Filmemachen als Beruf. Regisseur Cédric Klapisch im Interview mit Caroline Elias und Thomas Weber, 30.06.05

Im Gespräch mit Caroline Elias und Thomas Weber berichtet der durch den Film „L’Auberge Espagnole“ europaweit bekannt gewordene Regisseur Cédric Klapisch über seine Anfänge als Filmemacher und über die Filmszene in Frankreich.

Hier in Deutschland hat man seit einigen Jahren den Eindruck, dass eine neue Generation junger Filmemacher den Kinomarkt in Frankreich beeinflusst, die aber Mühe hatte, sich zu etablieren. Hatten auch Sie Probleme, ihren ersten Film zu finanzieren?

Ich glaube, ich gehöre zu dieser Generation von Filmemachern, der ziemlich geholfen wurde am Anfang. Mein erster Film, „Riens du tout“, wurde von Regisseur Eric Rochant produziert, der gleich danach auch den ersten Film von Mathieu Kassowitz produziert hat. Ich habe den Eindruck, das durch den Erfolg von „Un monde sans pitié“ (Regie: Eric Rochant, Anm. d. Red.) der Weg für andere junge Regisseure frei war. Ich glaube es war eine Zeit, in der junge Regisseure stark unterstützt wurden, in der Canal+ und Arte gegründet wurden, es plötzlich mehr Fernsehkanäle gab und damit mehr Geld für Filmproduktionen, da von politischer Seite das Fernsehen verpflichtet wurde, dem Kino zu helfen. Ich denke, ich habe von dieser Entwicklung profitiert. Die Zeit und die Umstände kamen jungen Filmemachern entgegen. In den achtziger Jahren gab es vielleicht nur drei junge Filmemacher, die herausragten – man zitiert in dem Kontext immer Besson, Carax und Beneix – in den Neunzigern waren es eben sehr viel mehr.

Es gab seitens der Regierung vor allem Unterstützung für die Realisierung des ersten Films. Daraus ergibt sich das Problem der Finanzierung des zweiten Films, an dem viele Regisseure in Frankreich scheitern. Wie war das bei Ihnen?

Ich habe das Problem erfolgreich umgangen, denn meinen zweiten Film habe ich fürs Fernsehen realisiert („Le péril jeune“). Für mich war es sehr schwer gewesen, den ersten Film zu machen, ich habe drei Jahre gebraucht, denn es war ein Film, der sehr schwer zu finanzieren war und ARTE hatte mir danach angeboten, ihn auszustrahlen. So erschien es mir schneller, den nächsten Film gleich fürs Fernsehen zu drehen. Ich hatte große Lust, etwas Einfacheres zu machen. Es war nötig, den Film schnell zu schreiben, denn er sollte sechs Monate später fertig sein. Ich hatte Lust, etwas zu machen, das schneller zu bewerkstelligen war. Und daraus habe ich gelernt, dass das geht und dass ich das kann. Der hatte ein sehr kleines Budget und kam später sogar ins Kino, nachdem er einen Preis gewonnen hatte auf einem Fernsehfestival. Gaumont hat ihn dort entdeckt und herausgebracht. Das war alles gar nicht geplant, und aus Zufall wurde der Film doch noch zu einem Kinofilm.

Hat der Preis der Kritik auf der Berlinale Ihnen geholfen?

Ja. Ich denke, Preise helfen immer, denn damit ist immer eine gewisse Kontinuität in der Arbeit verbunden. Der Gewinn eines Preises, vor allem eines ausländischen Preises, ist immer mit einem gewissen Renommé verbunden, was einem einfach die weitere Arbeit erleichtert.

Wenn man Ihre Filme anschaut, hat man den Eindruck, Sie wechseln häufig das Genre…

Ich war lange Zeit Lernender, musste lernen, wie man Filme dreht. Ich habe viel Respekt vor Leuten wie Hitchcock, z.B., die seit dem Beginn ihrer Laufbahn ihr Genre entdeckt haben und unverwechselbar geworden sind. Ich glaube, sie haben einfach begonnen, ihre Filme zu machen und dann folgte eine Entwicklung, die das unterstützte. Ich mag die Idee, dass man am Anfang die Dinge erst einmal ausprobiert. Und weil es sich in meinem Fall um Kino handelt, hatte ich immer Lust, die Grenzen eines Genres auszutesten, die Genres auch zu mischen, Elemente des Theaters zu benutzen. Ich hatte keine Lust mich festzulegen, sondern wollte lieber die Dinge ausprobieren, den Lernprozess begreifen. Ich mag Filmemacher, die unterschiedliche Filme machen.

