Alles auf Anfang – Reboots im Hollywood-Film. Dr. Oliver Schmidt im Interview mit Alexander Karl, 29.07.2014

Was haben die aktuellen Filme über „Transformers“, „James Bond“ und „Batman“ gemeinsam? Sie sind erfolgreiche Reboots bereits existierender narrativer Welten und Franchises, sagt der Medienwissenschaftler Dr. Oliver Schmidt. Der Begriff Reboot, so Schmidt, tauchte etwa 2008 in der filmjournalistischen Presse auf und findet seit kurzem auch seinen Weg in den filmwissenschaftlichen Diskurs.
Im Rahmen der Tagung „The Cinematic Space: Experience, Knowledge, Technology“, die zugleich die Abschlusskonferenz des Forschernetzwerks „Erfahrungsraum Kino“ war, referierte Schmidt über „Hollywood Reboots – Zur Transformation medialer Erfahrungswelten“. Im Interview mit Alexander Karl spricht er über die Besonderheiten des Reboots, den Unterschied zum Remake und die Bedeutung des Zeitgeists.

Alexander Karl: Herr Schmidt, was macht ein filmisches Reboot zu einem Reboot?

Oliver Schmidt: Reboots im strengen Sinne sind Neustarts von Film- oder TV-Serien. Diese werden jedoch nicht einfach weitererzählt, sondern die Macher gehen zurück an den Nullpunkt des narrativen Universums und rollen die Geschichte von vorne auf. Und dieser Neubeginn beim Reboot ist in der Regel auch verbunden mit einer Aktualisierung der Ästhetik. Das sieht man sehr schön in den „Batman“-Filmen unter der Regie von Christopher Nolan, den „Transformers“-Filmen, die auf der Zeichentrick-Serie aus den 1980er Jahren basieren, oder bei den „James Bond“-Filmen mit Daniel Craig in der Hauptrolle.

Welche Merkmale des Reboots erkennen Sie beispielsweise in den neueren „James Bond“-Filmen?

Der erste „James Bond“-Film mit Daniel Craig heißt „Casino Royale“, was auch der Titel des ersten Bond-Romans von Ian Fleming war – da ist der Schritt zurück zum Anfang also programmatisch. Ästhetische Neuerungen werden schon zu Beginn an einer Schwarz-weiß-Sequenz deutlich, einem Blick zurück in die „berufliche Frühphase“ von James Bond, als er seinen ersten Auftragsmord begeht. Gleichzeitig ist der von Craig dargestellte James Bond körperlich athletischer, brutaler, was an die frühen Filme mit Sean Connery erinnert, etwa unter Roger Moore aber verloren gegangen war. Auf der anderen Seite wird Bond aber verletzlicher, er wird tatsächlich gefoltert und nur durch fremde Hand befreit. James Bond ist plötzlich hilflos, sowas haben wir in dieser Form bisher nicht gesehen. Früher konnte der Zuschauer davon ausgehen, dass Bond gewinnt. Das gilt heute also nur noch mit Einschränkungen.

Was sagen solche Neuerungen über den Zeitgeist aus?

Motivisch wird deutlich auf die Anschläge vom 11. September und die gesellschaftliche Atmosphäre danach verwiesen – etwa das bereits angesprochene Motiv der Folterung, das etwa in der medialen Berichterstattung über den Irak-Krieg sehr präsent war. Hinzu kommt, dass die Figur James Bond deutlich komplexere Züge aufweist: Bond bekommt eine Geschichte als rekrutierter Waisenjunge, verliebt sich, beginnt zu „saufen“ und verliert in „Skyfall“ auch seine Mutterfigur M. Die Bond-Welt wird also deutlich härter, gleichzeitig wird Bond als Figur psychologisiert, was ganz neue Anknüpfungspunkte für die Zuschauer bietet.

Wie reagiert der Zuschauer auf die neuen Thematiken des Reboots?

Auf der einen Seite werden die Zuschauer in ihren Erwartungen erschüttert. Damit spiegelt die Erzählung der aktuellen „James Bond“-Filme auch gesellschaftliche Traumata wider, die noch nicht verarbeitet sind. Diesen Aspekt betont auch der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser immer wieder, nicht nur bezogen auf Reboots. Dies findet sich auch in einer ganzen Reihe anderer Filme. Auf der anderen Seite bieten die neuen Bond-Film den Zuschauern über die Form der Erzählung und die doch sehr starke Bond-Figur gleichzeitig die Möglichkeit, diese filmischen Traumata – und möglicherweise auch die gesellschaftlichen Traumata, die die Filme aufgreifen – zu verarbeiten.

Wie unterscheidet sich aber nun das Reboot von Remake?

Beim Remake existiert im Normalfall eine filmische Vorlage, die möglicherweise erfolgreich war und die zum Beispiel für den US-amerikanischen Markt adaptiert werden soll. So ein Remake wird auch meist nur einmal gemacht. Anders ist das bei Reboots: Hier wird meist implizit an den Start einer neuen filmischen Serie gedacht, auch an einen erneuten Start, also ein Re-Reboot, wie wir es zum Beispiel schon mit „The Amazing Spider-Man“ gesehen haben. Daher nutzt man dafür auch mediale Ikonen, die im Gedächtnis breiter Zuschauerschichten fest verankert sind. Auch wenn es sich bei Reboots in der Regel um Blockbuster-Produktionen handelt, können sie durchaus eine eigene Handschrift tragen, sie lassen sich also durchaus als Vertreter der Autorenkinos verstehen wie etwa bei den „Batman“-Filmen von Christopher Nolan, der in der Presse auch als „Blockbuster-Auteur“ bezeichnet wird.

Auch den Machern einiger Quality-TV-Serien wird eine eigene Handschrift bescheinigt. Lässt sich das Kino bei Reboots vom Fernsehen inspirieren?

Nein, ich würde sagen, dass Reboots einer der wenigen Bereiche sind, die nicht so sehr von der Quality-TV-Entwicklung der vergangenen zehn Jahre abhängen. Das Reboot ist vielmehr ein Phänomen, das in beiden Medien gleichzeitig und gleichberechtigt stattzufinden scheint, im TV etwa mit den Reboots „Battlestar Galactica“ oder den von der BBC produzierten Serien „Jekyll“ und „Sherlock“.

Was ist Ihre Prognose: Wie lange hält der Trend des Reboots noch an?

Es hält auf jeden Fall so lange an, wie Hollywood damit Geld verdienen kann und der Zuschauer darin einen Mehrwert für sich sieht. Aktuell lässt sich bei filmischen Reboots eine kleine Flaute bemerken. Interessant wird sicher die bereits angekündigte „Star Wars“-Triologie sein, die dem Reboot-Trend einen erneuten Schub geben oder ihren Niedergang einläuten könnte. Aber Hollywood hat es noch in jeder Krise verstanden, sich selbst neu zu erfinden, sodass die eigentlich spannende Frage ist, was nach dem Boom von Reboots und Comic-Verfilmung das nächste große Ding in Hollywood sein wird.

 

Zur Person: Dr. Oliver Schmidt promovierte 2011 an der Universität Bremen, arbeitet seitdem u.a. in Bremen und Hamburg. 2008 erschien seine Monografie über David Lynch „Leben in gestörten Welten“ und im Jahr 2013 seine Dissertation „Hybride Räume – Filmwelten im Hollywood-Kino der Jahrtausendwende“. Zudem ist er Mitherausgeber von Rabbit Eye – Zeitschrift für Filmforschung.

 

Coulter, Gerry: Tadeo Ando, One World Trade Centre and “The Ground Zero Project”, 25.06.2014

I. Introduction

The recently opened One World Trade Centre (One WTC or “The Freedom Tower” as some insist on calling it) in New York City is a curious edifice. The building is the center piece of an ongoing effort to respond to the events of September 11, 2001. It is a remarkably unexceptional modern tower of glass and steel (104 stories) reaching a symbolic 1776 symbolic feet (541m) at the top of its 408 foot (104m) high tower. I am among those who did not think that anything would make us miss the architecture of the twin towers as much as this building does. America felt it had to respond to 9/11 with a big building and that is what it has done. Now that we have One WTC I wonder if anyone wonders what we might have had in place of this monstrous ode to architectural mediocrity and petty local politics.

In this essay I will examine One WTC in contrast with the project proposed for the site by the Pritzker Prize Laureate Tadeo Ando. Ando wanted to use the space to help Americans reflect upon their place in the world. In an odd way, One WTC also accomplishes this goal but not in the way Ando intended.

II. ‘One World’ Trade Centre

“We came back and we rebuilt it and we should feel good about it” (One WTC architect David Childs cited in Rabb, 2013).

