Ein Handbuch zum Schlagwort ´68 – Der Mythos „1968“ einmal nüchtern betrachtet

Besprochenvon Leif Allendorf

  • KLIMKE, Martin/ SCHARLOTH, Joachim (Hg.): 1968. Ein Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte der Studentenbewegung. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart; Weimar 2007. ISBN 978-3-476-02066-6.

In entnervender Gleichförmigkeit werden im „Jubiläumsjahr“ 2008 die immergleichen Bilder gezeigt, Zitate wiederholt und Kämpfe ausgetragen. Dabei führt die Beschränkung auf ausgetretene Pfaden zu keiner neuen Erkenntnis. Da ist das von Martin Klimke und Joachim Scharloth bei Metzler herausgegebene „Handbuch 1968“ eine willkommene Abwechslung. Denn dort werden die Mechanismen untersucht, die erst zur Entstehung des Begriffs „1968“ geführt haben, was Aufschluss darüber gibt, warum der Diskurs 40 Jahre danach so arm ausfällt: „In den letzten Jahren hat sich der Schwerpunkt der Erforschung der Studentenbewegung aber immer mehr von der Geschichte der Ereignisse hin zu einer Geschichte von Repräsentationen verlagert.“ Die Popularität der eigentlich marginalen Studentenbewegung verdankt sich ihrer medialen Verfälschung: das Happening ist alles, die Absicht gilt nichts, die Form des Protests wird zum Selbstzweck und damit entleert.

Um dieser Oberflächlichkeit zu entgehen ist es schon hilfreich, den zeitlichen Rahmen zu erweitern: die 60er Jahre als Vorbereitung, die 70er als Resultat zu betrachten und auf langfristigere Entwicklungen einzugehen. Die Einflüsse der Popmusik und neuer Spielfilmtechniken werden in dem verdienstvollen Band ebenso untersucht wie das, was danach kam, die RAF, eine neue Frauenbewegung usw. Aber auch geografisch wird hier der Blick über den Tellerrand gewagt: „Die Interdependenz und die Adaptionsprozesse der Protestbewegungen in den verschiedensten Ländern rücken somit zunehmend in das Blickfeld einer Geschichtswissenschaft, die sich von nationalstaatlichen Paradigmen ablöst, und sich auch dem Entstehen einer transnationalen Zivilgesellschaft im Gefolge der 1960er Jahre zuwendet.“

Zutreffend stellen die Autoren fest, dass trotz aller Bemühungen um seine Historisierung: ›1968‹ hat seinen Platz im kulturellen Gedächtnis der Bundesrepublik noch nicht gefunden hat. Es steht als „Mythos, Chiffre, Zäsur, als Heldenlied oder Verwünschungsarie“ noch immer im Zentrum der Frage nach einer Selbstdefinition der Geschichte der Bundesrepublik. Die Aufregung über die Sponti-Vergangenheit des ehemaligen Außenminister Joschka Fischer oder die RAF-Ausstellung im Jahr 2003 beweisen die noch immer vorhandene Polarisierungskraft jener Ereignisse vor vier Jahrzehnten.

Neben einer solchen „Polarisierung“ wäre auch ein höheres Niveau zu wünschen. Das „Handbuch 1968“ trägt da einen ersten Schritt zu bei.