UNO-Vize und UNEP-Chef Achim Steiner spricht über die Folgen des jüngsten Weltklimaberichts, über die Möglichkeit eines Weltklimagipfels und erklärt, warum der Alltag des Menschen sich in den nächsten Jahren rasch verändern wird.
Der am 2. Februar 2007 in Paris veröffentlichte Weltklimabericht des von der UNEP geleiteten IPCC stellte dreierlei fest: Der Klimawandel ist im vollen Zug, der Mensch ist für diesen verantwortlich und es muss dringend gehandelt werden, um das Schlimmste zu vermeiden. Was wird die Strategie der UNO sein, um dies zu erreichen?
Wir konzentrieren uns jetzt auf drei Handlungsprioritäten: Als Erstes, im Rahmen der UN-Klimakonvention schnellstmöglich viel ambitiösere Ziele bei der Reduzierung von CO2-Emissionen zu erreichen. Das Kyotoprotokoll läuft 2012 aus. Wenn wir es Ende dieses Jahres bei der Klimakonventionskonferenz in Bali nicht schaffen, einen signifikanten Sprung vorwärts zu machen, damit wir ein Nachfolge-Abkommen bis 2009 verhandelt bekommen, dann haben wir ein sehr großes Problem. Die erste Priorität ist also, den internationalen Konsens weiter zu stärken. Zweitens: Schnellstmöglich den Entwicklungsländern Mittel und Wissen – vor allem im Bereich der Anpassungsstrategien – bereit zu stellen, um sie dabei zu unterstützen, sich in einer Welt zu bewegen, die vom Klimawandel geprägt ist. Drittens ist unser Ziel auch die sog. Befreiung der Energiewirtschaft vom CO2. Hier wollen wir vor allem im Bereich Energieeffizienz, Energieeinsparungspotenzial und erneuerbare Energien Ländern eine andere Zukunft für die Strom- und Energieversorgung ermöglichen.
Wie genau sollen dies die ärmsten Entwicklungsländer zustande bringen?
Gerade durch die Entwicklung der erneuerbaren Energien gibt es in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren eine Riesenchance für diese Länder. In vielen Ländern Lateinamerikas, Asiens und Afrikas muss sehr viel Energieinfrastruktur ausgewechselt und sehr viel Neues gebaut werden – in China, wie man sagt, muss jede Woche ein Kohlekraftwerk errichtet werden und in Afrika wird eine ganze neue Generation von Energieinfrastruktur mit Milliarden von Dollars gebaut. Wenn wir jetzt einen großen qualitativen Sprung schaffen, haben wir die Energieversorgung für die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre gerade in den Entwicklungsländern beeinflusst.
Es gibt aber sehr wenig Zeit…
Ja, es gibt sehr wenig Zeit und vor allem: Je mehr Zeit vergeht, umso teurer wird es. Davon ist man überzeugt, wenn man den IPCC-Bericht und den Stern-Bericht von 2006 zusammenkoppelt. Nicht zu handeln, hat jetzt einen ökonomischen Preis; dieses ist für viel zu lange Zeit vergessen worden, weil man immer nur berücksichtigt hat, wie viel es kostet, zu handeln. Doch das Nicht-Handeln ist heute teurer geworden als das Handeln. Das ist vielleicht der große Schwenk bei der ganzen Klimadiskussion.
Vor wenigen Wochen haben Sie von der Möglichkeit eines Weltklimagipfels gesprochen. Wie sehen jetzt die Chancen einer solchen Veranstaltung aus und, realistisch betrachtet, was für Ergebnisse könnte ein Weltklimatreffen bringen?
Gemeinsam mit dem Exekutiv-Sekretär des UNO-Rahmenübereinkommens über Klimaänderungen (UNFCC) haben wir dem Generalsekretär in verschiedenen Gesprächen diese Idee vorgeschlagen. Nun hängt es nur davon ab, ob Regierungsoberhäupter und vor allem die Staaten, die die größte Verantwortung für den Klimawandel tragen und auch die größten Handlungsmöglichkeiten haben, ein Interesse daran haben, einen solchen Gipfel zu nutzen.
Haben Sie dabei die Unterstützung des UNO-Generalsekretärs bekommen?
