Shilik, Maria: Der Dokumentarfilm als Showbühne – Der Versuch eines Helge Schneider-Porträts, 24.07.2015

Besprochen von Maria Shilik

  • Mülheim – Texas: Helge Schneider hier und dort, Regie: Andrea Roggon, Produktion: Deutschland, Laufzeit: 93 Min.

 

Ein Dokumentarfilm über den Künstler Helge Schneider – ist das überhaupt ohne Inszenierung möglich? Wie kann man hinter die verschiedenen Masken eines Menschen blicken, der sein Hauptkapital aus anarchischem Humor und Rollenwechseln schlägt? Die Filmemacherin Andrea Roggon bekommt die Chance, Schneider mit einer Kamera vier Jahre lang zu begleiten und einen Blick hinter die Kulissen des Multitalents zu riskieren. Herausgekommen ist ein Portrait, das sich laufend selbst dekonstruiert und mit erzählerischen Konventionen bricht.

Collagenartig verbindet der Film die unterschiedlichen Aspekte und Bereiche aus Schneiders Leben. Dabei erzählt Roggon keine Biographie oder abgeschlossene Geschichte von Helge Schneider. Vielmehr gibt sie episodenhaft Einblicke in sein kreatives Schaffen, seine Arbeitsweise, seine wilden Gedankengänge. Sei es kostümiert in einer wie Texas anmutenden Landschaft, in einer gesetzten Interviewsituation im Studio oder bei den Proben auf der Bühne – Schneider behält die Kamera stets im Blick und im Hinterkopf. Zuweilen lässt er sich aber auch bei der ernsthaften Reflexion über sein Leben ertappen.

Wir begleiten ihn dabei, wie er der Filmemacherin Anweisungen gibt und mit ihr in ständige Verhandlungen tritt, um sich selbst in Szene zu setzen. Es mutet an wie ein Machtkampf, der hier zwischen Regisseurin und Protagonist ausgetragen wird. Und es ist eine merkliche Herausforderung für die recht junge Filmemacherin, dieses Showtalent im Zaum zu halten. Soll er von rechts oder links kommen, oder nicht lieber doch schon im Bild sein? Soll er wirklich diese langweilige Frage, die keinen interessiert, beantworten? Und was kommt denn nun als Nächstes? Immer wieder torpediert er die Aufnahmen oder bricht sie auch einfach ab. Roggon muss auf Zack sein, um nicht die Kontrolle über den Film vollends abzugeben oder gar von Schneider vorgeführt zu werden. Wie zu einem Ruhepol kehrt hier der Film wiederholt zu dem gesetzten Interview zurück, in dem Roggon scheinbar über Stunden versucht, an Schneiders Kern zu kratzen, und verleiht ihm damit die Ernsthaftigkeit, die ihm in den theaterhaften und klamaukigen Szenen fehlt.

Spannend sind vor allem die wenigen beobachtenden Momente des Films, in denen Schneider mit anderen Menschen zusammenarbeitet: Mit den Kollegen am Filmset von „00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse“ oder zu Hause, bei der Besprechung der bald erscheinenden CD. Hier muss er mit Menschen kommunizieren, die nicht Teil dieser besonderen Verbindung zwischen Protagonist und Regisseurin sind. Menschen, mit denen er aus Gründen der Professionalität keine Spielchen treiben kann. Wir bekommen eine Vorstellung davon, wie Schneider funktioniert, wenn er arbeitet oder wie es ist, ein konstruktives Gespräch mit ihm zu führen. Doch wer behauptet denn, dass die Momente der klar markierten Inszenierung, mit Kostüm und Trompete weniger für die Arbeit und die Kraft des Schaffens von Helge Schneider stehen als die beobachteten? Schließlich sehen wir auch da, wie sein Gehirn auf Hochtouren an Ideen arbeitet, wie Aktionen geplant und wieder verworfen werden und mit welchem Nachdruck er seine Vorstellungen umsetzen will.

Wie wahrhaftig ist also ein Portrait über jemanden, der stets versucht, die Kontrolle über dieses Machwerk zu behalten und seine eigene Show daraus zu machen? Ist das, was wir über Schneider sehen, weniger authentisch nur weil er sich der Kamera stets bewusst ist oder sie für seine Zwecke nutzt? Der Film beantwortet zwar nicht die klassischen Fragen über einen Künstler, wie es eine Biographie tut. Auch verlangt er von seinem Zuschauer gewisse Vorkenntnisse über Schneider, um die Filmsituationen richtig einordnen zu können. Doch liefert er ein spannendes Bild von dem Portraitierten, regt zum Nachdenken über den Entstehungsprozess dieses Dokumentarfilms an und vergisst darüber nicht, eins zu sein: Sehr kurzweilig und unterhaltsam.

