Fuhrmann, Sandra: Die 1000 Tode der ungarischen Medien, 14.10.2013

Sex, Blut und Gewalt: In den ungarischen Medien sind solche Inhalte mittlerweile verboten. Seit über einem Jahr wachen dort Medienwächter über Sitte und Moral. Was ist nur aus dem Land der feurigen Zigeuner und Husaren geworden? Sitzt in Ungarns Regierung tatsächlich nur ein Haufen von Moralaposteln oder gibt es vielleicht andere Gründe für die Medienzensur?

Und wer hat’s erfunden?

Am 1. 1. 2011 begann das große Übel – das ungarische Mediengesetz trat in Kraft und sorgt seit dem für Wirbel. Die britische Zeitung Guardian bezeichnete Ungarn gar als „One-party-rule“, also als Einparteienherrschaft. Denn seit die rechtsnationale Fidesz-Partei bei den Wahlen im April 2010 mehr als zwei Drittel der Sitze im Parlament  bekam, scheint sie ehrgeizige Ziele zu verfolgen, was die Umstrukturierung des politischen Systems betrifft. Die Zügel liegen dabei jedoch in den Händen eines Mannes – Victor Orbán. In den Achzigern selbst ein engagierter junger Aktivist, der auf den Straßen Budapests für Meinungsfreiheit demonstrierte, bringt der ungarische Ministerpräsident heute Leute gegen sich selbst auf die Straße.

Tod der Meinungsfreiheit

Doch was steckt nun eigentlich hinter Orbáns Gesetz zur Medienzensur? Einer der Kernpunkte des Gesetzes ist die Zusammenlegung der Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (NHH) mit der Fernseh- und Rundfunkaufsicht (ORTT). Aus dieser Fusion entstand die neue Medienaufsichtsbehörde NMHH.  Orbáns Leute betrachtet das als eine Steigerung der Effizienz und die Einsparung von Kosten, die dem ungarischen Mediensystem zu Gute kommen sollen. Vor allem Journalisten aber sehen in dieser Vereinheitlichung  den Tod der Meinungsvielfalt. Denn stirbt erst die Pluralität, kann es auch keine unterschiedlichen Standpunkte zu einem Thema mehr geben. Was bleibt ist allein Orbáns Meinung – beziehungsweise die Meinungen, die er für angemessen hält. Bereits seit dem Sommer 2010 werden die öffentlich-rechtlichen Sender von der NMHH kontrolliert und sind damit finanziell vollkommen abhängig von dieser. Mit dem Inkrafttreten des Mediengesetzes fielen dann auch die privaten Rundfunkanstalten unter die Aufsicht der Behörde.

Wer in Ungarn publizieren will, der muss nicht nur einen, sondern gleich mehrere Tode sterben. Bereits die Registrierung bei der NMHH kostet die Redaktionen Geld. Richtig schlimm wird es allerdings bei Verstößen gegen das Mediengesetz. In diesem Fall drohen hohe Bußgelder und im schlimmsten Fall der Verlust des Rechts in Ungarn publizieren zu dürfen. Doch allein die Angst vor den Bußgeldern genügt bei vielen Redaktionen, um Maßnahmen zur Selbstzensur zu treffen.

Mit Argusaugen

Als „Missverständnisse“ betitelte derweil der ungarische Außenminister Janos Martonyi die scharfe Kritik von anderen EU-Ländern, der sich Ungarns Regierung ausgesetzt sah. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn ging sogar so weit Orbáns Politikführung mit der des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu vergleichen, der in der Vergangenheit nicht nur Wahlen fälschen ließ, sondern auch mit Argusaugen darüber wacht, wer was in seinem Land an die Öffentlichkeit bringen darf. Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zweifelte die Vereinbarkeit des ungarischen Gesetzes mit dem EU-Recht an. Und das, wo der Start des Gesetzes ausgerechnet mit dem Beginn der sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft Ungarns zusammenfiel.

Ein Mann wie Orbán jedoch lässt sich von derartigen Kleinigkeiten nicht beirren. Er ließ sich weder sein Amt als EU-Ratspräsident, noch sein neues Gesetz vermiesen. Somit wurde auch gleich zu Beginn Rapper Ice-T aus dem Radio verbannt und der private Fernsehsender RTL Klub musste sich wegen eines blutbesudelten Betts, das er in seinen Nachrichten gezeigt hatte, verantworten.