The original Twin Towers were not especially interesting works of architecture in comparison to what they represented – they were a symbol. In a world which was entering into increasing levels of hyper-realism, the original towers stood as a fictional center of digitalized integrated globalizing capitalism – architecture serving as the fiction of how society was being taught to imagine itself by its financial elites. As clones of each other the Twin Towers also represented a kind of lapse of architectural reason (See Baudrillard and Nouvel, 2000: 4 ff). Today the symbolism is more brutal: “One World” Trade Centre is more than an address – it is a commentary on Western globalization from one of its principal nodes. “One World” is the only way capitalism can now view the future – one world united under Westernization. Many Americans, and some others, can only understand globalization as “Americanization”, and One WTC is a monument to this ideology. As such it makes an adequate symbolic replacement for the Twin Towers expressed in New York City’s prevailing language of verticality.

On September 11, 2001 America experienced not only a symbolic defeat – there were real economic consequences. While an invasion of Afghanistan was probable no one could have foreseen the invasion of Iraq and the devastating toll this war has taken on an already bankrupt (several times over by 2001) American economy. According to my own computation from various U. S. Congressional and White House reports, it appears the cost of the Wars in Iraq and Afghanistan are approaching one trillion dollars since 2003 or about $8.7 M (€5.8 M) per day.

Similarly One WTC has delivered a hard economic blow to New York City whose commuters have experienced skyrocketing tolls to use the commuter systems to and from the island of Manhattan for several years. Cost estimates for the tower (the world’s most expensive building) were originally set at $2 billion (€ 1.33 B) and by the time of completion will reach at least $3.8 B (€ 2.53B). Its 3 million square feet of office space (replacing the 10 million square feet of the twin towers) will need to rent at 100 per cent occupancy at a rate of $125 (€ 83) per square foot for the building to break even. Over the past three years the average rent for office space in lower Manhattan is $62.50 (€ 41.6) per square foot as One WTC opens into a glutted market. When the building finally began in 2006 rents were falling in New York and a good deal of the “trimming” done to Daniel Libeskind’s original plans by Skidmore, Owings, and Merrill’s David Childs was a direct effort to cut costs. Still, in 2014 the anchor tenant Conde Naste is paying less than $60 (€ 45) per square foot. According to the Wall Street Journal today only 55 per cent of the building is leased and no new tenant has signed on in three years. The rent for non-anchor tenants has been dropped from $75 per square foot to $69 (€50 to €46). (http://on.wsj.com/1jVTyvd).

Further, cost overruns to its yet to be completed train station are currently in excess of $1B (€6.66 M). The Durst Corporation which manages One WTC values the $3.8 B tower at only $2B (€ 1.33 B). Through their constantly increasing commuter tolls workers in One WTC are subsidizing the rent of their employers.

One WTC is an incredible example of an edifice which makes no commercial sense and very little architectural sense. At the tenth anniversary memorial for 9/11 former New York State Governor Andrew Cuomo was overheard speaking with former New Jersey Governor George Pataki: “This is the biggest waste of money anybody’s ever seen. Who would have ever spent this money. If we knew what this was going to be like, nobody would have ever done this” (cited in Rabb, 2013).

Even among its architectural neighbors One WTC lacks architectural interest. It is a building in which many find neither grace nor charm. One of its harsher critics (the London-based graffiti artist Banksy), said that the building shows that New York “has lost its nerve” and the building represents that “New York’s glory days are over”.

III. One of the Potential Alternatives

“…nature is being destroyed by humans. There should be a harmony between the artificial world, the natural environment, and human beings” (Ando, 2009).

For a global economic and military power to be so successfully attacked as America was on September 11, 2001, by a relatively powerless group of individuals, is a humiliation. One World Trade Centre is a response to this act of humiliation. There was widespread demand for the Twin Towers to be rebuilt or be surpassed by another very large edifice – it had to be big. Very few called for anything but another architectural monster to reply to the monstrous attack. What we have in the end is another unexciting architectural monster in Manhattan to replace the Twin monstrosities which towered over their skyline like alien objects from an unmade Kubrick film.

One architect did offer the Americans an opportunity to avoid the creation of yet another architectural monstrosity for this site – Tadeo Ando (b. Japan, 1941). In Ando’s architecture Western Modernist architecture meets Eastern thought concerning balance, the human need for contemplation and edifices which deeply respect their environment. As he has said: “You cannot simply put something new into a place. You have to absorb what you see around you, what exists on the land, and then use that knowledge along with contemporary thinking to interpret what you see” (Ando, 2002b).

Ando, a self-taught architect, has worked within this philosophy for five decades and has won world architecture’s highest award: The Pritzker Prize (the equivalent of a Nobel Prize for architecture). Anyone unfamiliar with his work can, even after a few minutes of looking at several of his works on the internet, understand Ando’s gift (see especially his: Museum of Wood, (Hyogo, Japan [1994]; Chikatsu-Asuka Historical Museum (Osaka, Japan [1994]); Nariwa Museum (Okayama [1994], Oyamazaki Villa Museum (Kyoto [1995]; Awaji-Yumebutai Complex and Gardens (Hyogo [1999]); Studio Karl Lagerfeld (Biarritz [2001]; 4 x 4 House (2003); Row House, Azuma (1976); and Koshino House (1986)] . Ando has long been acutely aware of the need of humanity for buildings which compliment nature and the human need for peaceful contemplation. Often light [Church of the Light (1989); Atelier in Oyodo (1991)] and water [Fort Worth Museum of Modern Art (2002); Naoshima Contemporary Art Museum (1992) and his Hompuku-ji Water Temple, Hyogo (1991)] are used to compliment his overall philosophy of architecture.

Like many architects around the world Ando was profoundly affected by the events of September 11, 2001 – especially the fall of the twin towers and the deaths of nearly 3000 people on that day. When a competition was announced for both a memorial and a structure to replace the Twin Towers Ando offered perhaps his most thoughtful design – his Project for Ground Zero (2003). While it was never seriously considered by the adjudication panel (who had already been affected by the fever to respond with a huge vertical edifice), Ando’s proposal is more than an old model gathering dust in an architect’s storeroom. [Images of Ando’s proposal may be found by entering: “Tadeo Ando proposal for ground zero” into most search engines].

Among Ando’s recent gifts to architecture, theory and philosophy have been his unique solution to the question of what to do with “Ground Zero” in New York. Ando offered New York and America an opportunity to use the symbolic space of Ground Zero as a public place of contemplation on America’s place in the world. Ando said about his proposal: “It is important for architecture to touch the human spirit” (Ando and Rose, 2004). Against the terrorist action and the military response to it Ando proposed that a small section of a massive [imaginary] subterranean globe occupy on the site. This project, which will never be built, would also have spoken softly against the wild and callous architecture of downtown Manhattan – precisely the kind which now stand on this spot. The surface of the imaginary sphere would be a grass covered mound (a park for quiet contemplation and reflection) not unlike ancient Japanese burial mounds.

Ando proposed a singularity – a park in the shape of the imaginary globe slightly exposed above the surface. The result would have been a grass covered mound 650 feet [165m] in diameter which reached a height of 100 feet [32m] in the center. The mound would serve as the symbolic exposed surface of the imaginary underground sphere which would, in total, represent 1/30,000th of the surface of the earth. People walking across the mound would gain the impression of walking along the surface of a large sphere. Ando saw this project as an opportunity for people to think about how we are going to live together in the future on our shared celestial home. I think Ando knew full well that his project would never win the competition and it seems clear that he simply wanted to use it as a philosophical gift to Americans in the form of an unfinished design. He also understood that simply erecting another building on the site would do nothing to respond to the need for spaces in which to contemplate how we are going to live together as diverse peoples in the age of terrorism. Along with this project he offered the Americans advice: “I think that what we need now is the courage to construct nothing more on this site” (Ando, 2002a).

As has long been the case with Ando his solution to the problem of architecture at ground zero has been unique. He seems to have never believed in universal principles being applicable to all situations given his respect for the environment, light and those who will use his buildings. Against those who sought a military response to the events of September 11, 2001 Ando wanted to provide a park, which the exposed part of his globe was to be, to remind people that New York and America are part of the world. “I want the surface to disappear and become a space – a space that stimulates thinking. If the surface does not speak too loudly, then the people will begin to think about themselves. They bring the meaning to the space” (Ando in Auping, 2002).

In an age given over to architectural unreason (city after city dominated by office towers) Ando has so far not designed a monster. Perhaps it is because Ando is an autodidact that he was able to abandon so much of architectural history (save some key insights from the best of Modernism) and to offer up such a consistent and strong series of works. The most important thing he incorporates into his architecture has been his own intellectual sensitivities to place and space. He seldom, if ever, did this any better than in his proposal for the Ground Zero site in New York.

“As an architect this is all I can do – to create a dialogue among diverse cultures, histories, and values. We can learn so much from each other and our past” (Ando in Auping, 2002).