Michael Moores „9/11“: Von der Wiederauferstehung des Politaktivismus in den USA

Besprochenvon Eli Haschemi

  • Fahrenheit 9/11, Regie: Michael Moore, Produktion: USA, 2004, Laufzeit: 122 Minuten.

Der Wahlkampf in den USA ist im vollen Gange. So waren die MTV Video Music Awards, die in Miami, Florida am Sonntag, den 29. August, abgehalten wurden, gespickt mit der Aufforderung an die zumeist jungen ZuschauerInnen, wählen zu gehen. Überwiegend Afro-Amerikanische Künstler und Künstlerinnen, RepräsentantInnen also jener Bevölkerungsgruppe, die bei der Wahl 2000 um einen Teil ihrer – in diesem Fall – entscheidenden Stimmen beraubt wurde, riefen mit Slogans wie „Vote or Die“ und „Choose or Lose“ die Jugend zum wählen auf. Selbst die Präsidententöchter, Jenna und Barbara Bush sowie die Herausforderertöchter, Vanessa and Alexandra Kerry, warben um das junge Amerika. Dies alles geschieht vornehmlich unter Anrufung des amerikanischen Patriotismus.
Michael Moore verfolgt in seinem jüngsten Werk eine ähnliche Mission, die er auch beim Parteitag der Republikaner in New York – Schauplatz massiver Porteste gegen den amtierenden Präsidenten der USA – fortführt. Doch trotz – oder gerade wegen – seiner so zentralen Rolle innerhalb dieses Widerstandes bleibt Michael Moore umstritten. Häufig verkommt seine Kritik zur simplen Verhöhnung des verhassten Präsidenten, der zugegebenermaßen eine breite Zielfläche bietet. So belächeln wir in Fahrenheit 9/11 die Montage von Bushs Konterfeit in den Bonanza-Vorspann und sind entsetzt von dumpfbackigen Äußerungen, die sein Golfspiel begleiten.

Doch Michael Moore scheint sich für keinen blöden Witz zu schade. So wird die „Koalition der Willigen“ durch den Kakao gezogen, indem eine kleine Inselnation visuell mit „Hula Hula“ Tänzerinnen und Island mit Wikingern gleichgesetzt wird. Wenn dann auch noch Marokkaner durch ihre Armee aus Spüraffen verunglimpft werden und wir Affenhorden über den Bildschirm rennen sehen, dann hat das schon rassistische Untertöne.
Überhaupt hat es den Anschein, dass Michael Moore nicht die Welt außerhalb der USA adressieren möchte. Wo läge auch der Sinn, schließlich lassen sich ja hier keine WählerInnnen für die Abwahl George W. Bushs rekrutieren.
So bleibt der Zugang für den Rest der Welt erschwert, nicht nur werden die ZuschauerInnen in der Off-Stimme klar als „fellow Americans“ identifiziert, auch stößt Michael Moores Patriotismus seltsam unkritisch auf.
Dass ausgerechnet dieser Film die Goldene Palme von Cannes, einem der wichtigsten Filmfestivals Europas erhielt, erscheint in diesem Licht wenig nachvollziehbar.
Verstörende Bilder von US-Soldaten, die sich über die Erektion eines irakischen Gefangenen belustigen werden gar mit den Worten eingeleitet, dass unter den widrigen Umständen auch „good kids“ mal Unsinn anrichten. Michael Moore sabotiert seine eigene Kritik am Irak-Krieg durch seine permanente Zurschaustellung des eigenen Patriotismus.
Der Einsicht, dass es vor allem mittellose Jugendliche – häufig nicht-weißer Abstammung – sind, die massivst für den Wehrdienst geworben werden, begegnet Moore mit rührseligen Interviews von Soldatenmüttern.