Ohne Gnade, nur mit Frist

Eine englische Übersetzung, die die ungarische Regierung der EU-Kommission zur Prüfung zukommen ließ war nach Angaben des Internetportals origo.hu unvollständig und ließ wichtige Teile außen vor. Trotz allem wurden auf das Eingreifen der Kommission hin vier Punkte des 228 Paragrafen umfassenden Gesetzes geändert. Gegen Ende des vergangenen Jahres konnte das ungarische Verfassungsgericht die Änderung weiterer Passagen durchsetzen. Doch eine wirkliche Verbesserung gibt es auch über ein Jahr nach dem Start nicht. Erst im Dezember verlor der letzte oppositionelle Radiosender Ungarns – Klubradio – seine Lizenz. Der Sender ist der sechstgrößte Ungarns und wird durchschnittlich von etwa einer halben Million Hörern täglich verfolgt. Auf Grund einer gerichtlichen Klärung wurde Klubradio nun eine Gnadenfrist von 60 Tagen eingeräumt.  Das Ende jedoch, so scheint es, ist absehbar. Die Grundrechte der Europäischen Charta greifen zu kurz. Für den Medienbereich, so argumentiert die Kommission, seien zum Großteil die Länder selbst verantwortlich.

Der Kampf geht weiter

Die Proteste gegen Orbáns Politik werden währenddessen immer lauter und das Geld in den Kassen der Redaktionen immer weniger. Die Zeit Online berichtet in einem Interview mit der ungarischen Journalistin Edit Inotai, wie sogar die Laptops regierungskritischer Journalisten verschwinden. Tamás Bodoky galt über Jahre als einer von Ungarns großen Enthüllungsjournalisten. Im Juli des vergangenen Jahres gründete er eine Website, die als das ungarische Wikileaks bezeichnet werden kann. Atlatszo ist Bodokys Versuch das Mediengesetz zu umgehen. Nach Veröffentlichung eines Hackerangriffs auf eine Finanzberatungsgesellschaft brachte ihm der Versuch prompt Besuch von der Polizei ein, die seine Festplatte beschlagnahmte. Zu noch drastischeren Maßnahmen, um ihrem Unmut gegen das Gesetz Ausdruck zu verleihen, griffen die TV-Journalisten Aranka Szavuly und Balazs Nagy Navarro. Die beiden Gewerkschaftsvertreter traten am 10. Dezember des vergangenen Jahres in den Hungerstreik. Eigentlichen arbeiteten Szavuly und Navarro für das staatliche Fernsehen. Die Betonung liegt jedoch auf der Vergangenheitsform. Nach Antritt des Streiks wurden die Journalisten fristlos entlassen. Erst am 22. Tag überführten sie ihre demonstrative Essensverweigerung in eine Mahnwache.

Ungarn steuert unter Orbáns Regierung in eine Richtung, die der Europäischen Union zu denken geben sollte und das auch bereits tut. Am 16. Februar dieses Jahres wurde im EU-Parlament der Entschluss gefasst, Ungarns neue Gesetze einer genauen Prüfung zu unterziehen. Längst betreffen die besorgniserregenden Neuregelungen nicht mehr nur die Medien. Dementsprechend wenig dürfte es auch helfen, die Proteste allein in diese Richtung zu lenken. Vielmehr ist es ein ganzheitliches Umdenken, das nicht mehr nur die Ungarn von ihrer Führungspartei fordern. Bürgerrechtsbewegungen, wie die kürzlich gegründete Solidaritas verlangen genau das. „Nem tetszik a rendszer“: Dieses Lied von Dorottya Karsay gilt inzwischen als der Schlachtruf der Widerstandsbewegung.  Übersetzt bedeutet der Titel so viel wie „Ich mag das System nicht“.

 

Dieser Artikel erschien zuerst am 01.03.2012 auf media-bubble.de.

Fuhrmann, Sandra: Der Geruch von Büchern – der Gestank von Geld, 14.10.2013

Sie duften, sie fühlen sich gut an, sie können Emotionen wecken und mit manchen gehen wir eine Beziehung fürs ganze Leben ein. Für viele sind Bücher mehr als ein Gebrauchsgegenstand. Wir besitzen sie über Jahrzehnte, und jedes Mal, wenn wir sie lesen, nehmen sie ein Stück unserer eigenen Geschichte in sich auf. Aber wie viel ist uns diese Beziehung eigentlich wert?

Buchpreisbindlung – sinnvoll oder sinnlos?

Der 11. März 2012 – ein „schwarzer Tag für den Schweizer Buchhandel“, titelt das Magazin Buch Markt. Es ist der Tag, an dem die Schweizer Bevölkerung über das Gesetz zur Buchpreisbindung abstimmt – und sich mit 58 % dagegen entscheidet. Die Buchpreisbindung zieht eine Kluft durch ganz Europa. Während beispielsweise Frankreich, Italien, die Niederlande und Österreich Preise für Bücher festlegen, fehlt diese Regelung in Belgien, Großbritannien, Irland oder Schweden.

