Über „Ruhm“ von Daniel Kehlmann

Besprochenvon Bastian Buchtaleck

Vor kurzem hat ein gewisser Daniel Kehlmann angeblich einen Roman mit dem möglicherweise passenden Titel „Ruhm“ geschrieben. Gleich auf dem Buchcover versperren drei Missverständnisse den Blick auf dieses Buch in neun Geschichten.

Das erste Missverständnis ist die Annahme, dass der erst 1975 geborene, aber schon einige Werke schwere, immer noch junge Autor Daniel Kehlmann nach seinem Welterfolg „Die Vermessung der Welt“ gleich noch ein herausragendes Buch, vielleicht nur noch herausragende Bücher schreiben wird. Man sollte das Buch, nicht den Autoren lesen.

Das zweite Missverständnis ist die Annahme, dass es sich bei dem 200 Seiten langen Buch um einen Roman handeln soll. Das steht zwar auf dem Schutzumschlag, aber Roman wird üblicherweise definiert als die Großform erzählender Dichtung (in Prosa), und dieses Kriterium erfüllt Kehlmanns neues Buch nicht. „Ruhm“ besteht nämlich aus neun (Kurz-)Geschichten, die in sich abgeschlossen sind und nur durch wenige narrative Verknüpfungen miteinander in einem Austauschverhältnis stehen, sowie lose durch übergreifende Themen verbunden werden. Dies reicht nicht aus, die angesprochene Großform zu erreichen.

Das dritte Missverständnis ist die Annahme, dass „Ruhm“ ein angemessener Titel sein könnte. Ruhm ist ein auf unterschiedlichsten Leistungen beruhendes hohes Ansehen. Er kann lokal wie global und kurzlebig wie langfristig sein. Das betrifft allerdings kaum die Hälfte der Figuren.

Tatsächlich hat Ruhm mehr mit der Person Daniel Kehlmann zu tun als mit den von ihm geschilderten Figuren. Wer mit diesen Ansprüchen an „Ruhm“ herantritt, wird nicht erkennen können, dass es sich um ein zumindest ziemlich gutes Buch handelt. Nicht herausragend, nicht sehr gut, aber immer noch ziemlich gut und somit weitaus besser als viele andere Bücher. Jede Geschichte stellt eine andere Figur vor. Allerdings ist die dritte Geschichte die packendste. In „Rosalie geht sterben“ erbittet sich die Figur der Rosalie – sie ist auf dem Weg in ein Schweizer Sterbehospitz – im Zwiegespräch mit dem Autor ein neues Leben. Doch der Autor beharrt auf dem Fortgang des bisher Geschehenen und verweist auf die Unmöglichkeit ihres Wunsches – auch für ihn. Es folgen sechs weitere Episoden, von denen keine dieselbe Intensität erreicht. Zudem rücken nach und nach die Verknüpfungen, die die Teile zu einem Ganzen formen sollen, in den Vordergrund und beeinträchtigen auf diese Weise die einzelne Geschichte.

Während die Verknüpfungen austauschbar wirken, zieht sich ein Themenstrang als Motiv konsequent durch „Ruhm“: Die moderne Kommunikationstechnologie und ihre Anwendung. Mal fällt sie aus, mal dient sie als Ersatzwelt, weil die eigene unerträglich ist und mal eröffnet sie unverhofft Einblicke in Bereiche des Lebens, die sonst verschlossen geblieben wären. Die erste Geschichte „Stimmen“ handelt von dem Techniker Ebling, dessen Vorname genauso abhanden gekommen ist, wie sein Leben. Er hat sich gerade sein erstes Handy gekauft und schon erhält er eine Menge Anrufe. Nur dass sie nicht ihm, sondern einem Ralf gelten. Zunächst ist Ebling skeptisch, doch schließlich ist die Versuchung, die eigene Realität um jene dieses Ralfs zu erweitern, zu groß. Ebling erlebt sich auf eine Weise lebendig, die er nicht kannte, um den Preis, dass er seine dröge Arbeit als Computertechniker und seine ungeliebte Frau vernachlässigt, seine eigene Realität wird ihm unwirklich, er verliert sie aus dem Blick. Und dann klingelt das Handy nicht mehr. Dieses Muster zieht sich durch alle Kapitel. Es geht immer um die neuen Kommunikationsmedien in Form von Computern und Handys, die dadurch entstehende Vervielfältigung von Wirklichkeit und den daraus entstehenden Problemen für die Konstruktion eigener Identität.

