„Schatten der Vergangenheit“: Schöne Frauen in langweilig verwirrendem Psychodrama

Besprochen von Juliane Besch

  • Don’t look back – Schatten der Vergangenheit, (Original-Titel: Ne te retourne pas), Regie: Marina de Van, Produktion: Frankreich 2009, Laufzeit: 106 Minuten.

Jeanne (gespielt von Sophie Marceau) lebt in einer perfekten Pariser Familienidylle. Als sie beginnt, nach den Gründen für ihre fehlenden Erinnerungen aus der frühen Kindheit zu suchen, nimmt das Drama seinen Lauf: Sie fängt an, ihre Umgebung und sich selbst verändert wahrzunehmen. Ihre Mutter, ihr Mann und ihre Kinder sehen plötzlich völlig anders aus und auch die Wohnung scheint nicht mehr die alte zu sein.

Der Blick in den Spiegel wird für Jeanne zum Schockerlebnis. Es scheint sich eine Parallelwelt aufzutun. Zunehmend verzweifelt sucht sie Hilfe in der Psychiatrie – jedoch vergeblich. Auf der Suche nach ihrer Vergangenheit reist sie nach Italien. Dort wird sie mit ihrem Kindheitstrauma, einem schweren Autounfall, bei dem ihre Freundin stirbt, konfrontiert, und es gelingt ihr schließlich die Aussöhnung mit dem erlebten Leid. Jeanne kann sich endlich innerlich von der Getöteten trennen und befreit von psychischen Problemen weiterleben.

Die beiden Darstellerinnen, Sophie Marceau und Monica Bellucci, sind ohne Frage eine Augenweide. Auch das Thema der Traumabewältigung ist an sich nicht uninteressant. Zu Beginn nimmt einen die Verzweiflung angesichts der sich verschiebenden Wahrnehmung auch mit. Man fühlt sich wie in einem dieser Albräume, in denen sich die vermeintlich heimatliche Haustür als die einer anderen Familie erweist. Leider wirken die in die Gesichter hineingemorphten fremden Augen kaum gruselig, da sie einfach zu unecht aussehen. Bis auf eine kleine Irritation am Anfang gibt der Effekt nicht viel her. Ab jetzt sieht man Jeanne beim Leiden zu, ohne selbst betroffen zu sein. Der Höhepunkt dieser misslungenen Darstellung einer Metamorphose bildet das skurril wabernde fremde Gesicht (von Monica Bellucci) in Jeannes eigenem. Das erinnert an mittelmäßige Horrorfilme und wirkt hier eher albern.

Innerhalb der Geschichte erscheinen mehrere Aspekte unplausibel, wie zum Beispiel die Tatsache, dass der Psychiater, den Jeanne am Anfang ihrer Erkrankung aufsucht, die offensichtlich schwer verstörte Frau einfach wieder nach Hause schickt. Zudem bleibt die psychische Genesung irgendwie wenig nachvollziehbar. Die Erinnerung an den Unfall selbst scheint Jeanne am Ende zu genügen, um zu heilen.

Insgesamt ist „Schatten der Vergangenheit“ ein Film, den man sich anschauen kann, wenn einem halbgare Metamorphosen zwischen zwei Frauen und die Idee psychischen Wahnsinns ausreichen. Alle, die mehr wollen, werden sich nach spätestens der Hälfte des Films langweilen, da man dann verstanden hat, worauf die Geschichte hinausläuft. Man wartet nur noch ab, bis die Hauptdarstellerin es auch endlich versteht.

 

„Le Havre“ – Flache Geschichte, schöne Bilder

Besprochen von Juliane Besch

  • Le Havre, Regie und Drehbuch: Aki Kaurismäki, Produktion: Finnland, Frankreich, Deutschland 2011, Laufzeit: 93 Minuten.

