Sex, Blut und Gewalt: In den ungarischen Medien sind solche Inhalte mittlerweile verboten. Seit über einem Jahr wachen dort Medienwächter über Sitte und Moral. Was ist nur aus dem Land der feurigen Zigeuner und Husaren geworden? Sitzt in Ungarns Regierung tatsächlich nur ein Haufen von Moralaposteln oder gibt es vielleicht andere Gründe für die Medienzensur?
Und wer hat’s erfunden?
Am 1. 1. 2011 begann das große Übel – das ungarische Mediengesetz trat in Kraft und sorgt seit dem für Wirbel. Die britische Zeitung Guardian bezeichnete Ungarn gar als „One-party-rule“, also als Einparteienherrschaft. Denn seit die rechtsnationale Fidesz-Partei bei den Wahlen im April 2010 mehr als zwei Drittel der Sitze im Parlament bekam, scheint sie ehrgeizige Ziele zu verfolgen, was die Umstrukturierung des politischen Systems betrifft. Die Zügel liegen dabei jedoch in den Händen eines Mannes – Victor Orbán. In den Achzigern selbst ein engagierter junger Aktivist, der auf den Straßen Budapests für Meinungsfreiheit demonstrierte, bringt der ungarische Ministerpräsident heute Leute gegen sich selbst auf die Straße.
Tod der Meinungsfreiheit
Doch was steckt nun eigentlich hinter Orbáns Gesetz zur Medienzensur? Einer der Kernpunkte des Gesetzes ist die Zusammenlegung der Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (NHH) mit der Fernseh- und Rundfunkaufsicht (ORTT). Aus dieser Fusion entstand die neue Medienaufsichtsbehörde NMHH. Orbáns Leute betrachtet das als eine Steigerung der Effizienz und die Einsparung von Kosten, die dem ungarischen Mediensystem zu Gute kommen sollen. Vor allem Journalisten aber sehen in dieser Vereinheitlichung den Tod der Meinungsvielfalt. Denn stirbt erst die Pluralität, kann es auch keine unterschiedlichen Standpunkte zu einem Thema mehr geben. Was bleibt ist allein Orbáns Meinung – beziehungsweise die Meinungen, die er für angemessen hält. Bereits seit dem Sommer 2010 werden die öffentlich-rechtlichen Sender von der NMHH kontrolliert und sind damit finanziell vollkommen abhängig von dieser. Mit dem Inkrafttreten des Mediengesetzes fielen dann auch die privaten Rundfunkanstalten unter die Aufsicht der Behörde.
Wer in Ungarn publizieren will, der muss nicht nur einen, sondern gleich mehrere Tode sterben. Bereits die Registrierung bei der NMHH kostet die Redaktionen Geld. Richtig schlimm wird es allerdings bei Verstößen gegen das Mediengesetz. In diesem Fall drohen hohe Bußgelder und im schlimmsten Fall der Verlust des Rechts in Ungarn publizieren zu dürfen. Doch allein die Angst vor den Bußgeldern genügt bei vielen Redaktionen, um Maßnahmen zur Selbstzensur zu treffen.
Mit Argusaugen
Als „Missverständnisse“ betitelte derweil der ungarische Außenminister Janos Martonyi die scharfe Kritik von anderen EU-Ländern, der sich Ungarns Regierung ausgesetzt sah. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn ging sogar so weit Orbáns Politikführung mit der des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu vergleichen, der in der Vergangenheit nicht nur Wahlen fälschen ließ, sondern auch mit Argusaugen darüber wacht, wer was in seinem Land an die Öffentlichkeit bringen darf. Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zweifelte die Vereinbarkeit des ungarischen Gesetzes mit dem EU-Recht an. Und das, wo der Start des Gesetzes ausgerechnet mit dem Beginn der sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft Ungarns zusammenfiel.
Ein Mann wie Orbán jedoch lässt sich von derartigen Kleinigkeiten nicht beirren. Er ließ sich weder sein Amt als EU-Ratspräsident, noch sein neues Gesetz vermiesen. Somit wurde auch gleich zu Beginn Rapper Ice-T aus dem Radio verbannt und der private Fernsehsender RTL Klub musste sich wegen eines blutbesudelten Betts, das er in seinen Nachrichten gezeigt hatte, verantworten.
