Ein Quantum Bond

Besprochen von Bastian Buchtaleck

  • Ein Quantum Trost (Quantum of Solace), Regie: Marc Forster, Produktion: UK, USA 2008, Laufzeit: 106 min.

Die ersten eineinhalb Minuten oder gefühlte tausend Einstellungen lang bietet sich eine rasante Autoverfolgungsjagd dar, bei der es nichts zu erkennen gibt, die allenfalls gekannt werden kann.
Denn wer wen verfolgt, ist durch den hektischen Schnitt nicht zu erfassen. Allein durch das eigene Genrewissen weiß man: Bond wird gejagt, aufwendige Action kommt vor dem Vorspann, und der Hauptdarsteller stirbt nicht schon nach fünf Minuten. Darauf folgt mit dem Vorspann die einzige Konstante, die die alten Bond-Filme mit dem aktuellen Kinofilm Ein Quantum Trost des Regisseurs Marc Forster verbindet.
Die Handlung des neuen Films knüpft unmittelbar an Casino Royal an. James Bond (Daniel Craig) liefert Mr. White an seine Chefin M (Judi Dench) aus. White erzählt von der bislang unbekannten Organisation Quantum, worauf eine wilde Hatz zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft beginnt. Zuerst verschlägt es Bond nach Haiti, wo er das Bond-Girl Camille (Olga Kurylenko) trifft, die ihn zu Bond-Bösewicht Dominic Greene (Mathieu Amalric) führt, der seinerseits Camille töten will, welche dann – gegen ihren Willen – von Bond gerettet wird. Österreich, Italien und Bolivien sind weitere Stationen, Vertrauen, Freundschaft und Umweltschutz sind die Themen. Außerdem geht es für Bond immer auch um Rache. „Vesper, sie hat alles für sie gegeben. Vergeben Sie ihr. Vergeben sie sich selbst“, röchelt der sterbende Helfer Mathis Bond zu. Schließlich kann Bond seinen Widersacher Greene in einem unwirklichen, aber wirklich gebauten Hotel in der Wüste Boliviens stellen. Es endet, wie es enden muss: Das Hotel fliegt in die Luft, Bond kann Camille gerade so ein zweites Mal retten und anschließend den fliehenden Greene fangen und in der Wüste zum Verdursten aussetzen.
Am Ende des Films warten ein paar Erzählstränge auf Fortsetzung, und die Frage bleibt, was ist das für ein Bond, der sich etwas vergeben muss und Feinde mit einer Flasche Motoröl dem Verdursten aussetzt? Daniel Craig setzt in seiner zweiten Verkörperung des Agenten mit der Lizenz zum Töten den Weg fort, der in Casino Royal eingeschlagen wurde. Er ist der Rambo des 21. Jahrhunderts. Ein Einzelkämpfer, ein Gejagter seines eigenen Schattens, kein Souverän. Diese Rolle erledigt Craig allerdings sehr cool, er brilliert sogar.
Ganz anders die weiteren Figuren. Sie bleiben blass. Vielleicht liegt es bei Dominic Greene daran, dass er nichts Böseres plant, als einem Land die eigenen Wasservorräte zu verkaufen. Firmen wie Nestlé und Coca Cola oder die französischen Mischkonzerne Suez und Veolia tun dies schon seit mehr als zehn Jahren. Er ist ein ungewöhnlicher Bösewicht, da Mathieu Amalric das ursprüngliche Wesen Bonds mehr verkörpert denn Craig, er ist charmant und schläft mit dem Bond-Girl.
Judy Dench spielt M kühl, ist aber immer präsent. Bond-Girls wurden traditionell mehr ihrer oberflächlichen Reize und nicht ihrer schauspielerischen Fertigkeiten wegen besetzt. Allerdings leidet Olga Kurylenko wie ihre Schauspielkollegen nicht an fehlendem Talent, sondern unter mangelndem Raum und Plastizität der Figur. Sie macht das Beste aus dieser unscheinbaren Camille, die zwar eigene Rachepläne verfolgt, aber immer auf Bond angewiesen ist. Alle Schauspieler erfüllen die Figuren mit Leben – aber immer nur so weit, wie es die Figuren ermöglichen. Dem Film fehlen, Bond ausgenommen, ansprechende Charaktere.
