Filme mit Gefühl. Regisseurin Noémi Lvovsky im Gespräch mit Caroline Elias und Thomas Weber, 19.12.05

 

Wie haben Sie ihren ersten Film finanziert?

Bei meinem ersten Film hatte ich unglaubliches Glück. Ich konnte ihn ohne Exposé und Drehbuch beginnen, was wirklich selten ist. Ich hatte vorher einen Kurzfilm gedreht, der auf zahlreichen Festivals gelaufen war und großen Anklang gefunden hatte. Es war ein unglaublicher Zufall: Einmal wurde direkt davor ein Film von Jean-Luc Godard gezeigt, den ich nicht kannte und den ich im Übrigen bis heute nicht kenne. Er meinen Kurzfilm gesehen, sprach mit seinem Produzenten und empfahl ihm, diesen Film zu produzieren. Der Produzent sah sich den Film an und wollte mich kennen lernen. Da war ich noch an der Schule, in der Drehbuchklasse, und ich war überhaupt noch nicht sicher, ob ich selber drehen will, und in diesem Moment kam der Produzent und fragte mich, ob er meinen ersten Spielfilm produzieren dürfte. Das war eine enorme Chance, denn ich war noch recht jung, gerade 25. Hinzu kam, dass Jean-Luc Godard sich für den Film einsetzte, was ihm ein großes Gewicht verlieh.

Gab es bei diesem Film nie größere Differenzen zwischen Ihnen, der jungen Filmemacherin, und einem Vertreter der Nouvelle Vague?

Natürlich gab es die, denn die Filmemacher der Nouvelle Vague sind eine spezielle Generation. Man kann sie mit uns überhaupt nicht vergleichen. Es gibt in Frankreich viele Filmemacher und Produzenten, die die Nouvelle Vague nicht mögen – aber das ist nicht mein Fall. Ich erkenne bei den Vertretern der Nouvelle Vague viel wieder, also bei François Truffaut, Godard oder Rohmer.

Wie war die Resonanz auf Ihre Filme in Frankreich?

Meine ersten beiden Filme wurden sehr gut aufgenommen von der Kritik, dadurch hatten sie auch ein größeres Publikum, aber ich habe nie einen Produzenten kennen gelernt, der allein wegen mir Geld verdient hätte. Aber mein Film war das, was die Produzenten einen „populären Erfolg“ nennen.

Gab es auch kritische Stimmen?

Ja, sicher. Nicht direkt, aber natürlich gab es so etwas. Die Kritik mag es ja, einem Etiketten aufzukleben und auf einmal wird man darüber definiert, dass der Film 1,3 Mio. Zuschauer hatte, trotzdem er noch ein Autorenfilm ist.

Haben Sie eine besondere Arbeitsweise?

Ich weiß nicht, ob es da eine bestimmte Arbeitsweise gibt. Auf jeden Fall, brauche ich immer viel Zeit für Proben mit den Schauspielern. Solange wie möglich, zwei, drei Monate, im Durchschnitt zwei bis drei Stunden am Tag besprechen und wiederholen wir die Szenen. Und das sind Wiederholungen am Tisch, d.h. wir lesen das Drehbuch immer wieder und sprechen darüber. Das ist eine Art, es kennen zu lernen und uns kennen zu lernen. Beim Dreh selbst kann man dann viel spontaner arbeiten. Ich erwarte von den Schauspielern, dass sie mir etwas anbieten für die Szene. Ich dirigiere sie ein wenig und ich schaue mir das mit dem Kameramann an. Und dann entscheiden der Kameramann und ich, wie wir die Szene aufnehmen und schneiden werden.

Wie bringen Sie die Emotionen der Figuren zum Ausdruck?

Nun, man muss den Zustand der Figur und den der Szene zusammenbringen. Wenn man während der Vorbereitungsphase über Gefühle spricht, kann man sie analysieren, man kann versuchen, sie zu verstehen. Am Set aber geht es nicht mehr darum, zu analysieren, sondern dann ist es nötig, sich in diesen Zustand zu versetzen. Also spreche ich mit den Schauspielern über ihre Gefühle, aber ohne große Worte zu machen, das können eher Gesten sein. Das ist eine sehr körperliche Arbeit!

