Das Geheimnis hinter der Maske

Besprochen von Nicolai Busch

  • The Dark Knight Rises, Regie: Christopher Nolan, Produktion: USA, Großbritannien, Laufzeit: 165 Minuten.

Es ist sicher kaum möglich, “The Dark Knight Rises“ zu sehen, ohne an Christopher Nolans zweiten Teil der Batman-Triologie zu denken. Wer den 2008 erschienenen Vorgänger erlebt hat, erinnert sich vor allem an eines sehr genau: Ein von tiefen Narben geziertes, weiß-rot geschminktes Gesicht mit grün gefärbten Haaren und gelben Zähnen, flatternde Spielkarten mit Hofnarren darauf und grässlich schallendes Gelächter. In seiner vielleicht brillantesten Rolle als Joker bleibt Heath Ledger für viele unvergessen.

Rückblick – der Joker – das authentische Böse

Auch wer Nolans neuen Batman sieht, wird sich an die Figur des Jokers erinnern müssen. Gerade weil der Joker jenen Typus des bösartigen Widersachers darstellt, den man in “TDKR“ schmerzlich vermisst. Man vermisst den Widerling, der Batman, einen Superhelden, mit durchaus fragwürdigen Motiven und zwiespältiger Identität in den Selbstzweifel treibt. Man vermisst das authentische Böse, das der versnobten Gesellschaft Gothams einen Spiegel vorhält, um sie schließlich ihrer Lügen zu strafen. Und seien wir ehrlich – eine Comic-Geschichte, in der der Held die kriminellen Folgen eines ausufernden kapitalistischen Systems bekämpft, zu welchen er als überaus wohlhabender Unternehmer theoretisch selbst beiträgt, lässt einen Bösewicht vermissen, der diesem Helden seine alberne Maske entreißt. In Erinnerung ist uns Heath Ledger in seiner großartigen Rolle vor allem geblieben, weil wir als Zuschauer erkennen mussten, dass das Böse als lustig geschminkter Psychopath funktioniert, während das Gute Gothams im schwarzen Multifunktionsoverall nur einen halbwegs authentischen Eindruck vermittelt.

Batman – Die irritierende Zwiespältigkeit des Guten

In Nolans aktuellstem Meisterwerk fehlt dieser “Alles-entlarvende-Widersacher“ nicht nur vollständig, er scheint in einer Welt, in der man „nicht mehr neu anfangen kann“, wie Selina Kyle alias Catwoman im Film bald bekennt, auch nicht länger notwendig. Es braucht den entlarvenden Widersacher nicht, weil im letzten Teil der Trilogie die Lüge nicht aus dem Handeln einzelner Personen resultiert. Im neusten Batman-Film ist die Lüge, welche die Gesellschaft vor dem Chaos bewahrt, eine viel größere – ja, eine systemimmanente. Wir erinnern uns, dass es in “TDK“ dem Helden primär darum ging, Verantwortung für das Morden des allerorts geachteten Staatsanwalts Harvey Dent zu übernehmen, um das öffentliche Ansehen und das Moralverständnis der Bürger Gothams nicht zu gefährden. Im aktuellsten Werk Christopher Nolans scheint dieselbe Moral der Menschen nun allein von der Erhaltung eines sich auch außerfilmisch in der Legitimationskrise befindenden Finanzsystems abhängig. In “TDKR“ ist es nicht die Moral und auch nicht das Leben, es ist das kapitalistische System, an das sich der Held und die Bewohner Gothams klammern, während der Bösewicht Bane mit der atomaren Vernichtung Gothams droht. Und es ist der Milliardär Bruce Wayne, der als Märtyrer lieber selbst draufginge, als dass eine bürgerliche Revolution die Welt auslöscht und damit den amerikanischen Liberalismus beendet.

Die Apokalypse als einzige Lösung der Systemkrise im Film

Was die im neuen Batman stattfindende, sozialistische Revolution selbst betrifft, so bedeutet diese scheinbar nicht mehr und nicht weniger als die ultimative Zerstörung Gothams und damit die Zerstörung jeder möglichen Form eines gesellschaftlichem Systems. Schnell wird deutlich: In Nolans letztem Streich ist der Feind nur ein hoffnungsloser, sozialistischer Terrorist, dem die Zerstörung allen Lebens näher liegt, als irgendeine neue, gesellschaftliche Ordnung zu etablieren oder das alte System zu reformieren. Schon der Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Zizek hat 2005 darauf aufmerksam gemacht, dass es Hollywood heute näher liegt, den Planeten Erde durch einen fiktiven Kometen oder einen Virus in Schutt und Asche zu legen, als den Weg aus der Systemkrise, oder eine Debatte konträrer politisch-wirtschaftlicher Vorstellungen spannend zu inszenieren. Der seit jeher beliebte Endzeitfilm liegt wieder voll im Trend, auch weil die westliche Bevölkerung kontinuierlich jegliche Hoffnung auf eine politische Lösung der Krise verliert.

Das Motiv der Maske bei Brecht und Nolan

Das war nicht immer so: Vor langer Zeit vertrat einmal ein deutscher Dramatiker die Vorstellung, ein Schauspiel müsse die Zuschauer dazu bewegen, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Dieser Dramatiker ließ seine Schauspieler bewusst aus der Rolle fallen und veranlasste sie unter anderem dazu Masken zu tragen, was einen kritischen Abstand zwischen Zuschauer und Figur zur Folge haben sollte. Die Rede ist selbstverständlich von Bertolt Brecht und dessen Idee des epischen Theaters. Anders als bei Brecht dient die Maske im Hollywoodfilm nur scheinbar der Verfremdung der Figur und viel eher der Verfremdung einer durch die Figur verinnerlichten Ideologie. Bei Nolan scheint der sympathische Milliardär Bruce Wayne so sehr mit der kapitalistischen Idee verhaftet, dass es für den Zuschauer unmöglich wird, jener Idee noch kritisch entgegenzutreten. Wenn in “TDKR“ der maskierte Held die Welt rettet, verliert sich die kritische Distanz des Zuschauers in der tragischen Darbietung eines in jedem Fall unausweichlichen und unveränderbaren Schicksals. Im Moment da Gotham die Auslöschung droht, spielen auch der soziale Kontext und die wahren Motive des die Menschheit rettenden Finanzjongleurs genauso wenig eine Rolle, wie jene des Widersachers und Revolutionärs Bane. Im Moment des Abspanns zählt allein die Freude über das gerade erlebte, 250 Millionen Dollar teure Actionabenteuer. Und erst wenn im Kinosaal das Licht angeht, kommt dem ein oder anderen vielleicht der Gedanke an eine großartige These des Philosophen Guy Debord: „Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Anhäufung, dass es zum Bilde wird.“

 

Diese Rezension erschien zuerst am 9. August 2012 auf media-bubble.de.