Am 30. Mai 2007 veröffentlichten Berliner Sexualmediziner erste viel versprechende Ergebnisse ihres Präventionsprojekts „Kein Täter Werden“. Jedoch droht dem Therapieprogramm das Ende: die Geldgeber fehlen.
Endlich sind die heiß erwarteten ersten Ergebnisse da. Das seit November 2005 laufende, weltweit einmalige Präventionsprojekt für Kindesmissbrauch an der Charité scheint die daran geknüpften hohen Erwartungen zu erfüllen. Von den über 500 Anmeldungen werden derzeit 90 pädophile Männer therapiert, 20 von ihnen haben ihre Behandlung bereits beendet. Die Teilnehmer haben gelernt, ihre Wahrnehmungsstörungen zu erkennen und abzubauen; sie stärkten ihr Verantwortungsbewusstsein, um z.B. sozial unkontrollierte Situationen zu vermeiden; ihnen wurden sowohl Verhaltensstrategien als auch Medikamente an die Hand gegeben, um schwierige Phasen zu bewältigen. Die zentrale Erkenntnis lautet: Sexueller Missbrauch von Kindern lässt sich durch eine gezielte Therapie pädophiler Männer eindämmen.
Jedoch zieht gleichzeitig mit der Verkündung dieser hoffnungsfrohen Nachricht eine dunkle Wolke über die Berliner Sexualmedizin. Die donnernde Tatsache: Das Pionierprojekt steht kurz vor dem Aus. Ihm droht das Ende im kommenden Herbst, wenn die Förderung durch den Hauptsponsor, die Volkswagen-Stiftung, die bisher rund 520 000 Euro zur Verfügung stellte, im November ausläuft. Eine Fortsetzung der Förderung kommt für sie nur in Frage, wenn sich andere Sponsoren beteiligen. Diese gibt es aber bisher nicht. Aus dem Forschungsministerium fließt kein Cent zur Unterstützung dieser bahnbrechenden Präventionsarbeit. Krankenkassen weigern sich, die Behandlungskosten zu übernehmen. Wenn keine Sponsoren gefunden werden, müsste die Studie abgebrochen werden – 45 bereits diagnostizierten pädophilen Männern, die keine Täter werden wollen, bliebe der versprochene Therapieplatz versagt.
Insgesamt schätzt man die Zahl deutscher Männer aller Altersgruppen, die pädophile Neigungen haben, auf 200 000; etwa ein Prozent der erwachsenen männlichen Bevölkerung hat eine Ansprechbarkeit auf den Kinderkörper. Weder das Medizinstudium noch die Ärzte-Fortbildung tragen diesen Zahlen Rechnung. Bereits jetzt fehlt es an sexualmedizinischen Ambulanzen, und wo es welche gibt, mangelt es an Ausstattung und Personal. Dass sich der präventive Ansatz flächendeckend durchsetzt, würde nach einem Abbruch des Pilotprojekts nicht gerade wahrscheinlicher.
Pädophile müssen lernen, dass die Auslebung ihrer Fantasien gegen Grundsteine der Gesellschaft ver- stößt und es deshalb nie dazu kommen darf. Dies- bezüglich kann es keine Toleranz geben. Aber andererseits wird es auch für die Gesellschaft Zeit zu lernen, ihre Mitglieder mit dieser Neigung nicht zu diskriminieren, sondern ihnen Hilfe dabei zu bieten, mit der schweren Bürde umzugehen.
Dass in Deutschland genug getan wird, um ein neues Bewusstsein zu schaffen, hofft Professor Klaus Beier, der Leiter des Projekts. Entscheidend sei, den Unterschied zwischen der pädophilen Neigung und dem sexuellen Kindesmissbrauch zu verstehen. Und da habe man bisher große Fortschritte gemacht: „Das war früher alles ein und dasselbe: Wer Pädophiler ist, ist gleich Kindesmissbraucher. Das ist falsch!“
Einem Bericht der American Psychiatric Association zufolge weist nur ein Viertel der begutachteten Kindesmissbraucher tatsächlich eine pädophile Präferenzstörung auf. Daraus lässt sich schließen, dass auch im Dunkelfeld nur ein Viertel der Täter pädophil ist. Während Beier einräumt, dass sein Projekt somit nur einen Teil der potentiellen und realen Dunkelfeldtäter erreicht, stellt er gleichzeitig klar: „Das Dunkelfeld ist eben nicht ausreichend erforscht.“
Um daran etwas zu ändern, leistet sein Projekt nun einen wichtigen Beitrag. Den Forschungsergebnissen zufolge tritt ein erstes Problembewusstsein bei Pädophilen im Schnitt mit 22 Jahren auf. Zwei Drittel der Hilfesuchenden sind Single. Die Teilnehmer kommen aus allen Bildungsschichten und aus allen Teilen der Republik, rund die Hälfte der Pädophilen nahm mehr als 100 Kilometer Reiseweg nach Berlin auf sich.
Noch ist der Beobachtungszeitraum natürlich zu kurz, um sagen zu können, ob die Therapien und Medikamente es den Pädophilen tatsächlich ermöglichen, ihre Neigungen dauerhaft zu kontrollieren. Aber bereits in den vergangenen anderthalb Jahren wurden aufgrund dieser Intervention Kinder vor sexuellem Missbrauch geschützt. Und dies muss bei den jährlich rund 15 000 zur Anzeige gebrachten Missbrauchsfällen – und einer noch viel höheren Dunkelziffer – doch das grundlegende Ziel von jeglicher Präventionsarbeit sein.