Galerie im Turm: Die Ästhetik des Widerstands

Besprochen von Leif Allendorf

Der vor gut drei Jahrzehnten verstorbene Peter Weiss ist der große Unzeitgemäße. Wenn man heute das Fernsehinterview mit dem Schriftsteller, Künstler und Filmemacher aus den 80er Jahren betrachtet, fühlt man sich in eine andere Welt versetzt. Die Vorstellung, mit Kunst die Gesellschaft zu verändern, ja der Gedanke, die Gesellschaft überhaupt verändern zu können, erscheint heute utopischer denn je.

NAURU ist überall

Besprochen von Leif Allendorf

  • FOLLIET, Luc: Nauru – Die verwüstete Insel. Wie der Kapitalismus das reichste Land der Erde zerstörte. Wagenbach-Verlag 2011. ISBN: 978-3803126542.
Nauru                                            © Wagenbach Verlag

 

In seiner Studie „Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ beschreibt der Amerikaner Jared Diamond in einem Gedankenspiel, wie der letzte Baum der Osterinsel von der Urbevölkerung gefällt wurde. Der ganze Wald ist bereits abgeholzt worden, damit die Pazifikbewohner die berühmten Steinstatuen errichten und transportieren konnten. Nun ist nur noch ein letzter Baum übrig. Die Bewohner der Osterinsel waren keine dummen Kreaturen, es waren Menschen von Verstand wie wir. Und trotzdem fällten sie um etwa 1500 nach Christus den letzten Baum und zerstörten damit sehenden Auges die letzte Möglichkeit, dass sich die Insel wieder bewaldete. Was mag den Holzfällern durch den Kopf gegangen sein, als sie den letzten Baum der Insel mit ihren Steinäxten niederwarfen?

PRO und KONTRA: „Scheißkerle“ vom Roman Maria Koidl

Besprochen

  • KOIDL, Roman Maria: Scheißkerle. Warum es immer die Falschen sind. Hoffmann und Campe, Hamburg 2010. ISBN: 978-3-455-50154-4.

Der vorliegende Titel hat in der Redaktion dermaßen polarisierte Reaktionen ausgelöst, dass wir uns – einmalig in der Geschichte des „besprochen“-Magazins – entschlossen haben, die unterschiedlichen Positionen in einem „Pro“ und einem „Kontra“ wiederzugeben.

KONTRA
von Daniela Nagorka

Metzlers Kleist-Handbuch: Ein unentbehrliches Standardwerk

Besprochen von Leif Allendorf

  • BREUER, Ingo: Kleist-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. J.B. Metzler 2009. ISBN: 978-3-476-02097-0 Pick It!.

Heinrich von Kleist erlebte – zeitgleich mit Friedrich Nietzsche – in den achtziger Jahren eine Renaissance. Dann wurde es wieder etwas ruhig um ihn, ehe in jüngerer Zeit eine Reihe von Untersuchungen erschien. So schaffte Jens Bisky endlich das Gerücht von Kleists vermeintlicher Homosexualität aus der Welt, indem er darauf hinwies, dass es „schwul“ im Preußenadel des 19. Jahrhunderts nicht gab.

Über „Feuer brennt nicht“ von Ralf Rothmann

Besprochen von Leif Allendorf

  • ROTHMANN, Ralf: Feuer brennt nicht. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009. ISBN 978-3518420638.

Die Handlung ist wirklich nicht originell: Ein Mann im so genannten besten Alter verlässt den wilden Kreuzberger Kiez und zieht mit seiner langjährigen Lebensgefährtin in den beschaulichen Südosten Berlins. Er ist Schriftsteller, wird von Selbstzweifeln geplagt und geht fremd. Nun stammt diese Geschichte aber aus der Feder von Ralf Rothmann, und wer dessen Roman „Stier“ gelesen hat, diese Geschichte des Maurerlehrlings, der nicht „so eine panierte Schweineseele“ wie seine Kollegen werden will, der miterlebt, wie Punk und New Wave in Düsseldorf einbrechen und die Welt auf den Kopf stellen, der als Krankenpfleger beobachtet, wie Menschen nur noch als Verschiebemasse behandelt werden, und der schließlich nach Berlin geht, um Schriftsteller zu werden – wer also von dieser Geschichte bezaubert wurde, dem wird es schwer fallen, sich der Elegie „Feuer brennt nicht“ zu entziehen.

