Horchen auf die Atombombe. Manfred Henger über Atomsprengungen in Nordkorea im Interview mit Camilo Jiménez, 13.10.2006

Wie deutsche Experten auf die nordkoreanische Atomsprengung horchten und nun einen Fehlschlag für möglich halten. Ein Interview mit Manfred Henger, Leiter des Referats für seismische Datenanalyse der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).


Herr Henger, am frühen Morgen des 9. Oktober haben Sie einen Anruf von der CTBTO bekommen, die Sie über seismische Aktivität in Nordkorea informierte. Was wollte man von Ihnen und Ihrem Team wissen?

Meine Aufgabe war, die Stärke der seismischen Bewegung zu bestimmen, die das Internationale Datenzentrum (IDC) der Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) am Montag, dem 9. Oktober, um 3.35 Uhr registriert hatte und die aus der nordkoreanischen Nord Hamyong Provinz herkam. Es handelte sich um ein Erdbeben mit der Stärke 4. Auch mussten wir der CTBTO nachweisen, dass es sich dabei um kein natürliches Phänomen gehandelt hatte, sondern dass das Erdbeben durch eine unterirdische Sprengung erzeugt worden war. Letztlich war auch unsere Aufgabe, die Quantität an Trinitrotoluol (TNT) zu berechnen, die für die Explosion verwendet worden war: Es waren etwa 1 bis 1,5 Kilotonnen.

Sie leiten das Referat für Datenanalyse bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Was verbindet Ihren Verantwortungsbereich in der BGR mit der CTBTO?

Wir betreiben hier für die Bundesrepublik Deutschland das Nationale Datenzentrum im Zusammenhang mit dem Kernwaffenteststopp-Abkommen. Das Auswärtige Amt hat uns die Aufgabe übertragen, die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Kernwaffenteststopp-Vertrag zu überprüfen. Im Rahmen des Abkommens betreiben wir mehrere Stationen: eine im bayerischen Wald, das ist die empfindlichste Station im ganzen Mitteleuropa, in der durch eine Antenne 25 umliegende seismische Stationen koordiniert werden. Dann gibt es eine weitere Infraschallstation im bayerischen Wald und zwei Stationen mit Messungen von Luftdruckschwankungen in der Antarktis. Alle diese Stationen, die von uns kontrolliert werden, sind Teil des antiatomaren Überwachungssystems der CTBTO. Die Daten von unserer Station und anderen Stationen, die überall auf der Welt verteilt sind, werden durch einen Satellit nach Wien gesendet. Als Nationales Datenzentrum haben wir in der BGR das Recht, diese Daten anzufordern, von allen Stationen.

Und das haben Sie am Sonntagabend gemacht, als klar wurde, dass der Atomtest Nordkoreas jederzeit stattfinden konnte…

Wir hatten schon den ganzen Sonntag auf die Sprengung gewartet. Es war jedoch schon Montag um 3.35 Uhr, als ich eine automatische Nachricht von unseren Computern im Institut auf meinem Handy bekam, die ein Erdbeben in Nordkorea meldete. Aber unser Vorgehen ist ungefähr so: Das IDC lässt in der Regel die Messungen rund um die Uhr laufen und sucht nach Bewegungen der Erdschichten, also nach kleinen oder großen Erdbeben. Am Wochenende vor dem Atomtest haben wir dann die Rechner in der BGR so vorprogrammiert, dass sobald irgendein Ereignis im Bereich von Nordkorea gemeldet würde, wir automatisch informiert würden. Als Leiter des Referats für seismische Datenanalyse würde ich dann eine Nachricht erhalten.

Wie konnten Sie sicher sein, dass dieses Beben von einem nordkoreanischen Atomtest ausgelöst worden war?

Als wir montagmorgens zur Station kamen, haben wir alles überprüft: Der Ort, auf den uns unsere Daten verwiesen, erschien auf den Satellitenbildern als eine Gebirgsregion im Norden Nordkoreas namens Pungye-yok, die schon vorher als mögliches Testgebiet genannt worden war. Folglich konnten wir sicher sein, dass es eine Sprengung und nicht ein Erdbeben war. Also informierten wir die CTBTO und die Öffentlichkeit.

