidades, wo armen Familien ein Grundeinkommen angeboten wird unter der Bedingung, dass die Kinder zur Schule und die Mütter zu regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen gehen, hat man gezeigt, dass Initiativen dieser Art interessante Alternativen sein können. Es sind Instrumente, die – ohne große staatliche Gelder zu kosten – eine Verbesserung der Verhältnisse in den ärmsten Haushalten erzielen. Das kann als eine Art Grundeinkommen betrachtet werden und hat den zusätzlichen Vorteil, dass es mit Verbesserungen im Bereich der Bildung und der Gesundheit verbunden ist.

Warum erhalten diese Projekte dann keine umfassende Unterstützung?

Das Problem ist, dass diese Mechanismen in Konkurrenz treten mit anderen staatlichen Formen der finanziellen Unterstützung. Also, wenn eine Regierung diesbezüglich zu einem Entschluss kommen muss, stellt sie fest, dass es nicht so viel Sinn hat, solchen Programmen Geld zuzuweisen, wenn für Investitionen oder die Gesundheit Geldmittel fehlen. Daher sehen sich die Staaten vielmals gezwungen, Entscheidungen zu fällen, die nicht unbedingt die günstigsten sind. Grundsätzlich denke ich, dass das Grundeinkommen eine gute Option ist. Aber man sollte immer vor Augen haben, dass es noch anderen Bedarf nach öffentlichen Geldern gibt und dass immer eine Auswahl getroffen werden muss.

Mit den Millennium-Villages der UNO wurde durch ein groß angelegtes soziales Projekt ein Meilenstein zur Verbesserung der Situation der ärmsten Schichten in den Entwicklungsländern gesetzt. Was hat die UNO aus ihrer Erfahrung mit den Millennium Villages gelernt?

Die Millennium Villages sind ein Pionierprojekt und es gibt bereits verschiedene Beispiele, hauptsächlich in Afrika. Ich glaube, dass es ein interessantes Modell ist. Trotzdem bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass der Fortschritt der Gesellschaft in Bezug auf die Millennium Entwicklungsziele unbedingt über den Staat laufen muss. Es ist der Staat, der die grundlegenden sozialen Dienste zur Verfügung stellen muss. Aus diesem Grund sollte man nicht versuchen, die eigentlich staatlichen Programme durch zusätzliche Mechanismen zu ersetzen. In den armen Ländern beobachten wir oft, dass durch zielgerichtete Aktionen – sogar Aktionen der NGOs – versucht wird, parallel zum Staat zu arbeiten, obwohl ja eigentlich alles über den Staat laufen müsste. In allen Ländern dieser Welt, die zumindest in Bezug auf die Überwindung grundlegender sozialer Probleme große Fortschritte gemacht haben, ist der Staat die treibende Kraft gewesen. Die Millennium Villages sind wichtig, sofern sie in andere, umfassendere staatliche Programme eingegliedert werden. Für die armen Länder gibt es zurzeit bei uns in der UNO viel Aufmerksamkeit in dieser Sache, denn die Wahrheit ist, dass viele dieser sozialen Programme parallel zum Staat durchgeführt werden, was langfristig nicht die erhofften Wirkungen erzielen wird, da sie nicht im Sinne des State Building den Staat aufbauen – das aber ist nötig für alle diese Länder, um voranzukommen.

Die Amtszeit Kofi Annans hinterlässt die UNO, was ihre Teilnahme an der internationalen Politik angeht, als geschwächte Organisation. Empfinden Sie einen ähnlichen Verlust an Glaubwürdigkeit und Partizipation in der Abteilung für Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten?

Auf dem Gebiet der Entwicklung ist die Amtszeit Kofi Annans durch drei große Meilensteine gekennzeichnet: Der erste ist der Millenniumsgipfel und die Millennium Entwicklungsziele, die dort ausgerufen wurden, sowie seine Fortsetzung im Jahre 2005. Diese beiden Ereignisse brachten die meisten Staatschefs in der Weltgeschichte an einem Ort zusammen. Die Entwicklungsziele sind zu einer Leitlinie der internationalen Agenda geworden: Die europäischen Zusammenarbeitsorganisationen haben sie aufgegriffen; die Empfängerländer haben sie angenommen; die Niedrigeinkommensländer agieren in allem, was ihre Beziehungen mit der Internationalen Gemeinschaft betrifft, im Rahmen dieser Agenda; und gleichfalls hat jede Entwicklungsbank diese Agenda ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit gerückt. Sogar die Islamische Entwicklungsbank hat vor einem Monat während einer Generalversammlung bezüglich der Entwicklungsziele, insbesondere ihrer Kooperation mit Afrika, diese Agenda präsentiert.

Und die anderen beiden Meilensteine?

Der zweite Meilenstein stellt die Monterrey-Konferenz für die Finanzierung der Entwicklung im Jahr 2002 dar. Dieser Gipfel ist sehr wichtig, weil er zum Rahmen der ersten internationalen finanziellen Zusammenarbeit der Geschichte wurde. Und aus dem so genannten Monterrey-Konsensus entstand das Konzept des Global Partnership for Development, die Idee, dass die Weltentwicklung nur aus einem Zusammenschluss von Industrie- und Entwicklungsländern entspringen kann. Jener hat ebenso seine Tragkraft in Hinblick auf die nationalen Bemühungen und auf die internationale Zusammenarbeit in Handels- und Finanzfragen, besonders im finanziellen Bereich entfaltet der Monterrey-Konsensus seine ganze Reichweite. Der dritte Meilenstein ist der Gipfel von Johannesburg im Jahre 2002, der auf den Erdgipfel in Río de Janeiro folgte. Dieser Gipfel ist sehr wichtig, da hier die Agenda für nachhaltige Entwicklung auf internationaler Ebene wieder aufgegriffen wurde– damit blieb sie im Zentrum der Aufmerksamkeit.

In welchem Zustand haben Sie die Hauptabteilung für Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten 2003 übernommen und wo haben Sie den Schwerpunkt gesetzt?

