von Leif Allendorf
- DENIS, Ariel: Stille in Montparnasse. Ein Romanbericht. Mit Musik-CD von Hermann Prey. Atrium-Verlag, Zürich 2007. ISBN 978-3-85535-981-3.
Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“ Dieses Nietzsche-Zitat gibt das Leitmotiv des kurzen Romans „Stille in Montparnasse“ an. Ein namenloser Ich-Erzähler – ein Mann im so genannten besten Alter – wird durch den Tod seines besten Freundes der eigenen Sterblichkeit bewusst und rätselt über den Sinn unserer vergänglichen Existenz.
Ihn, den Franzosen, und seinen Schweizer Freund Berger verband die gemeinsame Liebe zu Schubert-Liedern, natürlich nur von Hermann Prey interpretiert und ausschließlich auf der besten Stereo-Anlage zu hören, die zur Zeit zu kaufen ist. Alles andere wäre Banausentum. Diese kleine Insel der Schönheit gilt es zu verteidigen: gegen das Terrorregime der „Diskothekenmusik“, gegen das Handy-Gequatsche auf der Straße, das Walkman-Gedudel in der Bahn und das geistige Analphabetentum unserer Zeit.
Ariel Denis, Jahrgang 1945 und Professor für Kulturwissenschaften, gibt in diesem romanhaften Pamphlet den Kulturpessimisten – aber nicht den reaktionären, rechten Demagogen, nicht den sexuell frustrierten Einzelgänger à la Michel Houellebecq. Seine Haltung lehnt sich eher an das Elitäre von Nietzsche an. Dieser nahm für sich nicht aufgrund von Herkunft, Geschlecht oder Rasse für sich in Anspruch, etwas Besonderes zu sein. Er erhob sich über die Mehrheit, den Massenmenschen, jener „Ausschussware der Natur“, weil er klüger war als sie. Denis würde seinen Helden wohl etwas bescheidener sagen lassen: Etwas weniger dumm als die anderen. Seine Prosa erinnert in ihrer Sprach- und Zorngewalt an die Tiraden Thomas Bernhards, der die ganze Menschheit unter seinem Schmäh zu begraben pflegte.
„…Ruhe, ihr Mikrofonlutscher, Heulbojen aus den Tonstudios, ihr faden Wisperer, Playbacksänger, ihr Bercy-Großkonzertpilger, ihr Kreativ-DJs für hippe Analphabeten und abgedrehte Snobs durchgemachter Nächte, ihr (…) Fummler und Zapper, ihr Wanderer ohne Wanderung und ihr Spaziergänger auf Rollen, ihr Musikjogger und Läufer im Lärm, Träger von Handys mit der Kleinen Nachtmusik oder den ersten Takten der Fünften Symphonie, taube Ohren, schreiende Münder, Radio-Fernsehen, Musik für Moneten, Kaufhaushintergrundmusik und die von Flughäfen und von überall, es reicht, zu viele Töne, zu viele Trommeln, zu viel Zeugs aller Art, es reicht, seid endlich ruhig, basta la musica, Stille, nichts als Stille und nur Stille – der Vorhang öffne sich, das Klavier präludiere, und Hermann Prey beginne zu singen…“
So weit eine Probe des von Regine Herrmannsdörfer wundervoll ins Deutsche übersetzten Textes.
Gleichzeitig ist das schmale, aber gewichtige Bändchen eine Liebeserklärung an die Schönheit der Musik, ein melancholischer Abgesang auf den verblichenen Freund, dessen Weg man selbst in absehbarer Zeit folgen wird. Wozu dieses rasend schnell vergehende Leben? Eigentlich alles ein Irrtum: Wäre da nicht die Musik…