Wie kann eine unterirdische Sprengung ein dermaßen starkes Erdbeben verursachen, dessen seismischen Wellen knapp 12 Minuten nach der Explosion schon in Deutschland empfunden wurden?

Durch die Explosion wird eine Schockwelle erzeugt. Das passiert auch z.B. in der Luft: Wenn etwas in der Luft explodiert, dann wird ein Luftstoß verursacht, den ich fühlen würde, wenn ich in der Nähe wäre. Genau so läuft es unter der Erde ab: Wenn dort eine Explosion stattfindet, passiert folgendes: Zwischen den Erdschichten befindet sich meistens Wasser, und Wasser kann man nicht zusammendrücken, es ist nicht kompressibel. Wenn die Explosion auf das Wasser und auf Gestein trifft, wird durch seismische Energie eine Druckwelle erzeugt. Diese Druckwelle läuft dann durch die ganze Erde. Die registrieren wir dann auch hier im bayerischen Wald.

Wie hat man die Größe der getesteten Bombe in der BGR berechnen können?

Da es eine Beziehung zwischen der Erdschwankung und der Explosionsstärke gibt, haben wir die Stärke der Explosion berechnen können: Sie war von 1 bis 1,5 Kilotonnen, vorausgesetzt, dass es sich um nasses, hartes Gestein gehandelt hat, wo der Test stattgefunden hat. Wenn eine solche Explosion im Sand durchgeführt wird, wird nicht sehr viel Energie in den Boden übertragen und deshalb strahlt die Druckwelle eine verhältnismäßig schwächere Signal aus. Aber da es in einer Gebirgsregion passierte (dem Schwarzwald sehr ähnlich), wo es nur hartes, nasses Gestein gibt, konnten wir berechnen: Eine Stärke von 4 kann nur von 1 bis 1,5 Kilotonnen Sprengstoff verursacht werden.

Wie wird ein Atomtest unter der Erde durchgeführt?

Da bohrt man wie bei einer Ölquelle, und in das Bohrloch wird dann die Bombe gelegt. Dann wird das Loch entweder zubetoniert oder mit allen möglichen Stoffen aufgefüllt. Wenn man die Bohrung macht, muss man entsprechend tief gehen, sodass die Bombe nicht ‚ausbläst‛, also radioaktive Subtanzen freisetzt. Das hat man am Anfang des Atomtestrauschs im 20. Jahrhundert nicht beachtet und als Folge gibt es noch heute z.B. einen halben Kilometer breite und 100 oder 200 Meter tiefe Krater im sog. ‚Nevada Test Site‛.

Ist eine solche ‚Ausblasung‛ der Bombe Nordkoreas möglich?

Nur, wenn man die Bombe nicht tief genug eingräbt. In Nordkorea hat die Sprengung in einem unterirdischen Tunnel stattgefunden, innerhalb eines kleinen Bergwerkes, und obwohl jetzt nicht ganz klar ist, wie die Nordkoreaner die Bombe untergebracht haben, kann man schon vermuten, dass man die Bombe durch einen zweiten parallel liegenden Tunnel eingeführt hat, den man dann zugeschüttet hat. Wenn die Explosion tatsächlich in diesem Berg stattgefunden hat, so werden wahrscheinlich keine radioaktiven Substanzen auf die Erdoberfläche gekommen sein.

Atomwaffentests können auch in Wüstregionen oder im Meer durchgeführt werden. Warum haben Pakistan, Indien und Nordkorea Ihre Tests unter der Erde durchgeführt?

Die Franzosen haben ihre Kernwaffen im Mururoa-Atoll gezündet. Die USA haben auch kleine Bomben auf dem Bikini-Atoll getestet. Später haben die USA auch auf den sog. ‚Nevada Test Site‛ hunderte von Tests durchgeführt, also in der Wüste, wie Frankreich es auch gemacht hat, nämlich in Algerien. Die Russen haben ihrerseits alle ihre Explosionen auf dem Festland im Novaja Zemlja durchgeführt und die Chinesen auf Lop Nur, einem Gebirgsgebiet. Allein die neuen Atommächte haben unterirdische Tests durchgeführt. Obwohl es sich aus Sicherheitsgründen empfiehlt Atombombensprengungen unter der Erde zu realisieren, glaube ich, dass die wahren Gründe, warum Indien, Pakistan und Nordkorea unterirdische Atomtests durchführen, woanders liegen.