Diese Abteilung war das Ergebnis einer Fusion dreier Abteilungen. Als ich hier ankam, spürte man die Spaltung noch stark. Die Hauptfunktion der Abteilung ist es, die Entwicklungsdebatte der UNO zu unterstützen – ich meine die Debatte in der Generalversammlung, im Wirtschafts- und Sozialrat, in den mannigfaltigen Hilfsorganen und bei den Fortsetzungen der internationalen Gipfel. Mein Ziel war es, der Abteilung ein klares Konzept zu geben, das ihre Einheit sicherstellen würde. In unseren internen Diskussionen sage ich oft, dass ich diese Abteilung übernommen habe wie einen Zusammenschluss von unabhängigen Republiken – und es geschafft habe, daraus eine föderale Republik aufzubauen. Wir sehen uns nun also wie ein Zusammenschluss von Entitäten mit einer gemeinsamen Agenda, der so genannten UNO-Entwicklungsagenda, die nichts anderes ist als das Ergebnis aller Weltgipfel der UNO. Dies war für mich die größte interne Organisationsaufgabe, als ich in dieser Abteilung anfing.

Während der achtziger und neunziger Jahre verlor Ihre Abteilung an Einfluss auf das Weltgeschehen. Wie kann Ihre Abteilung aktuell ihre Position von den großen Organisationen zurückerobern, die während der letzten zwanzig Jahre ihre Funktionen übernahmen?

Ich habe einen besonderen Schwerpunkt darauf gesetzt, die analytische Qualität der UNO-Arbeiten zu verbessern. Die Wahrheit ist, dass die analytische Aufgabe und die technische Kooperation der Vereinten Nationen in den achtziger Jahren an zweite Stelle gerückt sind. Die Weltbank übernahm Aufgaben, die traditionellerweise in den Arbeitsbereich der Vereinten Nationen fielen, in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren beispielsweise, was die Kooperation und Entwicklung angeht. In den achtziger Jahren wurde von den Weltmächten eine explizite Entscheidung gefällt, diese Aufgabenbereiche der Weltbank zu übertragen. Ich glaube, dass wir uns in einem Prozess der Wiedergewinnung dieses Terrains befinden, und dazu brauchen wir eine höhere technische Qualität unserer Arbeitsergebnisse.

…und auch eine größere Legitimität vor den Mitgliederstaaten der UNO.

Natürlich, langfristig wird das das Wichtigste sein. Durch diese Abteilung bin ich zum Befürworter zweier Dinge geworden, die letztendlich bedeutungsvoll für die Zukunft sein werden: zum einen die Reform des Wirtschafts- und Sozialrats. Diese Reform haben wir ins Rollen gebracht und sie ist erst vor wenigen Monaten durch die Generalversammlung bestätigt worden. Es war eine lange Debatte, aber die Kernideen stammen aus dieser Abteilung. Die Ideen waren nämlich die Errichtung eines Kooperationsforums mit Weltcharakter im Rahmen des Wirtschafts- und Sozialrats und die Schaffung eines viel stärkeren Mechanismus der Accountability für die Kompromisse, die die Länder in wirtschaftlichen, sozialen und Umweltfragen während der UNO-Gipfel erzielt haben. Langfristig glaube ich, dass die UNO einen ähnlichen Mechanismus haben wird wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die Object Management Group oder der Internationale Währungsfonds, die Gegenstand eines regelmäßigen Peer-Reviews sind. In Sachen Wirtschaft und Soziales existiert so etwas nicht in der UNO. Es existiert kein Kontrollmechanismus, der es ermöglicht herauszufinden, welche Kompromisse die jeweiligen Länder geschlossen haben, und der regelmäßig und öffentlich darüber Auskunft gibt, wer den Kompromiss erfüllt hat und wer nicht – was letztendlich die Aufgabe all dieser Organisationen ist. Und die zweite große Aufgabe ist es, systematisch zu arbeiten. Dabei ist die Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Entwicklungsprogramm der UNO, den Regionalkommissionen und mit der UNTA (United Nations Regular Programme of Technical Assistance) bisher unser großer Erfolg gewesen.

Kommen wir zu Europa. In Ländern wie Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien und England sorgt man sich über Arbeitslosigkeit, Verstärkung des Elends und Abbau des Sozialstaats aus. Wie sehen Sie diese Veränderungen?

Im lokalen bzw. nationalen Kontext erscheinen die Veränderungen sehr tief greifend, aber aus weltweiter Perspektive sieht man eher das Überleben der europäischen Sozialstaaten, nicht ihren Abbau. Es gibt wichtige Anpassungen, die am so genannten Sozialstaat vorgenommen werden müssen und die derzeit auch vorgenommen werden, um ihn finanzierbar zu machen, vor allem angesichts der verschiedenen demographischen Veränderungen, die zurzeit in Europa stattfinden. Aber ich glaube nicht, dass man ernsthaft von einem Abbau des Sozialstaates sprechen kann. Wie üblich wird die politische Debatte je nach Kontext mit viel härteren Worten ausgefochten als sie in Wirklichkeit ist.

Was wird mit den Wirtschaften Lateinamerikas passieren, wenn die so genannte politische Linkswende die traditionellen Beziehungen zwischen den lateinamerikanischen Ländern verändert?

Die Linkswende hat einige Anspannungen erzeugt, aber im Grunde genommen glaube ich, dass der Integrationsprozess, was die Wirtschaft angeht, schon sehr weit fortgeschritten ist. Ich meine den freien Handel zwischen den lateinamerikanischen Ländern, welcher weiter vorankommen muss und wird. Obwohl der Fortschritt nicht schnell vonstatten ging, beobachte ich mit besonderem Interesse die Programme zur Infrastruktur und Integration in der Region. Obgleich es Erfolge auf diesem Gebiet gegeben hat, bleibt viel zu tun. Auf der anderen Seite glaube ich, dass der politische Wandel etwas offenbart hat, das alle Regierungen anerkennen müssen, und zwar, dass die neoliberalen Reformen in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts sehr wenig auf dem Kontinent erreicht und aus einer sozialen Perspektive mehr geschadet als genutzt haben. Also heißt es, eine neue Agenda zu gestalten, in der mehr Gleichgewicht zwischen Staat und Wirtschaftsmarkt herrscht, als man es vor 15 oder 20 Jahren für nötig hielt.

Herr Ocampo, vielen Dank für das Gespräch.


* Das Interview wurde von Britta Astrid Verlinden aus dem Spanischen übersetzt.

Poesie gegen die Kultur des Todes. Fernando Rendón im Interview mit Camilo Jiménez, anlässlich der Verleihung des Alternativen Nobelpreises 2006, 08.12.06

Eine gekürzte Version dieses Interviews erschien am 6. Dezember 2006 in der kolumbianischen Tageszeitung El País (www.elpais.com.co).
 