„Wenn einer so viel im Internet unterwegs ist wie ich, dann weiß er, dass Wirklichkeit nicht alles ist. Dass es Räume gibt, in die man nicht mit dem Körper geht. Nur in Gedanken und trotzdem da.“

Bei Kehlmann führt die Anwendung der neuen Medien zunächst zu einem Lustgewinn, nach dem Motto: Ich will gar nicht wissen, ob es real ist, solange es nur schön ist. Der Blick öffnet sich auf eine Menge paralleler Lebensmöglichkeiten, die alle zu Wirklichkeiten werden könnten, aber immer in Dystopien enden. Die Figuren scheitern. Sie sind überfordert und werden von ihrem eigenen Leben eingeholt. In „Ruhm“ heißt es, „dass das Leben ist, was es ist, und dass man sich einiges aussuchen kann, das meiste aber nicht.“ Daniel Kehlmann beleuchtet hiermit ein gesellschaftlich hochaktuelles Thema, wovon auch das Buch „Wer bin ich und wenn ja, wie viele“ oder der Film „Matrix“ zeugen. Es ist ein Spiegelthema – welche Realität darf noch als wirklich gelten –, weil sich in den Spiegelungen kein Ursprung mehr erkennen lässt. Wenn dann gleich drei Figuren des Buchs Autoren sind, Leo Richter, Miguel Auristos Blancos und Maria Rubinstein, schreibt Kehlmann sich in seinen Roman ein, ohne dass man sagen kann, inwieweit er sich in diesen Figuren spiegelt oder seine Wirklichkeit um ihre erweitert. Ähnlich wie schon bei dem Titel des Buchs handelt es sich hierbei um ein ironisches Versteckspiel. Dies könnte vom Autor entweder sehr gut durchdacht und dann großartig inszeniert oder auch nur das Zufallsprodukt eines ziemlich guten Buchs sein. Genau darin liegt die Gefahr. Kann es so kunstvoll und intelligent konstruiert sein, wenn gleichzeitig die einzelnen Geschichten sprachlich locker-heiter erzählt werden und thematisch scheinbar immer an der Oberfläche bleiben?

„Ruhm“ ist der Versuch, durch ständige Spiegelungen den Blick auf die Dinge als das darzustellen, was er ist: fragwürdig, gespiegelt. In diesem Sinne scheinen die immer wieder auftauchenden Lebenshilfebücher von Miguel Auristos Blancos ebenso ein Hinweis für den Leser als auch ein Leuchtturm für den Autor zu sein.

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Ein Quantum Bond

Besprochen von Bastian Buchtaleck

  • Ein Quantum Trost (Quantum of Solace), Regie: Marc Forster, Produktion: UK, USA 2008, Laufzeit: 106 min.

