von Leif Allendorf
Heinrich von Kleist erlebte – zeitgleich mit Friedrich Nietzsche – in den achtziger Jahren eine Renaissance. Dann wurde es wieder etwas ruhig um ihn, ehe in jüngerer Zeit eine Reihe von Untersuchungen erschien. So schaffte Jens Bisky endlich das Gerücht von Kleists vermeintlicher Homosexualität aus der Welt, indem er darauf hinwies, dass es „schwul“ im Preußenadel des 19. Jahrhunderts nicht gab.
Das bei Metzler erschienene Handbuch nimmt sich den Dichter nun systematisch von allen Seiten vor. Die Lebensgeschichte wird knapp gehalten, über sie kann man sich in jeder Biografie informieren. Den Großteil des 500-seitigen Bandes nimmt die Analyse des Werks ein, die unter allen möglichen Aspekten erfolgt. So folgt auf die ausführliche Darstellung und Deutung der Dramen, Novellen und sonstigen Schriften eine Untersuchung, wie jede Epoche von der Antike über die Aufklärung und die zu Kleists Lebzeiten aktuelle romantische Bewegung auf Autor und Schriften gewirkt – oder eben nicht gewirkt hat. Von Kleists freiem Umgang mit der Historie beispielsweise zeugt das Geschichtsbild seiner Dramen: Das Stauferreich wird in der „Herrmannsschlacht“ in die Zeit der römischen Antike verlegt, bei „Michael Kohlhaas“ herrscht noch im 16. Jahrhundert das mittelalterliche Fehdewesen. Auf knappstem Raum finden sich brillante Interpretationen wie die des Gedichts „Der Schrecken im Bade“. Von den unzähligen Aspekten, die folgen, seien nur ein halbes Dutzend willkürlich herausgegriffen: Adelskultur, Bildende Kunst und Rhetorik, Erkenntnis, Natur und Staat. Souverän werden aktuelle und neumodische Forschungsansätze geprüft: Psychoanalyse, Dekonstruktion, Medienwissenschaft.
Interessant ist auch die Rezeptionsgeschichte des Kleistschen Oevres aufgearbeitet. Die Wirkung in Deutschland steht in einem so krassen Missverhältnis zur quasi Nichtbeachtung im Ausland, dass man sich trefflich fragen kann, wie ein Dichter so „deutsch“ sein kann, dass er nicht exportierbar ist.
Das von Ingo Breuer mitverfasste und betreute Kleist-Handbuch ist eine unerschöpfliche Quelle von Informationen und Anregungen und wird auf absehbare Zeit das unentbehrliche Standardwerk zu diesem Thema sein.