Das Interview wurde von Britta Astrid Verlinden übersetzt.
 

Das Internationale Festival der Poesie in Medellín (FIPM), Kolumbien, ist das größte und eins der renommiertesten Poesiefestivals der Welt. Als es 1991 vom Dichter Fernando Rendón gegründet wurde, war die weltberühmte Mafiastadt Medellín eine der gefährlichsten und gewalttätigsten Städte der Welt. Ein blutiger Krieg zwischen den von Drogenkartellen geforderten Paramilitärorganisationen und dem kolumbianischen Staat herrschte damals im Lande, und im Mittelpunkt der Kämpfe stand mit rund 60 Toten pro Tag Medellín als „Welthauptstadt der Gewalt“.

Es war in diesen Gewaltjahren, dass ca. 4000 Mitglieder der linksliberalen Unión Patriótica (UP, Patriotische Union) sowie schätzungsweise 2500 Gewerkschafter systematisch eliminiert wurden. Mitte der 80er Jahre hatte der kolumbianische Präsident Belisario Betancurt einen enormen Erfolg, als 1984 der Waffenstillstand von den Guerrillaorganisationen im Land unterzeichnet wurde. Die Friedenspolitik des Präsidenten stieß jedoch auf allen Seiten auf erbitterten Widerstand, wurde von Paramilitärs, Militärs und Politikern behindert und führte dann zu einer weiteren Eskalation des bewaffneten Konfliktes.

Die Krise erreichte ihren Höhepunkt, als 1985 die Guerillagruppe M-19 den Justizpalast in Bogotá besetzte. Die darauf folgende blutige Erstürmung der Militärs hinterließ hunderte von Toten, den niedergebrannten Palast und eine äußerst kritische politische Lage, in der die Bevölkerung Kolumbiens Opfer von Angst und Gewalt wurde. 4 Jahre folgten, in denen jedwede Friedensbemühung im Land scheiterte. Es waren aber 4 Jahre, in denen die Regierungskritiker, die sich noch nicht den Guerillaorganisationen im Urwald anschließen und zu den Waffen greifen wollten, hatten zunächst immer noch die Patriotische Union als einzige politische Bühne der Opposition. Die 1989 durchgeführten Massaker an den Mitgliedern der linken Patriotischen Union verstärkte jedoch das allgemeine Klima des Misstrauens und vertiefte den gewalttätigen Konflikt in Kolumbien in einem bis dahin nicht gekannten Maß.

Es war in dieser Zeit, dass die Dichter Fernando Rendón und Ángela García die Idee hatten, ein Poesiefestival zu gründen, das in Medellín stattfinden und die Dichtung als „Waffe gegen den Terror“ verwenden sollte. 13 Mitglieder des renommierten Literatur Magazins Prometo, dessen Herausgeber Rendón und García waren, sammelten ihre Kräfte zusammen und veranstalteten 1991 das Poesiefestival. Das FIPM gilt bis heute als Protestakt gegen die politische Gewalt in Kolumbien. Die Verwendung der Dichtung als Waffe gegen den Terror ist bis heute die Grundidee des Festivals geblieben.

Über achtzig Dichter aus 55 Ländern nehmen jährlich am Festival teil, dessen 17. Ausgabe im Juli 2007 mit der Teilnahme von namhaften Belletristen wie Hans Magnus Enzensberger, Breyten Breytenbach und Elke Erbe stattfindet. Das Festival ist das größte Poesiefestival der Welt und ein außerordentliches Ereignis: Auf den gefährlichen Straßen Medellíns, in Parks, Wohnvierteln, Theatern, Universitäten, Schulen und Bibliotheken tragen die Dichter während 10 Tagen ihre Werke in mehr als 60 Sprachen und Dialekten vor. Rund 200 000 Besucher in 33 kolumbianischen Städten und Dörfern hören die rund 900 öffentlichen Lesungen.

 

Der Alternative Nobelpreis

„Das FIPM hat bewiesen, dass die Kreativität, die Schönheit, die freie Meinung und die Gesellschaft gegenüber einer Lage der tief greifenden Angst und Gewalt zusammen gedeihen und diese Lage überwinden können“, so die Erklärung der Stiftung Right Lifelihood Award, die Fernando Rendón und den Organisatoren des FIPM den Alternativen Nobelpreis 2006 am 8. Dezember verlieh. Der 1980 gestiftete Alternative Nobelpreis (der nur in Deutschland als solchen gekannt und offiziell Right Lifelihood Award genannt wird) wird jährlich an 3 oder 4 Preisträger verliehen. Sie wurde von einer Gruppe Intellektueller und Politiker in Schweden gegründet, als der Vorstand der Nobelstiftung den Vorschlag des ehemaligen Mitglieds des Europäischen Parlaments Jakob Uexküll ablehnte, einen Nobelpreis für Ökologie und Entwicklung zu vergeben. Daher ehrt der Alternative Nobelpreis Menschen oder Organisationen, die „Lösungen zu den dringendsten Problemen unserer Zeit finden und umsetzen.“ Aus diesem Grund ist der Preis nicht in strengen Kategorien geordnet. Seit 20 Jahren bekommen den Alternativen Nobelpreis Umweltschützer, Friedensaktivisten, Menschenrechtskämpfer sowie prominente Menschen aus den Bereichen Entwicklung, Kultur, Verbraucherschutz, Bildung, Gesundheit, Energie und Ressourcenschonung.

Ende November 2006 befand sich Fernando Rendón, Direktor des FIPM, auf seinem Weg nach Stockholm, wo er den Alternativen Nobelpreis bekam, in Berlin. Im Gespräch mit dem AVINUS Magazin spricht Rendón über die Schwierigkeiten, heutzutage das Festival in Kolumbien zu veranstalten, und über die Kultur des Todes in Kolumbien.

Wie haben Sie nach 14 Jahren des unerbittlichen Kampfes für das Überleben des Internationalen Festivals der Poesie in Medellín (FIPM) die Ankündigung aufgenommen, dass Ihnen der Alternative Nobelpreis verliehen wird?