Die ersten eineinhalb Minuten oder gefühlte tausend Einstellungen lang bietet sich eine rasante Autoverfolgungsjagd dar, bei der es nichts zu erkennen gibt, die allenfalls gekannt werden kann.
Denn wer wen verfolgt, ist durch den hektischen Schnitt nicht zu erfassen. Allein durch das eigene Genrewissen weiß man: Bond wird gejagt, aufwendige Action kommt vor dem Vorspann, und der Hauptdarsteller stirbt nicht schon nach fünf Minuten. Darauf folgt mit dem Vorspann die einzige Konstante, die die alten Bond-Filme mit dem aktuellen Kinofilm Ein Quantum Trost des Regisseurs Marc Forster verbindet.
Die Handlung des neuen Films knüpft unmittelbar an Casino Royal an. James Bond (Daniel Craig) liefert Mr. White an seine Chefin M (Judi Dench) aus. White erzählt von der bislang unbekannten Organisation Quantum, worauf eine wilde Hatz zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft beginnt. Zuerst verschlägt es Bond nach Haiti, wo er das Bond-Girl Camille (Olga Kurylenko) trifft, die ihn zu Bond-Bösewicht Dominic Greene (Mathieu Amalric) führt, der seinerseits Camille töten will, welche dann – gegen ihren Willen – von Bond gerettet wird. Österreich, Italien und Bolivien sind weitere Stationen, Vertrauen, Freundschaft und Umweltschutz sind die Themen. Außerdem geht es für Bond immer auch um Rache. „Vesper, sie hat alles für sie gegeben. Vergeben Sie ihr. Vergeben sie sich selbst“, röchelt der sterbende Helfer Mathis Bond zu. Schließlich kann Bond seinen Widersacher Greene in einem unwirklichen, aber wirklich gebauten Hotel in der Wüste Boliviens stellen. Es endet, wie es enden muss: Das Hotel fliegt in die Luft, Bond kann Camille gerade so ein zweites Mal retten und anschließend den fliehenden Greene fangen und in der Wüste zum Verdursten aussetzen.
Am Ende des Films warten ein paar Erzählstränge auf Fortsetzung, und die Frage bleibt, was ist das für ein Bond, der sich etwas vergeben muss und Feinde mit einer Flasche Motoröl dem Verdursten aussetzt? Daniel Craig setzt in seiner zweiten Verkörperung des Agenten mit der Lizenz zum Töten den Weg fort, der in Casino Royal eingeschlagen wurde. Er ist der Rambo des 21. Jahrhunderts. Ein Einzelkämpfer, ein Gejagter seines eigenen Schattens, kein Souverän. Diese Rolle erledigt Craig allerdings sehr cool, er brilliert sogar.
Ganz anders die weiteren Figuren. Sie bleiben blass. Vielleicht liegt es bei Dominic Greene daran, dass er nichts Böseres plant, als einem Land die eigenen Wasservorräte zu verkaufen. Firmen wie Nestlé und Coca Cola oder die französischen Mischkonzerne Suez und Veolia tun dies schon seit mehr als zehn Jahren. Er ist ein ungewöhnlicher Bösewicht, da Mathieu Amalric das ursprüngliche Wesen Bonds mehr verkörpert denn Craig, er ist charmant und schläft mit dem Bond-Girl.
Judy Dench spielt M kühl, ist aber immer präsent. Bond-Girls wurden traditionell mehr ihrer oberflächlichen Reize und nicht ihrer schauspielerischen Fertigkeiten wegen besetzt. Allerdings leidet Olga Kurylenko wie ihre Schauspielkollegen nicht an fehlendem Talent, sondern unter mangelndem Raum und Plastizität der Figur. Sie macht das Beste aus dieser unscheinbaren Camille, die zwar eigene Rachepläne verfolgt, aber immer auf Bond angewiesen ist. Alle Schauspieler erfüllen die Figuren mit Leben – aber immer nur so weit, wie es die Figuren ermöglichen. Dem Film fehlen, Bond ausgenommen, ansprechende Charaktere.
