Während die Klimakonferenz in Nairobi weltweit Beachtung findet, bekam die am 26. September in Berlin stattfindende Konferenz zum Thema Nachhaltigkeit trotz Anwesenheit der deutschen Bundeskanzlerin wenig Echo. Die Jahreskonferenz des Rates für nachhaltige Entwicklung fand weitaus weniger Beachtung als die Islamkonferenz einen Tag später, was im damals durch die Opernabsetzung aus Terror-Angst aufgeheizten Klima nicht verwundert.
Unter den Zuhörern in der Kongresshalle am Alexanderplatz saßen Vertreter der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, darunter viele Repräsentanten von Vereinen und Initiativen. Eingeladen hatte unter dem Motto „Die Kunst, das Morgen zu denken“ zum mittlerweile sechsten Mal der Rat für Nachhaltige Entwicklung, der im Jahr 2001 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Leben gerufen wurde. Neben einer Fotoausstellung, einer Modenschau und der Siegerehrung zu einem Jugendwettbewerb bestand das Hauptprogramm aus der Forenarbeit am Nachmittag (zu Themen wie Energie, demografischer Wandel, Medien oder soziale Sicherung) und den Redebeiträgen am Vormittag.
Den Anfang machte BUND-Vorsitzende und Ratsmitglied Angelika Zahrnt, die auf die Rolle von Kunst, Kultur und Bildung in der Nachhaltigkeitsdebatte hinwies. Sie forderte die Regierung wie später auch der Ratsvorsitzende Volker Hauff auf, die EU-Ratspräsidentschaft 2007 zu einer „Nachhaltigkeitsoffensive“ zu nutzen. Die Wichtigkeit des Dialogs mit der Wirtschaft unterstrich Zahrnt mit der Zauberformel CSR, auf Deutsch: „Corporate Social Responsibility“. Im Zuge der Globalisierung wachse nicht nur der Einfluss, sondern auch die Verantwortung von Unternehmen, die das Soziale und Ökologische nicht mehr nur dem Staat überlassen dürfen.
Als nächster Redner eingeladen war der Vorstandsvorsitzende der Münchener Rück, Nikolaus von Bomhard. Als Versicherer beschäftigt er sich selbstverständlich mit der Zukunft, und könnte mit dem Statistik-Material seines Unternehmens sicherlich einiges zur globalen Risiko-Vorsorge beitragen. Bomhard blieb allerdings recht allgemein und redete von steigenden Schäden aus Naturkatastrophen, die ihn schon lange beschäftigen. Dass er die gesellschaftliche Entwicklung als verantwortlich für den Klimawandel ausmachte, war dann keine große Erkenntnis für die Teilnehmer dieser Veranstaltung zur Nachhaltigkeit. In Bomhards Rede kam dann auch noch das aktuelle Top-Thema Terrorismus zur Sprache, im Versicherungs-Jargon „das einzige vom Menschen bewusst herbeigeführte Risiko“. Da Terror-Schäden nur begrenzt versicherbar sind, sei hier auch der Staat gefordert, z.B. im Rahmen der bereits existierenden Opfer-Fonds. Positiv festzustellen ist, dass Bomhard als Vertreter der Wirtschaft nicht nur den Begriff Nachhaltigkeit kennt, sondern auch vor seiner effekthaschenden, inflationären Verwendung warnte, indem er zum Abschluss nicht ganz ernst gemeint eine Art „TÜV“ dafür anregte.
Schließlich war es dann am Vorsitzenden des Rates, Volker Hauff, die Bundeskanzlerin zu begrüßen, und mit den Worten „Nachhaltigkeit = Chefsache“ klar zu machen, was er von ihrer Rede und vor allem ihrer Politik erwartete, nämlich nichts weniger als Kontinuität, Innovation und Engagement.
Angela Merkel hatte, so schien es, ihre Hausaufgaben gemacht. Sie wusste, was dem Publikum auf den Nägeln brannte. In einem allgemeinen, etwas improvisiert wirkenden Vorgeplänkel über den „Verbrauch der Zukunft in der Gegenwart“ zeigte sie, dass sie den Leitsatz der Nachhaltigkeitspolitik verstanden hatte. Es gehe darum, an die kommenden Generationen zu denken und ihnen nicht alle aktuellen Probleme aufzubürden. Nachhaltige Entwicklung heißt also, unseren Kindern eine Welt zu hinterlassen, in der Ökologie, Wirtschaft und Soziales noch im Einklang sind.
