Populismus als demokratisches Basiselement. Über ‘Par le peuple, pour le peuple. Le populisme et les démocraties’ Von Yves Mény und Yves Surel

Besprochenvon Michael Tillmann 

In den vergangenen Jahren haben sich in Europa einige Bewegungen und Parteien herausgebildet, die mal als rechtsextremistisch mal als (rechts)populistisch bezeichnet  werden, wobei die Bezeichnungen bisweilen synonym, manchmal aber auch in unterschiedlicher Bedeutung verwendet werden. Diese Begriffsverwirrung zu klären und den überaus vagen und schillernden Begriff des Populismus wissenschaftlich zugänglich zu machen, haben sich die beiden Autoren der etwas mehr als 300 Seiten umfassenden Populismus-Studie zum Ziel gesetzt. Die Originalität des von Mény und Surel gewählten Ansatzes besteht darin, dass der Populismus als eine Bewegung beschrieben wird, die der Demokratie inhärent sei und von Zeit zu Zeit mal stärker mal schwächer zum Ausdruck komme. Mény/Surel beschreiben den Populismus neben dem so genannten „Konstitutionalismus“ als einen der beiden „Pfeiler der Demokratie“. Während der Konstitutionalismus zahlreiche institutionelle „Filter“ der Gewaltenteilung (starke Verfassungsgerichtsbarkeit, unabhängige Zentralbank, regionale Kompetenzverschiebung) und der Elitenbildung (in den und durch die Parteien) begründet hat, um die direkte Macht(ausübung) des Volkes – als suspekt empfunden – zu zügeln und zu kanalisieren, bezieht sich der Populismus explizit auf die Souveränität des Volkes, von dem alle Macht ausgehe und auszugehen habe. Angesichts eines mächtigen konstitutionellen Gegenpols macht der Populismus gegen die bestehenden Eliten in Politik und Wirtschaft (vor allem die Bankenmacht) mobil, mit dem Ziel, die politischen Entscheidungen stärker an das Ideal des Souveräns (das Volk) zurückzubinden und durch direkt-plebiszitäre politische Beteiligungsformen (keine Wahlkollegien, sondern Direktwahl, Volksinitiativen und -befragungen, möglichst genaue Entsprechung von Mandatsempfängern und Mandatssendern etc.) stärker zu bestimmen. Zwischen diesen beiden Tendenzen bewegen sich heute die Demokratien westlicher Prägung, und gerade weil diese im Laufe ihrer Entwicklungen den „konstitutionellen Pfeiler“ verstärkt haben, hat der Populismus als Herausforderung an das so gestaltete politische System wieder an Bedeutung gewonnen. Für die konkrete Analyse der vor allem als populistisch bezeichneten Parteien Front national, Lega Nord und FPÖ bedeutet dies einerseits, dass sie innerhalb des Parteien- und des demokratischen Systems eine funktional wichtige Rolle spielen, und andererseits, dass Populismus und Rechtsextremismus durchaus keine per se austauschbaren Begriffe sind. Der Populismus ist ein Grundpfeiler des demokratischen Systems, das der Rechtsextremismus gerade ablehnt und zu stürzen versucht, was aber keineswegs Berührungspunkte ausschließt, wie sie oftmals zum Beispiel im Rassismus zu finden sind. Und schließlich bedeutet dies noch ein Drittes: Der Populismus ist als so genannte „schwache“ Ideologie, d.h. mit nur vagen inhaltlichen Bestimmungen im Vergleich zu starken Ideologien wie Kommunismus und Liberalismus, kein Erbe einer Partei, sondern wird auch von den zweifelsohne demokratischen Akteuren zur Mobilisierung der Wählerschaft abgerufen. Neben diesem demokratietheoretisch hergeleiteten institutionellen Hintergrund des Populismus analysieren die beiden Autoren die aktuellen Entwicklungen, die zu dessen Entstehen beigetragen haben: im wesentlichen Globalisierung und die Legitimationskrise, die das politische System, zumindest aber die traditionellen Parteien ergriffen hat. Die mit einem präzisen theoretischen Instrumentarium und durchweg vergleichend arbeitende Studie mündet schließlich in einen systematischen Vergleich der „populistischen“ Herausforderungen in Frankreich (Front national), Österreich (FPÖ), Italien (Forza Italia, Lega Nord, Alleanza nazionale) und auch Belgien (Vlaams Blok). Die USA dienen insofern ebenfalls als steter Bezugspunkt, als das Parteiensystem dort traditionell von populistischen Bewegungen heimgesucht wird. Dabei werden sowohl die Entstehungsmodalitäten der in Rede stehenden Parteien unter die Lupe genommen als auch deren wahlsoziologische Zusammensetzung (vor allem der Front national). In dem Schlusswort weist der Autor auf den Nutzen und die Gefahren des Populismus hin (vgl. Übersetzungsprobe). Es handelt sich bei dem genannten Buch um eine sehr dichte und vollständige Beschreibung eines Phänomens, das konstitutiv ist für die westlichen demokratischen Gesellschaften. Es hat das Verdienst, einen modischen Begriff inhaltlich zu füllen und plausibel in seinen verschiedenen theoretischen, historischen, ideologischen und politischen Facetten darzustellen. Der vergleichende Ansatz, der mit neuesten Daten (Wahlen in Österreich und Regionalwahlen in Italien) arbeitet, schlägt einen souveränen Pfad durch das Dickicht der empirischen Realität und schlägt einen überzeugenden Analyserahmen des so alten und gleichzeitig auch so präsenten Phänomens vor. Die Lektüre setzt natürlich ein gewisses Interesse für politische Zusammenhänge und politikwissenschaftliche Erklärungsansätze voraus. Es ist hierin vergleichbar mit einer Publikation von J.W. Falter, Wer wählt rechts? (Beck’sche Reihe, 1994), in der sich der Autor sowohl anspruchsvoll als auch allgemein verständlich mit einem aktuellen Problem auseinandersetzt.

© passerelle.de, Winter 2000

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