Wir erhalten diese Auszeichnung als Anerkennung der weltweiten Einzigartigkeit des FIPM. Wir waren mit einer krassen Situation des Terrors und der Gewalt konfrontiert und haben teilweise zu ihrer Überwindung beigetragen. Ich sage teilweise, weil die paramilitärischen Gruppen Kolumbiens weiterhin viele Zonen Medellíns beherrschen. In der Begründung des Alternativen Nobelpreiskomitees heißt es, „die Verleihung dieses Preises ehrt den Mut und die Hoffnung in Momenten der Verzweiflung.“ Ich sehe das genauso und freue mich sehr, dass unsere jahrelangen Bemühungen nun belohnt werden. Wir möchten diesen Preis den jungen Menschen in Kolumbien widmen, da sie die eigentlichen Kämpfer für den Frieden sind.

Und was wird aus den 200 000 Euro, mit denen der Preis dotiert ist?

Wir befinden uns seit vielen Jahren in einer defizitären Situation. Vor kurzer Zeit verlangte der kolumbianische Staat eine Steuernachzahlung in Höhe von ca. 30 000 Euro von uns. Wir haben also Verwendung für einen guten Teil des Preisgeldes. Darüber hinaus wollen wir auch das Festival finanziell stärken, denn dies ist der einzige Weg, uns Kredite zu verschaffen und unser Poesie-Projekt auch in schwierigeren Zeiten erhalten zu können.

Das FIPM ist das größte Poesiefestival der Welt. Wie kam es zu seiner Gründung und wie erreichte es solche Anerkennung?

Ich war immer der Meinung, dass die Poesie ein außergewöhnliches Gut ist, zu dem jeder Mensch Zugang haben sollte. In Zeiten, in denen das kollektive Leben eine sekundäre Rolle in der Gesellschaft spielt, bleiben den meisten Menschen ihre Gemeingüter verwehrt. Ich wollte nicht, dass dasselbe für das Gemeingut Poesie passiert. Poesie ist in meinen Augen ein Erbe der Menschheit. Und 1991, nach dem Genozid der Unión Patriótica in Kolumbien und mitten im Krieg zwischen dem Medellínkartell und dem kolumbianischen Staat, also in einer Epoche, in der die Bürger Medellíns den Terror dieses Krieges am eigenen Leib erfahren mussten, entschied ich mich, diesem Terror die Poesie entgegenzusetzen. Meine Absicht war es, ein Projekt aufzubauen, mit dem ich die Poesie nach und nach in alle Bereiche der Gesellschaft einführen könnte – und zwar für den Frieden.

Um sich am Leben zu halten, musste das FIPM seit seiner Entstehung große Hindernisse überwinden, die oft sogar von staatlichen kolumbianischen Institutionen ausgingen. Inwiefern wird sich diese Situation nach der Verleihung des Alternativen Nobelpreises Ihrer Meinung nach ändern?

Wir haben immer große Probleme gehabt, vorwärts zu kommen. 2003 unterrichteten uns die Paramilitärs, dass sie uns mit Kugeln durchsieben würden, sollten wir in Kolumbien das Erste Weltgipfeltreffen der Poesie für den Frieden veranstalten. Die Person, die uns diese Drohung mitteilte, war niemand Geringeres als ein Funktionär des Präsidialamtes der kolumbianischen Republik. Derselbe Funktionär – was für ein Zufall! – legte uns einige Tage später nahe, dass auch das Präsidialamt der Planung dieser Veranstaltung nicht gerade wohlwollend zusehe, da das FIPM schon genügend politisch ausgerichtet sei – was eine Lüge ist. Das FIPM hatte nie die Absicht, den kolumbianischen Staat zu verärgern, sondern hat im Gegenteil immer versucht, Brücken zu schlagen zwischen dem Staat und den verschiedenen Sektoren, die an der Schaffung eines Rahmens für den politischen Dialog in Kolumbien interessiert sind. Auf der anderen Seite hat es auch Hindernisse auf finanzieller Ebene gegeben: Praktisch alle Bürgermeister Medellíns, außer dem jetzigen, strichen während ihrer jeweiligen Amtszeit jegliche Zuschüsse für das Festival. Ebenso haben wir Widerstand durch die Medien erfahren. Anfangs begeisterten sie sich für die Entstehung des FIPM, aber als sie begriffen, dass unsere Organisation nicht manipulierbar war, ließ die Berichterstattung nach. Angesichts dieser Situation machen wir heute sämtliche Öffentlichkeitsarbeit alleine. Dazu kommt, dass El Mundo, eine renommierte Zeitung Medellíns, vom Staat einmal verlangte, unsere Förderung komplett einzustellen. Mir scheint, dass all das über die politischen Absichten der Medien in Kolumbien hinaus auch eine Konsequenz des mangelnden Wissens um die Natur der Poesie vieler Kulturjournalisten im Lande ist.

Und welches Verständnis haben die Organisatoren des FIPM von der Natur der Poesie?

Im Unterschied zu den Kulturredakteuren Kolumbiens verstehen wir die Poesie – und das wird jeden Tag nötiger – als eine Form der Erkenntnis, der Interpretation und der Transformation der Realität.

In einem von Ihnen veröffentlichten Kommentar zur Preisverleihung schreiben Sie: „Die Auszeichnung ist eine Anerkennung der historischen Rolle der Poesie und des Geistes im Widerstand zur Kultur des Todes.“ Was meinen Sie mit der „Kultur des Todes“?

Die Kultur des Todes ist die Kultur des Krieges, die der kolumbianische Staat offen fördert. Diese Kultur kommt zum Vorschein, wenn die paramilitärischen Organisationen Kolumbiens erklären, dass 60% des Senats in ihren Händen ist, und dies niemand im Land dementiert. Diese Kultur spiegelt sich in der Tatsache wider, dass im Laufe der letzten Monate immer mehr Mitglieder des kolumbianischen Kongresses sich in Strafprozessen wieder finden. Sie drückt sich auch aus in Fällen wie dem des Senators Álvaro Araujo, der kürzlich verkündete, sollte er aufgrund vermeintlicher Verbindungen zu den Paramilitärs in einen Prozess verwickelt werden, so würde er bedauerlicherweise wegen ähnlicher Gründe auch seine Schwester denunzieren müssen (die niemand Geringeres ist als die Außenministerin) und seinen Ex-Schwager (der niemand Geringeres ist als der Vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshofs) sowie einen weiteren Verwandten (der Richter am Verfassungsgericht ist) und sogar den Präsidenten der Republik, Álvaro Uribe. Auf diese Art herrscht in Kolumbien eine Kultur des Todes, die Gewalt, Terror und Krieg rechtfertigt und die zur weltweit höchsten Rate an ermordeten Gewerkschaftern, zur höchsten Anzahl ermordeter Journalisten der westlichen Hemisphäre in den letzten dreißig Jahren und zu zahllosen Vertreibungen in Lateinamerika geführt hat. Zu Letzterem gehören vier Millionen Menschen und ihre Enteignung von mehr als fünf Millionen Hektar Land.

