von Eli Haschemi
- Fahrenheit 9/11. Regie: Michael Moore. Produktion: USA, 2004. Laufzeit: 122 Minuten.
Der Wahlkampf in den USA ist im vollen Gange. So waren die MTV Video Music Awards, die in Miami, Florida, am Sonntag, den 29. August, abgehalten wurden, gespickt mit der Aufforderung an die zumeist jungen ZuschauerInnen, wählen zu gehen.
Überwiegend Afro-Amerikanische Künstler und Künstlerinnen, RepräsentantInnen also jener Bevölkerungsgruppe, die bei der Wahl 2000 um einen Teil ihrer – in diesem Fall – entscheidenden Stimmen beraubt wurde, riefen mit Slogans wie „Vote or Die“ und „Choose or Lose“ die Jugend zum wählen auf. Selbst die Präsidententöchter, Jenna und Barbara Bush sowie die Herausforderertöchter, Vanessa and Alexandra Kerry, warben um das junge Amerika. Dies alles geschieht vornehmlich unter Anrufung des amerikanischen Patriotismus.
Michael Moore verfolgt in seinem jüngsten Werk eine ähnliche Mission, die er auch beim Parteitag der Republikaner in New York – Schauplatz massiver Proteste gegen den amtierenden Präsidenten der USA – fortführt. Doch trotz – oder gerade wegen – seiner so zentralen Rolle innerhalb dieses Widerstandes bleibt Michael Moore umstritten. Häufig verkommt seine Kritik zur simplen Verhöhnung des verhassten Präsidenten, der zugegebenermaßen eine breite Zielfläche bietet. So belächeln wir in Fahrenheit 9/11 die Montage von Bushs Konterfeit in den Bonanza-Vorspann und sind entsetzt von dumpfbackigen Äußerungen, die sein Golfspiel begleiten.
Doch Michael Moore scheint sich für keinen blöden Witz zu schade. So wird die „Koalition der Willigen“ durch den Kakao gezogen, indem eine kleine Inselnation visuell mit „Hula Hula“ Tänzerinnen und Island mit Wikingern gleichgesetzt wird. Wenn dann auch noch Marokkaner durch ihre Armee aus Spüraffen verunglimpft werden und wir Affenhorden über den Bildschirm rennen sehen, dann hat das schon rassistische Untertöne.
Überhaupt hat es den Anschein, dass Michael Moore nicht die Welt außerhalb der USA adressieren möchte. Wo läge auch der Sinn, schließlich lassen sich ja hier keine WählerInnnen für die Abwahl George W. Bushs rekrutieren.
So bleibt der Zugang für den Rest der Welt erschwert, nicht nur werden die ZuschauerInnen in der Off-Stimme klar als „fellow Americans“ identifiziert, auch stößt Michael Moores Patriotismus seltsam unkritisch auf.
Dass ausgerechnet dieser Film die Goldene Palme von Cannes, einem der wichtigsten Filmfestivals Europas erhielt, erscheint in diesem Licht wenig nachvollziehbar.
Verstörende Bilder von US-Soldaten, die sich über die Erektion eines irakischen Gefangenen belustigen werden gar mit den Worten eingeleitet, dass unter den widrigen Umständen auch „good kids“ mal Unsinn anrichten. Michael Moore sabotiert seine eigene Kritik am Irak-Krieg durch seine permanente Zurschaustellung des eigenen Patriotismus.
Der Einsicht, dass es vor allem mittellose Jugendliche – häufig nicht-weißer Abstammung – sind, die massivst für den Wehrdienst geworben werden, begegnet Moore mit rührseligen Interviews von Soldatenmüttern.
Es wäre wünschenswert gewesen, die Bilder vom Schlachtfeld eindeutiger zu verorten. Hier findet ebenfalls eine Art „embedded“ Journalismus statt; Bilder live aus dem Panzer. Doch für einen Dokumentarfilm bleibt die eigene Position – die Position der Kamera – wenig reflektiert. Wir wissen nicht, wem sich die Soldaten unter welchen Bedingungen anvertrauen und so wirkt die Stürmung eines irakischen Haushalts mit der Handkamera begleitet nicht aufklärerischer als die Bilder, die CNNs Journalisten liefern.
Auch Michael Moore getraut sich im Klima nach dem 11. September nicht, Amerikas Militarismus tatsächlich zu kritisieren. Er verbündet sich mit amerikanischen (unterbezahlten) Soldaten und Soldatinnen, die einen nicht genügend gewürdigten Dienst für das Vaterland leisten.
Während Bowling For Columbine, der einen ähnlichen Humor bediente – zu mindest ansatzweise „das System“ kritisierte, ist es in Fahrenheit 9/11 möglich, den Irak-Krieg und die Culture of Fear – wie sie nach dem 11. September in den USA geschürt wurde, alleine auf einen inkompetenten, lügnerischen und nicht zuletzt faulen Präsidenten zurückzuführen. So werden zwar die Verstrickungen und Machenschaften des Bush Clans pointiert vorgeführt, doch vermisst man vor lauter Verschwörungstheorie den weiteren Blick über den US-amerikanischen Tellerrand. In Bowling for Columbine fragt Moore noch nach den gesellschaftlichen Problemen hinter Amerikas Waffenvernarrtheit und wagt einen Blick in die Geschichte Amerikas. Jetzt sind es nur noch die verschwörerischen Absichten einiger weniger Bösen, die das gute Amerika und seine anständigen Soldaten in diesen schmutzigen Krieg gezerrt haben.
Es bleibt abzuwarten, was für einen Film Michael Moore nach der Wahl drehen wird. Die Feindbilder in den neuen amerikanischen Dokumentarfilmen sind jedenfalls klar definiert. Bloß keinen Zweifel aufkommen lassen: George W. Bush ist die Inkarnation des Bösen. In einem anderen populären Dokumentarfilm dieser Tage kann diese Position ohne weiteres von dem zweifellos nicht minder perfiden multinationalen Fastfood-Giganten McDonalds eingenommen werden.
Dokumentarfilme waren mal ein Filmgenre, das jenseits von dramatischer Zuspitzung und Vereinfachung, auch komplexe Sachverhalte thematisieren konnte. Aber vielleicht ist trotz aller Kritik bei so fataler unkritischer Berichterstattung über den Irak-Krieg wie sie bis vor kurzem in den amerikanischen Medien vorherrschte, auch ein wenig Gegen-Propaganda nicht so fehl am Platz.