Dabei gab es sie immer. Es existiert eine lange Liste skurriler Bond-Nebendarsteller wie den Beißer oder Oddjob. Im neuen Bond – leider bleibt die Figur viel zu klein – ist es der zweite CIA-Mann mit seinem Schnauzer und seiner undurchschaubaren Art, der wirkt, als hätten Tarrantino oder die Coen-Brüder heimlich einen ihrer überdrehten Charaktere in Ein Quantum Trost eingeschmuggelt. So darf auch eben dieser Charakter folgendes sagen: „Richtig oder falsch spielt keine Rolle. Wir handeln aus der Not heraus.“ Die CIA steckt sowohl mit Greene als auch mit Bonds Arbeitgeber unter einer Decke, spielt mit allen ein Spiel.
Darum dreht sich der Film: Die festgefügten Wahrheiten sind ins Wanken geraten. Schwarz und Weiß haben ebenso wie Connery, Moore oder Brosnan ausgedient. Es lebe die postmoderne Uneindeutigkeit mit einer Prise Moral. Und das hat Ein Quantum Trost mit seinen Vorläufern gemein – ihn bewegt, was gerade die Welt bewegt. Wenn dies früher die Angst vor der Atombombe und der Kalte Krieg waren, sind es heute Umweltzerstörung und die knapper werdenden Rohstoffe.
Nicht ohne Grund also gräbt Greene den Bolivianern das Wasser ab. In Zukunft wird Wasser wahrscheinlich zu den wertvollsten Rohstoffen der Welt gehören, und es spricht für Dominic Greene und den Trust Quantum, dies erkannt zu haben. Die Darstellung überzogener Action kennt der geneigte Zuschauer aus den Stirb Langsam, Die Bourne- oder Star Wars Filmen. Er ist gewissermaßen daran gewöhnt, dass ihm in kaum übersichtlichen Bildern die Farben um die Ohren fliegen und am Ende das Gute siegt. Schon immer war die Action in Bond-Filmen Unsinn, wenn man realistische Maßstäbe anlegt. Negativ stechen allerdings einige Parallelmontagen hervor, wie zum Beispiel jene in der Oper. Wenn zwischen der Verfolgungsjagd und der dramatischen Opernschlussszene hin und her geschnitten wird, ist das zwar künstlerisch gemeint, wirkt aber nur künstlich. Insgesamt ist die Darstellung der Action in Ein Quantum Trost derart überdreht, dass der entstehende Bilderflickenteppich nur noch mit hektischen
Schnitten, wackligen Großaufnahmen und dramatischer Musik kaschiert und einzig noch mit Genrewissen verstanden werden kann.
Wichtig ist: Der neue Bond ist ein Prequel zur eigentlichen Serie. Das hat ja schon bei Star Wars nicht richtig funktioniert. Bei einem Prequel ist man mehr noch als bei einem Sequel den eingeführten Figuren der Reihe verpflichtet. Aber Figuren sind immer Figuren ihrer Zeit, und die Zeit Bonds ist zunächst einmal abgelaufen. Aktuell ist an dem neuen Bond höchstens seine innere Zerrissenheit. Die Lust am Spiel mit der Erzählung, wie man sie von Departed, der Bourne-Reihe oder auch dem Gangster-Klamauk um die Bande Danny Oceans finden kann, verliert sich zwischen dem Anspruch, den alten Bond zu aktualisieren, ihm gerecht zu werden, ihn zu erneuern und so weiter. Es dürfte schwer werden, aus dem aktuellen Bond den Bond zu formen, den der Zuschauer kennt, einen charmanten Agenten und Frauenhelden. Zumindest darauf darf man im nächsten Film gespannt sein.