Ja. Klar ist aber, dass Ban Ki-Moon nicht da einberufen wird, wenn die Bereitschaft, einen großen Sprung nach vorne zu machen, nicht da ist. Das Ziel eines solchen Gipfels wäre es, nicht ein Endergebnis zu verhandeln, sondern das Endziel gemeinsam zu vereinbaren und dem Prozess, der dann mit den Verhandlungen für 2012 in Bali beginnen soll, einen höheren Anspruch sowie politisches Moment zu geben. Im Moment handeln auch die Diskussionen, die wir und auch der Generalsekretär mit seinen Mitarbeitern in New York mit verschiedenen Staaten besprechen, darum, ob es irgendwann dazu kommt, dass im Zusammenhang der Generalversammlung im September in New York ein solcher politischer Gipfel stattfinden und somit große Fortschritte ermöglichen kann. Der Gipfel sollte gerade ein Signal davon geben, dass die Vereinten Nationen letztendlich den besten Rahmen bilden, um eine globale Vereinbarung und den Beginn eines Klimaprozesses zu ermöglichen.
Aber sollten Länder wie Indien und China oder Regionen wie Lateinamerika nicht auch mit einbezogen werden?
Es steht zunächst fest, dass die G-8 die Vorreiterrolle übernehmen muss. Denn letztlich sind heute die Industrieländer gefragt, da sie zum großen Teil die historische Verantwortung für den Klimawandel tragen. Nichtsdestotrotz dürfen wir nicht weiter mit der Klimaproblematik so umgehen, dass die einen sagen: Ja, ihr habt das verursacht, also macht ihr erstmal. Und die Anderen sagen wiederum: Ja, wenn ihr nicht mitmacht, dann machen wir nicht weiter; denn z.B. Lateinamerika hat inzwischen auch die Verantwortung für 12% der CO2-Emissionen weltweit. Es ist nicht so, als ob wir Lateinamerika, China, Indien und andere Länder dabei nicht brauchen. Jedenfalls bin ich der Überzeugung, dass der endgültige Auswahl nur stattfinden wird, wenn man am Tisch sitzt und darüber diskutiert, wer hat die größte Verantwortung und wer hat die größten Möglichkeiten, bei der Reduzierung der CO2-Emissionen einen Beitrag zu leisten.
Was lässt Sie denken, dass alle Verantwortlichen – auch die im Privatsektor! – sich diesmal doch für den Klimawandel engagieren werden?
Ich glaube, im Augenblick geschehen drei sehr wichtige Dinge. Erstens: die Öffentlichkeit. Diese hat inzwischen, wenn sie auch nicht unbedingt die Wissenschaft versteht, doch so weit akzeptiert, dass das Phänomen Klimawandel wirklich eine große Bedrohung für unsere Zukunft lokal, aber auch global bedeutet. Und sie verlangt zunehmend von den politischen Führern, dass etwas geschieht. Zweitens ist vor allem in Entwicklungsländern in den letzten Jahren sehr deutlich geworden, dass der Klimawandel sehr wohl Konsequenzen für die Menschen und für die wirtschaftliche Entwicklung hat und dass es daher auch in diesen Ländern ein gesteigertes Interesse daran geben muss, in einem globalen Klimakonsens nach Möglichkeiten zu suchen, wie man auf den Klimawandel reagieren kann. Und drittens: die Unternehmen. Vor drei Wochen hat man in den USA gesehen, wie zehn Unternehmen an George W. Bush geschrieben haben, dass sie eine 30%ige Reduzierung der CO2 Emissionen möchten. Unternehmen, die mit einem 10- bis 20-jährigen Produktions- oder Investitionszyklus arbeiten und globale Unternehmen sind, haben erkannt, dass der Klimawandel zu einer kritischen Variabel, also zu einem Faktor für ihre Wettbewerbsfähigkeiten in der Zukunft wird; und sie wollen letztlich, dass eine globale Vereinbarung ihnen Sicherheit im globalen Markt gibt.
Aber da fehlt doch das Wichtigste: das internationale, politische Engagement.
Ich glaube, diese drei Kräfte schaffen zumindest eine andere Dynamik. Nun kommt es natürlich darauf an, ob einzelne politische Regierungsoberhäupter auch den politischen Willen oder sogar noch mehr den politischen Mut haben, hier eine Führungsrolle zu übernehmen, denn es ist nicht einfach.
Worauf wird sich jetzt der normale Bürger einstellen müssen, um seinen Beitrag für den Stopp des Klimawandels zu leisten?
Der Alltag des Menschen auf der Welt wird sich ändern müssen – für Einige mehr als für Andere. Die Zukunft wird jedenfalls nicht mehr so sein wie die Vergangenheit. Das beginnt damit, dass man schon seit einigen Jahren in vielen Entwicklungsländern erlebt, wie die Extreme zwischen Trockenheit und Flut, Dürre und Überschwemmung immer größere Konsequenzen haben. Z.B. in Kenia erleben wir gerade mit dem El Niño-Effekt die Wiederkehr des Rifttal-Fiebers, eines Phänomens, das nur auftritt, wenn Überschwemmungen in sehr intensiven Regenzeiten stattfinden. Es ist ein Krankheitsherd, der inzwischen 140 Menschen in nur drei Monaten das Leben gekostet hat, eine Krankheit, die sogar vorhersagbar war nach der Erfahrung mit früheren El Niño-Aktivitäten. Also: Im Gesundheitssystem werden sich die Sachen ändern müssen, aber auch in der Landwirtschaft, denn Leute, die in marginalen Zonen landwirtschaftlich tätig sind, werden nicht mehr dort arbeiten und leben können, weil sie dort nichts mehr zu wirtschaften haben werden.