 

Es wäre wünschenswert gewesen, die Bilder vom Schlachtfeld eindeutiger zu verorten. Hier findet ebenfalls eine Art „embedded“ Journalismus statt; Bilder live aus dem Panzer. Doch für einen Dokumentarfilm bleibt die eigene Position – die Position der Kamera – wenig reflektiert. Wir wissen nicht, wem sich die Soldaten unter welchen Bedingungen anvertrauen und so wirkt die Stürmung eines irakischen Haushalts mit der Handkamera begleitet nicht aufklärerischer als die Bilder, die CNNs Journalisten liefern.
Auch Michael Moore getraut sich im Klima nach dem 11. September nicht, Amerikas Militarismus tatsächlich zu kritisieren. Er verbündet sich mit amerikanischen (unterbezahlten) Soldaten und Soldatinnen, die einen nicht genügend gewürdigten Dienst für das Vaterland leisten.
Während Bowling For Columbine, der einen ähnlichen Humor bediente – zu mindest ansatzweise „das System“ kritisierte, ist es in Fahrenheit 9/11 möglich, den Irak-Krieg und die Culture of Fear – wie sie nach dem 11. September in den USA geschürt wurde, alleine auf einen inkompetenten, lügnerischen und nicht zuletzt faulen Präsidenten zurückzuführen. So werden zwar die Verstrickungen und Machenschaften des Bush Clans pointiert vorgeführt, doch vermisst man vor lauter Verschwörungstheorie den weiteren Blick über den US-amerikanischen Tellerrand. In Bowling for Columbine fragt Moore noch nach den gesellschaftlichen Problemen hinter Amerikas Waffenvernarrtheit und wagt einen Blick in die Geschichte Amerikas. Jetzt sind es nur noch die verschwörerischen Absichten einiger weniger Bösen, die das gute Amerika und seine anständigen Soldaten in diesen schmutzigen Krieg gezerrt haben.

Es bleibt abzuwarten, was für einen Film Michael Moore nach der Wahl drehen wird. Die Feindbilder in den neuen amerikanischen Dokumentarfilmen sind jedenfalls klar definiert. Bloß keinen Zweifel aufkommen lassen: George W. Bush ist die Inkarnation des Bösen. In einem anderen populären Dokumentarfilm dieser Tage kann diese Position ohne weiteres von dem zweifellos nicht minder perfiden multinationalen Fastfood-Giganten McDonalds eingenommen werden.
Dokumentarfilme waren mal ein Filmgenre, das jenseits von dramatischer Zuspitzung und Vereinfachung, auch komplexe Sachverhalte thematisieren konnte. Aber vielleicht ist trotz aller Kritik bei so fataler unkritischer Berichterstattung über den Irak-Krieg wie sie bis vor kurzem in den amerikanischen Medien vorherrschte, auch ein wenig Gegen-Propaganda nicht so fehl am Platz.
Weitere Informationen zu Michael Moore

Über die neue Schell-Edition

Besprochen von Leif Allendorf

  • Maximilian Schell Jubiläums Edition. Die preisgekrönten Film-Regiearbeiten. Eurovideo, 374 Min, EUR 34,99. Enthält: Erste Liebe (1970), Der Fußgänger (1973), Der Richter und sein Henker (1975), Geschichten aus dem Wiener Wald (1979). Mit Birgit Doll u.a.

Maximilian Schell, der 2005 seinen 75. Geburtstag feierte, ist für zwei Karrieren bekannt. Ersten Ruhm errang der Österreicher als international gefragter Schauspieler und Frauenschwarm der Nachkriegszeit. In jüngster Zeit machte Schell sich als Dokumentarfilmer einen Namen. So porträtierte er zwei Frauen, die im Alter zu Schatten ihres Ruhmes wurden: Marlene Dietrich und seine Schwester Maria Schell.

Dazwischen liegt eine nicht weniger spannende Erfolgsgeschichte. Für seine erste Regiearbeit, die 1970 gedrehte Turgenjew-Adaption „Erste Liebe“ erhielt Schell drei Oscar-Nominierungen. Sein nächster Spielfilm, „Der Fußgänger“ von 1973 bekam Dutzende internationaler Preise, unter anderen den Golden Globe. Dürrenmatts „Der Richter und sein Henker“, und Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ folgten 1975 und 1979.