What Ando proposed was a philosophical and psychologically necessary park for meditation. What New York got was another glass, concrete and steel tower: an architectural act of [along with the invasion of Afghanistan and Iraq] in response to terrorism. One World Trade Centre stands to lose a lot of money for the foreseeable future. It seems an extraordinary expense for what is to be gained from it – this the tower shares with America’s War in Iraq.

A question remains: After the Twin Towers fell the terrorists and their supporters claimed a significant victory in the global war that is globalization and resistance to it (terrorism being the most extreme and distasteful form of resistance). It seems to me that Ando’s project clearly denied the terrorists (or anyone) a claim to victory. I wish I could say the same for One, World Trade Centre.

 Dr. Gerry Coulter

Full Professor and Past Chairperson, Department of Sociology, Bishop’s University, 2600 College Street, Sherbrooke, Quebec, Canada.  J1M 0C8

E-mail: gcoulter@ubishops.ca

Biography: Gerry Coulter has published over 150 scholarly and par-scholarly articles, reviews, and book chapters [many on art and architecture] over the past twenty years. He has presented his work at over 50 conferences around the world including two key-note addresses. He is the author of two books: Jean Baudrillard: From the Ocean to the Desert – The Poetics of Radicality (Intertheory Press, USA, 2012) and Art After The Avant-Garde: Baudrillard’s Challenge (Intertheory, 2014). He is the founding and managing editor of The International Journal of Baudrillard Studies (IJBS now in its 11th year): http://www.ubishops.ca/baudrillardstudies. His major reference work (456 pages): The Baudrillard Index may be accessed from the cover page of the IJBS website. Dr. Coulter’s teaching has been recognized on numerous occasions including Bishop’s University’s highest award for teaching – the William and Nancy Turner Prize. He serves on the editorial board of several North American and European Journals.

References (and other important documents concerning Ando)

Tadeo Ando (1995). “Acceptance Speech for the Pritzker Prize”: http://www.pritzkerprize.com/laureates/1995/ceremony_speech1.html

Tadeo Ando (2002a). “Architect’s Statement Concerning His Proposal For Ground Zero”. www.ando.groundzero/architect/ando/statement/240702

Tadeo Ando (2002b). “Interview with Architectural Record” (May): http://archrecord.construction.com/people/interviews/archives/0205Ando.asp

Tadeo Ando with Charlie Rose (2004). Interview, Charlie Rose Show (January 22): www.charlierose.com/view/interview/1616

Tadeo Ando (2009). Interview With CNN’s “Talk Asia” (aired: October 30, 2009).

Michael Auping (2002). Seven Interviews With Tadeo Ando. Fort Worth: Modern Art Museum of Fort Worth Publication.

Jean Baudrillard and jean Nouvel ([2000] 2002). The Singular Objects of Architecture. University of Minnesota Press. Translated by Robert Bononno.

Gerry Coulter (2008). “Louis I. Kahn The timeless Art of Light and Form”. Euro Art (On-line) Magazine (Summer):  http://www.euroartmagazine.com/new/?issue=14&page=1&content=168

William Curtis (2000). “A Conversation with Tadeo Ando”. El Croquis, No. 44+58.

Kenneth Frampton (1995). “Thoughts on Tadeo Ando” [An essay on Ando winning the Pritzker Prize]: http://www.pritzkerprize.com/laureates/essay.html

Alessandra Latour. (Editor). Louis I. Kahn, Writings, Lectures, Interviews, New York: Rizzoli, 1991.

Scott Rabb (2013). (“The Truth About The WTC”, Esquire Online Magazine: April 29): http://www.esquire.com/features/world-trade-centre-rebuilding-0912

Ruth Peltason and Grace Ong-Yan (2010). Architect: The Work of Pritzker Prize Laureates in Their Own Words. New York. Black Dog Press.

Pritzker Prize Committee (1995).  Biography accompanying Pritzker Prize Acceptance Speech: www.pritzkerprize.com/laureates/1995/bio.html).

Paul Lukas: „Vinyl“

Besprochen von Julia Schmidt

  • Paul Lukas: Vinyl. Milena: Wien 2012. 232 Seiten.

Wie ein ständiges Auf und Ab, himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt: so beschreibt Paul Lukas in seinem Roman „Vinyl“ die Liebesbeziehung zwischen dem Ich-Erzähler und seiner großen Liebe, der unberechenbaren und kompromisslosen Nadja.

Der Protagonist, ein ehemaliger Musiker, dessen Namen der Leser während des gesamten Romans nicht erfährt, arbeitet in einer Berliner Plattenfirma und führt ein trostloses Leben. Immer wieder springt er  zurück in die Vergangenheit und erzählt, wie er seine große Liebe Nadja kennenlernte, wie sie sich verliebten, wie sich ihre Beziehung entwickelte. Und wie er zu seiner Band, den „Sonntagsmördern“ kam, mit denen er so viele Jahre verbracht und gespielt hat.

Während all seiner Erzählungen steht die Beziehung zu Nadja im Mittelpunkt. Diese hat nichts Beständiges, nichts Sicheres oder Routiniertes. Wunderschöne und harmonische Momente wechseln sich ab mit heftigen Streitereien. Nadja ist eine komplizierte Person,  auf der einen Seite sehr stark und selbstbewusst, eine junge Frau mit klaren moralischen Vorstellungen, der Spießertum, Heuchelei und Geldgier ein Gräuel sind. Doch auf der anderen Seite verliert sie schnell die Kontrolle über ihre Emotionen, bricht zusammen und muss gepflegt und geschont werden, bis es ihr wieder besser geht. Auch mit der musikalischen Karriere des Erzählers geht es nicht immer steil bergauf. Die Band hat einige Anlaufschwierigkeiten, es dauert lange, bis die Musiker wirklich genug Erfolg haben, um von ihrer Musik leben zu können. Dies bringt ständige Geldprobleme für den Protagonisten mit sich, der zudem noch eine kleine Tochter aus einer früheren Beziehung zu versorgen hat.

Trotz dieser Schwierigkeiten steht der junge Mann von „damals“  in klarem Kontrast zu seinem jetzigen Ich. Als der Protagonist Nadja kennenlernt, ist er ein lebenshungriger junger Mann, der optimistisch in die Zukunft blickt, sein älteres Ich jedoch ist ein Zyniker. Dieser Mensch hat von Politik, Jugend und Gesellschaft eine sehr geringe Meinung und verspricht sich auch von seinem eigenen Leben nicht mehr viel. Mit Nadja ist er nicht mehr zusammen, sie fehlt ihm sehr und er hat ihren Verlust nicht überwunden. Durch die Zeitsprünge setzt sich das Leben des Protagonisten nach und nach wie ein Puzzle zusammen und die Frage, wie und warum die Beziehung zu Nadja ein endgültiges Ende findet, wird erst am Schluss beantwortet.

Nadja sucht ihren ehemaligen Geliebten nach einer mehrjährigen Trennung auf und bittet ihn um Hilfe. Erneut fühlt sich der Protagonist zu ihr hingezogen. Als sie ihm jedoch von ihrem Plan erzählt, ist er geschockt. Nadja ist traurig und wütend über den Tod ihrer Tante, der auf eine falsche ärztliche Behandlung zurückzuführen war und möchte ein Zeichen setzen. Sie will eine Bombe zünden und so gegen die Geldgier im Gesundheitssystem protestieren. Ihr Ex-Geliebter schafft es nicht, sie aufzuhalten; Nadja wirft die Bombe. Sie stirbt, er verliert eine Hand. Die musikalische Karriere des Protagonisten ist vorbei, doch dies scheint ihm gleichgültig zu sein. Nadjas Tod reißt ihn in tiefe Depressionen, sie bedeutete ihm alles.

Die Geschichte insgesamt ist ein wenig düster, von der Tatsache überschattet,  dass der Protagonist nicht mit seiner großen Liebe zusammenbleibt, er in einem Job endet, den er nicht ausstehen kann und seinen Kummer in Alkohol ertränkt. Dagegen ist die Sprache sehr bunt, reich an Bildern und Metaphern. Das ständige Auf und Ab in der Beziehung ist spannend mit zu verfolgen und auch die Frage, was zum endgültigen Bruch zwischen Nadja und ihrem Geliebten führt, erhält die Neugier aufrecht.  Vinyl – ein umgangssprachliches Wort für „Schallplatte“; genau wie dieser Tonträger scheint auch der Protagonist seine beste Zeit hinter sich zu haben. Er hängt einer vergangenen Liebe nach und auch seine berufliche Lage scheint aussichtslos. Das Ende des Romans gibt jedoch Mut: der Erzähler erwacht aus seiner Gleichgültigkeit, kündigt seinen ihm so sehr verhassten Job und beschließt, es noch einmal mit der Musik und dem Leben zu versuchen.