Mit den Stichworten „Gerechtigkeitsempfinden“ und „Demut“ stellte sie sich auf die Seite derjenigen, die ihr zunächst eher skeptisch zuhörten. Später nahm sie eventuellen Kritikern dann allen Wind aus den Segeln, indem sie damit kokettierte, sich wohl bewusst zu sein, manchmal unpopuläre Entscheidungen zu treffen. So erwarte sie gerade von den Anwesenden keine Jubel-Arien, sondern Hinweise und Kritik. Sie brauche den Nachhaltigkeitsrat als Mahner und Antreiber. Wie gefordert, will sie die EU-Ratspräsidentschaft und auch den G8-Vorsitz im nächsten Jahr dazu nutzen, Nachhaltigkeitsthemen auf die Tagesordnung zu setzen. Vor allem der Klimaschutz und die Energiepolitik sollen noch einmal angegangen werden. Für Beifall und mehr Medienresonanz sorgen sollte das bekundete Vorhaben, endlich auch die Amerikaner mit ins CO2-Programm zu holen. Selbst die Asiaten, so berichtete Merkel von ihren Dienstreisen, seien mittlerweile risikobewusster und handlungsbereiter als früher, wenn es um den Abbau von Treibhausgas-Emissionen geht.
Schließlich wurden noch ein lose Reihe weiterer Projekte der Bundesregierung, angesprochen, die weitgehend mit dem Thema Nachhaltigkeit zu tun haben. Die Kanzlerin prangerte die schlechte Balance zwischen Zinsausgaben für alte Schulden und Ausgaben für die Zukunft an, und lag mit vielen Zuhörern auf einer Wellenlänge. Als an diesem Tag sicher weniger kontroverse Maßnahme zur Haushaltssanierung brachte sie das Sparen bei der Beamtenbesoldung ins Spiel.
Weiterhin redete Merkel von neuen Strategien der Regierung zur Stärkung der Exportweltmeister-Position, die sogar noch 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze vor allem im High-Tech-Bereich schaffen sollen. Weiterhin ging es um den schonenden vernünftigen Umgang mit Ressourcen, in Deutschland und in den Entwicklungsländern, für die es auf einen verstärkten Schutz ihres Eigentums und weniger Ausbeutung durch die Industrieländer hinauslaufen soll. Global wird auch gedacht, wenn es um gemeinsame internationale Kriterien in allen Bereichen geht, z.B. beim Schutz von geistigem Eigentum, einer der mittlerweile wichtigsten Ressourcen des Westens. Weltweit soll der Verlust an biologischer Vielfalt bis 2010 verringert werden, ein dringendes Programm, dessen Handlungsgrund durch die doppelte Negation fast verharmlost wird. Die Umwelt soll auch zuhause geschützt werden, so soll, auch in Zusammenhang mit dem Stichwort Artenschutz, der neue Flächenverbrauch hierzulande reduziert werden, was angesichts der demographischen Entwicklung mehr als sinnvoll erscheint.
Schließlich betonte Merkel die Wichtigkeit des „lebenslangen Lernens“, und die Notwendigkeit, das generationsübergreifende Denken vor allem der zukünftigen Rentner-Generation zu vermitteln, damit alle noch folgenden Maßnahmen auch nachhaltig funktionieren könnten.
Dies war durchaus im Sinne von Volker Hauff. Der Ratspräsident erklärte, mit Zustimmung, Hoffnung und Nachdenklichkeit die Rede der Kanzlerin zur Kenntnis genommen zu haben. Bei allen Schwierigkeiten wolle er jedoch nicht nur an die Politik appellieren, sondern genauso an Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Nur wenn alle Akteure zusammen arbeiten und die Bedeutung der nachhaltigen Entwicklung nicht aus den Augen verlieren, hätte sein Rat Erfolg und diese Veranstaltung einen Sinn.
Es bleibt abzuwarten, was aus den hehren Ansprüchen wird, nicht nur was die wirkungsvolle Umsetzung der Projekte angeht, sondern schon allein wenn es darum geht, das Thema Nachhaltigkeit ins Gedächtnis zurückzurufen und immer wieder auf die Tagesordnung zu bringen. Die großen Schlagzeilen werden zwar bis zum nächsten Kongress doch eher wieder der Terror oder so Wichtiges wie die Altbundeskanzler-Memoiren liefern, doch vielleicht schafft es auch zwischen Anschlägen und Schädel-Schändungen immer mal wieder eine kleinere Nachhaltigkeitsgeschichte, wie z.B. die gerade aufkeimende Debatte um das Garantierte Grundeinkommen.