In der französischen Hafenstadt Le Havre lebt ein älteres Ehepaar, Marcel und Arletty, mit dem Hund Laika in einem kleinen Haus. Marcel verdient Geld, indem er Schuhe putzt, seine Frau kümmert sich um den Haushalt. Als ein Schiffscontainer mit illegalen Einwanderern entdeckt wird, kann Idrissa, ein schwarzer Junge, fliehen und trifft im Hafen zufällig auf Marcel. Während sich dieser um ihn kümmert – ihn bei sich wohnen lässt und seinen Großvater in England ausfindig macht – liegt Arletty mit einer schweren Krankheit im Krankenhaus. Um Idrissas Fahrt nach England zu finanzieren, veranstalten Marcels Nachbarn ein Konzert. Der Junge entgeht mit ihrer Hilfe den Denunziationen eines anderen Nachbarn. Der Kommissar – eigentlich mit der Ergreifung beauftragt – deckt Idrissa in seinem Versteck auf einem Fischkutter, der ihn nach England bringen soll, als ihn Polizisten suchen. Derweil gesundet Arletty im Krankenhaus wie durch ein Wunder. Mit Marcel kehrt sie in ihr kleines Haus zurück.

Was eine spannende Geschichte über Flüchtlingspolitik und menschliche Solidarität sein könnte, entpuppt sich als eine Art ruhiges Erwachsenenmärchen in altmodischer Requisite.  Wer eine absolut plausible und vielleicht sogar politisch anspruchsvolle Geschichte sucht, wird enttäuscht werden. Dass Arletty erst schwer krank ist und dann plötzlich gesundet, ist genauso unrealistisch wie die selbstverständliche Hilfe der Nachbarn, Idrissa zu verstecken. Dass es Marcel problemlos gelingt, über andere Flüchtlinge Idrissas Großvater in England zu finden, erscheint mit dem Wissen über reale europäische Flüchtlingspolitik naiv. Es sind diese wundersamen Wendungen, die die Geschichte zu einem Märchen werden lassen: wichtiger als Plausibilität ist die symbolische Kraft der Ereignisse. Arlettys spontane Gesundung am Ende des Films mag unrealistisch sein – sie steht als Symbol für die Überwindung aller Probleme.

Die Charaktere selbst wirken wie Karikaturen. Der Kommissar ist das Klischee eines französischen Polizisten der 70er Jahre, auch sein Peugeot ist stilecht. Zudem werden die Motive und Emotionen der Figuren wenn überhaupt dann metaphorisch gezeigt. So ist der Kommissar von einer Ananas genauso überfordert wie von Idrissa. Warum Marcel den Flüchtlingsjungen überhaupt aufnimmt und warum der Polizist den Jungen dann fliehen lässt, bleiben unklar. Wer tiefere Einsichten in menschliches Handeln sucht, sucht sie in diesem Film vergeblich.

Aber es gelingt Kaurismäki, mit minimalen Mitteln Spannung aufzubauen. Sehr eindrucksvoll sind beispielsweise die Gesichter der Flüchtlinge, als die Tür des Containers geöffnet wird.

Was die Geschichte sympathisch macht, ist der Verzicht auf perfekte Schönheit und Erfolg á la Hollywood. Die Figuren sind alle älter und stehen eher am Rande der Gesellschaft: weder die Kneipenwirtin noch der Gemüsehändler, die Bäckerin oder Marcel haben es wirklich weit gebracht.

Interessant ist der Film, wenn schon nicht durch seine Story, durch Kaurismäkis Stilmittel. Durch sehr statische Bilder wirkt der Film fotografisch und bisweilen wie ein Theaterstück. Selbst in Momenten größter Bewegung, zum Beispiel wenn Idrissa vor der Polizei flieht, bleibt die Einstellung relativ ruhig. Außerdem spielt Kaurismäki intensiv mit Farben, so erscheinen fast alle Räume in Blaugrau, kontrastiert mit dem Gelb eines Kleides und einigen Tupfern Rot.

Insgesamt ist die Geschichte selbst keine Meisterleistung, denn sie erzählt nichts, was man nicht so oder besser wüsste. Wer aber ein eher künstlerisches Interesse am Film hat und sich trotzdem nicht mit einer allzu seichten Geschichte quälen will, ist mit „Le Havre“ gut bedient.