In Deutschland sind die Preise für Bücher seit Oktober 2002 gesetzlich gebunden. Das bedeutet, dass genau wie bei Tabakwaren oder Arzneimitteln vom Produzenten, in diesem Fall den Verlagen, der Preis für ein Buch anfangs festgelegt werden muss. Dieser muss auch beim Verkauf vom Händler an den Endkunden eingehalten werden. Somit ist es zum Beispiel Discountern nicht möglich, ein Buch billiger an den Mann zu bringen, als das ein traditionelles Buchgeschäft könnte. Ausnahmen von der Regel sind lediglich Bibliotheken- und Schulbuchnachlässe, Kollegenrabatt, Lehrerprüfstücke oder Mängelexemplare.

Schleichpfade

Ein Gesetz – tausend Wege es zu umgehen. Amazon wählte den, beim Kauf von Büchern Gutscheine an seine Kunden zu verteilen. Im so genannten „Startgutscheinfall“ entschied das Gericht jedoch gegen den Online-Buchhändler und verbot diese Art des Preisdumping. Was aber, wenn die Gutscheine nicht vom Händler selbst, sondern von anderen Firmen aus Werbezwecken finanziert werden? Hier brachten gleich mehrere Fälle die Köpfe von Deutschlands Richtern zum rauchen. Ein Beispiel ist das der Firma Studibooks, die 10 % des Kaufpreises ihrer Fachbücher von Unternehmen finanzieren ließ. Auch hier fiel die Entscheidung des Gerichts zuungunsten des Händlers aus. Die richterliche Begründung lautete, dass Studibooks zwar letztendlich den festgelegten Preis der Bücher erhalte, jedoch durch die Erwähnung auf der Homepage des Buchhändlers ein Werbeeffekt für die Unterstützerfirmen entstehe. Das Geld für diese Werbung hatte Studibooks von den Firmen nie erhalten. Dementsprechend müsste der Buchhändler die Werbekosten zusätzlich zu den 10 % des Buchpreises von den Unternehmen verlangen. Das aber war nicht geschehen.

Die Schleichwege der Händler sind gut getarnt. Gerade für Kunden dürfte es schwierig sein, ihnen auf die Fährte zu kommen. Die mit der Überwachung der Preisbindung beauftragten Preisbindungstreuhänder sind der Meinung, dass entscheidend sei, ob der Kunde im Angebot des Händlers eine Vergünstigung erkenne. So nämlich schafft sich der Verkäufer einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen. Genau das soll das Gesetz aber ausschließen.

Größe vs. Innovation?

Buchpreisbindung – der Beschützer der Kleinen und Schwachen? Das sehen nicht alle so. Philip Karger ist ehemaliger Geschäftsführer einer Schweizer Buchhandlung. Kleinen Buchhändlern nützt eine Preisbindung seiner Meinung nach nichts. Die Chancen, die sich ohne das Gesetz gerade für kleine Händler auftun, sieht er in der Innovativität der Unternehmer. Der Marketingexperte Leander Watting betrachtet die Preisbindung gerade für den Online-Markt sogar als Gefahr. Karger prognostiziert derweil, dass in fünf bis zehn Jahren 75 % des Buchmarkts elektronisch sein werden. Eine ähnliche Entwicklung, wie wir sie in den letzten Jahren in der Musikbranche erlebt haben.

Den unerschütterlichen Liebhabern von Papiergeruch, rauen Seiten unter den Fingern und Eselsohren, die die Geschichte von Jahren der wiederholten Lektüre erzählen, dürften an dieser Stelle die Tränen kommen. E-Books machen inzwischen 35 % von Amazons Buchverkäufen aus. Die Reader machen digitalisierte Bücher in Sekundenschnelle abrufbar. Dateien sind wesentlich günstiger als gedruckte Bücher. Gerade Amazon bietet unbekannten Autoren die Möglichkeit ihre Werke auf diesem Weg als so genannte „Direct Publisher“ zu veröffentlichen. Das wird auch Konsequenzen für die Buchpreise haben. Jüngst bot der Berliner Verlag “Berlin Story” ein E-Book kostenlos zum Download an – und die Kunden konnten den Betrag spenden, den ihnen das Buch wert war. Doch genau das wurde verboten – wegen der Buchpreisbindung.

Das Internet öffnet viele Türen und ermöglicht uns immer wieder neue Vertriebswege. Was man in Deutschland nicht bekommt, kann man sich im Internet von ausländischen Anbietern besorgen – und dann vielleicht auch ohne Buchpreisbindung. Diese Entwicklung kann man nicht aufhalten, stattdessen müssen sich die Verlage fragen, wie sie auf die Digitalisierung reagieren. Am 23. April ist Welttag des Buches. Vielleicht ein Anlass für jeden sich ganz persönlich die Frage zu stellen: Wie viel sind mir Bücher eigentlich wert?

 

Dieser Artikel erschien zuerst am 20.04.2012 auf media-bubble.de.