Ein Stück Film- und Zeitgeschichte

Nun ist bei Eurovideo eine Gesamtausgabe der genannten vier Spielfilme auf zwei DVDs erschienen, die Gelegenheit bieten, sich ein Stück Zeit- und Filmgeschichte noch einmal anzusehen. Dabei steht Zeitgemäßes neben Unzeitgemäßem. So ist das Drama „Der Fußgänger“ mit seine Schwere und Langatmigkeit heutzutage kaum mehr zu ertragen. All diese Debatten um Schuld und Sühne jener Unternehmer der Adenauerzeit, die in Verbrechen des NS-Regimes verstrickt waren, sind in den vergangenen drei, vier Jahrzehnten ausgiebig geführt worden. Für eine Überraschung sorgt in diesem Film nur der revolutionäre 68er-Sprößling, der seinen Nazi-Vater von aller Schuld freispricht, mit der Begründung: „Ich habe es sat, immer der Sohn eines bösen Nazis zu sein.“ Statdessen will er lieber gegen den Vietnam-Krieg der Amerikaner protestieren. Dass diese auch schon die Gegner des Vaters waren, schwingt hier leise mit. Dies wirkt wie eine gruselige Vorwegnahme des Spaziergangs von Ronald Reagen mit Bundeskanzler Kohl über die SS-Soldatengräber von Bitburg. Damals, 1985, signalisierte der US-Präsident, die deutschen Wehrmachtssoldaten seien ja eigentlich auf der richtigen Seite gewesen – schließlich hätten sie die Kommunisten bekämpft.

Prominent besetzter Thriller statt Europudding

Ganz und gar zeitgemäß dagegen wirkt die Dürrenmatt-Verfilmung „Der Richter und sein Henker“. Dass dieser Streifen mit Jaqueline Bisset und Martin Shaw (nicht zu vergessen Donald Sutherland als Leiche) nicht zum Europudding wurde, verdankt er den schrulligen Hauptpersonen. Wenn Kommissar Bärlach (Martin Rit) und sein Assistent Tschanz (heute nicht wiederzuerkennen: Jon Voight) sich gegenseitig die Bälle zuwerfen, ist das so frisch und neu wie Frotzeleien der heutigen „Tatort“-Polizisten Leitmayer und Batic.

Einen schönen Gegensatz bieten auch das älteste und das jüngste Werk des Spielfilmregisseurs Schell. „Erste Liebe“ ist ein in jeder Hinsicht schöner Film. Er ist leise, melancholisch und zeigt die Unzulänglichkeit des Menschen wie mit einem Weichzeichner. Die Horváth-Verfilmung von 1979 ist – dem österreichischen Dramatiker getreu – eine zynische Abrechnung mit den letzten präfaschistischen Jahren der Alpenrepublik.

Über Michael Moores ‚Fahrenheit 9/11‘

Besprochen von Eli Haschemi

  • Fahrenheit 9/11. Regie: Michael Moore. Produktion: USA, 2004. Laufzeit: 122 Minuten.

Der Wahlkampf in den USA ist im vollen Gange. So waren die MTV Video Music Awards, die in Miami, Florida, am Sonntag, den 29. August, abgehalten wurden, gespickt mit der Aufforderung an die zumeist jungen ZuschauerInnen, wählen zu gehen.

Überwiegend Afro-Amerikanische Künstler und Künstlerinnen, RepräsentantInnen also jener Bevölkerungsgruppe, die bei der Wahl 2000 um einen Teil ihrer – in diesem Fall – entscheidenden Stimmen beraubt wurde, riefen mit Slogans wie „Vote or Die“ und „Choose or Lose“ die Jugend zum wählen auf. Selbst die Präsidententöchter, Jenna und Barbara Bush sowie die Herausforderertöchter, Vanessa and Alexandra Kerry, warben um das junge Amerika. Dies alles geschieht vornehmlich unter Anrufung des amerikanischen Patriotismus.

Michael Moore verfolgt in seinem jüngsten Werk eine ähnliche Mission, die er auch beim Parteitag der Republikaner in New York – Schauplatz massiver Proteste gegen den amtierenden Präsidenten der USA – fortführt. Doch trotz – oder gerade wegen – seiner so zentralen Rolle innerhalb dieses Widerstandes bleibt Michael Moore umstritten. Häufig verkommt seine Kritik zur simplen Verhöhnung des verhassten Präsidenten, der zugegebenermaßen eine breite Zielfläche bietet. So belächeln wir in Fahrenheit 9/11 die Montage von Bushs Konterfeit in den Bonanza-Vorspann und sind entsetzt von dumpfbackigen Äußerungen, die sein Golfspiel begleiten.