Wie schätzen Sie die aktuelle Beziehung der kolumbianischen Regierung zur Kultur ein?

Vor wenigen Jahren wurde das kolumbianische Kulturministerium mit einer langen bürokratischen Namensliste und einem dermaßen geringen Budget gegründet, dass vermutlich sogar das Kulturbudget der Stadt Medellín mit einer Höhe von 10 Millionen Euro mehr als doppelt so hoch ist – ich bezweifle, dass das Budget des Kulturministeriums auch nur fünf Millionen Euro beträgt. Auf eine höchst elitäre Art nimmt der kolumbianische Kulturminister nur ausgesuchte kulturelle Events unter seine Fittiche, wie zum Beispiel das Iberoamerikanische Theaterfestival in Bogotá. Es wird vom Ministerium mit mehr als 600 000 Euro unterstützt, findet allerdings nur in Bogotá statt und bleibt somit den Bogotanern vorbehalten. Währenddessen erhielt das FIPM, das bereits 35 kolumbianische Städte erreicht hat, im letzten Jahr nur 20 000 Euro, wovon uns die Hälfte erst vor zehn Tagen überwiesen wurde. Ich denke, wenn die Regierung aufhört, der Kultur weiter Steuerzwänge aufzuerlegen, und einen Teil ihres Kriegsbudgets auf die Kultur umverteilt, könnte sie zur Stärkung des Kultursektors beitragen und so mithelfen, das Ende der Barbarei im Land herbeizuführen.

Und wer vertritt unter diesen Bedingungen den Kultursektor in Kolumbien?

Zurzeit befinden sich die Freunde der Kultur in Kolumbien auf der Seite der Opposition. Die Mehrheit der kolumbianischen Intellektuellen, und die der Dichter, befürworteten die Präsidentschaftsambitionen des Mitte-links-Kandidaten Carlos Gaviria in den vergangenen Wahlen. Wir werden dies fortsetzen und der Mitte-Links-Partei Polo Democrático Alternativo in den Kommunal- und Landeswahlkampf 2008 helfen. Bei den Präsidentschaftswahlen 2010 erwarten wir einen Sieg mit Carlos Gaviria an der Spitze, der alle Dimensionen des Lebens in unserem Land erneuern wird.

Was hat Ihnen und dem FIPM der Besuch in Berlin gebracht?

Die Sicherheit, dass das Festival fortbestehen und sogar an Stärke gewinnen wird. Im Gespräch mit dem Bundestagsvizepräsidenten, Wolfgang Thierse, und anderen Abgeordneten gab es großes Interesse seitens verschiedener deutscher Politiker, im nächsten Jahr eine Gruppe von Parlamentariern nach Kolumbien zu entsenden und dem Festival den Rücken zu stärken. Auf einem Treffen mit mehr als vierzig Vertretern von Zusammenarbeitsorganisationen und Kulturministerien aus Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika wurde mir gesagt, dass die Unterstützung für das Festival angesichts der derzeitigen Situation in Kolumbien so wichtig ist wie nie zuvor. Aus Deutschland nehme ich außerdem die Gewissheit mit nach Kolumbien, dass, auch wenn der kolumbianische Staat weiterhin die Unterstützung verweigert, große europäische Nationen fest davon überzeugt sind, dass das Festival eine wichtige friedensstiftende Rolle für Kolumbien spielt.

Eine Frage der Wortwahl. Tilmann Spohn im Interview mit Camilo Jiménez, 20.10.06

Spohn ist Direktor des Instituts für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Der renommierte Akademiker spricht über die Entscheidung der Internationalen Astronomen-Union (IAU), Pluto nicht mehr als Planeten zu bezeichnen.

Professor Spohn, was haben Merkur, Venus, die Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun, was Pluto nicht hat?

Sie haben in der Tat viel gemeinsam. Erstens sind sie keine Sterne. Das bedeutet, sie sind relativ kleine Körper, in denen keine Kernreaktion stattfindet wie in den Sternen und sie deshalb kein Licht aussenden. Es sind außerdem Körper, die über relativ wenig Masse verfügen. Erst wenn sie die fünfzehnfache Masse des Jupiter hätten, wären sie keine Planeten mehr. Planeten von Sternen zu unterscheiden, oder anders gesagt, eine Unterscheidung von groß und klein, wäre relativ einfach. Auf der anderen Seite ist eine Unterscheidung von klein nach groß ziemlich schwierig. So gab es von Anfang an Schwierigkeiten, Pluto einzuordnen. Die kleinsten Objekte im Sonnensystem heißen Kleinplaneten, wie beispielsweise die Asteroiden. Hier fangen die Schwierigkeiten an. Wir haben Probleme damit, Planeten von Asteroiden zu unterscheiden. Im Fall von Pluto ist dies genau das Dilemma: im Unterschied zu allen anderen acht Planeten des Sonnensystems sind die Astronomen hier nie sicher gewesen, ob es sich um einen Planeten oder Asteroiden handelt.

Aber nach der neuen Definition ist Pluto kein Planet…

Was man getan hat, ist, verschiedene Bedingungen aufzustellen, die erfüllt sein müssen, um als Planet klassifiziert zu werden. Es sind zwei: Der Himmelskörper muss so groß sein, dass dadurch sein Inneres aufgeheizt wird, so dass der Kern schmilzt und dass er dadurch eine Kugelform erhält. Zweitens muss er in der Lage sein, die nähere Umgebung seiner Umlaufbahn von allen anderen Himmelskörpern zu säubern. Die letzte Bedingung erfüllt Pluto nicht, weil er selbst Teil des Kuiper-Gürtels ist. Die anderen acht Planeten erfüllen diese Bedingungen. Aus diesem Grund klassifiziert man Pluto als Zwergplaneten.

Wie haben Planetenforscher diese Nachricht aufgenommen?