Welche Rolle spielt die Musik in Ihren Arbeiten?

Musik war immer sehr wichtig für mich. Sie ist meist mit den Figuren verbunden. Ich habe oft Figuren, die gerne tanzen oder singen. Oder ich setze einen Chor ein wie z.B. in Les Sentiments.

Das Gespräch führten Caroline Elias und Dr. Thomas Weber am 3.5.2005 in Babelsberg im Rahmen der Reihe „Mit Frankreich am Set“. Danke an HFF, Institut Français, Mediaoffice und das MAE. Übersetzung: Dörte Richter

Les Sentiments, Frankreich 2003. 90 Min. Regie: Noemi Lvovsky. Buch: Noemi Lvovsky, Florence Seyvos. Darsteller: Nathalie Baye, Jean-Pierre Bacri, Isabelle Carré u.a.

Mit dem Blick fürs Ungewöhnliche. Regisseurin Tonie Marshall im Gespräch mit Caroline Elias und Thomas Weber, 12.08.05

Im Rahmen der Reihe „Mit Frankreich am Set“ hatten Thomas Weber und Caroline Elias die Gelegenheit mit der französischen Regisseurin Tonie Marshall über die Filmszene in Frankreich und ihre eigenen Filme zu sprechen.

War es schwierig für Sie, die Finanzierung für Ihren ersten Film zu bekommen?

Nein, damit hatte ich ganz und gar keine Schwierigkeiten, denn er wurde von Produzent Charles Gassot finanziert, der damals gerade mit dem Film „Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss“ (La vie est un long fleuve tranquille) großen Erfolg gehabt hatte. Daher hatte er Kapital und bekam außerdem Referenzfilmförderung („fonds de soutien“ des CNC), so war mein Film leicht zu finanzieren, dennoch war er meiner Meinung nach zu teuer. Dafür hatte ich aber dann Probleme, das Geld für den zweiten Film zu finden.

Da waren Sie ja nicht allein, vielen Regisseuren geht es so.

Ja, in Frankreich ist der erste Film oft nicht so schwer zu finanzieren.

Wie kam die Finanzierung für „Pas très catholique“ am Ende doch zusammen?

In Frankreich muss man einen Produzenten finden, der gute Beziehungen zu Sendern, Verleihern und Filmfonds pflegt. Der Produzent hat den Film dann mit Canal+ und M6 koproduziert, außerdem gab es einen Vorschuss vom Verleih und Filmfonds-Geld, aber trotz der vielen Partner mussten wir mit sehr wenig Geld auskommen. Pas très catholique war eher ein Erfolg, und daher war es mit dem folgenden Film, Enfant de salaud, den wieder Gassot produziert hatte, einfacher. Der Film entstand als franko-belgische Koproduktion, denn wir hatten keine Möglichkeit in Paris auf einem sehr alten Friedhof zu drehen wie dem „Père Lachaise“. Wir entdeckten dann in Brüssel einen Friedhof, der ähnlich aussieht, so war es vorteilhaft, in Belgien die Hälfte des Films zu drehen, und wir haben auch ein sehr luxuriöses Haus dort gefunden, das in Paris sehr viel mehr gekostet hätte…

Der Film Pas très catholique ist auch heute noch sehr wichtig für Sie…

Ja, klar. Zunächst ist es so, dass ich diesen Film wirklich mag, wahrscheinlich ist es der Film, den ich am meisten mochte, es ist der, der mir am nächsten ist. Ich hatte gar nichts erwartet, und immer wenn man nichts erwartet, geschieht das Unerwartete. Ich wurde für die Berlinale ausgewählt, das war wunderbar. Und der Film lief gut in Frankreich, er lief gut in Deutschland.

Wie ist Ihr Verhältnis zur jungen Generation der Filmemacher der 90er Jahre, der „Génération Fémis“? Sind Sie da als Autodidaktin assoziiertes Mitglied?