 

 

„Honigkuss“ – Ein politisches Luststück

Besprochen von Bastian Buchtaleck

  • NEIMI, Salwa Al: Honigkuss. Hoffmann und Campe, Hamburg 2008. ISBN 978-3-455-40131-8.

Die in Damaskus geborene Muslima Salwa Al Neimi verkündet in ihrem Roman „Honigkuss“ die sich doch günstig auf Körper, Seele und Verstand auswirkende „Heilkraft des Beischlafs“. Ja, „je schamloser der Beischlaf ist, desto schöner ist er“ (Seite 10). Mehr noch, „es gibt Menschen, die Geister beschwören – ich beschwöre Körper“. (Seite 9) Schnell wird der explizit lustbetonte Ansatz deutlich, der wirkt, als wolle man auf der Welle der Empörung mitschwimmen, die durch Charlotte Roches Gequassel um Feuchtgebiete ausgelöst wurde.
Sofern es das boomende Genre des ‚Lebensbeichte-Romans‘ gibt, ist Honigkuss ein würdiger Vertreter. Angetrieben wird der Roman von einer Ich-Erzählerin, deren Reflektionen sich beständig um zwei Schwerpunkte drehen. Zum einen alte arabische Liebesliteratur, der die in einer Pariser Bibliothek arbeitende Ich-Erzählerin mit einer Mischung aus professioneller Notwendigkeit und persönlichem Interesse gegenüber tritt. Zum anderen die intensive Affäre der Ich-Erzählerin zu dem ‚Denker‘. An dieser Affäre entfaltet sich ein Widerstreit von Liebe und Lust. „Liebe ist für die Seele, Lust für den Körper. Ich habe keine Seele.“ (Seite 31) Durchgehend legt Neimi nahe, dass es Liebe ODER Lust gibt – von dem UND kann sie nicht viel berichten. Sie ist, indem sie die Lust des Körpers über das ‚Verlangen der Seele‘ stellt, taub gegenüber den Freuden der Liebe. Dabei bleibt die Beschreibung ihrer Lust stets vage, irgendwie unerfüllt.

Denn der Leser begreift schnell, was der Ich-Erzählerin nie so recht bewusst wird und sie in vielfältigen Worten abstreitet: Wenn sie keine Fragen stellt und keine Erklärungen braucht, solange der Denker da ist, dann beschreibt Neimi keinen Zustand der lustbetonten, affärenhaften Gleichgültigkeit, sondern den der Liebe.

Dann geht der Denker. „Es könnte sein, dass wir ihn verlieren wegen eines Worts, eines Schulterzuckens, (…) einer uralten Angst, eines Spiels, dessen Regeln sich uns entziehen.“ (Seite 121) Aber die Vermutungen der Ich-Erzählerin laufen ins Leere. Der Denker geht, weil ihn niemand bittet, zu bleiben. Wer zu oft hört, er sei frei, der wird auch gehen. Es berührt merkwürdig, der Ich-Erzählerin auf ihrem Pfad der Lust zu folgen, da ständig mitschwingt, dass sie nicht sexuelle Erfüllung sucht, sondern vor dem flieht, was eine Liebesbeziehung bedeuten könnte.

Das insgesamt gelungene Buch weist nur kleinere Schwächen auf. Die verwendeten literarischen Bilder sind brüchig, bekannt, manchmal kitschig – nur selten ein gelungener bildhafter Vergleich. Auch werden immer wieder vermeidbare Wiederholungen ähnlich lautender Sätze oder auch Inhalte produziert. Die Entwicklung der Geschichte tritt dabei auf der Stelle. Passend zur Ich-Erzählerin, die angehalten wird, einen wissenschaftlichen Aufsatz zu schreiben, ist die Sprache des Buchs reflektierend-beobachtend. Neimi ist vielmehr Chronistin als Erzählerin.

Was nach Verlagsangaben in arabischen Ländern einen Skandal ausgelöst hat, wirkt in den westlichen Ländern, die sich mit Bohlens Penisbruch, diversen Sexvideos und dem ‚Mädchen von Seite drei‘ konfrontiert sehen, sehr vertraut. Der intendierte Skandal verpufft am vermeintlich aufgeklärten (und zugleich übersättigten) Bürger des Abendlandes. Dafür dürfte sich dieser umso mehr über die politische Botschaft des Buchs freuen. Honigkuss betrachtet ungläubig die lustfeindliche Wandlung, die Teile der muslimischen Glaubensgemeinschaft seit den großen arabischen Werken vor mehr als tausend Jahren vollzogen haben und stellt fest, „dass sich Flauberts Orient von 1847 in Luft aufgelöst hat. Folgen des 11. September und des islamischen Dschihad.“ (Seite 60) Indem Neimi ihre Ich-Erzählerin als Erbin und Profiteurin der arabisch-erotischen Literatur profiliert, führt sie die aktuelle Lustfeindlichkeit als entwurzelte Fehlentwicklung vor.