Bei Märchen gibt es kein Copy-Paste. Prof. Susanne Marschall im Interview mit Alexander Karl, 19.10.2013

Die Tübinger Professorin Dr. Susanne Marschall ist nicht nur Expertin für Filme und Serien, sondern auch für Mythen und Märchen. Sie selbst ist ein großer Fan von Jean Cocteaus Die Schöne und das Biest. Mit Alexander Karl sprach sie über den Subtext in Märchen, die Rückbesinnung auf die Düsternis und das Frauenbild in Twilight.

Alexander Karl: Frau Marschall, sind Märchen Kinderkram?

Susanne Marschall: Nein, ganz im Gegenteil. Zwar wurden die bekannten Märchen der Gebrüder Grimm überwiegend als Kinderliteratur rezipiert, doch wenn man genauer hinsieht, entdeckt man viele „erwachsene“ Themen und zwar gerade in den bekannten Märchenstoffen. Tod, Einsamkeit, Ausgrenzung und schließlich Sexualität sind wichtige Themen des Märchens.

Wo denn zum Beispiel?

Etwa in Rotkäppchen: Die Begegnung mit dem Wolf wurde häufig als sexuelle Initiation interpretiert. Aber auch das Abschneiden der Ferse bei Aschenputtel kann als pervertierte Form der Sexualität verstanden werden. Viele Märchen sind durch solche Subtexte geprägt. Zum Beispiel das Leitmotiv der Verwandlung – etwa vom Mensch zum Wolf – lässt sich als Metapher für die wilde Seite der menschlichen Existenz verstehen. Symbolisch werden Tiere mit unkontrollierten Trieben in Verbindung gebracht, wobei dies natürlich nur die menschliche Sicht der Dinge ist.

Die Gebrüder Grimm sind in Deutschland die bekanntesten Märchenerzähler, obwohl ihre Werke vom Anfang des 19. Jahrhunderts stammen. Woher kommt das?

Die Sammlung und Bearbeitung von oral tradierten Märchen durch die Gebrüder Grimm im frühen 19. Jahrhundert begründete die wissenschaftliche Märchenkunde. Das war ein immenses Projekt und hat dazu geführt, dass in der Folge ein riesiger Fundus an Stoffen gedruckt zur Verfügung stand. Dazu kamen dann zum Beispiel noch die orientalischen Märchen usw. Es warteten plötzlich so viele Plots auf weitere künstlerische Auseinandersetzungen, dass es wahrscheinlich sehr schwer war und ist, etwas grundsätzlich Neues zu erfinden.

Auch die Gebrüder Grimm haben bekannte Erzählungen adaptiert und teilweise verändert. Begann die Copy-Paste-Kultur dann nicht schon vor dem Internetzeitalter?

Nein, bei Märchen würde ich das nicht Copy-Paste nennen, sondern eine „Arbeit am Märchen“ in Anlehnung an Hans Blumenbergs großartiges Buch „Arbeit am Mythos“. Blumenberg stellt die These auf, dass Menschen Mythen brauchen, um ihre Erfahrungen mit der oft unverständlichen Umwelt zu verarbeiten. Mythen sind für Blumenberg Geschichten mit einem starken narrativen Kern und vielfältigen Variationsmöglichkeiten. Sie sind dazu da, weiter erzählt, verändert und neu gelesen zu werden. Ob man das nun im Buch, auf der Theaterbühne, im Film oder sogar im Comic tut, ist in diesem Kontext erst einmal zweitrangig. Wichtig ist die Offenheit des mythischen bzw. des märchenhaften Textes für das Neue, also auch für die neuen Themen der Gegenwart. Exemplarisch kann man dies am Mythos des Prometheus sehen, der den Menschen erschaffen hat, und an Pygmalion, der sich eine künstliche Frau gebastelt hat. Aus diesen griechischen Sagen gingen romantische Schauergeschichten wie Mary Shelleys Frankenstein und E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann hervor. Das Kino machte den Cyborg, den Maschinenmenschen, zur populären Denkfigur, die sich mit jeder technischen Innovation verbinden lässt.

Gilt das dann auch für Märchen?

Ja, auch Märchen haben einen narrativen Kern. Der Mensch arbeitet an seinen Märchen, um mit den Fragen, die er für sich nicht beantworten kann, fertig zu werden. Er entmachtet sozusagen die Alltagserfahrung, indem er sie in Erzählungen verpackt – und er personalisiert tradierte Stoffe durch Abwandlungen. Auch bei Märchen findet sich diese Dynamik zwischen symbolischen Kern und Variation. Darum sind sie wie die Mythen unsterblich.

Das Düstere gehört zum Märchen

In diesem Jahr erschien der Film Snow White and the Huntsman mit Charlize Theron und Kirsten Stewart, der eine düsterte Version der Geschichte von Schneewittchen erzählt. Ist das ein Beispiel für die Rückbesinnung auf die Ursprünge der Märchen?

Das Düstere gehört zum Märchen und insofern ist das wirklich eine Rückbesinnung. Schneewittchen ist dafür ein gutes Beispiel: Aus Eifersucht auf Schneewittchens Schönheit trachtet die Stiefmutter schon dem kleinen Mädchen nach dem Leben. Das ist eine sehr brutale Geschichte. In der Pädagogik wurde und wird diskutiert, ob Märchen überhaupt für Kinder tauglich sind, weil sie oft so abgründig sind.

Gibt es auch bei Märchen einen idealen Aufbau?

Ja, ein Märchen fängt mit einer Formel an und endet auch so. „Es war einmal … und wenn sie nicht gestorben sind…“ Märchen und Mythen folgen festen Mustern, die vor allem für die mündliche Tradierung wichtig sind: Dramaturgie hilft der Erinnerung. Die Geschichten brauchten den festen Rahmen, damit man sie sich merken konnte. Zum Märchen gehören aber auch Motive wie Verwandlungen oder die Reise der Figuren ins Ungewisse. Überhaupt sind Landschaften wichtig. „Das kalte Herz“ des schwäbischen Romantikers Wilhelm Hauff – er hat übrigens in Tübingen studiert – ist ohne seinen Ort, den Schwarzwald, nicht denkbar. In diesem dunklen, geheimnisvollen Wald können ein Glasmännlein und ein Holländer-Michel ihr Unwesen treiben – das kann man sich gut vorstellen.

Wichtig für Märchen sind auch die Antagonisten. Bei Schneewittchen, aber auch bei Hänsel und Gretel, ist es die böse Stiefmutter. Ist es Zufall, dass es oft Frauen sind?

Es sind ja nicht immer Frauen. Aber die Thematisierung der bösen Stiefmutter spielt mit Sicherheit auch auf früher existierende familiäre Problemfelder an, zu Zeiten, als der Blutsverwandtschaft ein großes Gewicht gegeben wurde. Heute leben wir zum Glück in diesem Sinne freier, unsere Vorstellung von Familie hat sich stark gewandelt. Märchen wurden und werden durch den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel geprägt. Darum ist ein Märchenfilm wie der aktuelle Blockbuster Spieglein, Spieglein, bei dem der Inder Tarsem Singh Regie geführt hat, besonders interessant. Das Märchen wird global und stilistisch hybrid.

Das Wiki „TV Tropes“ nennt die Rückbesinnung auf die düsteren Wurzeln „Grimmification“. Wie sieht die Wissenschaft das? Gibt es einen Trend?

Es gibt sicher diesen Trend, aber auch Vorreiter der „Grimmification“. Etwa die Rotkäppchen-Adaption Die Zeit der Wölfe von Neil Jordan aus dem Jahr 1984, der das Märchen als böses Pubertätsdrama inszeniert und fast wie ein Horrorfilm daherkommt. Generell aber lässt sich ein zunehmendes Interesse der Filmemacher an Märchenstoffen beobachten.

Woran liegt das?

Das liegt vielleicht an dem Fantasy-Boom der letzten Jahre, dem keine wirklich großen Würfe in den Dimensionen von Herr der Ringe und Harry Potter mehr gelingen. Von Fantasy zum Märchen ist es dann filmisch oft nur ein Katzensprung, weil viele Filme das in beiden Genres beliebte Spektakel in den Mittelpunkt stellen. Eigentlich unterscheiden sich Fantasy und Märchen nämlich deutlich. Aber Tricks, groteske Masken und opulente Kostüme passen zu beiden. Twilight als hybride romantische Vampirsoap steigert diesen Attraktivitätsgrad des Plots sogar noch durch ein zweites Monster, die Werwölfe. Das ist eine klare Tendenz unseres globalen Mainstream-Films: Aus der vollen Schatztruhe der Märchen und Mythen werden narrative Elemente und Bausteine kunterbunt gemischt und zu einem Mega-Fantasy-Märchen-Event verschmolzen.

Der Reiz an Vampiren: Angst vorm Tod und Sehnsucht vor Unsterblichkeit

Auch im TV wird derzeit gerne mit Übersinnlichem gearbeitet: Vampire Diaries, True Blood oder auch Grimm sind Beispiele dafür. Kommt es bald zu einer Überdosis am Übersinnlichen?