Nein, aber es gibt diese Gruppe befreundeter Regisseure, und mit vielen von ihnen bin ich auch befreundet, z.B. mit Noémie Lvosky, Pascale Ferrand, Claire Denis und Nicole Gracia. Trotzdem: wir sind alle Individuen und das, was uns verbindet, ist, dass wir das Kino lieben und eine enge Beziehung zu ihm haben; Kino ist etwas Heiliges, das uns verbindet. Und darüber hinaus macht jeder von uns seine Filme, manchmal mögen wir die Filme der anderen nicht, aber das zerstört nicht das Verständnis, das wir füreinander aufbringen. Wir lieben das Kino mit Leidenschaft und wir respektieren uns aufgrund dieser Leidenschaft für das Kino.

Was ist ihre Haltung gegenüber der anderen großen Kinogeneration, der „Nouvelle Vague“?

Oh, mon Dieu! Ich verorte mich nur ungern innerhalb einer historischen Perspektive. Da bin ich diskreter, ich weiß nicht, wie man das beschreiben kann, aber ich sage nicht, ich „realisiere ein Werk“, ich mache die Filme, die ich machen möchte und die ich machen kann. Was die „Nouvelle Vague“ betrifft, nun, da denke ich an Filme von Godard oder Truffaut, Baisers volés zum Beispiel. Auch wenn er nicht der größte Film von Truffaut ist, so hat er mich doch stark inspiriert. Ich liebe auch Une femme est une femme. Die Unbeugsamkeit und die Energie dieser Generation hat der Generation danach viel gegeben …

Gehören Sie also einer Art „Nouvelle nouvelle vague“ an?

Nein, ich glaube nicht, dass die heutige Generation von Filmemachern etwas mit der Idee der „Nouvelle Vague“ zu tun hat. Damals entstand sie aus dem Bruch mit dem herrschenden Akademismus heraus, mit der überlieferten Art, Filme zu machen. Ich persönlich musste mich von gar nichts abgrenzen, denn den Bruch haben ja andere vor mir gemacht. Das ist wie mit den Nachgeborenen der „Résistance“… Sie werden mich also nicht sagen hören, ich sei im Widerstand gegen irgendetwas, das habe ich nicht nötig, das haben andere erledigt. Natürlich, ich bin Nutznießerin der Geschichte, von dem, was gut oder schlecht in ihr war. Aber all das, was heute den Filmmarkt bestimmt, die Digitalisierung, das Internet, diese Schnelligkeit sind Veränderungen, die nicht mit der Nouvelle Vague zu erklären sind. Das hat einfach mit der Zeit zu tun, in der wir leben. Wir drehen Filme über die Themen, die uns interessieren. Aber die Schnelllebigkeit erlaubt es vielen Filmen nicht mehr, sich im Kino zu beweisen, dabei wissen wir, dass sich diese Filme so lange wie möglich im Kino halten müssen, um überhaupt wahrgenommen zu werden, was angesichts des Überangebots oft gar nicht mehr klappt, so dass viele Filme in der Masse untergehen.

Welche ist die störungsanfälligste Etappe der Filmherstellung?

Es gibt immer Probleme in den verschiedenen Phasen, in denen ein Film entsteht – während des Schreibprozesses, während der Dreharbeiten, beim Kinostart, da kann viel danebengehen. Aber ich habe viel gelernt als Schauspielerin, als Scriptgirl usw., und das war dann sehr nützlich bei meiner Arbeit als Produzentin für Arte. Da war die Funktion des „künstlerischen Produzenten“ zu besetzen, also jemand, der von Abteilung zu Abteilung flitzt, angefangen beim Drehbuch über Kostüme, Licht und Technik, und der einigermaßen weiß, welche Informationen ergänzt werden müssen. Und da ich mit Schauspielern genauso wie mit der Lichtabteilung oder dem Produktionsbüro umgehen kann, war das schon sehr praktisch. Ich komme mir deswegen nicht mehr wie eine kleine einsame Person vor, die völlig alleingelassen Filme dreht. Ich stelle mir nicht einmal mehr diese Frage, denn ich weiß, ich habe die Fähigkeit und das Wissen, mit Schauspielern zu arbeiten, oder auch wie die Dreharbeiten beschleunigt, wie man 26 Minuten in dreieinhalb Tagen dreht und welche Drehkapazität man dafür benötigt.