Gerade die Vehemenz, mit der die Ich-Erzählerin an ihrer Lust festhält, kann als eine politisch-ideologische Abgrenzung verstanden werden: Muslimische Frauen haben Sex, Lust auf Sex und manchmal sogar so viel von beidem, dass darüber geschrieben werden muss. Neimis Buch ist die Versicherung: Ich, eine Muslima, bin ein Mensch, der (sexuelle) Bedürfnisse hat – genau wie du. Bei Honigkuss handelt sich sich also um eine politische Botschaft, ein politisches Luststück sozusagen. Denn das eine zeigt das Buch deutlich: Eine Frau ist eine Frau und ein Mann ist ein Mann und die Lust, die man füreinander empfindet ist menschlich. Und nun sage mal einer, diese Botschaft allein sei nicht schon ein ganzes Buch wert.

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Über „Lexikon der antisemitischen Klischees“ von Peter Waldbauer

Besprochen von Bastian Buchtaleck

  • WALDBAUER, Peter: Lexikon der antisemitischen Klischees. Antijüdische Vorurteile und ihre historische Entstehung. Mankau, Murnau a. Staffelsee 2007. ISBN 978-3-938396-07-0 Pick It!.

Peter Waldbauer greift mit seinem Buch Lexikon der antisemitischen Klischees ein interessantes und überaus relevantes Thema auf. Leider wird Waldbauer dem Thema nicht gerecht, da er es keineswegs beherrscht. Dies zeigt sich schon in der Einleitung. Denn es mutet komisch an, einem Buch über antisemitische Klischees ein jüdischen Sprichwort – Man hasst die Juden nicht, weil sie es verdienen, sondern weil sie verdienen – voran zu stellen, da es ein Klischee darstellt.

Schon in seiner Gestaltung ist es fragwürdig, warum das Lexikon der antisemitischen Klischees überhaupt ein Lexikon darstellen soll. Die einzelnen – so genannten – Klischees lassen sich nicht lexikalisch nachschlagen, vielmehr sind sie wie in einem Buch nach Themen gegliedert. Darüber hinaus wäre eine alphabetische Sortierung unnütz, da nicht das Klischee benannt, sondern es in eine Frageform eingebettet wird. Die meisten der Klischees beginnen also mit einem W – was, wer, wann. So drängt sich die Vermutung auf, dass es sich aus zwei Gründen um ein Lexikon handelt: Zum einen, weil Lexika eine objektivierende Kraft inne wohnt, die simple Behauptungen zu objektiven Sachverhalten nobilitiert. Zum zweiten können dieselben Argumente in vielen kurzen Lexikonartikeln wiederholt werden, während ein Buch in der Regel nach einem roten Faden verlangt, der sich nicht wiederholt, sondern weiter spinnt.

Inhaltlich ergibt sich die Argumentation, dass Juden gehasst werden, weil sie ihren Mitmenschen in vielen Dingen überlegen sind. Durch die ständige Auslegung von Tora und Talmud ist der Intellekt gestärkt (Seite 51) und durch jahrhundertelange Gefahr und Verfolgung waren die Juden stets gezwungen flexibel zu bleiben (Seite 50). Durch den hinkenden Vergleich zwischen dem ‚plumpen, sesshaft in der Mehrheit lebenden Bauern‘ und dem ‚flexiblen, mit hoher geistiger Mobilität ausgestatteten Judentum‘ kreiert Waldbauer ein Klischee des Juden, das wie eine positive Form von Rassismus anmutet. Dabei darf es natürlich nicht Ziel sein, negative durch positive Klischees zu ersetzen. Leider aber lässt dieser von Waldbauer gemixte Cocktail aus kulturgeschichtlich hergeleiteten Überlegen­heits­bekundungen das wenig glaubhafte Bild eines ‚Über-Juden‘ entstehen. ‚Positiver Rassismus‘, also eine Art der Überlegenheitsbekundung – das soll hier ausdrücklich festgehalten sein – ist genauso verwerflich wie ’normaler Rassismus‘, der von der Abwertung anderer lebt. Denn allzu positive Klischees machen dem ‚Unterlegenen‘ Angst und verhindern den Dialog miteinander.