Gefährlich und langweilig wird es dann, wenn die Neubelebung eines Stoffs nicht auf einer originellen Idee beruht. Wenn es nur noch um die Schauwerte fantastischer Welten und nicht mehr um Inhalte geht, sind die Ergebnisse traurig. Ein positives Beispiel ist die Serie True Blood: Die Welt wird von Vampiren bevölkert, die sich zum großen Teil in die menschliche Gemeinschaft integrieren wollen, sie trinken sogar nur noch künstliches Blut. Dennoch werden die Vampire ausgegrenzt und verachtet. True Blood handelt von Rassismus und zieht damit einen Subtext des Vampirmythos ans Licht, der zwar immer schon da war, aber selten so stark betont wurde.

Aber warum interessiert sich der Mensch für Werwölfe oder Vampire? Neigt er dazu, an das Übersinnliche zu glauben?

Eine allgemein gültige Antwort gibt es da wohl nicht. Doch eines sticht hervor. Der Vampirmythos bringt die menschliche Angst vor dem Tod und zugleich die Sehnsucht nach Unsterblichkeit zum Ausdruck. Vor der Unsterblichkeit haben wir aber eigentlich auch alle Angst. Und darum ist die unsterbliche Figur des Vampirs so ambivalent. Einerseits faszinierend, andererseits abschreckend. Seltsam ist, dass diese mythische Horrorgestalt heutzutage ein echter Trendsetter ist.

In Twilight erhalten Vampire ein neues Gewand: Sie glitzern in der Sonne und können Vegetarier werden. Ein gutes Beispiel für die Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten?

Absolut! Die Frage muss aber immer sein: Was wird damit erzählt? Welcher Funktion dient es? Und dort sticht Twilight heraus: Twilight träumt von einer elitären Welt der vampirischen Übermenschen, die schön und makellos sind. Ewige Gewinner, die in die Schule gehen und in jeder Klassenarbeit triumphieren, immer sexy sind und natürlich super cool. Die Filme sind ideologisch äußerst fragwürdig, aber sehr populär.

Twilight zeigt ja auch ein interessantes Frauenbild.

Interessant? Nein, anachronistisch! Aber das ist nichts Neues bei Vampirgeschichten, in denen Frauen meist als passives Opfer inszeniert werden, die von einem männlichen Blutsauger in Besitz genommen werden. Und doch gab es sogar schon im 19. Jahrhundert Gegenentwürfe, zum Beispiel in der Vampirgeschichte Camilla von Sheridan Le Fanu, die ziemlich deutlich von lesbischer Vampirliebe handelt. Um zum Schluss auf das Märchen zurückzukommen: Dessen Heldinnen sind oft wehrhafter als die weiblichen Figuren in den Horrorfilmen. Schneewittchen, Aschenputtel, Rotkäppchen und auch Schneeweißchen und Rosenrot rebellieren – und sind erfolgreich damit.

 

Das Interview erschien zuerst am 21. Juli 2012 auf media-bubble.de.

Karl, Alexander: Große Filmkunst einer nahezu Unbekannten – Lotte Reiniger, 19.10.2013

Sie ist die große Unbekannte des deutschen Films: Lotte Reiniger. Und doch war sie es, die mit ihren Scherenschnitten Filme schuf, die eine unnachahmliche Eleganz ausstrahlen und Kinofilme bis heute beeinflussen. Wer bei Scherenschnitt an Basteleien aus dem Kindergarten denkt, hat noch keinen Film von Lotte Reiniger gesehen. Nun entführt der Tübinger Dokumentarfilm “Lotte Reiniger – Tanz der Schatten” in die Welt der Schöpferin und des Scherenschnitts – und das Kino Museum zeigt den Film sogar von Donnerstag, 2.8.2012 bis Sonntag, 5.8. 2012, um 17:15 Uhr.

Lotte… wer?

Donnerstag, 26. Juli 2012: Im Tübinger Kino “Museum” feierte der Dokumentarfilm “Lotte Reiniger – Tanz der Schatten” Premiere, den die Masterstudenten der Medienwissenschaft in Tübingen gemeinsam mit den Autoren Prof. Susanne Marschall, Dr. Rada Bieberstein und M.A. Kurt Schneider geschaffen haben. Kooperiert wurde mit EIKON SÜDWEST und ARTE, zudem wurde das Projekt durch das Land und die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg gefördert.

Eine Stunde wurden die zahlreichen Zuschauer in die große Kunst des Scherenschnitts entführt. Nichts für Kindergartengruppen, was Lotte Reiniger bereits Anfang des 20. Jahrhunderts geschaffen hat: Sie war es, die 1926 mit “Die Abenteuer des Prinzen Achmed” den ersten abendfüllenden Animationsfilm schuf – nicht etwa Walt Disney. Die von ihr geschaffenen Figuren wurden mit viel Liebe zum Detail aus einem Pappe-Blei-Gemisch zusammengebastelt, mit Scharnieren verbunden – und ermöglichten es ihr so, die Figuren zu bewegen und ihnen Leben einzuhauchen. 24 einzelne Bilder machte Reiniger, um eine Sekunde Filmmaterial herstellen zu können. Tausendfach zog sie an einer Kordel, um den Auslöser zu betätigen, bewegte dabei die auf einer Glasplatte befindlichen Figuren nur minimal – bis nach vielen Tagen, Wochen und Jahren harter Abend endlich ein Film entstanden war. Wie eben der Stummfilm “Die Abenteuer des Prinzen Achmet”, der drei Jahre Produktionszeit kostete. Doch warum ist etwa Walt Disneys Schneewittchen und die sieben Zwerge aus dem 1937 wesentlich bekannter als Reinigers Werke? “Disney ist von vornherein auf den kommerziellen Massenerfolg aus gewesen und hat auch Schneewittchen genau daraufhin kalkuliert. Lotte Reiniger und ihr Mann Carl Koch waren ein Familienunternehmen, das im zusammen mit Freunden Filme aus Liebe zur Kunst anfertigte. “Das kommerzielle Interesse stand hier eher im Hintergrund”, sagt Kurt Schneider, geschäftsführender Leiter des Zentrums für Medienkompetenz (ZFM) an der Universität Tübingen und Autor des Dokumentarfilms.

Reinigers Erbe

Was kaum einer weiß: Reiniger inspirierte bis in die heutige Zeit. Wer die Filme zu Harry Potter und die Heiligtümer des Todes gesehen hat, kennt die dortige Darstellung des Märchens von den drei Brüdern: Es interpretiert die Scherenschnittkunst Reinigers neu, animiert sie digital – und doch zeugt die Filmsequenz von Reinigers Schattenspiel.

Auch im Video “Earth Intruders” von Björk lassen sich Anspielungen auf Reinigers Arbeit finden. Und trotz allem ist Reiniger in Deutschland nahezu unbekannt. Wie kam man im Institut auf die Idee, einen Dokumentarfilm über die Schattenspielkünstlerin zu drehen? “Susanne Marschall ist über die Dauerausstellung im Tübinger Stadtmuseum auf das Thema gekommen. Und weil der gesamte Nachlass von Frau Reiniger in Tübingen liegt, da sie in Dettenhausen verstorben ist”, so Schneider gegenüber media-bubble.de. Da Reiniger bereits 1981 starb, musste auf Archivmaterial zurückgegriffen werden, was das Team aber trotzdem in den Bann zog: “Auch wenn man Filme über Personen dreht, die man nur aus dem Fremdmaterial heraus kennen lernt, entsteht im Laufe der Beschäftigung mit diesen Personen eine Art Vertrautheit, eine emotionale Vorstellung davon, wie dieser Mensch wohl gewesen sein muss. Genauso ging es uns mit Lotte Reiniger. Sie ist jetzt quasi wie eine enge Freundin für uns.”

Doch noch etwas anderes zeigt das Beispiel des Dokumentarfilms “Lotte Reiniger – Tanz der Schatten”: Es ist möglich, in Kooperation von Studenten und dem Institut einen 60-minütigen Film auf die Beine zu stellen, der wohl in der ersten Jahreshälfte 2013 bei Arte gezeigt werden soll.

Folgen jetzt weitere Projekte der Güteklasse Lotte Reiniger? Kurt Schneider dazu: “Aber sicher. Ideen haben wir genug. Und wir haben mit diesem Projekt erfolgreich gezeigt, dass wir Filme aus dem Lehrbetrieb heraus produzieren können.”

 

Dieser Artikel erschien zuerst am 01.08.2013 auf media-bubble.de.

Fuhrmann, Sandra: Die 1000 Tode der ungarischen Medien, 14.10.2013

Sex, Blut und Gewalt: In den ungarischen Medien sind solche Inhalte mittlerweile verboten. Seit über einem Jahr wachen dort Medienwächter über Sitte und Moral. Was ist nur aus dem Land der feurigen Zigeuner und Husaren geworden? Sitzt in Ungarns Regierung tatsächlich nur ein Haufen von Moralaposteln oder gibt es vielleicht andere Gründe für die Medienzensur?