Es gibt Leute, die sagen, Sie haben eine weibliche Art Filme zu drehen. Die neunziger Jahre waren ein sehr frauendominiertes Jahrzehnt im französischen Kino. Es gab viele Frauen, die plötzlich ihre Filme machten oder die als Schauspielerin und Regisseurin hervortraten wie z.B. Valeria Bruni Tedeschi

Die wirklich Erste, die zu unserer Generation gehört, war die Schauspielerin und Regisseurin Christine Pascale, die auch mit ihrem Produzenten verheiratet war. Sie hat sich vor einigen Jahren umgebracht. Sie hatte eine kompromisslose Beziehung zum Kino. In Frankreich gab es anschließend viele Frauen, denen es plötzlich möglich war, Filme zu drehen. Als Regisseurin komme ich in der Welt viel herum und nirgendwo sonst gibt es so viele Regisseurinnen wie in Frankreich. Frauen werden so stark gefördert, dass die Männer manchmal das Gefühl haben, es gäbe eine Art von positiver Diskriminierung.

Heute gibt es nicht wenige Schauspielerinnen, die ins Regiefach wechseln. Wenn man als Zuschauer das Kino liebt, Schauspieler ist und dazu auch noch schreiben kann, ergibt sich dies zwangsläufig.

Warum, glauben Sie, sind es trotzdem so viele Frauen?

Nun, ich weiß es nicht. Vielleicht weil plötzlich die Produzenten und Finanziers die Frauen entdeckten, die erfolgreich waren wie z.B. Coline Serreau mit Trois hommes et un couffin (Drei Männer und ein Baby) mit 10 Mio. Eintritte in Frankreich.Nun gab es von einem auf den anderen Moment die Idee, dass Frauen Kino machen können, aber trotzdem hat man nie bemerkt, dass es nun außerordentlich weibliches Kino sei. Man könnte sagen, dass die neunziger Jahre sich dadurch auszeichneten, dass die Frauen plötzlich sehr viel direkter, deutlicher und differenzierter über Sexualität sprachen. Da sie selbst Frauen sind, gab es vielleicht eine andere Vertrauensbasis, auf der sie sich berechtigt fühlten, den Körper einer Schauspielerin zu benutzen, dass sie weiter gingen, sehr viel weiter gingen als die Männer, die, so könnte man sagen, immer noch die Klischees reproduzierten. Und das hat wahrscheinlich in besonderer Weise die Produzenten interessiert und die Fernsehkanäle. Heute gibt es in Frankreich fast genauso viele Regisseurinnen wie Regisseure.

Worin liegt für Sie der Grund zu dieser Veränderung des Kinos gerade in den neunziger Jahren?

Nun, das war eine Zeit, in der Canal+ begann, sich sehr für das Kino zu engagieren und Filme zu finanzieren und das hat vielen erlaubt, ihre Filme zu drehen; oft waren es die ersten Filme. Und wenn man die erste Finanzierungszusage hatte, war es nicht so schwer, weitere zu finden und dann gab es diesen Sog des Neuen. Denn das Neue steht immer für das Lebendige, das sich bewegt und etwas wagt. Das hat Lust auf mehr gemacht. Ich profitierte von dem, was Christine Pascale, Josiane Balasko und andere schon gemacht hatten, und ich fand einen Produzenten. Hätte ich den nicht gefunden, wäre ich da geblieben, wo ich war. (Charles Gassot war zunächst als Werbefilmproduzent sehr erfolgreich gewesen und hatte daher eine andere Beziehung zum Risiko.)

Wie verhält sich Canal+ heute?

