von Frank-Peter Hansen
- NÜNNING, Ansgar/ NÜNNING, Vera (Hg.): Einführung in die Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven. J. B. Metzler, Stuttgart u. Weimar 2008. ISBN 978-3-476-02237-0.
Wer diese Einführung liest riskiert, endgültig seinen Verstand zu verlieren. Das klingt hart, begründet sich aber wie folgt. Zum einen werden hier lediglich noch dazu „multiperspektivische Interpretationsmodelle“ mit unglaublich viel Terminologie und Neologismen angeboten. Warum? Weil, zum wievielten Male eigentlich?, die Geisteswissenschaften in eine Krise geraten sind oder sein sollen. Langsam möchte man vorschlagen: Wenn das ganze Unternehmen so krisenanfällig ist, warum in Gottes Namen legt man den ganzen Krempel nicht endlich zu den Akten? Weil man dazu entschlossen ist, mehr oder weniger wie gehabt weiter zu machen. Darum! Dies zumal dann, wenn man des weiteren erfährt, daß keiner so genau weiß, was die Kulturwissenschaft eigentlich genau ist. Also bastelt man weiter an seinem Selbstverständnis, wenn auf annähernd 400 Seiten über etwas verhandelt wird, von dem die mit ihm Beschäftigten nicht zu sagen wissen, was es ist. Soviel nur soll sicher und über jeden Zweifel erhaben sein: Die Kulturwissenschaftler gibt es, sie treiben etwas, aber die „Konturen“ und das „Profil“ ihres Treibens sind „trotz (oder wegen?) der Fülle von Publikationen noch recht unscharf“. Man möchte den in dieses heillose Tun Involvierten zurufen: Setzt euch hin, denkt nach, und wenn ihr dann etwas Gescheites herausgefunden habt, bringt es zu Papier und veröffentlicht es, wenn ihr dafür einen Verlag findet! Daß sie allerdings nie etwas Gescheites herausfinden werden hat mit ihrem Verständnis von Wissenschaft zu tun. Man erfährt, daß Wissenschaft ausnahmslos „selbstreferentiell“ ist. Sie ist, im Verständnis der Beiträger dieses Bandes, ein „diskursives Konstrukt“, „das auf unterschiedlichste Weise problematisiert, erforscht und beschrieben“ werden kann. Ist das nun die oben beschworene Krise? Oder ein Mittel dagegen? Oder beides? Egal und wie auch immer, viel wichtiger ist: Der wissenschaftlichen Befassung würdige Gegenstände existieren nicht etwa, sondern sie werden „nach Maßgabe bestimmter Erkenntnisinteressen, Fragestellungen, theoretischer Vorannahmen und Modelle durch konzeptuelle und terminologische Differenzierungen konstruiert bzw. ‚erfunden‘.“ Diesen Satz muß man sich ganz einfach auf der Zunge zergehen lassen. Denn was steht geschrieben? Kurz und bündig: Wissenschaft ist eine Ansammlung von Vorurteilen, mittels derer man herausfindet, was man herausfinden will, bzw. sich seinen Gegenstand willkürlich konstruiert oder auch ganz einfach erfindet. Wenn das stimmt, bleibt allerdings zu fragen, warum immerzu von diesen Konstruktionsbeflissenen über die Unbestimmtheit und Krisenanfälligkeit dieser Nicht-Disziplin gejammert wird, wo sie doch, ihrer wissenschaftstheoretischen Prämisse gemäß, von ihnen erfindungsreich und selbstreferentiell, tagaus, tagein ins Werk gesetzt wird. Denn: „Eine Wissenschaft spricht nicht über Gegenstände, sondern über Phänomene und Probleme. Und diese gibt es nicht ‚an sich‘, sondern nur für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.“ Stimmt! Also kein Lamento über Krisen, Unbestimmtheit des Gegenstandes, den ihr euch doch, so euer eigenes Selbstverständnis, nur zu geben braucht, um ihn, in welcher Gestalt auch immer, für den jeweiligen Eigenbedarf zu haben. Im Vergleich zu diesem wüsten Treiben sind Spiele von einer geradezu unglaublichen Exaktheit, weil man sich für gewöhnlich beim Spielen an das vorgeschriebene Regelwerk hält. Also noch einmal: Diesem „Begriffsbeben, das die Wissenschaft erregt“ – steht genauso geschrieben, und zwar ohne jede Selbstironie – sollte man sich nicht freiwillig überlassen. Es sei denn, man will seinen Verstand verlieren und/oder in diesen (Nicht-) Disziplinen, warum auch immer, seinen Abschluß machen. Aber das hatten wir bereits.