Korruptionsforschung. Über ‚Corruptions‘ Pierre Lascoumes.

Besprochenvon Michael Tillmann

  • LASCOUMES, Pierre: Corruptions. Presses de Sciences Po, Paris 1999. ISBN 2-7246-0773-2.

Das Phänomen der Korruption, der Käuflichkeit von Politik und Verwaltung, der unlauteren Vorteilsnahme bzw. -gewährung, der illegalen Parteienfinanzierung kehrt mit steter Regelmäßigkeit ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zurück. Es scheint sich hierbei um ein rekurrentes Phänomen zu handeln, das sich weder zeitlich noch geographisch noch kulturell festmachen ließe. Es scheint nicht einmal an einen bestimmten Regimetypus gebunden zu sein. Die Demokratie jedenfalls ist davon genauso betroffen wie andere Regierungsformen. Korruptem bzw. korrumpierendem Verhalten liegt ein Interessenkonflikt zugrunde zwischen einer an dem Allgemeinwohl ausgerichteten Handlungslogik von Politik und Verwaltung auf der einen und auf der anderen Seite einer Wirtschaftslogik, die auf Gewinnmaximierung beruht und dazu auch vor Mitteln der Wettbewerbsverzerrung nicht zurückschreckt. Vor diesem Hintergrund analysiert Pierre Lascoumes mehrere Korruptionsfälle in Frankreich und anderswo. Anhand eines Vergleiches zwischen zwei Bestechungsaffären in Belgien (Dassault) und Frankreich (Luchaire) veranschaulicht er, wie sehr die Bewertung eines Korruptionsfalls durch Öffentlichkeit und Justiz von der politisch-gesellschaftlichen Konstellation des jeweiligen Moments abhängig ist. Während der Fall Dassault als Skandal empfunden wurde und für die Beteiligten schwere Strafen nach sich zog, endete das Verfahren im Fall Luchaire mit einem Freispruch und einer Verharmlosung der Affäre, obgleich die Ausgangslage in beiden Fällen durchaus vergleichbar war. Das zeigt, wie stark trotz eines gesellschaftlichen Veränderungsprozesses, in dessen Verlauf gesellschaftliche Interessen die (besonders in Frankreich ausgeprägte) Staatsräson als Rechtfertigungsstrategie allmählich in ihre Schranken weisen, Korruption definitionsabhängig und damit definitionsbedürftig ist. Sie bewegt sich stets in der Grauzone des Tolerierten bzw. Noch-gerade-Tolerierbaren: vom Wählerauftrag über den Klientelismus bis zur Korruption ist es nur ein kurzer Weg und die Grenzen zwischen diesen verschiedenen Formen politischer Responsivität verschwimmen. Pierre Lascoumes Analyse ist so klar geschrieben wie inhaltlich überzeugend. Dass dieses Thema auch für ein deutsches Publikum interessant sein könnte, liegt auf der Hand. Darüber hinaus handelt es sich aber um eine konzise, vergleichend arbeitende Einführung in einen von den Gesellschaftswissenschaften bisweilen vernachlässigten Problembereich, der nichtsdestotrotz an das Wesen der Demokratie rührt. Auch wenn die beiden zentralen Fallbeispiele aus dem frankophonen Bereich stammen (Belgien und Frankreich), sind die Resultate hinreichend verallgemeinernd und verallgemeinert, um auch für Korruptionsfälle in anderen Ländern als Analyseraster zu dienen. Darüber hinaus werden diese Fallanalysen von einer theoretischen Einführung und einem internationalen Vergleich (Amerika-Frankreich) umrahmt, deren Beispiele aus allen wichtigen westlichen Demokratien stammen.

 

© passerelle.de, Sommer 2000

 

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