Niemand wäre böse gewesen, wenn Pluto ein Planet geblieben wäre. Es handelt sich eigentlich um eine Frage der Wortwahl, nicht mehr. Die Frage, die sich den Astronomen in Prag stellte, war: Welche von den ganzen Himmelskörpern des Sonnensystems sind Planeten im klassischen Sinne und welche nicht? Für uns Astronomen ist eine Antwort auf diese Frage allerdings fast bedeutungslos, denn wir waren uns immer darüber im klaren, dass Pluto ein Himmelskörper ist, dessen Eigenschaften sich fundamental beispielsweise von den Gasriesen wie Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun unterscheiden, aber auch von den steinigen inneren Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars. Dennoch ist die Astronomie jahrhundertelang problemlos vorangekommen.

Als was wurde denn bislang Pluto betrachtet?

Seit die Existenz Plutos bekannt ist – also seit siebzig Jahren – haben alle Forscher Pluto als Himmelskörper betrachtet, der um die Sonne kreist und Teil einer Unzahl gefrorenen kometenähnlichen Himmelskörpern zählt, die sich am Rande unseres Sonnensystems befinden und als Kuiper-Gürtel bekannt sind. Es war bekannt, dass der Kuiper-Gürtel viele plutoähnliche Objekte hat, sogar einer der Neptunmonde, Triton, war ursprünglich Teil des Kuiper-Gürtels. Den Astronomen war also klar, dass Pluto kein Planet im klassischen Sinne wie die anderen acht Planeten ist.

Könnte man also sagen, dass der neue Status des Pluto der Forschung gar nichts bringt?

Ob Pluto ein Planet ist oder nicht, ist eine müßige Frage. Die Physik beispielsweise, die uns dazu verhilft, das Funktionieren der Himmelskörper zu verstehen, bleibt dieselbe, ob Pluto nun Planet ist oder nicht. Ein wichtiger Unterschied ist dagegen, ob ein Körper um die Sonne oder um einen anderen Körper – einen Planeten oder Asteroiden – kreist. Der Status von Pluto ändert nichts an unseren Forschungen. Auf einer anderen Ebene ist die Prager Entscheidung sehr wichtig. Viele Leute haben jahrelang dafür plädiert, auch die anderen bislang entdeckten drei plutoähnlichen Himmelskörper als Planeten zu bezeichnen. Es handelt sich um den die Asteroiden Ceres, der im 19.Jahrhundert als Planet betrachtet wurde, und UB313 sowie um den Plutomond Charon. Sie zu Planeten zu machen hätte uns in große Schwierigkeiten gebracht, da man daraufhin Gründe finden würde, mehr und mehr Himmelskörper zu der Gruppe der planetarischen Körper zu zählen. Durch die Entscheidung der IAU in Prag ist diese Gefahr vermieden worden.

Dieses Interview ist zum ersten Mal in der kolumbianischen Tageszeitung EL PAÍS erschienen.

Horchen auf die Atombombe. Manfred Henger über Atomsprengungen in Nordkorea im Interview mit Camilo Jiménez, 13.10.2006

Wie deutsche Experten auf die nordkoreanische Atomsprengung horchten und nun einen Fehlschlag für möglich halten. Ein Interview mit Manfred Henger, Leiter des Referats für seismische Datenanalyse der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).


Herr Henger, am frühen Morgen des 9. Oktober haben Sie einen Anruf von der CTBTO bekommen, die Sie über seismische Aktivität in Nordkorea informierte. Was wollte man von Ihnen und Ihrem Team wissen?

Meine Aufgabe war, die Stärke der seismischen Bewegung zu bestimmen, die das Internationale Datenzentrum (IDC) der Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) am Montag, dem 9. Oktober, um 3.35 Uhr registriert hatte und die aus der nordkoreanischen Nord Hamyong Provinz herkam. Es handelte sich um ein Erdbeben mit der Stärke 4. Auch mussten wir der CTBTO nachweisen, dass es sich dabei um kein natürliches Phänomen gehandelt hatte, sondern dass das Erdbeben durch eine unterirdische Sprengung erzeugt worden war. Letztlich war auch unsere Aufgabe, die Quantität an Trinitrotoluol (TNT) zu berechnen, die für die Explosion verwendet worden war: Es waren etwa 1 bis 1,5 Kilotonnen.

Sie leiten das Referat für Datenanalyse bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Was verbindet Ihren Verantwortungsbereich in der BGR mit der CTBTO?

Wir betreiben hier für die Bundesrepublik Deutschland das Nationale Datenzentrum im Zusammenhang mit dem Kernwaffenteststopp-Abkommen. Das Auswärtige Amt hat uns die Aufgabe übertragen, die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Kernwaffenteststopp-Vertrag zu überprüfen. Im Rahmen des Abkommens betreiben wir mehrere Stationen: eine im bayerischen Wald, das ist die empfindlichste Station im ganzen Mitteleuropa, in der durch eine Antenne 25 umliegende seismische Stationen koordiniert werden. Dann gibt es eine weitere Infraschallstation im bayerischen Wald und zwei Stationen mit Messungen von Luftdruckschwankungen in der Antarktis. Alle diese Stationen, die von uns kontrolliert werden, sind Teil des antiatomaren Überwachungssystems der CTBTO. Die Daten von unserer Station und anderen Stationen, die überall auf der Welt verteilt sind, werden durch einen Satellit nach Wien gesendet. Als Nationales Datenzentrum haben wir in der BGR das Recht, diese Daten anzufordern, von allen Stationen.

Und das haben Sie am Sonntagabend gemacht, als klar wurde, dass der Atomtest Nordkoreas jederzeit stattfinden konnte…

Wir hatten schon den ganzen Sonntag auf die Sprengung gewartet. Es war jedoch schon Montag um 3.35 Uhr, als ich eine automatische Nachricht von unseren Computern im Institut auf meinem Handy bekam, die ein Erdbeben in Nordkorea meldete. Aber unser Vorgehen ist ungefähr so: Das IDC lässt in der Regel die Messungen rund um die Uhr laufen und sucht nach Bewegungen der Erdschichten, also nach kleinen oder großen Erdbeben. Am Wochenende vor dem Atomtest haben wir dann die Rechner in der BGR so vorprogrammiert, dass sobald irgendein Ereignis im Bereich von Nordkorea gemeldet würde, wir automatisch informiert würden. Als Leiter des Referats für seismische Datenanalyse würde ich dann eine Nachricht erhalten.

Wie konnten Sie sicher sein, dass dieses Beben von einem nordkoreanischen Atomtest ausgelöst worden war?