Und wer hat’s erfunden?

Am 1. 1. 2011 begann das große Übel – das ungarische Mediengesetz trat in Kraft und sorgt seit dem für Wirbel. Die britische Zeitung Guardian bezeichnete Ungarn gar als „One-party-rule“, also als Einparteienherrschaft. Denn seit die rechtsnationale Fidesz-Partei bei den Wahlen im April 2010 mehr als zwei Drittel der Sitze im Parlament  bekam, scheint sie ehrgeizige Ziele zu verfolgen, was die Umstrukturierung des politischen Systems betrifft. Die Zügel liegen dabei jedoch in den Händen eines Mannes – Victor Orbán. In den Achzigern selbst ein engagierter junger Aktivist, der auf den Straßen Budapests für Meinungsfreiheit demonstrierte, bringt der ungarische Ministerpräsident heute Leute gegen sich selbst auf die Straße.

Tod der Meinungsfreiheit

Doch was steckt nun eigentlich hinter Orbáns Gesetz zur Medienzensur? Einer der Kernpunkte des Gesetzes ist die Zusammenlegung der Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (NHH) mit der Fernseh- und Rundfunkaufsicht (ORTT). Aus dieser Fusion entstand die neue Medienaufsichtsbehörde NMHH.  Orbáns Leute betrachtet das als eine Steigerung der Effizienz und die Einsparung von Kosten, die dem ungarischen Mediensystem zu Gute kommen sollen. Vor allem Journalisten aber sehen in dieser Vereinheitlichung  den Tod der Meinungsvielfalt. Denn stirbt erst die Pluralität, kann es auch keine unterschiedlichen Standpunkte zu einem Thema mehr geben. Was bleibt ist allein Orbáns Meinung – beziehungsweise die Meinungen, die er für angemessen hält. Bereits seit dem Sommer 2010 werden die öffentlich-rechtlichen Sender von der NMHH kontrolliert und sind damit finanziell vollkommen abhängig von dieser. Mit dem Inkrafttreten des Mediengesetzes fielen dann auch die privaten Rundfunkanstalten unter die Aufsicht der Behörde.

Wer in Ungarn publizieren will, der muss nicht nur einen, sondern gleich mehrere Tode sterben. Bereits die Registrierung bei der NMHH kostet die Redaktionen Geld. Richtig schlimm wird es allerdings bei Verstößen gegen das Mediengesetz. In diesem Fall drohen hohe Bußgelder und im schlimmsten Fall der Verlust des Rechts in Ungarn publizieren zu dürfen. Doch allein die Angst vor den Bußgeldern genügt bei vielen Redaktionen, um Maßnahmen zur Selbstzensur zu treffen.

Mit Argusaugen

Als „Missverständnisse“ betitelte derweil der ungarische Außenminister Janos Martonyi die scharfe Kritik von anderen EU-Ländern, der sich Ungarns Regierung ausgesetzt sah. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn ging sogar so weit Orbáns Politikführung mit der des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu vergleichen, der in der Vergangenheit nicht nur Wahlen fälschen ließ, sondern auch mit Argusaugen darüber wacht, wer was in seinem Land an die Öffentlichkeit bringen darf. Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zweifelte die Vereinbarkeit des ungarischen Gesetzes mit dem EU-Recht an. Und das, wo der Start des Gesetzes ausgerechnet mit dem Beginn der sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft Ungarns zusammenfiel.

Ein Mann wie Orbán jedoch lässt sich von derartigen Kleinigkeiten nicht beirren. Er ließ sich weder sein Amt als EU-Ratspräsident, noch sein neues Gesetz vermiesen. Somit wurde auch gleich zu Beginn Rapper Ice-T aus dem Radio verbannt und der private Fernsehsender RTL Klub musste sich wegen eines blutbesudelten Betts, das er in seinen Nachrichten gezeigt hatte, verantworten.

Ohne Gnade, nur mit Frist

Eine englische Übersetzung, die die ungarische Regierung der EU-Kommission zur Prüfung zukommen ließ war nach Angaben des Internetportals origo.hu unvollständig und ließ wichtige Teile außen vor. Trotz allem wurden auf das Eingreifen der Kommission hin vier Punkte des 228 Paragrafen umfassenden Gesetzes geändert. Gegen Ende des vergangenen Jahres konnte das ungarische Verfassungsgericht die Änderung weiterer Passagen durchsetzen. Doch eine wirkliche Verbesserung gibt es auch über ein Jahr nach dem Start nicht. Erst im Dezember verlor der letzte oppositionelle Radiosender Ungarns – Klubradio – seine Lizenz. Der Sender ist der sechstgrößte Ungarns und wird durchschnittlich von etwa einer halben Million Hörern täglich verfolgt. Auf Grund einer gerichtlichen Klärung wurde Klubradio nun eine Gnadenfrist von 60 Tagen eingeräumt.  Das Ende jedoch, so scheint es, ist absehbar. Die Grundrechte der Europäischen Charta greifen zu kurz. Für den Medienbereich, so argumentiert die Kommission, seien zum Großteil die Länder selbst verantwortlich.

Der Kampf geht weiter

Die Proteste gegen Orbáns Politik werden währenddessen immer lauter und das Geld in den Kassen der Redaktionen immer weniger. Die Zeit Online berichtet in einem Interview mit der ungarischen Journalistin Edit Inotai, wie sogar die Laptops regierungskritischer Journalisten verschwinden. Tamás Bodoky galt über Jahre als einer von Ungarns großen Enthüllungsjournalisten. Im Juli des vergangenen Jahres gründete er eine Website, die als das ungarische Wikileaks bezeichnet werden kann. Atlatszo ist Bodokys Versuch das Mediengesetz zu umgehen. Nach Veröffentlichung eines Hackerangriffs auf eine Finanzberatungsgesellschaft brachte ihm der Versuch prompt Besuch von der Polizei ein, die seine Festplatte beschlagnahmte. Zu noch drastischeren Maßnahmen, um ihrem Unmut gegen das Gesetz Ausdruck zu verleihen, griffen die TV-Journalisten Aranka Szavuly und Balazs Nagy Navarro. Die beiden Gewerkschaftsvertreter traten am 10. Dezember des vergangenen Jahres in den Hungerstreik. Eigentlichen arbeiteten Szavuly und Navarro für das staatliche Fernsehen. Die Betonung liegt jedoch auf der Vergangenheitsform. Nach Antritt des Streiks wurden die Journalisten fristlos entlassen. Erst am 22. Tag überführten sie ihre demonstrative Essensverweigerung in eine Mahnwache.

Ungarn steuert unter Orbáns Regierung in eine Richtung, die der Europäischen Union zu denken geben sollte und das auch bereits tut. Am 16. Februar dieses Jahres wurde im EU-Parlament der Entschluss gefasst, Ungarns neue Gesetze einer genauen Prüfung zu unterziehen. Längst betreffen die besorgniserregenden Neuregelungen nicht mehr nur die Medien. Dementsprechend wenig dürfte es auch helfen, die Proteste allein in diese Richtung zu lenken. Vielmehr ist es ein ganzheitliches Umdenken, das nicht mehr nur die Ungarn von ihrer Führungspartei fordern. Bürgerrechtsbewegungen, wie die kürzlich gegründete Solidaritas verlangen genau das. „Nem tetszik a rendszer“: Dieses Lied von Dorottya Karsay gilt inzwischen als der Schlachtruf der Widerstandsbewegung.  Übersetzt bedeutet der Titel so viel wie „Ich mag das System nicht“.

 

Dieser Artikel erschien zuerst am 01.03.2012 auf media-bubble.de.

Fuhrmann, Sandra: Der Geruch von Büchern – der Gestank von Geld, 14.10.2013

Sie duften, sie fühlen sich gut an, sie können Emotionen wecken und mit manchen gehen wir eine Beziehung fürs ganze Leben ein. Für viele sind Bücher mehr als ein Gebrauchsgegenstand. Wir besitzen sie über Jahrzehnte, und jedes Mal, wenn wir sie lesen, nehmen sie ein Stück unserer eigenen Geschichte in sich auf. Aber wie viel ist uns diese Beziehung eigentlich wert?

Buchpreisbindlung – sinnvoll oder sinnlos?

Der 11. März 2012 – ein „schwarzer Tag für den Schweizer Buchhandel“, titelt das Magazin Buch Markt. Es ist der Tag, an dem die Schweizer Bevölkerung über das Gesetz zur Buchpreisbindung abstimmt – und sich mit 58 % dagegen entscheidet. Die Buchpreisbindung zieht eine Kluft durch ganz Europa. Während beispielsweise Frankreich, Italien, die Niederlande und Österreich Preise für Bücher festlegen, fehlt diese Regelung in Belgien, Großbritannien, Irland oder Schweden.

