Filme mit Gefühl. Regisseurin Noémi Lvovsky im Gespräch mit Caroline Elias und Thomas Weber, 19.12.05

 

Wie haben Sie ihren ersten Film finanziert?

Bei meinem ersten Film hatte ich unglaubliches Glück. Ich konnte ihn ohne Exposé und Drehbuch beginnen, was wirklich selten ist. Ich hatte vorher einen Kurzfilm gedreht, der auf zahlreichen Festivals gelaufen war und großen Anklang gefunden hatte. Es war ein unglaublicher Zufall: Einmal wurde direkt davor ein Film von Jean-Luc Godard gezeigt, den ich nicht kannte und den ich im Übrigen bis heute nicht kenne. Er meinen Kurzfilm gesehen, sprach mit seinem Produzenten und empfahl ihm, diesen Film zu produzieren. Der Produzent sah sich den Film an und wollte mich kennen lernen. Da war ich noch an der Schule, in der Drehbuchklasse, und ich war überhaupt noch nicht sicher, ob ich selber drehen will, und in diesem Moment kam der Produzent und fragte mich, ob er meinen ersten Spielfilm produzieren dürfte. Das war eine enorme Chance, denn ich war noch recht jung, gerade 25. Hinzu kam, dass Jean-Luc Godard sich für den Film einsetzte, was ihm ein großes Gewicht verlieh.

Gab es bei diesem Film nie größere Differenzen zwischen Ihnen, der jungen Filmemacherin, und einem Vertreter der Nouvelle Vague?

Natürlich gab es die, denn die Filmemacher der Nouvelle Vague sind eine spezielle Generation. Man kann sie mit uns überhaupt nicht vergleichen. Es gibt in Frankreich viele Filmemacher und Produzenten, die die Nouvelle Vague nicht mögen – aber das ist nicht mein Fall. Ich erkenne bei den Vertretern der Nouvelle Vague viel wieder, also bei François Truffaut, Godard oder Rohmer.

Wie war die Resonanz auf Ihre Filme in Frankreich?

Meine ersten beiden Filme wurden sehr gut aufgenommen von der Kritik, dadurch hatten sie auch ein größeres Publikum, aber ich habe nie einen Produzenten kennen gelernt, der allein wegen mir Geld verdient hätte. Aber mein Film war das, was die Produzenten einen „populären Erfolg“ nennen.

Gab es auch kritische Stimmen?

Ja, sicher. Nicht direkt, aber natürlich gab es so etwas. Die Kritik mag es ja, einem Etiketten aufzukleben und auf einmal wird man darüber definiert, dass der Film 1,3 Mio. Zuschauer hatte, trotzdem er noch ein Autorenfilm ist.

Haben Sie eine besondere Arbeitsweise?

Ich weiß nicht, ob es da eine bestimmte Arbeitsweise gibt. Auf jeden Fall, brauche ich immer viel Zeit für Proben mit den Schauspielern. Solange wie möglich, zwei, drei Monate, im Durchschnitt zwei bis drei Stunden am Tag besprechen und wiederholen wir die Szenen. Und das sind Wiederholungen am Tisch, d.h. wir lesen das Drehbuch immer wieder und sprechen darüber. Das ist eine Art, es kennen zu lernen und uns kennen zu lernen. Beim Dreh selbst kann man dann viel spontaner arbeiten. Ich erwarte von den Schauspielern, dass sie mir etwas anbieten für die Szene. Ich dirigiere sie ein wenig und ich schaue mir das mit dem Kameramann an. Und dann entscheiden der Kameramann und ich, wie wir die Szene aufnehmen und schneiden werden.

Wie bringen Sie die Emotionen der Figuren zum Ausdruck?

Nun, man muss den Zustand der Figur und den der Szene zusammenbringen. Wenn man während der Vorbereitungsphase über Gefühle spricht, kann man sie analysieren, man kann versuchen, sie zu verstehen. Am Set aber geht es nicht mehr darum, zu analysieren, sondern dann ist es nötig, sich in diesen Zustand zu versetzen. Also spreche ich mit den Schauspielern über ihre Gefühle, aber ohne große Worte zu machen, das können eher Gesten sein. Das ist eine sehr körperliche Arbeit!

Welche Rolle spielt die Musik in Ihren Arbeiten?

Musik war immer sehr wichtig für mich. Sie ist meist mit den Figuren verbunden. Ich habe oft Figuren, die gerne tanzen oder singen. Oder ich setze einen Chor ein wie z.B. in Les Sentiments.

Das Gespräch führten Caroline Elias und Dr. Thomas Weber am 3.5.2005 in Babelsberg im Rahmen der Reihe „Mit Frankreich am Set“. Danke an HFF, Institut Français, Mediaoffice und das MAE. Übersetzung: Dörte Richter

Les Sentiments, Frankreich 2003. 90 Min. Regie: Noemi Lvovsky. Buch: Noemi Lvovsky, Florence Seyvos. Darsteller: Nathalie Baye, Jean-Pierre Bacri, Isabelle Carré u.a.