Gemeint war eigentlich der Bürger Europas oder Nordamerikas.
In Europa und in Nordamerika haben wir heute schon viele Möglichkeiten, unseren Konsum so zu verändern, dass wir unsere CO2-Emissionen reduzieren können: beim Häuserbau, Energienutzung, Fahrzeugkauf, Kauf landwirtschaftlicher Produkte, Auswechseln von Glühbirnen. Aber das ist nicht nur in Industrieländern der Fall: Ich habe gehört, dass Kuba in den nächsten zwei Jahren alle Glühbirnen und alle Eisschränke auf der Insel ersetzen will – tolle Aktion! Damit spart sich das Land ein gesamtes Kraftwerk ein, das es sonst bauen müsste. Das sind Beispiele, wie auch der Einzelne heute bereits einen Beitrag leisten kann, der – kollektiv zusammengezählt – sehr wohl einen Unterschied macht.
Wie will die UNEP die Einleitung solcher neuen Gewohnheiten bewirken?
Das wird vor allem durch unsere Arbeit an den Richtlinien für den im Rahmen des Kyotoprotokolls gültigen Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM) stattfinden. Wir haben gerade eine große Vereinbarung getroffen, um gemeinsam vor allem den Ländern Afrikas und den ärmsten Entwicklungsländern aktiv dabei zu helfen, in den CDM zu kommen. Im Bereich der erneuerbaren Energien machen wir zurzeit große Fortschritte: Wir haben eine Studie gemacht in einer ganzen Reihe von Ländern, wo wir das Investitionspotenzial für erneuerbare Energien auf der Grundlage einer Potentialanalyse für Solar- und Windenergien gemacht haben. Damit ermöglichen wir einzelnen Ländern in Afrika, an Investoren heranzutreten. Also zu sagen: Hier, das hat die UNO als unser Potenzial anerkannt, habt ihr Interesse zu investieren?
Ein Beispiel?
Wir arbeiten mit einem Teeproduzenten in Kenia, wo wir Kleinwasserkraftwerke einbringen, um Dieselaggregate durch normale, fossile Brennstoffe nutzende Stromgeneratoren zu ersetzen. Sein Geschäft wird nicht beeinträchtigt, und dafür haben wir es zu einem umweltfreundlichen Unternehmen gemacht.
In einer Mitteilung unterstrich vor kurzem Ban Ki-Moon, dass gerade die ärmsten Drittweltländer diejenigen sein würden, die am meisten von der Umweltkatastrophe betroffen wären. Wie kann die Dritte Welt vor dem Schreckenszenario, das der IPCC-Bericht für sie mit klaren Worten voraussagt, gerettet werden?
Wir sind im Moment an einem Punkt, in dem in den Regierungen sowie in den Unternehmen der Dritten Welt endlich das Bewusstsein dafür geschärft werden muss, dass wir die Veränderung des Klimas in unsere gesamte Entwicklungsplanung einbeziehen müssen. Zum Einen: Wie gehen wir mit der Infrastruktur um, die wir heute schon haben? Wie passen wir uns mit diesem Kapitalstock an eine Welt an, die morgen anders sein wird als heute? Und Zweitens: Wie schaffen wir es, in den Investitionen und in der Infrastruktur, Transport, Verkehr, Energie, heute schon eine Klima orientierte Investition zu schaffen, die Ländern wie z.B. Peru, Kolumbien oder Argentinien ermöglicht, diese Chance nicht zu verpassen?
Was heißt das konkret?
In den nächsten Jahren werden wir noch extremere Entwicklungen erleben, die den Preis des Klimawandels vor allem für Entwicklungsländer noch weiter hoch schrauben wird. Die beste Antwort auf die Frage, wie sich Entwicklungsländer vor der Katastrophe noch retten können, ist: Sie müssen sich vorbereiten. Deswegen gibt es jetzt eine hitzige Diskussion über Anpassungsstrategien: Man muss beobachten, was in den jeweiligen Küstenzonen passiert, was in den Staudämmen passiert, die gebaut worden sind auf der Grundlage von hundertjährigen Regenfallstatistiken und der Hundertjahresflut, die heutzutage in zwei Jahren zwei Mal stattfindet. Das heißt, Länder müssen vorbeugen und gerade da haben auch die internationale Gemeinschaft, die UNO, aber auch die Entwicklungszusammenarbeit eine sehr wichtige Rolle zu spielen. Das hat mit Grundelementen zu tun wie der Entwicklung von Modellen, der Ermöglichung von Technologietransfer und der Unterstützung bei Infrastrukturentwicklung.