Dabei gab es sie immer. Es existiert eine lange Liste skurriler Bond-Nebendarsteller wie den Beißer oder Oddjob. Im neuen Bond – leider bleibt die Figur viel zu klein – ist es der zweite CIA-Mann mit seinem Schnauzer und seiner undurchschaubaren Art, der wirkt, als hätten Tarrantino oder die Coen-Brüder heimlich einen ihrer überdrehten Charaktere in Ein Quantum Trost eingeschmuggelt. So darf auch eben dieser Charakter folgendes sagen: „Richtig oder falsch spielt keine Rolle. Wir handeln aus der Not heraus.“ Die CIA steckt sowohl mit Greene als auch mit Bonds Arbeitgeber unter einer Decke, spielt mit allen ein Spiel.
Darum dreht sich der Film: Die festgefügten Wahrheiten sind ins Wanken geraten. Schwarz und Weiß haben ebenso wie Connery, Moore oder Brosnan ausgedient. Es lebe die postmoderne Uneindeutigkeit mit einer Prise Moral. Und das hat Ein Quantum Trost mit seinen Vorläufern gemein – ihn bewegt, was gerade die Welt bewegt. Wenn dies früher die Angst vor der Atombombe und der Kalte Krieg waren, sind es heute Umweltzerstörung und die knapper werdenden Rohstoffe.
Nicht ohne Grund also gräbt Greene den Bolivianern das Wasser ab. In Zukunft wird Wasser wahrscheinlich zu den wertvollsten Rohstoffen der Welt gehören, und es spricht für Dominic Greene und den Trust Quantum, dies erkannt zu haben. Die Darstellung überzogener Action kennt der geneigte Zuschauer aus den Stirb Langsam, Die Bourne- oder Star Wars Filmen. Er ist gewissermaßen daran gewöhnt, dass ihm in kaum übersichtlichen Bildern die Farben um die Ohren fliegen und am Ende das Gute siegt. Schon immer war die Action in Bond-Filmen Unsinn, wenn man realistische Maßstäbe anlegt. Negativ stechen allerdings einige Parallelmontagen hervor, wie zum Beispiel jene in der Oper. Wenn zwischen der Verfolgungsjagd und der dramatischen Opernschlussszene hin und her geschnitten wird, ist das zwar künstlerisch gemeint, wirkt aber nur künstlich. Insgesamt ist die Darstellung der Action in Ein Quantum Trost derart überdreht, dass der entstehende Bilderflickenteppich nur noch mit hektischen
Schnitten, wackligen Großaufnahmen und dramatischer Musik kaschiert und einzig noch mit Genrewissen verstanden werden kann.
Wichtig ist: Der neue Bond ist ein Prequel zur eigentlichen Serie. Das hat ja schon bei Star Wars nicht richtig funktioniert. Bei einem Prequel ist man mehr noch als bei einem Sequel den eingeführten Figuren der Reihe verpflichtet. Aber Figuren sind immer Figuren ihrer Zeit, und die Zeit Bonds ist zunächst einmal abgelaufen. Aktuell ist an dem neuen Bond höchstens seine innere Zerrissenheit. Die Lust am Spiel mit der Erzählung, wie man sie von Departed, der Bourne-Reihe oder auch dem Gangster-Klamauk um die Bande Danny Oceans finden kann, verliert sich zwischen dem Anspruch, den alten Bond zu aktualisieren, ihm gerecht zu werden, ihn zu erneuern und so weiter. Es dürfte schwer werden, aus dem aktuellen Bond den Bond zu formen, den der Zuschauer kennt, einen charmanten Agenten und Frauenhelden. Zumindest darauf darf man im nächsten Film gespannt sein.