Sie drehen Filme, die sehr genau die soziale Situation der Protagonisten widerspiegeln. Selbst in „L’Auberge espagnole“ kann man das gut beobachten.

Ich denke, mein Blick wurde in den siebziger Jahren geschärft, damals zählten Fragen der Gesellschaft und Politik zu den wichtigen Dingen. Und ich glaube, dass man nicht von Menschen sprechen kann, ohne die Gesellschaft einzubeziehen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Blick auf die Menschen und dem auf die Gesellschaft – nicht nur psychologisch, sondern auch soziologisch und sozial. Genau das interessiert mich am Kino. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass es diesen politisch gefärbten Blick auch in „L’Auberge espagnole“ gibt, der die sozialen Beziehungen spiegelt. Gleichzeitig weiß ich, dass der Film das Leben von Menschen verändert hat, die vorher nicht wussten, dass es Erasmus gibt. Der Film hat funktioniert wie eine Werbung des Erasmus-Programms (EU-Stipendien für Studentenaustausch, Anm. d. Red.) Und ich freue mich, einen Film gemacht zu haben, der Leute verändert hat, denn das ist nicht so häufig. Dieser Film war unterhaltend und hat gleichzeitig etwas bewirkt. Ich bin wirklich froh darüber, ihn gemacht zu haben.

„L’Auberge espagnole“ hatte drei Millionen Zuschauer in Frankreich? Hat der Erfolg Sie überrascht?

Ja, ich war überrascht, dass er in Frankreich so gut lief, denn ich denke, der Film hat eine sehr besondere Komplexität, so dass es mich tatsächlich gewundert hat, dass er so populär war. Aber ich habe den Eindruck, dass die Leute, denen der Film gefallen hat, das Thema mochten, die Reise durch Europa, die Gefühle eines jungen Mannes auf der Reise, der das Leben kennenlernt und erwachsen wird. In den Gesprächen mit den Zuschauern gab es sehr unterschiedliche Reaktionen. Die Leute reagierten sehr emotional, sie identifizierten sich stark mit dieser Geschichte, das waren nicht immer Studenten, sondern auch ältere Menschen.

Ist der Erfolg des Films damit zu erklären, dass vielleicht mehr junge Leute ins Kino gingen als sonst?

Nein, ich glaube nicht, dass es die jüngeren Zuschauer waren. Das Publikum war gemischt.

Wie würden Sie selbst ihren Stil charakterisieren? Am Anfang von „L’Auberge espagnole“, spielen Sie mit einer Schnittfolge im Zeitraffer, um einen leichten komödiantischen Effekt zu erzeugen…

Sicher, der Schnitt ist sehr wichtig. Zunächst versuche ich am Set eine Art von Wirklichkeit zu finden. Der Schnitt ermöglicht mir, diese Wirklichkeit artifizieller zu gestalten. Ich will nicht sagen, dass es mir darum ginge, artifizielle Filme zu drehen. Der Schnitt ist aber wichtig, um Gefühle zu erzeugen. Ich weiß, dass man sagt, zuviel davon zerstöre die Emotionen, aber ich versuche immer einen Weg zu finden, der gleichermaßen die Realität und die Manipulation der Realität sichtbar werden lässt. Es ist zugleich immer ein Spiel, denn die Darstellung der Realität ist niemals die Realität selbst. Insofern versuche ich diesen Doppeleffekt immer besser hinzubekommen: Die Realität darzustellen und ihr im selben Moment durch den Schnitt zu entfliehen.

Mit welchen filmischen Mitteln arbeiten Sie bevorzugt – oder vertrauen sie vor allem den Schauspielern?

Ich glaube, das gehört zusammen. Es hängt auch von den unterschiedlichen Filmen ab, mal ist der Schnitt wichtiger, mal der Ton, mal die Schauspieler oder die Kamera. Das ist jedes Mal anders. Manchmal arbeitet enger mit den Musikern oder man arbeitet mit besonderem Licht. Wirklich interessant ist nur, wie sich alles zusammenfügt.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Regisseuren der Nouvelle Vague? Sehen Sie sich selbst in der Tradition des Autorenfilms?