Seit Beginn Ihres Amtes als Leiter der UNEP folgen Sie einer Richtlinie, die die Marktwirtschaft sowie die Strategien der nachhaltigen Entwicklung zusammen zu bringen versucht. Was für Erkenntnisse haben Sie hierzu nach einem Jahr Erfahrung als UNO-Untersekretär gewonnen?
Unsere Wirtschaft, ob sie nun national oder global betrachtet wird, ist ja heute so, dass vom lokalen Wochenmarkt bis zum Weltmarkt letztendlich ein großer Teil unserer Konsum- und Produktionsentscheidungen in einem Marktkontext getroffen werden. Lange Zeit haben wir den Markt als ein natürliches Phänomen betrachtet, nach Gesetzen funktionierend, die wir überhaupt nicht beeinflussen können. Das Interessante der letzen hundert Jahre ökonomischer Entwicklung ist, dass wir immer wieder bewiesen haben, dass wir Märkte schaffen und sie auch prägen durch ethische oder andere Grundsätze, die wir dann versuchen, in einer marktkonformen Gesetzgebung festzuhalten. Wir leben heute schon in regulierten Märkten und ich glaube, die wichtigste Transformation der nächsten Jahre wird es eben sein, unser Wissen über Klimawandel in einem Marktkontext auch gesetzlich und rechtlich zu verankern, damit Unternehmen anders arbeiten. Denn wir subventionieren ja heute unseren Konsum, als gäbe es morgen keinen Preis zu zahlen! Heute wissen wir schon, dass es diese Kosten geben wird: Wir müssen sie nur mit ökonomischen oder gesetzlichen Instrumenten so gestalten, dass der Einzelne sowie die Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes anders handeln können. Dann schaffen wir auch die Transformation.
Geben Sie ein Beispiel.
Hier in Deutschland, das Energieeinspeisungsgesetz. Deutschland hat es geschafft, innerhalb von sechs Jahren mit einer einzelnen Gesetzgebung zum größten Windkraftproduzenten zu werden, indem es den Kapitalmarkt, die Unternehmen und die Konsumenten in ein neues Verhältnis zueinander gesetzt hat. Das sind die Beispiele der Zukunft.
Deutschland ist aber weltweit fast die absolute Ausnahme.
Dann nehmen wir Brasilien, das heute den Weltrekord hält für die Anzahl der Motoren, die mit dem Doppelsystem Benzin und Ethanol fahren können. Das ist rein aufgrund brasilianischer staatlicher Förderungspolitik geschehen. Auch Brasilien hat bewiesen, dass es in den letzten dreißig Jahren sehr wohl Markt regulierende Signale entwickelt hat, die eine andere Art von Energiemix ermöglichen.
In Deutschland erwägt man den Wiedereinstieg in die Atomkraft zur Eindämmung der Energie- und Umweltproblematik. Sind Atomkraftwerke tatsächlich eine Lösung für den Klimawandel?
Technologisch gesehen sind sie ohne Zweifel eine Option. Die Frage, die man sich stellen muss, darf aber nicht nur über den kurzfristigen Gesichtspunkt „CO2-Emissionen“ getroffen werden, sondern es bleiben weiterhin drei Kernfragen, die die Befürworter der Kernkraft beantworten müssen, wenn Letztere ein Teil des Energiemix’ der Zukunft werden soll: Das Erste ist die ökonomische Kosten-Nutzen-Bilanz; es gibt immer noch große Zweifel, wie man den vollen Kostenzyklus mit hereinnimmt, d.h. ob eigentlich die Kernkraft betriebs- und volkswirtschaftlich konkurrenzfähig ist. Zweitens haben wir immer noch das Problem, dass wir bis heute nicht wissen, wie wir eigentlich mit dem Phänomen des Atommülls umgehen sollen. Und drittens leben wir in einer Welt, in der nukleare Proliferation und auch Terrorismus die Sicherheitsfrage eher noch erhöht haben im Vergleich zu früher. Die Welt braucht klare Informationen, um sich dann entscheiden zu können, ob eigentlich die Kernkraft wirklich ein Schlüssel ist für die Energieproblematik.
Herr Steiner, vielen Dank für dieses Gespräch.