In Deutschland sind die Preise für Bücher seit Oktober 2002 gesetzlich gebunden. Das bedeutet, dass genau wie bei Tabakwaren oder Arzneimitteln vom Produzenten, in diesem Fall den Verlagen, der Preis für ein Buch anfangs festgelegt werden muss. Dieser muss auch beim Verkauf vom Händler an den Endkunden eingehalten werden. Somit ist es zum Beispiel Discountern nicht möglich, ein Buch billiger an den Mann zu bringen, als das ein traditionelles Buchgeschäft könnte. Ausnahmen von der Regel sind lediglich Bibliotheken- und Schulbuchnachlässe, Kollegenrabatt, Lehrerprüfstücke oder Mängelexemplare.

Schleichpfade

Ein Gesetz – tausend Wege es zu umgehen. Amazon wählte den, beim Kauf von Büchern Gutscheine an seine Kunden zu verteilen. Im so genannten „Startgutscheinfall“ entschied das Gericht jedoch gegen den Online-Buchhändler und verbot diese Art des Preisdumping. Was aber, wenn die Gutscheine nicht vom Händler selbst, sondern von anderen Firmen aus Werbezwecken finanziert werden? Hier brachten gleich mehrere Fälle die Köpfe von Deutschlands Richtern zum rauchen. Ein Beispiel ist das der Firma Studibooks, die 10 % des Kaufpreises ihrer Fachbücher von Unternehmen finanzieren ließ. Auch hier fiel die Entscheidung des Gerichts zuungunsten des Händlers aus. Die richterliche Begründung lautete, dass Studibooks zwar letztendlich den festgelegten Preis der Bücher erhalte, jedoch durch die Erwähnung auf der Homepage des Buchhändlers ein Werbeeffekt für die Unterstützerfirmen entstehe. Das Geld für diese Werbung hatte Studibooks von den Firmen nie erhalten. Dementsprechend müsste der Buchhändler die Werbekosten zusätzlich zu den 10 % des Buchpreises von den Unternehmen verlangen. Das aber war nicht geschehen.

Die Schleichwege der Händler sind gut getarnt. Gerade für Kunden dürfte es schwierig sein, ihnen auf die Fährte zu kommen. Die mit der Überwachung der Preisbindung beauftragten Preisbindungstreuhänder sind der Meinung, dass entscheidend sei, ob der Kunde im Angebot des Händlers eine Vergünstigung erkenne. So nämlich schafft sich der Verkäufer einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen. Genau das soll das Gesetz aber ausschließen.

Größe vs. Innovation?

Buchpreisbindung – der Beschützer der Kleinen und Schwachen? Das sehen nicht alle so. Philip Karger ist ehemaliger Geschäftsführer einer Schweizer Buchhandlung. Kleinen Buchhändlern nützt eine Preisbindung seiner Meinung nach nichts. Die Chancen, die sich ohne das Gesetz gerade für kleine Händler auftun, sieht er in der Innovativität der Unternehmer. Der Marketingexperte Leander Watting betrachtet die Preisbindung gerade für den Online-Markt sogar als Gefahr. Karger prognostiziert derweil, dass in fünf bis zehn Jahren 75 % des Buchmarkts elektronisch sein werden. Eine ähnliche Entwicklung, wie wir sie in den letzten Jahren in der Musikbranche erlebt haben.

Den unerschütterlichen Liebhabern von Papiergeruch, rauen Seiten unter den Fingern und Eselsohren, die die Geschichte von Jahren der wiederholten Lektüre erzählen, dürften an dieser Stelle die Tränen kommen. E-Books machen inzwischen 35 % von Amazons Buchverkäufen aus. Die Reader machen digitalisierte Bücher in Sekundenschnelle abrufbar. Dateien sind wesentlich günstiger als gedruckte Bücher. Gerade Amazon bietet unbekannten Autoren die Möglichkeit ihre Werke auf diesem Weg als so genannte „Direct Publisher“ zu veröffentlichen. Das wird auch Konsequenzen für die Buchpreise haben. Jüngst bot der Berliner Verlag “Berlin Story” ein E-Book kostenlos zum Download an – und die Kunden konnten den Betrag spenden, den ihnen das Buch wert war. Doch genau das wurde verboten – wegen der Buchpreisbindung.

Das Internet öffnet viele Türen und ermöglicht uns immer wieder neue Vertriebswege. Was man in Deutschland nicht bekommt, kann man sich im Internet von ausländischen Anbietern besorgen – und dann vielleicht auch ohne Buchpreisbindung. Diese Entwicklung kann man nicht aufhalten, stattdessen müssen sich die Verlage fragen, wie sie auf die Digitalisierung reagieren. Am 23. April ist Welttag des Buches. Vielleicht ein Anlass für jeden sich ganz persönlich die Frage zu stellen: Wie viel sind mir Bücher eigentlich wert?

 

Dieser Artikel erschien zuerst am 20.04.2012 auf media-bubble.de.

Busch, Nicolai: Ich poste, also bin ich, 11.10.2013

Das Streben nach digitaler Unsterblichkeit im Netz ist groß. Eine Facebook-App macht es jetzt möglich, über den eigenen Tod hinaus mit Angehörigen zu kommunizieren. Es ist höchste Zeit, für ein Recht auf Vergessen im Internet einzustehen.

Totgeglaubte leben länger

M. ist gestorben. M.’s Tod kam für ihn selbst nicht überraschend. Die Krankheit hatte sich vor Jahren schon als unheilbar erwiesen. Freunde und Verwandte wollen es trotzdem nicht wahrhaben, verspüren Sinnleere und Zukunftsangst, können nicht schlafen und haben keinen Appetit. Verlassenheits- und Schuldgefühle bestimmen den Alltag. Erst nach vielen Monaten lässt sie der Gedanke an M. weniger verzweifeln. Das Hier und Jetzt scheint wieder greifbar. Neue Beziehungen machen die Zukunft wieder sinnvoll. Doch plötzlich erscheinen Postings und Videobotschaften von M. auf M.’s Facebook-Pinnwand.

Die Geister, die ich rief, werd’ ich nun nicht los

Ein makaberer, pietätloser Scherz? Nein, denn M. hat zu Lebzeiten dem sozialen Netzwerk Dead Social den Auftrag erteilt, eigenverfasste Nachrichten posthum auf Facebook und Twitter zu veröffentlichen. Jede Woche erreicht die Hinterbliebenen eine Nachricht, ein Video oder ein Foto. M. ist wieder präsent – er ist unsterblich. Dass jede Beziehung vergänglich ist und dass Verluste nach bewältigter Trauer ein neues Leben in sich bergen, daran hat M.  damals nicht gedacht. Der verstorbene, “innere Begleiter“ nimmt wieder Raum ein im Leben der Überlebenden. Einen Raum, dessen Aussehen und Grenzen der Tote Dank Dead Social selbstbestimmt. Er fordert Beschäftigung und besteht darauf, nicht verdrängt zu werden. Glück oder Wahnsinn? Eines ist sicher: Die schwere Last der Trauer, sie ist jetzt wieder spürbar und wird es vorerst bleiben.

If I die, eine Facebook-App zur Sicherung der eigenen, digitalen Unsterblichkeit, Virtuelle Friedhöfe, oder gar die automatische Vererbung digitaler Daten, sind heute gefragter denn je. Niemand möchte schließlich vergessen werden. Solange das digitale Herz schlägt, sehnt sich der narzisstische Social-Networker nach der Einmaligkeit und Exklusivität des persönlichen Profils. Er stilisiert sich, inszeniert sich und muss doch erkennen, dass es beinahe unmöglich ist und bleibt, sich die absolute Aufmerksamkeit der grenzenlosen Netzwelt einzufordern. Denn in den Informationsfluten sozialer Netzwerke versteckt sich abermals ein unauflösbarer Widerspruch: Jeder will unsterblich sein, aber niemand will sich ewig erinnern.

Vergessen ist existenziell

Menschen wollen vergessen und Menschen müssen vergessen, solange sie sich als wandelbare Persönlichkeiten begreifen. Die allumfassende Erhaltung eines Zustandes macht keinen Sinn, solange wir uns geistig entwickeln, Neues erfahren und dem Vergangenen glücklich gedenken wollen. Eben aus diesen Gründen verbannte die klassische Moderne den Tod aus dem Leben. Auf städtischen Friedhöfen ließ man anonyme Urnenhaine mit weiten, namenlosen Rasenflächen anlegen. Die Beerdigung als große, aufwendige Zeremonie wurde seltener, der “einfache Abtrag“ immer häufiger, wie der Sozial- und Kulturhistoriker Norbert Fischer bemerkt.