Weil sie sich vor der Öffentlichkeit schützen wollen, falls Ihre Tests fehlschlagen?

Möglicherweise.

Zurzeit wird viel über den vermeintlichen Erfolg der Atomtests in Nordkorea gezweifelt. Was ist Ihre Position dazu?

Obwohl bisher nur sehr wenig bewiesen werden kann, nämlich nur, dass es sich um kein natürliches Phänomen bei dem Erdbeben am vorigen Montag handelte, sondern dass eine unterirdische Sprengung an dem Tag in Nordkorea stattfand, wage ich, drei verschiedene Szenarien für möglich zu halten. Das erste: dass der Test erfolgreich war und dass Nordkorea tatsächlich eine 1,5 Kilotonnen schwere Atombombe gezündet hat. Das zweite: dass Nordkorea versucht, die Internationale Gemeinschaft zu betrügen und das sie dazu eine Atomsprengung simulierten mit Hilfe von chemischen Sprengstoffen – und das zu machen, ist kein Problem. Ich war selber bei einer solchen Simulation dabei, als man einmal in den USA untersuchen wollte, ob es möglich ist, mit seismischen Verfahren Unterschiede zwischen Nuklear- und chemischen Sprengung festzustellen. Da haben die Amerikaner eine Kilotonne mit chemischem Sprengstoff gezündet, kein Problem. Das dritte Szenario wäre, dass es ursprünglich eine größere Bombe sein sollte, eine Bombe von etwa 10 bis 15 Kilotonnen, aber dass der Test fehlgeschlagen ist und die Druckwellen deshalb so gering waren. Persönlich halte ich dieses letzte Szenario für das wahrscheinlichste von allen drei.

Warum?

Die erste Möglichkeit ist fast irreal: Wenn man sich die Kernwaffentests aller anderen Atomstaaten ansieht, dann hat noch kein Atomwaffenstaat mit einer ersten Waffe begonnen, die kleiner als 10 Kilotonnen war. Kleinere Bomben mit 1 oder 1,5 Kilotonnen wurden bisher noch nie gezündet. Der Grund dafür ist, dass es tatsächlicher leichter ist, eine große Bombe zu bauen als eine sehr kleine. Diese kleinen Atombomben werden nur als Zünder für Wasserstoffbomben verwendet. Ich glaube nicht, dass Nordkorea in der Lage ist, die üblichen Entwicklungsschritte zu überspringen und von Anfang an hoch entwickelte kleine Bomben herstellen zu können. Das übliche wäre gewesen, dass Nordkorea eine Bombe zündet, die 10 bis 20 Kilotonnen Sprengstoff hat. Es wäre offensichtlich das einfachste. Die zweite Möglichkeit würde nur gelten, wenn Nordkorea es darauf angelegt hätte, zu betrügen, und ich weiß nicht, ob Nordkorea sich heutzutage ein solches Wagnis leisten kann.

Wann wird die CTBTO sichern können, ob der Test tatsächlich stattgefunden hat, wenn bereits alle die Mitteln der CTBTO-Stationen weltweit ausgeschöpft worden sind? Selbst nach den Worten des Leiters der CTBTO, Tiber Toth, wird in den nächsten Tagen niemand wissen, was tatsächlich in Nordkorea detonierte.

Jetzt haben wir nur die Möglichkeit zu warten, ob doch noch radioaktives Material an die Erdoberfläche kommt. Aber kein Mensch kann Ihnen sagen, wie lange das noch dauert. Ein Kollege hat mir kürzlich gesagt, irgendjemand habe behauptet, in vierzehn Tagen wüsste man das. Das ist Unsinn: Wenn man Glück hat, dann geht es relativ schnell, aber das hängt von den umgebenden Steinen ab. Wenn die radioaktive Partikeln durch das Gestein, also z.B. durch Risse durchgehen und auf der Erdoberfläche sind, dann kann man das möglicherweise nachweisen. Aber wenn die Stelle gut gedämmt und sehr tief ist, dann kommt es nie an die Erdoberfläche und dann werden wir nie nachweisen, ob das eine chemische oder eine atomare Sprengung war.