Als wir montagmorgens zur Station kamen, haben wir alles überprüft: Der Ort, auf den uns unsere Daten verwiesen, erschien auf den Satellitenbildern als eine Gebirgsregion im Norden Nordkoreas namens Pungye-yok, die schon vorher als mögliches Testgebiet genannt worden war. Folglich konnten wir sicher sein, dass es eine Sprengung und nicht ein Erdbeben war. Also informierten wir die CTBTO und die Öffentlichkeit.

Wie kann eine unterirdische Sprengung ein dermaßen starkes Erdbeben verursachen, dessen seismischen Wellen knapp 12 Minuten nach der Explosion schon in Deutschland empfunden wurden?

Durch die Explosion wird eine Schockwelle erzeugt. Das passiert auch z.B. in der Luft: Wenn etwas in der Luft explodiert, dann wird ein Luftstoß verursacht, den ich fühlen würde, wenn ich in der Nähe wäre. Genau so läuft es unter der Erde ab: Wenn dort eine Explosion stattfindet, passiert folgendes: Zwischen den Erdschichten befindet sich meistens Wasser, und Wasser kann man nicht zusammendrücken, es ist nicht kompressibel. Wenn die Explosion auf das Wasser und auf Gestein trifft, wird durch seismische Energie eine Druckwelle erzeugt. Diese Druckwelle läuft dann durch die ganze Erde. Die registrieren wir dann auch hier im bayerischen Wald.

Wie hat man die Größe der getesteten Bombe in der BGR berechnen können?

Da es eine Beziehung zwischen der Erdschwankung und der Explosionsstärke gibt, haben wir die Stärke der Explosion berechnen können: Sie war von 1 bis 1,5 Kilotonnen, vorausgesetzt, dass es sich um nasses, hartes Gestein gehandelt hat, wo der Test stattgefunden hat. Wenn eine solche Explosion im Sand durchgeführt wird, wird nicht sehr viel Energie in den Boden übertragen und deshalb strahlt die Druckwelle eine verhältnismäßig schwächere Signal aus. Aber da es in einer Gebirgsregion passierte (dem Schwarzwald sehr ähnlich), wo es nur hartes, nasses Gestein gibt, konnten wir berechnen: Eine Stärke von 4 kann nur von 1 bis 1,5 Kilotonnen Sprengstoff verursacht werden.

Wie wird ein Atomtest unter der Erde durchgeführt?

Da bohrt man wie bei einer Ölquelle, und in das Bohrloch wird dann die Bombe gelegt. Dann wird das Loch entweder zubetoniert oder mit allen möglichen Stoffen aufgefüllt. Wenn man die Bohrung macht, muss man entsprechend tief gehen, sodass die Bombe nicht ‚ausbläst‛, also radioaktive Subtanzen freisetzt. Das hat man am Anfang des Atomtestrauschs im 20. Jahrhundert nicht beachtet und als Folge gibt es noch heute z.B. einen halben Kilometer breite und 100 oder 200 Meter tiefe Krater im sog. ‚Nevada Test Site‛.

Ist eine solche ‚Ausblasung‛ der Bombe Nordkoreas möglich?

Nur, wenn man die Bombe nicht tief genug eingräbt. In Nordkorea hat die Sprengung in einem unterirdischen Tunnel stattgefunden, innerhalb eines kleinen Bergwerkes, und obwohl jetzt nicht ganz klar ist, wie die Nordkoreaner die Bombe untergebracht haben, kann man schon vermuten, dass man die Bombe durch einen zweiten parallel liegenden Tunnel eingeführt hat, den man dann zugeschüttet hat. Wenn die Explosion tatsächlich in diesem Berg stattgefunden hat, so werden wahrscheinlich keine radioaktiven Substanzen auf die Erdoberfläche gekommen sein.

Atomwaffentests können auch in Wüstregionen oder im Meer durchgeführt werden. Warum haben Pakistan, Indien und Nordkorea Ihre Tests unter der Erde durchgeführt?

Die Franzosen haben ihre Kernwaffen im Mururoa-Atoll gezündet. Die USA haben auch kleine Bomben auf dem Bikini-Atoll getestet. Später haben die USA auch auf den sog. ‚Nevada Test Site‛ hunderte von Tests durchgeführt, also in der Wüste, wie Frankreich es auch gemacht hat, nämlich in Algerien. Die Russen haben ihrerseits alle ihre Explosionen auf dem Festland im Novaja Zemlja durchgeführt und die Chinesen auf Lop Nur, einem Gebirgsgebiet. Allein die neuen Atommächte haben unterirdische Tests durchgeführt. Obwohl es sich aus Sicherheitsgründen empfiehlt Atombombensprengungen unter der Erde zu realisieren, glaube ich, dass die wahren Gründe, warum Indien, Pakistan und Nordkorea unterirdische Atomtests durchführen, woanders liegen.

Weil sie sich vor der Öffentlichkeit schützen wollen, falls Ihre Tests fehlschlagen?

Möglicherweise.

Zurzeit wird viel über den vermeintlichen Erfolg der Atomtests in Nordkorea gezweifelt. Was ist Ihre Position dazu?

Obwohl bisher nur sehr wenig bewiesen werden kann, nämlich nur, dass es sich um kein natürliches Phänomen bei dem Erdbeben am vorigen Montag handelte, sondern dass eine unterirdische Sprengung an dem Tag in Nordkorea stattfand, wage ich, drei verschiedene Szenarien für möglich zu halten. Das erste: dass der Test erfolgreich war und dass Nordkorea tatsächlich eine 1,5 Kilotonnen schwere Atombombe gezündet hat. Das zweite: dass Nordkorea versucht, die Internationale Gemeinschaft zu betrügen und das sie dazu eine Atomsprengung simulierten mit Hilfe von chemischen Sprengstoffen – und das zu machen, ist kein Problem. Ich war selber bei einer solchen Simulation dabei, als man einmal in den USA untersuchen wollte, ob es möglich ist, mit seismischen Verfahren Unterschiede zwischen Nuklear- und chemischen Sprengung festzustellen. Da haben die Amerikaner eine Kilotonne mit chemischem Sprengstoff gezündet, kein Problem. Das dritte Szenario wäre, dass es ursprünglich eine größere Bombe sein sollte, eine Bombe von etwa 10 bis 15 Kilotonnen, aber dass der Test fehlgeschlagen ist und die Druckwellen deshalb so gering waren. Persönlich halte ich dieses letzte Szenario für das wahrscheinlichste von allen drei.

Warum?