Ohne Gnade, nur mit Frist
Eine englische Übersetzung, die die ungarische Regierung der EU-Kommission zur Prüfung zukommen ließ war nach Angaben des Internetportals origo.hu unvollständig und ließ wichtige Teile außen vor. Trotz allem wurden auf das Eingreifen der Kommission hin vier Punkte des 228 Paragrafen umfassenden Gesetzes geändert. Gegen Ende des vergangenen Jahres konnte das ungarische Verfassungsgericht die Änderung weiterer Passagen durchsetzen. Doch eine wirkliche Verbesserung gibt es auch über ein Jahr nach dem Start nicht. Erst im Dezember verlor der letzte oppositionelle Radiosender Ungarns – Klubradio – seine Lizenz. Der Sender ist der sechstgrößte Ungarns und wird durchschnittlich von etwa einer halben Million Hörern täglich verfolgt. Auf Grund einer gerichtlichen Klärung wurde Klubradio nun eine Gnadenfrist von 60 Tagen eingeräumt. Das Ende jedoch, so scheint es, ist absehbar. Die Grundrechte der Europäischen Charta greifen zu kurz. Für den Medienbereich, so argumentiert die Kommission, seien zum Großteil die Länder selbst verantwortlich.
Der Kampf geht weiter
Die Proteste gegen Orbáns Politik werden währenddessen immer lauter und das Geld in den Kassen der Redaktionen immer weniger. Die Zeit Online berichtet in einem Interview mit der ungarischen Journalistin Edit Inotai, wie sogar die Laptops regierungskritischer Journalisten verschwinden. Tamás Bodoky galt über Jahre als einer von Ungarns großen Enthüllungsjournalisten. Im Juli des vergangenen Jahres gründete er eine Website, die als das ungarische Wikileaks bezeichnet werden kann. Atlatszo ist Bodokys Versuch das Mediengesetz zu umgehen. Nach Veröffentlichung eines Hackerangriffs auf eine Finanzberatungsgesellschaft brachte ihm der Versuch prompt Besuch von der Polizei ein, die seine Festplatte beschlagnahmte. Zu noch drastischeren Maßnahmen, um ihrem Unmut gegen das Gesetz Ausdruck zu verleihen, griffen die TV-Journalisten Aranka Szavuly und Balazs Nagy Navarro. Die beiden Gewerkschaftsvertreter traten am 10. Dezember des vergangenen Jahres in den Hungerstreik. Eigentlichen arbeiteten Szavuly und Navarro für das staatliche Fernsehen. Die Betonung liegt jedoch auf der Vergangenheitsform. Nach Antritt des Streiks wurden die Journalisten fristlos entlassen. Erst am 22. Tag überführten sie ihre demonstrative Essensverweigerung in eine Mahnwache.
Ungarn steuert unter Orbáns Regierung in eine Richtung, die der Europäischen Union zu denken geben sollte und das auch bereits tut. Am 16. Februar dieses Jahres wurde im EU-Parlament der Entschluss gefasst, Ungarns neue Gesetze einer genauen Prüfung zu unterziehen. Längst betreffen die besorgniserregenden Neuregelungen nicht mehr nur die Medien. Dementsprechend wenig dürfte es auch helfen, die Proteste allein in diese Richtung zu lenken. Vielmehr ist es ein ganzheitliches Umdenken, das nicht mehr nur die Ungarn von ihrer Führungspartei fordern. Bürgerrechtsbewegungen, wie die kürzlich gegründete Solidaritas verlangen genau das. „Nem tetszik a rendszer“: Dieses Lied von Dorottya Karsay gilt inzwischen als der Schlachtruf der Widerstandsbewegung. Übersetzt bedeutet der Titel so viel wie „Ich mag das System nicht“.
Dieser Artikel erschien zuerst am 01.03.2012 auf media-bubble.de.