Es gibt ein Überangebot an Filmen, was die Verwertungskette verändert. Ein Kinostart ist ziemlich teuer, die Filme halten sich nicht mehr so lange im Kino. Früher war die Ausstrahlung auf Canal+ kurz nach dem Kinostart, heute schieben sich Piraterie und DVD-Ver­öf­fent­lichung dazwischen. Die Filme sind nicht mehr taufrisch, wenn sie auf Canal+ zu sehen sind. Vor ein paar Jahren war das Fernsehen eine Möglichkeit, nach dem Filmstart noch im Gespräch zu bleiben, und heute kommt der Film oft gleich ins Fernsehen. Das hat die Reihenfolge der Finanzierung der Filme extrem verändert.

Wenn Sie die Filme betrachten, die in diesem Jahr schon angelaufen sind, dann bemerken sie, dass diese eher schlicht, sehr teuer und stark inspiriert vom Fernsehen sind, für das breite Publikum. Das hat viel verändert und Canal+ folgt diesem Trend. Es gibt eben nicht mehr die Produzenten wie Humbert Balsan oder Gilles Sandoz, und Pierre Chevalier hat Arte-cinema verlassen. Und Arte versucht insgesamt, ein größeres Publikum zu gewinnen, was zu einem Wettbewerb führt, der darauf ausgerichtet ist, die kurze Zeit der Auswertung möglichst profitabel zu nutzen. Der Kinostart ist nur die Werbephase für die DVD, die erst das Geld bringt. Der Film läuft vier bis sechs Wochen im Kino, und die DVD wird schnell nachgeschoben, um die Piraterie zu begrenzen.

In ihren Filmen spielen Frauen eine wichtige Rolle. Verweist das auf eine bestimmte Art von Feminismus?

Nein, ganz und gar nicht. Ich schreibe Rollen für Schauspielerinnen, mit denen ich gerne arbeiten möchte. Ich stelle mir diese Frage nicht.

Sie haben sehr starke Frauenfiguren in ihren Filmen…

In Pas très catholique ist es eine Figur, die sehr früh ihr Kind verlassen hat und ich habe ihr nie die Schuld dafür gegeben. Ich lasse das Bedauern darüber zu, aber keine Schuld. Das ist etwas ganz anderes. Die Figur fühlt sich berechtigt, ein Leben zu leben, das nicht unmittelbar den gesellschaftlichen Ansprüchen genügt, ohne sich dabei permanent schuldig zu fühlen, und trotzdem mit dem Schmerz, den so eine Entscheidung mit sich bringt, leben zu lernen. Denn für alles zahlen wir einen Preis. Die Filme, die ich mache, sind Komödien, die erzählen, dass das Leben hart ist.

Vielen Dank!

Das Gespräch führten Caroline Elias und Dr. Thomas Weber am 11.05.05 in Babelsberg im Rahmen der Reihe „Mit Frankreich am Set”. Dank an HFF, Institut Français, Mediaoffice und das MAE. Übersetzung: Dörte Richter

Filmemachen als Beruf. Regisseur Cédric Klapisch im Interview mit Caroline Elias und Thomas Weber, 30.06.05

Im Gespräch mit Caroline Elias und Thomas Weber berichtet der durch den Film „L’Auberge Espagnole“ europaweit bekannt gewordene Regisseur Cédric Klapisch über seine Anfänge als Filmemacher und über die Filmszene in Frankreich.

Hier in Deutschland hat man seit einigen Jahren den Eindruck, dass eine neue Generation junger Filmemacher den Kinomarkt in Frankreich beeinflusst, die aber Mühe hatte, sich zu etablieren. Hatten auch Sie Probleme, ihren ersten Film zu finanzieren?