Die Relevanz des Themas steht außer Frage, doch wurde das Thema, über antisemitische Klischees zu schreiben, weit verfehlt. Auffällig ist: durch die beständige Wiederholung derselben Argumente entsteht das Gefühl, Waldbauer geht es weniger um eine objektive Wahrheit und mehr um seine subjektive Überzeugung. So liest sich das Buch wie ein Pamphlet mit dem Ziel zu belegen, dass die Juden nicht nur zu unrecht verfolgt wurden, sondern kulturhistorisch aus den Verfolgungen und ihrer Minderheit eine Überlegenheit resultiert.

Über eine Einführung in die jüdische Geschichte wird man sicherlich nicht nur besser, sondern auch objektiver und unterhaltsamer informiert. Von Waldbauers Buch Lexikon der antisemitischen Klischees ist dringend abzuraten, denn Waldbauer argumentiert ungenau und verzerrend. Vor allem wiederholt er sich ständig, die Tonart bleibt das ganze Buch hindurch ermüdend gleich.

 

Über „Pitch it! Die Kunst, Filmprojekte erfolgreich zu verkaufen“ von Sibylle Kurz

Besprochen von Bastian Buchtaleck

  • KURZ, Sibylle: Pitch it! : die Kunst, Filmprojekte erfolgreich zu verkaufen. UVK, Konstanz 2008. ISBN 978-3-86764-113-5.

Dieter Kosslick schreibt im Vorwort zu Pitch it! von Sibylle Kurz, dass ein Pitch unbedingt drei Elemente beinhalten muss, um erfolgreich zu sein: „Begeisterung, Professionalität und die vollkommene Besessenheit vom eigenen Stoff“ (Seite 10). Genau dies macht Kurz in dem Buch Pitch it! deutlich, nämlich wie man mit Professionalität, Begeisterung und Besessenheit zu einem erfolgreichen Pitch gelangt.

Das bedeutendste Zeichen von Professionalität ist, den eigenen (Film-)Stoff und auch den Unique Selling Point (USP) sehr genau zu kennen. Mit dem USP ist die Unverwechselbarkeit des eigenen Stoffes durch eine originelle Umsetzung gemeint. Er ist die Antwort auf die Frage: What’s the difference that makes the difference?

Neben dem USP führt Kurz fünf Punkte an, die für einen Pitch entscheidend sind. Sie ähneln den journalistischen W-Fragen. Worum geht es (1)? Für welches Publikum (2) gibt es was zu sehen (3)? Warum machen Sie diesen Stoff (4) und wer muss wieviel investieren (5)? Als Teil des professionellen Handwerkszeugs müssen diese Fragen sofort und eindeutig beantwortet werden können und ist grundlegende Voraussetzung um die eigene Begeisterung und Besessenheit voll ausspielen zu können.

„Eine Kunst beim Pitchen ist, die Aufmerksamkeit des Zuhörers so schnell und so lange wie möglich zu fesseln“ (Seite 35) Dazu werden Stoffe im Präsens gepitcht, „am besten mit einer persönlichen, authentischen und enthusiastischen Art“ (Seite 35). Wer dies gut macht, kann sein Gegenüber in eine andere Welt ‚ver-führen‘, denn genau darum geht es beim Pitchen. Wer nicht selber von seinem Stoff begeistert ist, wird kaum sein Gegenüber dafür begeistern. „Kongruenz und Authentizität des Handelns sind die wichtigsten Faktoren für die Glaubwürdigkeit einer Präsentation.“ (Seite 181) Der innere Kritiker darf nicht unterdrückt werden (er hat sowieso immer ein böses Wort auf den Lippen), sondern muss von der gemeinsamen Sache überzeugt, auf die eigene Seite gezogen, ins Boot geholt werden. Sitzt der innere Kritiker erst Mal dort, wird mit Begeisterung und Besessenheit der eigene Stoff zu einem ‚visuellen Moodboard‘ verdichtet. Den Begriff des ‚visuellen Moodboard‘ leitet Kurz analog vom gezeichneten Storyboard ab. Er besagt, dass die Geschichte in emotional anrührenden Bildern erzählt wird. Mit dem visuellen Moodboard, dass sich aus Professionalität, Begeisterung und Besessenheit zusammensetzt, muss letztendlich der Entscheider überzeugt werden.