Doch Michael Moore scheint sich für keinen blöden Witz zu schade. So wird die „Koalition der Willigen“ durch den Kakao gezogen, indem eine kleine Inselnation visuell mit „Hula Hula“ Tänzerinnen und Island mit Wikingern gleichgesetzt wird. Wenn dann auch noch Marokkaner durch ihre Armee aus Spüraffen verunglimpft werden und wir Affenhorden über den Bildschirm rennen sehen, dann hat das schon rassistische Untertöne.

Überhaupt hat es den Anschein, dass Michael Moore nicht die Welt außerhalb der USA adressieren möchte. Wo läge auch der Sinn, schließlich lassen sich ja hier keine WählerInnnen für die Abwahl George W. Bushs rekrutieren.

So bleibt der Zugang für den Rest der Welt erschwert, nicht nur werden die ZuschauerInnen in der Off-Stimme klar als „fellow Americans“ identifiziert, auch stößt Michael Moores Patriotismus seltsam unkritisch auf.

Dass ausgerechnet dieser Film die Goldene Palme von Cannes, einem der wichtigsten Filmfestivals Europas erhielt, erscheint in diesem Licht wenig nachvollziehbar.

Verstörende Bilder von US-Soldaten, die sich über die Erektion eines irakischen Gefangenen belustigen werden gar mit den Worten eingeleitet, dass unter den widrigen Umständen auch „good kids“ mal Unsinn anrichten. Michael Moore sabotiert seine eigene Kritik am Irak-Krieg durch seine permanente Zurschaustellung des eigenen Patriotismus.

Der Einsicht, dass es vor allem mittellose Jugendliche – häufig nicht-weißer Abstammung – sind, die massivst für den Wehrdienst geworben werden, begegnet Moore mit rührseligen Interviews von Soldatenmüttern.

Es wäre wünschenswert gewesen, die Bilder vom Schlachtfeld eindeutiger zu verorten. Hier findet ebenfalls eine Art „embedded“ Journalismus statt; Bilder live aus dem Panzer. Doch für einen Dokumentarfilm bleibt die eigene Position – die Position der Kamera – wenig reflektiert. Wir wissen nicht, wem sich die Soldaten unter welchen Bedingungen anvertrauen und so wirkt die Stürmung eines irakischen Haushalts mit der Handkamera begleitet nicht aufklärerischer als die Bilder, die CNNs Journalisten liefern.

Auch Michael Moore getraut sich im Klima nach dem 11. September nicht, Amerikas Militarismus tatsächlich zu kritisieren. Er verbündet sich mit amerikanischen (unterbezahlten) Soldaten und Soldatinnen, die einen nicht genügend gewürdigten Dienst für das Vaterland leisten.

Während Bowling For Columbine, der einen ähnlichen Humor bediente – zu mindest ansatzweise „das System“ kritisierte, ist es in Fahrenheit 9/11 möglich, den Irak-Krieg und die Culture of Fear – wie sie nach dem 11. September in den USA geschürt wurde, alleine auf einen inkompetenten, lügnerischen und nicht zuletzt faulen Präsidenten zurückzuführen. So werden zwar die Verstrickungen und Machenschaften des Bush Clans pointiert vorgeführt, doch vermisst man vor lauter Verschwörungstheorie den weiteren Blick über den US-amerikanischen Tellerrand. In Bowling for Columbine fragt Moore noch nach den gesellschaftlichen Problemen hinter Amerikas Waffenvernarrtheit und wagt einen Blick in die Geschichte Amerikas. Jetzt sind es nur noch die verschwörerischen Absichten einiger weniger Bösen, die das gute Amerika und seine anständigen Soldaten in diesen schmutzigen Krieg gezerrt haben.

Es bleibt abzuwarten, was für einen Film Michael Moore nach der Wahl drehen wird. Die Feindbilder in den neuen amerikanischen Dokumentarfilmen sind jedenfalls klar definiert. Bloß keinen Zweifel aufkommen lassen: George W. Bush ist die Inkarnation des Bösen. In einem anderen populären Dokumentarfilm dieser Tage kann diese Position ohne weiteres von dem zweifellos nicht minder perfiden multinationalen Fastfood-Giganten McDonalds eingenommen werden.

Dokumentarfilme waren mal ein Filmgenre, das jenseits von dramatischer Zuspitzung und Vereinfachung, auch komplexe Sachverhalte thematisieren konnte. Aber vielleicht ist trotz aller Kritik bei so fataler unkritischer Berichterstattung über den Irak-Krieg wie sie bis vor kurzem in den amerikanischen Medien vorherrschte, auch ein wenig Gegen-Propaganda nicht so fehl am Platz.