Ich glaube, ich gehöre zu dieser Generation von Filmemachern, der ziemlich geholfen wurde am Anfang. Mein erster Film, „Riens du tout“, wurde von Regisseur Eric Rochant produziert, der gleich danach auch den ersten Film von Mathieu Kassowitz produziert hat. Ich habe den Eindruck, das durch den Erfolg von „Un monde sans pitié“ (Regie: Eric Rochant, Anm. d. Red.) der Weg für andere junge Regisseure frei war. Ich glaube es war eine Zeit, in der junge Regisseure stark unterstützt wurden, in der Canal+ und Arte gegründet wurden, es plötzlich mehr Fernsehkanäle gab und damit mehr Geld für Filmproduktionen, da von politischer Seite das Fernsehen verpflichtet wurde, dem Kino zu helfen. Ich denke, ich habe von dieser Entwicklung profitiert. Die Zeit und die Umstände kamen jungen Filmemachern entgegen. In den achtziger Jahren gab es vielleicht nur drei junge Filmemacher, die herausragten – man zitiert in dem Kontext immer Besson, Carax und Beneix – in den Neunzigern waren es eben sehr viel mehr.

Es gab seitens der Regierung vor allem Unterstützung für die Realisierung des ersten Films. Daraus ergibt sich das Problem der Finanzierung des zweiten Films, an dem viele Regisseure in Frankreich scheitern. Wie war das bei Ihnen?

Ich habe das Problem erfolgreich umgangen, denn meinen zweiten Film habe ich fürs Fernsehen realisiert („Le péril jeune“). Für mich war es sehr schwer gewesen, den ersten Film zu machen, ich habe drei Jahre gebraucht, denn es war ein Film, der sehr schwer zu finanzieren war und ARTE hatte mir danach angeboten, ihn auszustrahlen. So erschien es mir schneller, den nächsten Film gleich fürs Fernsehen zu drehen. Ich hatte große Lust, etwas Einfacheres zu machen. Es war nötig, den Film schnell zu schreiben, denn er sollte sechs Monate später fertig sein. Ich hatte Lust, etwas zu machen, das schneller zu bewerkstelligen war. Und daraus habe ich gelernt, dass das geht und dass ich das kann. Der hatte ein sehr kleines Budget und kam später sogar ins Kino, nachdem er einen Preis gewonnen hatte auf einem Fernsehfestival. Gaumont hat ihn dort entdeckt und herausgebracht. Das war alles gar nicht geplant, und aus Zufall wurde der Film doch noch zu einem Kinofilm.

Hat der Preis der Kritik auf der Berlinale Ihnen geholfen?

Ja. Ich denke, Preise helfen immer, denn damit ist immer eine gewisse Kontinuität in der Arbeit verbunden. Der Gewinn eines Preises, vor allem eines ausländischen Preises, ist immer mit einem gewissen Renommé verbunden, was einem einfach die weitere Arbeit erleichtert.

Wenn man Ihre Filme anschaut, hat man den Eindruck, Sie wechseln häufig das Genre…

Ich war lange Zeit Lernender, musste lernen, wie man Filme dreht. Ich habe viel Respekt vor Leuten wie Hitchcock, z.B., die seit dem Beginn ihrer Laufbahn ihr Genre entdeckt haben und unverwechselbar geworden sind. Ich glaube, sie haben einfach begonnen, ihre Filme zu machen und dann folgte eine Entwicklung, die das unterstützte. Ich mag die Idee, dass man am Anfang die Dinge erst einmal ausprobiert. Und weil es sich in meinem Fall um Kino handelt, hatte ich immer Lust, die Grenzen eines Genres auszutesten, die Genres auch zu mischen, Elemente des Theaters zu benutzen. Ich hatte keine Lust mich festzulegen, sondern wollte lieber die Dinge ausprobieren, den Lernprozess begreifen. Ich mag Filmemacher, die unterschiedliche Filme machen.

Sie drehen Filme, die sehr genau die soziale Situation der Protagonisten widerspiegeln. Selbst in „L’Auberge espagnole“ kann man das gut beobachten.

