Alles auf Anfang – Reboots im Hollywood-Film. Dr. Oliver Schmidt im Interview mit Alexander Karl, 29.07.2014

Was haben die aktuellen Filme über „Transformers“, „James Bond“ und „Batman“ gemeinsam? Sie sind erfolgreiche Reboots bereits existierender narrativer Welten und Franchises, sagt der Medienwissenschaftler Dr. Oliver Schmidt. Der Begriff Reboot, so Schmidt, tauchte etwa 2008 in der filmjournalistischen Presse auf und findet seit kurzem auch seinen Weg in den filmwissenschaftlichen Diskurs.
Im Rahmen der Tagung „The Cinematic Space: Experience, Knowledge, Technology“, die zugleich die Abschlusskonferenz des Forschernetzwerks „Erfahrungsraum Kino“ war, referierte Schmidt über „Hollywood Reboots – Zur Transformation medialer Erfahrungswelten“. Im Interview mit Alexander Karl spricht er über die Besonderheiten des Reboots, den Unterschied zum Remake und die Bedeutung des Zeitgeists.

Alexander Karl: Herr Schmidt, was macht ein filmisches Reboot zu einem Reboot?

Oliver Schmidt: Reboots im strengen Sinne sind Neustarts von Film- oder TV-Serien. Diese werden jedoch nicht einfach weitererzählt, sondern die Macher gehen zurück an den Nullpunkt des narrativen Universums und rollen die Geschichte von vorne auf. Und dieser Neubeginn beim Reboot ist in der Regel auch verbunden mit einer Aktualisierung der Ästhetik. Das sieht man sehr schön in den „Batman“-Filmen unter der Regie von Christopher Nolan, den „Transformers“-Filmen, die auf der Zeichentrick-Serie aus den 1980er Jahren basieren, oder bei den „James Bond“-Filmen mit Daniel Craig in der Hauptrolle.

Welche Merkmale des Reboots erkennen Sie beispielsweise in den neueren „James Bond“-Filmen?

Der erste „James Bond“-Film mit Daniel Craig heißt „Casino Royale“, was auch der Titel des ersten Bond-Romans von Ian Fleming war – da ist der Schritt zurück zum Anfang also programmatisch. Ästhetische Neuerungen werden schon zu Beginn an einer Schwarz-weiß-Sequenz deutlich, einem Blick zurück in die „berufliche Frühphase“ von James Bond, als er seinen ersten Auftragsmord begeht. Gleichzeitig ist der von Craig dargestellte James Bond körperlich athletischer, brutaler, was an die frühen Filme mit Sean Connery erinnert, etwa unter Roger Moore aber verloren gegangen war. Auf der anderen Seite wird Bond aber verletzlicher, er wird tatsächlich gefoltert und nur durch fremde Hand befreit. James Bond ist plötzlich hilflos, sowas haben wir in dieser Form bisher nicht gesehen. Früher konnte der Zuschauer davon ausgehen, dass Bond gewinnt. Das gilt heute also nur noch mit Einschränkungen.

Was sagen solche Neuerungen über den Zeitgeist aus?

Motivisch wird deutlich auf die Anschläge vom 11. September und die gesellschaftliche Atmosphäre danach verwiesen – etwa das bereits angesprochene Motiv der Folterung, das etwa in der medialen Berichterstattung über den Irak-Krieg sehr präsent war. Hinzu kommt, dass die Figur James Bond deutlich komplexere Züge aufweist: Bond bekommt eine Geschichte als rekrutierter Waisenjunge, verliebt sich, beginnt zu „saufen“ und verliert in „Skyfall“ auch seine Mutterfigur M. Die Bond-Welt wird also deutlich härter, gleichzeitig wird Bond als Figur psychologisiert, was ganz neue Anknüpfungspunkte für die Zuschauer bietet.

Wie reagiert der Zuschauer auf die neuen Thematiken des Reboots?

Auf der einen Seite werden die Zuschauer in ihren Erwartungen erschüttert. Damit spiegelt die Erzählung der aktuellen „James Bond“-Filme auch gesellschaftliche Traumata wider, die noch nicht verarbeitet sind. Diesen Aspekt betont auch der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser immer wieder, nicht nur bezogen auf Reboots. Dies findet sich auch in einer ganzen Reihe anderer Filme. Auf der anderen Seite bieten die neuen Bond-Film den Zuschauern über die Form der Erzählung und die doch sehr starke Bond-Figur gleichzeitig die Möglichkeit, diese filmischen Traumata – und möglicherweise auch die gesellschaftlichen Traumata, die die Filme aufgreifen – zu verarbeiten.

Wie unterscheidet sich aber nun das Reboot von Remake?

Beim Remake existiert im Normalfall eine filmische Vorlage, die möglicherweise erfolgreich war und die zum Beispiel für den US-amerikanischen Markt adaptiert werden soll. So ein Remake wird auch meist nur einmal gemacht. Anders ist das bei Reboots: Hier wird meist implizit an den Start einer neuen filmischen Serie gedacht, auch an einen erneuten Start, also ein Re-Reboot, wie wir es zum Beispiel schon mit „The Amazing Spider-Man“ gesehen haben. Daher nutzt man dafür auch mediale Ikonen, die im Gedächtnis breiter Zuschauerschichten fest verankert sind. Auch wenn es sich bei Reboots in der Regel um Blockbuster-Produktionen handelt, können sie durchaus eine eigene Handschrift tragen, sie lassen sich also durchaus als Vertreter der Autorenkinos verstehen wie etwa bei den „Batman“-Filmen von Christopher Nolan, der in der Presse auch als „Blockbuster-Auteur“ bezeichnet wird.

Auch den Machern einiger Quality-TV-Serien wird eine eigene Handschrift bescheinigt. Lässt sich das Kino bei Reboots vom Fernsehen inspirieren?

Nein, ich würde sagen, dass Reboots einer der wenigen Bereiche sind, die nicht so sehr von der Quality-TV-Entwicklung der vergangenen zehn Jahre abhängen. Das Reboot ist vielmehr ein Phänomen, das in beiden Medien gleichzeitig und gleichberechtigt stattzufinden scheint, im TV etwa mit den Reboots „Battlestar Galactica“ oder den von der BBC produzierten Serien „Jekyll“ und „Sherlock“.

Was ist Ihre Prognose: Wie lange hält der Trend des Reboots noch an?

Es hält auf jeden Fall so lange an, wie Hollywood damit Geld verdienen kann und der Zuschauer darin einen Mehrwert für sich sieht. Aktuell lässt sich bei filmischen Reboots eine kleine Flaute bemerken. Interessant wird sicher die bereits angekündigte „Star Wars“-Triologie sein, die dem Reboot-Trend einen erneuten Schub geben oder ihren Niedergang einläuten könnte. Aber Hollywood hat es noch in jeder Krise verstanden, sich selbst neu zu erfinden, sodass die eigentlich spannende Frage ist, was nach dem Boom von Reboots und Comic-Verfilmung das nächste große Ding in Hollywood sein wird.

 

Zur Person: Dr. Oliver Schmidt promovierte 2011 an der Universität Bremen, arbeitet seitdem u.a. in Bremen und Hamburg. 2008 erschien seine Monografie über David Lynch „Leben in gestörten Welten“ und im Jahr 2013 seine Dissertation „Hybride Räume – Filmwelten im Hollywood-Kino der Jahrtausendwende“. Zudem ist er Mitherausgeber von Rabbit Eye – Zeitschrift für Filmforschung.