Trott und Wirklichkeit: Haruki Murakamis „Schlaf“

Besprochen von Bastian Buchtaleck

  • MURAKAMI, Haruki: Schlaf. DuMont, Köln 2009. ISBN 978-3-8321-9525-0 Pick It! .

Schon 1990 erschien in Japan die Erzählung „Schlaf“ von Haruki Murakami. Fünf Jahre später erschien sie auch in Deutschland. Nun hat der Kölner Dumont Verlag die Erzählung neu aufgelegt und in einem schmucken Buch herausgebracht. Sofort fällt auf, dass sich der Verlag mit diesem Buch besondere Mühe gegeben hat. So wurde das Buch sehr reichhaltig von Kat Menschik illustriert. Die auf dem beigeweiß der Buchseiten ausschließlich in dunklem Marineblau und Silbergrau gehaltenen Illustrationen greifen die Stimmungsbilder des Buchs wunderbar auf und führen sie als atmosphärische Stimmung fort. Zudem ist der Text großzügig gesetzt und wirkt durch viel Platz an den Rändern dennoch wie ein gefasster Textblock.

„Schlaf“ wird aus der Perspektive einer Ich-Erzählerin erzählt, die nicht schlafen kann, deren Körper auch nicht danach verlangt. Vielmehr bleibt sie wach, konzentriert und fühlt sich gut dabei. Dadurch gewinnt die Ehefrau und Mutter viel Zeit hinzu. Zeit, die sie nutzt, um zu lesen oder um sich endlich wieder im Trott des Lebens selbst zu spüren. „Ich bin dreißig. Wenn man dreißig wird, merkt man, dass die Welt mit dreißig nicht zu Ende ist. Ich bin nicht gerade froh, älter zu werden, aber manche Sachen werden dadurch auch einfacher.“ Durch die zusätzliche Zeit, aber auch die besondere Situation, beginnt sie ihr Leben und ihre Umwelt schärfer wahrzunehmen.

„Seit ich nicht mehr schlief, empfand ich die Realität als extrem einfach. Sie lässt sich ganz einfach meistern. Es ist einfach Realität. Einfach Hausarbeit, einfach Familie. (…) Bloß Wiederholung.“ In „Schlaf“ geht es um die gelebte Wirklichkeit, die nicht in Frage gestellt wird, solange die kleinen Rituale funktionieren. Doch für die Protagonistin eröffnet sich die Frage, wie wahr ist Wirklichkeit, wenn die eigene Familie nicht bemerkt, dass man aus ihr herausgefallen ist?

Mit einer sehr nüchternen, beschreibenden Sprache verhandelt Murakami alltägliche, jedem bekannte Wahrheiten, die zugleich irritieren und die man doch nicht verbalisieren kann oder will. Wahrheiten, die sich in keinen Trott einpassen. Dass man einmal gelesene Bücher größtenteils wieder vergisst, dass man älter wird und sich das Leben damit verändert – ob man will oder nicht. Das Buch lädt dazu ein, den Tag im Gleichklang mit der Ich-Erzählerin zu verleben, sich in den Tag hinein zu setzen, mitten rein, und zu spüren, wie die Stunden einen umspülen und an einem vorbei ziehen, in der wohligen Gewissheit, dass eben genau das der Lauf der Dinge ist.

Neben dieser größeren Perspektive, ist das Buch eine wunderbare, eine gelebte Liebeserklärung an die Literatur. Daran wie sich Wahrnehmung und Zeitempfinden verschieben, wenn man ganz von einem guten Buch gefangen genommen wird.

Insgesamt hat sich der Verlag erfolgreich bemüht, etwas Besonderes zu schaffen, zumal die 20 Jahre überbrückt werden mussten, die seit der ersten Veröffentlichung vergangen sind. Der einzige Wermutstropfen ist, dass „Schlaf“ nach kaum vier Stunden ausgelesen ist. Bei Betrachtung der reinen Lesedauer, ist das Preis-Leistungsverhältnis schlecht. Durch das gelungene Zusammenspiel von hochwertigem Inhalt mit einer aufwendigen Herstellung wird dies jedoch mehr als nur aufgewertet. Gemeinsam entwickeln Text, Illustrationen und Herstellung einen Sog, dem sich der Leser nicht entziehen kann. Die Illustrationen zeigen genau die Traumbilder, denen sich der Text verwehrt und die er doch in sich trägt. „Schlaf“ ist gleichermaßen als Einsteiger- oder Geschenkbuch geeignet und wird Buchliebhaber sogar verzücken.

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