Ich denke, mein Blick wurde in den siebziger Jahren geschärft, damals zählten Fragen der Gesellschaft und Politik zu den wichtigen Dingen. Und ich glaube, dass man nicht von Menschen sprechen kann, ohne die Gesellschaft einzubeziehen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Blick auf die Menschen und dem auf die Gesellschaft – nicht nur psychologisch, sondern auch soziologisch und sozial. Genau das interessiert mich am Kino. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass es diesen politisch gefärbten Blick auch in „L’Auberge espagnole“ gibt, der die sozialen Beziehungen spiegelt. Gleichzeitig weiß ich, dass der Film das Leben von Menschen verändert hat, die vorher nicht wussten, dass es Erasmus gibt. Der Film hat funktioniert wie eine Werbung des Erasmus-Programms (EU-Stipendien für Studentenaustausch, Anm. d. Red.) Und ich freue mich, einen Film gemacht zu haben, der Leute verändert hat, denn das ist nicht so häufig. Dieser Film war unterhaltend und hat gleichzeitig etwas bewirkt. Ich bin wirklich froh darüber, ihn gemacht zu haben.

„L’Auberge espagnole“ hatte drei Millionen Zuschauer in Frankreich? Hat der Erfolg Sie überrascht?

Ja, ich war überrascht, dass er in Frankreich so gut lief, denn ich denke, der Film hat eine sehr besondere Komplexität, so dass es mich tatsächlich gewundert hat, dass er so populär war. Aber ich habe den Eindruck, dass die Leute, denen der Film gefallen hat, das Thema mochten, die Reise durch Europa, die Gefühle eines jungen Mannes auf der Reise, der das Leben kennenlernt und erwachsen wird. In den Gesprächen mit den Zuschauern gab es sehr unterschiedliche Reaktionen. Die Leute reagierten sehr emotional, sie identifizierten sich stark mit dieser Geschichte, das waren nicht immer Studenten, sondern auch ältere Menschen.

Ist der Erfolg des Films damit zu erklären, dass vielleicht mehr junge Leute ins Kino gingen als sonst?

Nein, ich glaube nicht, dass es die jüngeren Zuschauer waren. Das Publikum war gemischt.

Wie würden Sie selbst ihren Stil charakterisieren? Am Anfang von „L’Auberge espagnole“, spielen Sie mit einer Schnittfolge im Zeitraffer, um einen leichten komödiantischen Effekt zu erzeugen…

Sicher, der Schnitt ist sehr wichtig. Zunächst versuche ich am Set eine Art von Wirklichkeit zu finden. Der Schnitt ermöglicht mir, diese Wirklichkeit artifizieller zu gestalten. Ich will nicht sagen, dass es mir darum ginge, artifizielle Filme zu drehen. Der Schnitt ist aber wichtig, um Gefühle zu erzeugen. Ich weiß, dass man sagt, zuviel davon zerstöre die Emotionen, aber ich versuche immer einen Weg zu finden, der gleichermaßen die Realität und die Manipulation der Realität sichtbar werden lässt. Es ist zugleich immer ein Spiel, denn die Darstellung der Realität ist niemals die Realität selbst. Insofern versuche ich diesen Doppeleffekt immer besser hinzubekommen: Die Realität darzustellen und ihr im selben Moment durch den Schnitt zu entfliehen.

Mit welchen filmischen Mitteln arbeiten Sie bevorzugt – oder vertrauen sie vor allem den Schauspielern?

Ich glaube, das gehört zusammen. Es hängt auch von den unterschiedlichen Filmen ab, mal ist der Schnitt wichtiger, mal der Ton, mal die Schauspieler oder die Kamera. Das ist jedes Mal anders. Manchmal arbeitet enger mit den Musikern oder man arbeitet mit besonderem Licht. Wirklich interessant ist nur, wie sich alles zusammenfügt.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Regisseuren der Nouvelle Vague? Sehen Sie sich selbst in der Tradition des Autorenfilms?