Die erste Möglichkeit ist fast irreal: Wenn man sich die Kernwaffentests aller anderen Atomstaaten ansieht, dann hat noch kein Atomwaffenstaat mit einer ersten Waffe begonnen, die kleiner als 10 Kilotonnen war. Kleinere Bomben mit 1 oder 1,5 Kilotonnen wurden bisher noch nie gezündet. Der Grund dafür ist, dass es tatsächlicher leichter ist, eine große Bombe zu bauen als eine sehr kleine. Diese kleinen Atombomben werden nur als Zünder für Wasserstoffbomben verwendet. Ich glaube nicht, dass Nordkorea in der Lage ist, die üblichen Entwicklungsschritte zu überspringen und von Anfang an hoch entwickelte kleine Bomben herstellen zu können. Das übliche wäre gewesen, dass Nordkorea eine Bombe zündet, die 10 bis 20 Kilotonnen Sprengstoff hat. Es wäre offensichtlich das einfachste. Die zweite Möglichkeit würde nur gelten, wenn Nordkorea es darauf angelegt hätte, zu betrügen, und ich weiß nicht, ob Nordkorea sich heutzutage ein solches Wagnis leisten kann.

Wann wird die CTBTO sichern können, ob der Test tatsächlich stattgefunden hat, wenn bereits alle die Mitteln der CTBTO-Stationen weltweit ausgeschöpft worden sind? Selbst nach den Worten des Leiters der CTBTO, Tiber Toth, wird in den nächsten Tagen niemand wissen, was tatsächlich in Nordkorea detonierte.

Jetzt haben wir nur die Möglichkeit zu warten, ob doch noch radioaktives Material an die Erdoberfläche kommt. Aber kein Mensch kann Ihnen sagen, wie lange das noch dauert. Ein Kollege hat mir kürzlich gesagt, irgendjemand habe behauptet, in vierzehn Tagen wüsste man das. Das ist Unsinn: Wenn man Glück hat, dann geht es relativ schnell, aber das hängt von den umgebenden Steinen ab. Wenn die radioaktive Partikeln durch das Gestein, also z.B. durch Risse durchgehen und auf der Erdoberfläche sind, dann kann man das möglicherweise nachweisen. Aber wenn die Stelle gut gedämmt und sehr tief ist, dann kommt es nie an die Erdoberfläche und dann werden wir nie nachweisen, ob das eine chemische oder eine atomare Sprengung war.

Herr Henger, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Camilo Jiménez.

Dieses Interview erschien am 12. Oktober 2006 in der kolumbianischen Tageszeitung El País (www.elpais.com.co).

Jiménez, Camilo: Me too, I’d like the atomic-bomb!, 13.10.06

At the end little has changed in the world since World War II and the atomic warfare of the Cold War days. Nowadays, having the atomic-bomb still means power, and to get a bomb is at this time easier than ever with North Korean nukes topping the lists in the black market this week. The world keeps on standing as is stood in the midst of the 20th Century: vis-à-vis with the threat of a chain reaction of world-wide atomic proliferation.

In 1968, the U.S., France, Great Britain, Russia, and China — the winners of WW2 and today’s five permanent members of the United Nation’s Security Council — decided for throttling off the head of what they feared could become a many-headed dragon avidly firing menaces of mass destruction in times of the Cold War. The international swoop under the threat’s head was hence to be given by the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT), which was rashly signed in 1968 by the U.S. , Great Britain and the Soviet-Union. It entered into force on March 1970.

Hitherto the NPT has been signed by 189 States (France and China only did it until 1992); it has been avoided by India , Pakistan and Israel ; it has been eminently despised, and will possibly be soon violated, by Iran . The NPT has also proven (again) to be highly inefficient: North Korean dictator Kim Jong Il, who resigned to it thirteen years ago, has tested a nuke last Monday. And finally, like any other effort of obtaining world-wide norms of conduct through treaties, the NPT is utterly vulnerable: should Iran build the bomb, so would Egypt and Saudi-Arabia want to do it; and after Monday’s explosion in northern North Korea , Japan too!

Indeed, the result of the non-proliferations efforts turns up being, one more time, the common place of modern international justice-making: after the brief flourishing of an assumed “better world” during the post-Cold War era, at the dawn of 2006 Planet Earth proves to be an extremely dangerous place to live in. Atomic weapon proliferation is on the run.

And there is not much to wonder about this. The world has in fact been giving everyone on “the dark side” enough reasons for grabbing the stew-pots of atomic madness.

The NPT is certainly a funny working artifice. Founded upon the idea of a fair negotiation, it declares the existence of only five atomic-powers, being these the five permanent Security Council members. The rest of the world, according to it, resigns to atomic armament by signing in, but obtains the right of using nuclear energy for civilized purposes with the approval and supervision of the International Atomic Energy Agency (IAEA). Additionally, the Treaty contains a sort of promise of the atomic-powers to slowly shut down their atomic-arsenals.

But nothing of the sort has happened. Neither nuclear energy has been used properly by undersigning nations; nor the five atomic-powers have even showed the willingness to start dismantling their atomic-arsenals (45 000 declared warheads are still intact); nor all NPT-signing countries are trustworthy (and not only Iran is being meant here); nor all NPT-signing countries must obey the Treaty: they can simply jump out of the philanthropic caravan back into the unruly jungle of illegality, and produce the bomb. It’s as simple as that.

With its depart from NPT on 10th April 1993 (after years of great diplomatic efforts) North Korea, an infamous communist dictatorship still existing in a globalized 21th Century world, stepped out into the jungle—and today, it has enough plutonium for producing at least nine serviceable warheads. North Korea has become a world-power, literally, from one day to the other.

IAEA’s Director General, Mohammed ElBaradei, is right by saying that the reported nuclear test threatens the nuclear non-proliferation regime and that it creates serious security challenges for the international community. If Dictator Kim Jong Il does have the nuclear weapons he alleges to possess, he could proliferate atomic weaponry and atomic know-how to underground organizations, while at the same time obtaining enough money from these deals in order to survive the punishments already heralded by the international community. Hell of a stunt.

But if North Korea’s trick works out and the dictatorship subsists the wide-spread reactions against it’s atomic-power, I mean, if North Korea consolidates as a world-menacing power in the Far East, then the world did change last Monday. Thomas Friedman’s tremor facing the possibility of “a nuclear Asia, a nuclear Middle East and a disintegrating Iraq in the heart of the Arab world, with its destabilizing impact on oil prices and terrorism” might turn to be truth in the forthcoming years. And that day me too, I’d then like having the bomb!