Erst die Postmoderne nimmt den Toten in den digitalen Alltag auf. Zwar verschluckt sie das lebende Subjekt, doch durch den Tod verhilft sie dem ungehörten Einzelnen wieder zu etwas Aufsehen und durchaus zweifelhafter Aufmerksamkeit. Obwohl man die eigene Paranoia um den Missbrauch von Nutzerdaten durch Facebook und Co. täglich pflegt, hat man sich doch an die maximale, unabänderliche Transparenz im Internet gewöhnt. Das Geheimnis im Netz ist keines mehr. Und vielleicht gelingt es allein dem toten bzw. unsterblichen User, unsere Sehnsucht nach digitaler Intimität durch seine Albernheit bis in alle Ewigkeit zu wecken.

Was bilden wir uns eigentlich ein?

Denn als albern darf man die digitalen Bestatter und Wiederbelebten in gewisser Hinsicht durchaus bezeichnen. Sie gehören jener Gattung an, die Sascha Lobo erst kürzlich als die des digitalen Spießers bezeichnete, einem Zeitgenossen, dem das Internet ausschließlich zur eigenen Selbstbestätigung dient. Es sind jene, die selbst noch im Moment des Todes nach digitalem Größenwahn trachten und ihren Computer deshalb zum Träger pseudo-religiöser Erwartungen erklären. Dabei ist „die Selbstbesinnung des Individuums doch nur ein Flackern im geschlossenen Stromkreis des geschichtlichen Lebens“, wie der Philosoph Hans-Georg Gadamer einmal schrieb.

Selbstverständlich ist es allein die berechtigte Furcht vor dem Tod, die zu derartiger, digitaler Großspurigkeit einlädt. Glaubt man dem Futorologen Dr. Ian Pearson, sollte es im Jahre 2050 gar möglich sein, menschliches Bewusstsein vollständig digital zu speichern. Bis dahin bleibt wohl genug Zeit, um entweder weiter fleißig digitale Grabsteine zu liken, oder sich die Frage zu stellen: Wie wird es in Zukunft möglich sein, tausende tote, digitale Identitäten endgültig zu löschen? Denn nur so kann verdrängt werden, was verdrängt werden muss.

 

Dieser Artikel erschien zuerst am 12. Juni 2012 auf media-bubble.de.

Das Geheimnis hinter der Maske

Besprochen von Nicolai Busch

  • The Dark Knight Rises, Regie: Christopher Nolan, Produktion: USA, Großbritannien, Laufzeit: 165 Minuten.

Es ist sicher kaum möglich, “The Dark Knight Rises“ zu sehen, ohne an Christopher Nolans zweiten Teil der Batman-Triologie zu denken. Wer den 2008 erschienenen Vorgänger erlebt hat, erinnert sich vor allem an eines sehr genau: Ein von tiefen Narben geziertes, weiß-rot geschminktes Gesicht mit grün gefärbten Haaren und gelben Zähnen, flatternde Spielkarten mit Hofnarren darauf und grässlich schallendes Gelächter. In seiner vielleicht brillantesten Rolle als Joker bleibt Heath Ledger für viele unvergessen.

Rückblick – der Joker – das authentische Böse

Auch wer Nolans neuen Batman sieht, wird sich an die Figur des Jokers erinnern müssen. Gerade weil der Joker jenen Typus des bösartigen Widersachers darstellt, den man in “TDKR“ schmerzlich vermisst. Man vermisst den Widerling, der Batman, einen Superhelden, mit durchaus fragwürdigen Motiven und zwiespältiger Identität in den Selbstzweifel treibt. Man vermisst das authentische Böse, das der versnobten Gesellschaft Gothams einen Spiegel vorhält, um sie schließlich ihrer Lügen zu strafen. Und seien wir ehrlich – eine Comic-Geschichte, in der der Held die kriminellen Folgen eines ausufernden kapitalistischen Systems bekämpft, zu welchen er als überaus wohlhabender Unternehmer theoretisch selbst beiträgt, lässt einen Bösewicht vermissen, der diesem Helden seine alberne Maske entreißt. In Erinnerung ist uns Heath Ledger in seiner großartigen Rolle vor allem geblieben, weil wir als Zuschauer erkennen mussten, dass das Böse als lustig geschminkter Psychopath funktioniert, während das Gute Gothams im schwarzen Multifunktionsoverall nur einen halbwegs authentischen Eindruck vermittelt.

Batman – Die irritierende Zwiespältigkeit des Guten

In Nolans aktuellstem Meisterwerk fehlt dieser “Alles-entlarvende-Widersacher“ nicht nur vollständig, er scheint in einer Welt, in der man „nicht mehr neu anfangen kann“, wie Selina Kyle alias Catwoman im Film bald bekennt, auch nicht länger notwendig. Es braucht den entlarvenden Widersacher nicht, weil im letzten Teil der Trilogie die Lüge nicht aus dem Handeln einzelner Personen resultiert. Im neusten Batman-Film ist die Lüge, welche die Gesellschaft vor dem Chaos bewahrt, eine viel größere – ja, eine systemimmanente. Wir erinnern uns, dass es in “TDK“ dem Helden primär darum ging, Verantwortung für das Morden des allerorts geachteten Staatsanwalts Harvey Dent zu übernehmen, um das öffentliche Ansehen und das Moralverständnis der Bürger Gothams nicht zu gefährden. Im aktuellsten Werk Christopher Nolans scheint dieselbe Moral der Menschen nun allein von der Erhaltung eines sich auch außerfilmisch in der Legitimationskrise befindenden Finanzsystems abhängig. In “TDKR“ ist es nicht die Moral und auch nicht das Leben, es ist das kapitalistische System, an das sich der Held und die Bewohner Gothams klammern, während der Bösewicht Bane mit der atomaren Vernichtung Gothams droht. Und es ist der Milliardär Bruce Wayne, der als Märtyrer lieber selbst draufginge, als dass eine bürgerliche Revolution die Welt auslöscht und damit den amerikanischen Liberalismus beendet.

Die Apokalypse als einzige Lösung der Systemkrise im Film

Was die im neuen Batman stattfindende, sozialistische Revolution selbst betrifft, so bedeutet diese scheinbar nicht mehr und nicht weniger als die ultimative Zerstörung Gothams und damit die Zerstörung jeder möglichen Form eines gesellschaftlichem Systems. Schnell wird deutlich: In Nolans letztem Streich ist der Feind nur ein hoffnungsloser, sozialistischer Terrorist, dem die Zerstörung allen Lebens näher liegt, als irgendeine neue, gesellschaftliche Ordnung zu etablieren oder das alte System zu reformieren. Schon der Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Zizek hat 2005 darauf aufmerksam gemacht, dass es Hollywood heute näher liegt, den Planeten Erde durch einen fiktiven Kometen oder einen Virus in Schutt und Asche zu legen, als den Weg aus der Systemkrise, oder eine Debatte konträrer politisch-wirtschaftlicher Vorstellungen spannend zu inszenieren. Der seit jeher beliebte Endzeitfilm liegt wieder voll im Trend, auch weil die westliche Bevölkerung kontinuierlich jegliche Hoffnung auf eine politische Lösung der Krise verliert.

Das Motiv der Maske bei Brecht und Nolan

Das war nicht immer so: Vor langer Zeit vertrat einmal ein deutscher Dramatiker die Vorstellung, ein Schauspiel müsse die Zuschauer dazu bewegen, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Dieser Dramatiker ließ seine Schauspieler bewusst aus der Rolle fallen und veranlasste sie unter anderem dazu Masken zu tragen, was einen kritischen Abstand zwischen Zuschauer und Figur zur Folge haben sollte. Die Rede ist selbstverständlich von Bertolt Brecht und dessen Idee des epischen Theaters. Anders als bei Brecht dient die Maske im Hollywoodfilm nur scheinbar der Verfremdung der Figur und viel eher der Verfremdung einer durch die Figur verinnerlichten Ideologie. Bei Nolan scheint der sympathische Milliardär Bruce Wayne so sehr mit der kapitalistischen Idee verhaftet, dass es für den Zuschauer unmöglich wird, jener Idee noch kritisch entgegenzutreten. Wenn in “TDKR“ der maskierte Held die Welt rettet, verliert sich die kritische Distanz des Zuschauers in der tragischen Darbietung eines in jedem Fall unausweichlichen und unveränderbaren Schicksals. Im Moment da Gotham die Auslöschung droht, spielen auch der soziale Kontext und die wahren Motive des die Menschheit rettenden Finanzjongleurs genauso wenig eine Rolle, wie jene des Widersachers und Revolutionärs Bane. Im Moment des Abspanns zählt allein die Freude über das gerade erlebte, 250 Millionen Dollar teure Actionabenteuer. Und erst wenn im Kinosaal das Licht angeht, kommt dem ein oder anderen vielleicht der Gedanke an eine großartige These des Philosophen Guy Debord: „Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Anhäufung, dass es zum Bilde wird.“

 

Diese Rezension erschien zuerst am 9. August 2012 auf media-bubble.de.