Ich habe dazu eine eigenartige Beziehung, denn die Kritik in Frankreich hat die Regisseure der Nouvelle Vague immer unterstützt, ich aber gehöre grundsätzlich nicht zu diesem Clan. Ich habe eher eine Beziehung zu der unterhaltenden und kommerziellen Seite des Kinos. Ich fühle mich den Autoren der Nouvelle Vague nicht unbedingt nah, aber mich beschäftigt das Autorenkino besonders, weil es der persönliche Bezug eines Regisseurs zu seinen Filmen ist, der mich interessiert, das Besondere an Autoren mit eigener Handschrift wie Dreyer, Almodovar und Kiarostami.

Das, worauf ich beim Filmen Lust habe, ist herauszufinden, wie ich die Dinge sehe. Oder in den Worten Truffauts: „Autorenkino bedeutet nicht, sich für sich selbst zu interessieren, sondern zu verstehen, worin die Geschichten der anderen bestehen.“

Aber ich fühle mich nicht berufen, das Autorenkino zu verteidigen. Denn die Nouvelle Vague hat – und nicht nur sie, auch das, was danach kam – eine gewisse Erstarrung hervorgebracht und ich habe keine Lust, Teil dessen zu sein.

Es stimmt, ich habe den Ruf, zu kommerziell zu sein. Man sagt mir nach, ich würde das Autorenkino verderben, nun, dass macht mir nichts aus. Aber es stimmt, ich fühle mich Truffaut näher als Godard oder Rivette etwa.

Sie haben Ihr Handwerk in New York gelernt. In einem Interview haben Sie erklärt, dass Sie zweimal die Aufnahmeprüfung der Pariser Filmhochschule IDHEC nicht bestanden haben, weil sie mit deren Vorstellungen nicht einverstanden gewesen waren.

Wissen Sie, das war eine Gesprächsrunde mit drei Leuten und ich habe es geschafft, mich mit jedem einzelnen von ihnen anzulegen. Das war eine eigenartige Situation. Sie wollten von mir wissen, welche Regisseure ich schätze, da hab ich gesagt: Kurosowa, Hitchcock et Fellini. Darauf wollten sie wissen, ob ich denn französische Regisseure ablehnen würde? Worauf ich erwiderte, dass sie doch von mir hätten wissen wollen, welche Regisseure ich mag…

Und dann haben sie mir vorgeworfen, nicht die gleichen Leute zu mögen wie sie, und zwar Rohmer, Rivette oder Eustache. Das hat mich wirklich überrascht, denn es war das einzige Mal, dass ich solche Reaktionen hervorrief. Aber solche Einlassungen waren typisch für die Zeit, sie kamen übrigens häufiger von Franzosen als von Amerikanern. Das war alles sehr dogmatisch damals, aber das wusste ich nicht vorher. Ich habe gelernt, damit etwas maßvoller umzugehen. In Frankreich gibt es heute glaube ich eine immer stärkere Spaltung zwischen an der Nouvelle Vague geschulten Kritikern und Leuten wie mir oder Mathieu Kassowitz, Jean-Pierre Jeunet, Jean-Pierre Bacri und Agnès Jaoui.

Die neue Generation des Kinos arbeitet immer enger und in jeweils anderer Funktion zusammen, das geht bis zur Besetzung von Rollen. Gibt es da eine Art Gemeinschaft?

Wir sind ein kleines Land, also kennt jeder jeden. Es arbeiten nicht alle dauernd zusammen, aber jemand wie Noémie Lvovsky kommt schon viel herum, sieht viele Leute, schreibt hier mal für jemanden das Drehbuch, spielt dort mal im Film mit. Die anderen Filmemacher, von denen ich sprach, Jeunet, Kassowitz usw. habe ich auf den Kurzfilmfestivals kennengelernt. Vor zehn, fünfzehn Jahren haben wir uns öfter gesehen, wir haben viel miteinander geredet, aber nun hat jeder seine eigenen Projekte, wir sehen uns seltener als früher.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Gespräch führten Caroline Elias und Dr. Thomas Weber am 26.4.2005 in Babelsberg im Rahmen der Reihe „Mit Frankreich am Set“. Danke an HFF, Institut Français, Mediaoffice und das MAE. Übersetzung: Dörte Richter