Ich habe dazu eine eigenartige Beziehung, denn die Kritik in Frankreich hat die Regisseure der Nouvelle Vague immer unterstützt, ich aber gehöre grundsätzlich nicht zu diesem Clan. Ich habe eher eine Beziehung zu der unterhaltenden und kommerziellen Seite des Kinos. Ich fühle mich den Autoren der Nouvelle Vague nicht unbedingt nah, aber mich beschäftigt das Autorenkino besonders, weil es der persönliche Bezug eines Regisseurs zu seinen Filmen ist, der mich interessiert, das Besondere an Autoren mit eigener Handschrift wie Dreyer, Almodovar und Kiarostami.

Das, worauf ich beim Filmen Lust habe, ist herauszufinden, wie ich die Dinge sehe. Oder in den Worten Truffauts: „Autorenkino bedeutet nicht, sich für sich selbst zu interessieren, sondern zu verstehen, worin die Geschichten der anderen bestehen.“

Aber ich fühle mich nicht berufen, das Autorenkino zu verteidigen. Denn die Nouvelle Vague hat – und nicht nur sie, auch das, was danach kam – eine gewisse Erstarrung hervorgebracht und ich habe keine Lust, Teil dessen zu sein.

Es stimmt, ich habe den Ruf, zu kommerziell zu sein. Man sagt mir nach, ich würde das Autorenkino verderben, nun, dass macht mir nichts aus. Aber es stimmt, ich fühle mich Truffaut näher als Godard oder Rivette etwa.

Sie haben Ihr Handwerk in New York gelernt. In einem Interview haben Sie erklärt, dass Sie zweimal die Aufnahmeprüfung der Pariser Filmhochschule IDHEC nicht bestanden haben, weil sie mit deren Vorstellungen nicht einverstanden gewesen waren.

Wissen Sie, das war eine Gesprächsrunde mit drei Leuten und ich habe es geschafft, mich mit jedem einzelnen von ihnen anzulegen. Das war eine eigenartige Situation. Sie wollten von mir wissen, welche Regisseure ich schätze, da hab ich gesagt: Kurosowa, Hitchcock et Fellini. Darauf wollten sie wissen, ob ich denn französische Regisseure ablehnen würde? Worauf ich erwiderte, dass sie doch von mir hätten wissen wollen, welche Regisseure ich mag…

Und dann haben sie mir vorgeworfen, nicht die gleichen Leute zu mögen wie sie, und zwar Rohmer, Rivette oder Eustache. Das hat mich wirklich überrascht, denn es war das einzige Mal, dass ich solche Reaktionen hervorrief. Aber solche Einlassungen waren typisch für die Zeit, sie kamen übrigens häufiger von Franzosen als von Amerikanern. Das war alles sehr dogmatisch damals, aber das wusste ich nicht vorher. Ich habe gelernt, damit etwas maßvoller umzugehen. In Frankreich gibt es heute glaube ich eine immer stärkere Spaltung zwischen an der Nouvelle Vague geschulten Kritikern und Leuten wie mir oder Mathieu Kassowitz, Jean-Pierre Jeunet, Jean-Pierre Bacri und Agnès Jaoui.

Die neue Generation des Kinos arbeitet immer enger und in jeweils anderer Funktion zusammen, das geht bis zur Besetzung von Rollen. Gibt es da eine Art Gemeinschaft?

Wir sind ein kleines Land, also kennt jeder jeden. Es arbeiten nicht alle dauernd zusammen, aber jemand wie Noémie Lvovsky kommt schon viel herum, sieht viele Leute, schreibt hier mal für jemanden das Drehbuch, spielt dort mal im Film mit. Die anderen Filmemacher, von denen ich sprach, Jeunet, Kassowitz usw. habe ich auf den Kurzfilmfestivals kennengelernt. Vor zehn, fünfzehn Jahren haben wir uns öfter gesehen, wir haben viel miteinander geredet, aber nun hat jeder seine eigenen Projekte, wir sehen uns seltener als früher.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Gespräch führten Caroline Elias und Dr. Thomas Weber am 26.4.2005 in Babelsberg im Rahmen der Reihe „Mit Frankreich am Set“. Danke an HFF, Institut Français, Mediaoffice und das MAE. Übersetzung: Dörte Richter