von Bastian Buchtaleck
- SANYAL, Mithu: Vulva: Die Enthüllung des ‚unsichtbaren Geschlechts‘. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009. ISBN 978-3803136299.
Es waren verschiedene Gründe, die Mithu Sanyal dazu bewogen haben, das Buch „Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts“ zu schreiben. Zum Ersten hatte sie als junge Frau im Gegensatz zu ihrem Partner keine Vorstellung vom Aussehen ihrer Vulva. Dann fehlten ihr, nachdem sie sich ein Bild gemacht hatte, die Worte, um ihre Vulva zu beschreiben. Drittens fand sie auf der Suche nach Worten die Vulva nur im Kontext von Krankheit oder Kinderkriegen. Aus diesem dreifachen Anlass versucht Sanyal auf 240 Seiten sichtbar zu machen, was bislang unsichtbar blieb: der äußerlich sichtbare Teil des weiblichen Geschlechtes. Selbstredend geht es ihr dabei auch um die Definitionsgewalt über das eigene Geschlecht.
Im Gegensatz zu Vulva sind Vagina und Scheide weitaus gebräuchlichere Begriffe für das weibliche Geschlechtsorgan. Während die Vulva den sichtbaren Teil beschreibt, reduziert sich Vagina „ausschließlich auf die Körperöffnung“. Sie „ist nur ein Loch, in das der Mann sein Genitale stecken kann, oder, um im Bild zu bleiben: eine Scheide für sein Schwert.“ Schon das erste etymologisch angelegte Kapitel spricht sehr deutlich die Politik, die das weitere Buch verfolgt: In kämpferischer Manier führt Sanyal vor, wie die Vulva kulturell und sprachlich abgewertet und aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein ausgeklammert wurde. Im Folgenden extrahiert Sanyal Mechanismen der Unterdrückung für die ganz alten Mythen, das Christentum und für die Kunst.
Immer ist die Frau die abgewertete Folie, von der sich der Mann absetzt. „Er war vermeintlich ‚rational‘, weil sie ‚irrational‘ war. Und ‚Kultur‘ benötigte ‚Natur‘, um sie sich untertan zu machen.“ Der Mann ist der Kopf, die Frau der Körper. Mit dem Christentum nahm die Unterdrückung Fahrt auf. „Der abstrakte monotheistische Gott benötigte keine sakrale Weiblichkeit mehr, da er zumindest theoretisch alle ihre Funktionen selbst erfüllte“, begründet die Autorin. Das Buch ist geprägt durch einen locker-reflexiven Schreibstil, der zumindest für den geübten Leser eingängig sein dürfte. Damit gelingt Sanyal überzeugend und lesenswert der kulturhistorische Nachweis, wie die Mechanismen der Unterdrückung gewirkt haben (und teilweise noch wirken).
Andererseits ist das Buch weder in seiner Haltung noch in der eröffneten Perspektive zeitgemäß. Wenn Sanyal die Frau als Abziehfolie des Mannes, als unvollständiger Mann ohne Penis, mit wandernder Gebärmutter, als Kastrierte beschreibt, muss sie gerade darin kritisiert werden. Sie bewegt sich dafür in den Diskursen der 70er und schreibt über die Gesellschaft der 50er Jahre. Viel zu oft liest sich „Vulva“ wie ein Pamphlet mit dem kämpferischen Ziel der Deutungshoheit, wobei Vulva dann zu einem Kampfbegriff wird, der einzig auf die Unterdrückung durch die Männer verweist. Sanyals Ziel, einen eigens definierten, positiven Begriff von Vulva zu erschaffen, einen, auf den frau stolz sein kann, verfehlt sie jedoch. Noch immer kann sie die Schönheit der Vulva nicht in Worte fassen. Vielleicht besteht der Wert des Buchs zunächst also einfach darin, das Schweigen gebrochen zu haben. Selten haben die, die zuerst gesprochen haben, auch als erste gleich die richtigen Worte gefunden.