Über „Umkehrungen“ von Azadeh Baharestani und Ziba Maghrebi

Besprochen von Leif Allendorf

  • „Umkehrungen“. artport Wedding, Biesentaler straße 16, 13359 Berlin
    Eröffnung: Fr., 28.11.08 ab 20 Uhr, geöffnet bis 15. Januar 2009
    Öffnungszeiten: Sunday Wedding, 30.11.08 15 -18 Uhr, sowie nach Vereinbarung (Tel. 0178-5947507)

Die Berliner Galerie „artport“ ist seit Jahren fester Bestandteil der Einrichtung „Kolonie Wedding“, jenem Versuch, dem so genannten Soldiner Kiez durch die verstärkte Präsenz von kulturellen Angeboten einen Anstoß zu geben. Der Kuratorin Ariane Blankenburg gelingt es dabei, Künstler aus verschiedenen Ländern für ihre Ausstellungen zu gewinnen.

Ein Handbuch zum Schlagwort ´68 – Der Mythos „1968“ einmal nüchtern betrachtet

Besprochenvon Leif Allendorf

  • KLIMKE, Martin/ SCHARLOTH, Joachim (Hg.): 1968. Ein Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte der Studentenbewegung. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart; Weimar 2007. ISBN 978-3-476-02066-6.

In entnervender Gleichförmigkeit werden im „Jubiläumsjahr“ 2008 die immergleichen Bilder gezeigt, Zitate wiederholt und Kämpfe ausgetragen. Dabei führt die Beschränkung auf ausgetretene Pfaden zu keiner neuen Erkenntnis. Da ist das von Martin Klimke und Joachim Scharloth bei Metzler herausgegebene „Handbuch 1968“ eine willkommene Abwechslung. Denn dort werden die Mechanismen untersucht, die erst zur Entstehung des Begriffs „1968“ geführt haben, was Aufschluss darüber gibt, warum der Diskurs 40 Jahre danach so arm ausfällt: „In den letzten Jahren hat sich der Schwerpunkt der Erforschung der Studentenbewegung aber immer mehr von der Geschichte der Ereignisse hin zu einer Geschichte von Repräsentationen verlagert.“ Die Popularität der eigentlich marginalen Studentenbewegung verdankt sich ihrer medialen Verfälschung: das Happening ist alles, die Absicht gilt nichts, die Form des Protests wird zum Selbstzweck und damit entleert.

Allendorf, Leif: Nichts, was Sie sehen, geschieht in Echtzeit. Über die Schwierigkeit, den Verlauf der Zeit synchron wiederzugeben, 17.03.08

Wer war der erste, der eine Geschichte in Echtzeit erzählte? Sie werden es nicht glauben – Heinrich von Kleist. Es handelt sich um die Anekdote aus dem letzten preussischen Kriege von 1810. Der Regisseur Zoltan Spirandelli drehte 1995 einen achtminütigen Film, bei dessen Kinovorführung ein Sprecher den Kleist-Text vorlas. Das Ergebnis: Der gesprochene Text beschrieb exakt die im Film gezeigten Aktionen. “Dieser Kerl, sprach der Wirt, sprengte, ganz vom Staub bedeckt, vor meinen Gasthof, und rief: ‘Herr Wirt!’ und da ich frage: was gibt’s ‘ein Glas Branntewein!’, antwortet er, indem er sein Schwert in die Scheide wirft: ‘mich dürstet.’ Gott im Himmel! sag ich: will er machen, daß er wegkömmt? Die Franzosen sind ja dicht vor dem Dorf! ‘Ei was’ spricht er, indem er dem Pferde die Zügel über den Hals legt. ‚Ich habe den ganzen Tag nichts genossen!’ Nun, er ist, glaube ich, vom Satan besessen-! He! Liese! ruf ich, und schaff ihm eine ganze Flasche Danziger herbei, und sage: da! und will ihm die ganze Flasche in die Hand drücken, damit er nur reite.“