Galerie im Turm: Die Ästhetik des Widerstands

Besprochen von Leif Allendorf

Der vor gut drei Jahrzehnten verstorbene Peter Weiss ist der große Unzeitgemäße. Wenn man heute das Fernsehinterview mit dem Schriftsteller, Künstler und Filmemacher aus den 80er Jahren betrachtet, fühlt man sich in eine andere Welt versetzt. Die Vorstellung, mit Kunst die Gesellschaft zu verändern, ja der Gedanke, die Gesellschaft überhaupt verändern zu können, erscheint heute utopischer denn je.

Umso verdienstvoller, dass die Galerie im Turm im Juni und Juli diesen Jahres Weiss‘ Hauptwerk „Die Ästhetik des Widerstands“ mit einer Ausstellung würdigt. Die Initiatorinnen Julia Lazarus und Moira Zoitl, deren Schau bereits im Februar in Wien zu sehen war, wollen die dem Roman zugrunde liegenden Themen nach eigenen Angaben „in der Gegenwart neu verorten und der Frage nachgehen, inwieweit die in Peter Weiss‘ aufgestellten Thesen für das künstlerische und das politische Feld auch heute noch Gültigkeit haben“. Dazu wurden Künstler, die sich bereits mit dem Werk des Schriftstellers beschäftigt haben, eingeladen, einen Beitrag zu gestalten.

Die Räumlichkeiten der Galerie im Turm am Frankfurter Tor im Berliner Stadtteil Friedrichshain sind eher übersichtlich. Die meisten Bildwerke sind grafischer Natur: ein Jugendlicher mit Zwille, eine imaginäre Weltkarte mit Bedeutungsorten, ein Diagramm der „Ersten globalen Friedensdemonstration“ von 2003. In Filmbeiträgen werden Performances dokumentiert wie Hubert Lobnings „Die Baustelle“ von 2013, wo Arbeiter in prekären Beschäftigungsverhältnissen, meist Flüchtlinge mit ungesichertem Status, weithin sichtbar riesige Holzbohlen durch die Wiener Innenstadt trugen.

Das Begleitprogramm der Ausstellung ist beeindruckend: Workshops, öffentliche Leseproben, Ortsbegehungen im Pergamon-Altar und eine Führung durch die Gedenkstätte Deutscher Widerstand mit Hans Coppi, dem Sohn eines der von den Nazis ermordeten kommunistischen Widerstandskämpfer, der in Weiss‘ Roman eine zentrale Rolle spielt. Weniger überzeugend sind die künstlerischen Arbeiten selbst. Verglichen mit der titanischen Arbeit an seiner – von den Kritikern fast durchweg angefeindeten – Romantrilogie des Peter Weiss ist eine heutige Performance nur ein schwacher Abklatsch. Peter Weiss selbst hatte eine Aktion des Pariser Künstlers Jean Tinguely als „Jahrmarktsscherz“ kritisiert, in der eine Parade von lärmenden Blechwagen durch die französische Hauptstadt paradierte.

Die Ästhetik des Widerstands. 13. Juni – 23. Juli 2014. Galerie im Turm, Frankfurter Tor 1, 10234 Berlin.

Über „Umkehrungen“ von Azadeh Baharestani und Ziba Maghrebi

Besprochen von Leif Allendorf

  • „Umkehrungen“. artport Wedding, Biesentaler straße 16, 13359 Berlin
    Eröffnung: Fr., 28.11.08 ab 20 Uhr, geöffnet bis 15. Januar 2009
    Öffnungszeiten: Sunday Wedding, 30.11.08 15 -18 Uhr, sowie nach Vereinbarung (Tel. 0178-5947507)

Die Berliner Galerie „artport“ ist seit Jahren fester Bestandteil der Einrichtung „Kolonie Wedding“, jenem Versuch, dem so genannten Soldiner Kiez durch die verstärkte Präsenz von kulturellen Angeboten einen Anstoß zu geben. Der Kuratorin Ariane Blankenburg gelingt es dabei, Künstler aus verschiedenen Ländern für ihre Ausstellungen zu gewinnen.

Seit November 2009 ist bei „artport“ eine Doppelausstellung zu besichtigen, die Schau „Umkehrungen“ der iranischen Fotografinnen Azadeh Baharestani und Ziba Maghrebi. Während die erste sich wegen ihres Studiums in Berlin aufhält, arbeitet die zweite als Übersetzerin und freie Journalistin in Teheran tätig. Beide Frauen haben in den vergangenen Monaten ihre Umgebung fotografiert. Azadeh Baharestani fotografierte „am liebsten nach dem Regen, wenn Straße und Wege unwirtlich, kaum begehbar sind und grosse Pfützen uns zu Umwegen zwingen“. Da sei sie öfter stehen geblieben und habe in den Bildern, die sich in den Pfützen spiegelten, einen ganz neuen Blick bekommen für die Straßen,durch die sie täglich geht: „Umkehrungen“ eben.

Ihre Freundin Ziba Maghrebi fotografierte parallel dazu in Teheran alltägliche Szenen. Obwohl die Straßen auf den Schwarzweißbildern voller Menschen und Autos ist, geht von den Fotos eine eigentümliche Stille aus. Die Aufnahmen wurden aus großer Entfernung gemacht, wodurch ein distanzierter und sachlicher Blick entsteht.