Eine Frage der Wortwahl. Tilmann Spohn im Interview mit Camilo Jiménez, 20.10.06

Spohn ist Direktor des Instituts für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Der renommierte Akademiker spricht über die Entscheidung der Internationalen Astronomen-Union (IAU), Pluto nicht mehr als Planeten zu bezeichnen.

Professor Spohn, was haben Merkur, Venus, die Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun, was Pluto nicht hat?

Sie haben in der Tat viel gemeinsam. Erstens sind sie keine Sterne. Das bedeutet, sie sind relativ kleine Körper, in denen keine Kernreaktion stattfindet wie in den Sternen und sie deshalb kein Licht aussenden. Es sind außerdem Körper, die über relativ wenig Masse verfügen. Erst wenn sie die fünfzehnfache Masse des Jupiter hätten, wären sie keine Planeten mehr. Planeten von Sternen zu unterscheiden, oder anders gesagt, eine Unterscheidung von groß und klein, wäre relativ einfach. Auf der anderen Seite ist eine Unterscheidung von klein nach groß ziemlich schwierig. So gab es von Anfang an Schwierigkeiten, Pluto einzuordnen. Die kleinsten Objekte im Sonnensystem heißen Kleinplaneten, wie beispielsweise die Asteroiden. Hier fangen die Schwierigkeiten an. Wir haben Probleme damit, Planeten von Asteroiden zu unterscheiden. Im Fall von Pluto ist dies genau das Dilemma: im Unterschied zu allen anderen acht Planeten des Sonnensystems sind die Astronomen hier nie sicher gewesen, ob es sich um einen Planeten oder Asteroiden handelt.

Aber nach der neuen Definition ist Pluto kein Planet…

Was man getan hat, ist, verschiedene Bedingungen aufzustellen, die erfüllt sein müssen, um als Planet klassifiziert zu werden. Es sind zwei: Der Himmelskörper muss so groß sein, dass dadurch sein Inneres aufgeheizt wird, so dass der Kern schmilzt und dass er dadurch eine Kugelform erhält. Zweitens muss er in der Lage sein, die nähere Umgebung seiner Umlaufbahn von allen anderen Himmelskörpern zu säubern. Die letzte Bedingung erfüllt Pluto nicht, weil er selbst Teil des Kuiper-Gürtels ist. Die anderen acht Planeten erfüllen diese Bedingungen. Aus diesem Grund klassifiziert man Pluto als Zwergplaneten.

Wie haben Planetenforscher diese Nachricht aufgenommen?

Niemand wäre böse gewesen, wenn Pluto ein Planet geblieben wäre. Es handelt sich eigentlich um eine Frage der Wortwahl, nicht mehr. Die Frage, die sich den Astronomen in Prag stellte, war: Welche von den ganzen Himmelskörpern des Sonnensystems sind Planeten im klassischen Sinne und welche nicht? Für uns Astronomen ist eine Antwort auf diese Frage allerdings fast bedeutungslos, denn wir waren uns immer darüber im klaren, dass Pluto ein Himmelskörper ist, dessen Eigenschaften sich fundamental beispielsweise von den Gasriesen wie Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun unterscheiden, aber auch von den steinigen inneren Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars. Dennoch ist die Astronomie jahrhundertelang problemlos vorangekommen.

Als was wurde denn bislang Pluto betrachtet?

Seit die Existenz Plutos bekannt ist – also seit siebzig Jahren – haben alle Forscher Pluto als Himmelskörper betrachtet, der um die Sonne kreist und Teil einer Unzahl gefrorenen kometenähnlichen Himmelskörpern zählt, die sich am Rande unseres Sonnensystems befinden und als Kuiper-Gürtel bekannt sind. Es war bekannt, dass der Kuiper-Gürtel viele plutoähnliche Objekte hat, sogar einer der Neptunmonde, Triton, war ursprünglich Teil des Kuiper-Gürtels. Den Astronomen war also klar, dass Pluto kein Planet im klassischen Sinne wie die anderen acht Planeten ist.

Könnte man also sagen, dass der neue Status des Pluto der Forschung gar nichts bringt?

Ob Pluto ein Planet ist oder nicht, ist eine müßige Frage. Die Physik beispielsweise, die uns dazu verhilft, das Funktionieren der Himmelskörper zu verstehen, bleibt dieselbe, ob Pluto nun Planet ist oder nicht. Ein wichtiger Unterschied ist dagegen, ob ein Körper um die Sonne oder um einen anderen Körper – einen Planeten oder Asteroiden – kreist. Der Status von Pluto ändert nichts an unseren Forschungen. Auf einer anderen Ebene ist die Prager Entscheidung sehr wichtig. Viele Leute haben jahrelang dafür plädiert, auch die anderen bislang entdeckten drei plutoähnlichen Himmelskörper als Planeten zu bezeichnen. Es handelt sich um den die Asteroiden Ceres, der im 19.Jahrhundert als Planet betrachtet wurde, und UB313 sowie um den Plutomond Charon. Sie zu Planeten zu machen hätte uns in große Schwierigkeiten gebracht, da man daraufhin Gründe finden würde, mehr und mehr Himmelskörper zu der Gruppe der planetarischen Körper zu zählen. Durch die Entscheidung der IAU in Prag ist diese Gefahr vermieden worden.

Dieses Interview ist zum ersten Mal in der kolumbianischen Tageszeitung EL PAÍS erschienen.