Herr Henger, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Camilo Jiménez.

Dieses Interview erschien am 12. Oktober 2006 in der kolumbianischen Tageszeitung El País (www.elpais.com.co).

Jiménez, Camilo: Me too, I’d like the atomic-bomb!, 13.10.06

At the end little has changed in the world since World War II and the atomic warfare of the Cold War days. Nowadays, having the atomic-bomb still means power, and to get a bomb is at this time easier than ever with North Korean nukes topping the lists in the black market this week. The world keeps on standing as is stood in the midst of the 20th Century: vis-à-vis with the threat of a chain reaction of world-wide atomic proliferation.

In 1968, the U.S., France, Great Britain, Russia, and China — the winners of WW2 and today’s five permanent members of the United Nation’s Security Council — decided for throttling off the head of what they feared could become a many-headed dragon avidly firing menaces of mass destruction in times of the Cold War. The international swoop under the threat’s head was hence to be given by the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT), which was rashly signed in 1968 by the U.S. , Great Britain and the Soviet-Union. It entered into force on March 1970.

Hitherto the NPT has been signed by 189 States (France and China only did it until 1992); it has been avoided by India , Pakistan and Israel ; it has been eminently despised, and will possibly be soon violated, by Iran . The NPT has also proven (again) to be highly inefficient: North Korean dictator Kim Jong Il, who resigned to it thirteen years ago, has tested a nuke last Monday. And finally, like any other effort of obtaining world-wide norms of conduct through treaties, the NPT is utterly vulnerable: should Iran build the bomb, so would Egypt and Saudi-Arabia want to do it; and after Monday’s explosion in northern North Korea , Japan too!

Indeed, the result of the non-proliferations efforts turns up being, one more time, the common place of modern international justice-making: after the brief flourishing of an assumed “better world” during the post-Cold War era, at the dawn of 2006 Planet Earth proves to be an extremely dangerous place to live in. Atomic weapon proliferation is on the run.

And there is not much to wonder about this. The world has in fact been giving everyone on “the dark side” enough reasons for grabbing the stew-pots of atomic madness.

The NPT is certainly a funny working artifice. Founded upon the idea of a fair negotiation, it declares the existence of only five atomic-powers, being these the five permanent Security Council members. The rest of the world, according to it, resigns to atomic armament by signing in, but obtains the right of using nuclear energy for civilized purposes with the approval and supervision of the International Atomic Energy Agency (IAEA). Additionally, the Treaty contains a sort of promise of the atomic-powers to slowly shut down their atomic-arsenals.

But nothing of the sort has happened. Neither nuclear energy has been used properly by undersigning nations; nor the five atomic-powers have even showed the willingness to start dismantling their atomic-arsenals (45 000 declared warheads are still intact); nor all NPT-signing countries are trustworthy (and not only Iran is being meant here); nor all NPT-signing countries must obey the Treaty: they can simply jump out of the philanthropic caravan back into the unruly jungle of illegality, and produce the bomb. It’s as simple as that.

With its depart from NPT on 10th April 1993 (after years of great diplomatic efforts) North Korea, an infamous communist dictatorship still existing in a globalized 21th Century world, stepped out into the jungle—and today, it has enough plutonium for producing at least nine serviceable warheads. North Korea has become a world-power, literally, from one day to the other.

IAEA’s Director General, Mohammed ElBaradei, is right by saying that the reported nuclear test threatens the nuclear non-proliferation regime and that it creates serious security challenges for the international community. If Dictator Kim Jong Il does have the nuclear weapons he alleges to possess, he could proliferate atomic weaponry and atomic know-how to underground organizations, while at the same time obtaining enough money from these deals in order to survive the punishments already heralded by the international community. Hell of a stunt.

But if North Korea’s trick works out and the dictatorship subsists the wide-spread reactions against it’s atomic-power, I mean, if North Korea consolidates as a world-menacing power in the Far East, then the world did change last Monday. Thomas Friedman’s tremor facing the possibility of “a nuclear Asia, a nuclear Middle East and a disintegrating Iraq in the heart of the Arab world, with its destabilizing impact on oil prices and terrorism” might turn to be truth in the forthcoming years. And that day me too, I’d then like having the bomb!