Entscheider sind jene paar Menschen im Filmbusiness, die über finanzielle Mittel verfügen und somit die Möglichkeit besitzen, aus einer Idee ein Projekt zu machen. Im Umgang mit Entscheidern, aber auch mit anderen Akteuren des Filmbusiness (was durchaus eine gesellschaftlich universelle Komponente hat), ist es oftmals wichtiger, Sozialkontakte herzustellen, als einen guten Stoff professionell vorzustellen. Warum, so muss man sich ehrlich fragen, wird heute die Kompetenz des ’social networking‘, also die Kompetenz anderen in der eigenen Umgebung ein gutes Gefühl zu vermitteln, höher angesehen als die inhaltliche Auseinandersetzung? Die wahrscheinlich richtige und dennoch unbefriedigende Antwort lautet: „Ein Produkt wird immer mit demjenigen identifiziert, der es anbietet – das Grundprinzip jeder Werbung. Wir alle kennen viele Alltagssituationen, in denen die Qualität eines Produkts an den Verkäufer und seine Glaubwürdigkeit gekoppelt wird.“ (Seite 179) Einen Entscheider im Pitch von der eigenen Idee zu überzeugen ist nicht leicht, aber auch nicht unmöglich. „Wenn Sie selbst von ihrer Geschichte leidenschaftlich überzeugt sind, wird Ihnen das gelingen.“ (Seite 69)

Nachdem Kurz eindrucksvoll die Grundlagen des Pitchens ausgebreitet hat, verbessert sie in der zweiten Hälfte des Buches mit einem Präsentationstechniken-Potpourri ein wenig die Welt der Kommunikation. Obwohl auch diese Passagen anregend zu lesen sind, stellen sie eher das schmückende Beiwerk zu den wichtigen Tipps für einen erfolgreichen Pitch im ersten Teil des Buchs dar.

Insgesamt stellen sich zwei Elemente als besonders wichtig für einen erfolgreichen Pitch heraus. Zuerst die Qualität der Geschichte und direkt danach die zwischenmenschliche Komponente oder auch anders herum. Das hängt von den individuellen Stärken des Pitchenden und den Vorlieben des Entscheiders ab. Man könnte auch sagen: Professionalität und Emotionalität – aber das ist zu weit herunter gebrochen. Somit produziert der professionelle Filmemacher in seinem Pitch die eingangs erwähnte ‚Differenz‘ gleich zweifach: Einmal im Hinblick auf seinen Stoff und dann nochmal, in der Art wie er seinen Stoff im Pitch präsentiert.

Die hilfreiche Herausarbeitung der hier angerissenen Tipps rund um den erfolgreichen Pitch ist das große Verdienst von Sibylle Kurz und darum muss, wer noch mehr darüber erfahren will, man das Buch lesen. „Es gibt einen prägnanten Satz, den sie verinnerlichen sollten: Der Zweck eines ersten Treffens mit einem Entscheider besteht darin, ein zweites Treffen zu initiieren.“ (Seite 47) Wenn man dieses Bonmot ein wenig abwandelt und sagt, dass ein erstes Buch zum Lesen eines zweiten Buchs (derselben Autorin, desselben Verlags) anregen soll, dann ist der Zweck mit Pitch it! voll und ganz erfüllt.