Der Sieg Ségolène Royals bei der sozialistischen Kandidatenkür für die Präsidentschaftswahlen 2007 hat die politische Ausgangslage der Parti socialiste (PS) grundlegend verändert. Die linke Neinsagerkoalition wird sich von dieser Niederlage nicht mehr erholen. Eine heilige Kuh ist geschlachtet. Gleichwohl können sich aus diesem Sieg prinzipiell zwei unterschiedliche Weichenstellungen ergeben.
Einerseits könnte es das Ende bedeuten für eine realitätsferne Linksradikalenrhetorik. Lange schon, zumal seit 1981, pflegt die Linke einen denkbar radikalen und antikapitalistischen Diskurs. Der Sieg der Gegner der europäischen Verfassung ging – auch in den Reihen der Sozialisten – mit kraftstrotzenden Kommentaren einher, denen zufolge Marktwirtschaft und soziale Gerechtigkeit unvereinbar seien und mithin der Einfluss des Staates und des öffentlichen Sektors auf die Wirtschaft ausgebaut werden müsse.
Eine solche Position mag schon verwundern auf einem Kontinent, der trotz marktwirtschaftlicher Strukturen geprägt ist von einem hohen Staatsanteil am Bruttoinlandsprodukt und der damit gerade auch ein breit ausgebautes Sozialversicherungssystem finanziert. Vor dem Hintergrund dieser radikalen Tendenz suchen die Sozialisten in allen Formationen links von der Linken, manchmal sogar am linksextremen Spektrum nach Bündnispartnern. Diese Grundausrichtung – oder zumindest scheinbare Grundausrichtung – hat letztlich die Schwächung der Sozialistischen Partei zu verantworten. Nicht nur deshalb, weil die Abkehr von der Marktwirtschaft konkret ein völlig sinnloses Unterfangen darstellt, sondern auch weil die PS keine Proletarierpartei ist, sondern eine Partei, in der die Mitglieder in leitender Stellung stärker vertreten sind als die einfachen Angestellten. Die einzige Erklärung dieser widersprüchlichen Situation besteht darin, dass gerade die Angestellten im öffentlichen Sektor, insbesondere ab einer gewissen Führungsebene, jene Ideologie ersonnen haben, die nun einen Sieg der Linken immer unwahrscheinlicher werden lässt.
Wenn man diese Analyse als gegeben annimmt, lautet die Frage, die sich den alten und neuen Mitgliedern der Sozialistischen Partei stellt: Welcher Weg führt aus dieser Sackgasse? Welcher Weg führt zurück zu einer realistischen Politik? Dominique Strauss-Kahn hat hier offen ausgesprochen, was viele insgeheim denken: Die Partei muss – wie alle anderen sozialistischen Formationen in Europa – sozialdemokratisch werden. Trotz dieser Zielsetzung fehlt aber auch ihm eine Antwort auf die etwas konkretere Frage, wie dies denn zu bewerkstelligen sei, d.h. wie die Wahlen gewonnen werden können, ohne sich von einem linksextremen Wählerspektrum, das noch vor kurzem durch den Sieg über die EU-Verfassung seine Stärke unter Beweis gestellt hat, vom Wege abbringen zu lassen.
Die französische Linke wäre gut beraten, wenn sie ihr Selbstverständnis nicht länger aus einem ideologischen Erbe ableiten würde, sondern aus der Wirklichkeit und wenn sie die Probleme einer Gesellschaft verstehen würde, in der kulturelle Vielfalt zunimmt und die ewige Beschwörung der Republik die Ungleichheiten letztlich nur verschärft.
Aus den ersten Äußerungen Ségolène Royals zu diesem Thema spricht eine wohltuende Gedanken- und Entscheidungsfreiheit. Die Niederlage Dominique Strauss-Kahns jedoch kann zu der zweiten Annahme führen: Die Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal schwimmt auf der Woge einer tiefen Unzufriedenheit der Öffentlichkeit. In dieser Hinsicht ist sie eine Antiparteienkandidaten, die folglich in allen, auch in den linksextremistischen Milieus, Rückhalt und Unterstützung suchen muss. Zudem muss sie sich so deutlich wie möglich von dem Morast der politischen Mitte abgrenzen, aus dem sich die Linke noch nie siegreich herausgekämpft hat.
So gesehen, ist das Phänomen Ségolène eine neue Version des Phänomens Mitterrand. Diese zweite Hypothese scheint – gerade aufgrund ihrer Einfachheit – leichter den Weg zu einem Sieg zu ebnen. Die erste Annahme dagegen stolpert notgedrungen über die heikle Frage, wodurch denn die linksextremistischen Stimmen ersetzt werden sollen? Wird es Ségolène Royal gelingen, sowohl einen beträchtlichen Teil der linksextremistischen Wähler als auch Stimmen aus der gesamten Bandbreite der Wählerschaft an sich zu binden?
Diese Entscheidung zwischen zwei politischen Weichenstellungen ist gerade deshalb so schwierig, weil die Voraussetzungen für den leichten Sieg Ségolène Royals bei den sozialistischen Stichwahlen ihr angesichts der von Nicolas Sarkozy befehligten römischen Heerscharen den Weg zu einem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen verstellen könnten.
Aus diesem Vergleich zwischen den beiden Richtungen, die Ségolène Royal nach ihrem Sieg einschlagen kann, ergibt sich zwangsläufig die Schlussfolgerung, dass sie beide Wege miteinander kreuzen muss, um bei den Präsidentschaftswahlen den Sieg davonzutragen. Auch in Zukunft sollte sie als eine direkte Vertreterin des Volkes auftreten, durch die die partizipative Demokratie in ein politisches System Einzug hält, dessen Repräsentativität deutlich geschwunden ist. Darüber hinaus muss sie sich für eine Politik entscheiden, die wirtschaftliche Öffnung und soziale Reformen miteinander kombiniert.
Wenn ihr das Miteinander dieser veränderten Form des politischen Auftretens mit veränderten Inhalten gelingt, wird sie Sarkozy schlagen können. Tatsächlich fühlt sich ganz Frankreich von der „politischen Klasse“ abgespalten. Sollte sich Ségolène Royal jedoch in ihrem Wunsch, von allen Seiten Unterstützung zu erhalten, dazu verleiten lassen, die politische Doktrin und das Vokabular der äußersten Linken neu aufleben zu lassen, ist ihre Niederlage vorprogrammiert. Allerdings ist wohl davon auszugehen, dass die Erfolgschancen größer sind. Viele Länder hoffen, dass es Ségolène Royal gelingen wird, im Falle eines Sieges ein von Stagnation, Vorurteilen und mangelndem Selbstbewusstsein gelähmtes Frankreich wieder aufzurichten.