Eine verfehlte Kulturgeschichte des Begriffs Nachhaltigkeit

Besprochen von Christiane Wolf

Ulrich Grobers selbsterklärtes Ziel seines Buches „Die Entdeckung der Nachhaltigkeit“ ist „einen Schritt zurückzutreten: Aus der dabei gewonnen Distanz heraus Maß nehmen, Maßstäbe gewinnen, um die Gedankenwelt, den Begriff und das Wortfeld Nachhaltigkeit für sich selbst neu zu vermessen, seine Gravität, also seine Schwerkraft, aber auch seine Elastizität zu verstehen.“

Grober beschreibt zunächst theologische Vorstellungen des Mittelalter über die von Gott ständig erneuerte Natur, um dann die ersten Versuche nachhaltigen Handelns in der deutschen Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts zu verorten und im letzten Viertel des Buches einen Überblick über die wichtigsten Etappen der Diskussion in den letzten 50 Jahren zu geben.

Leider leistet Grober keinen Beitrag zur Klärung des Begriffes. Zu blumig und metaphorisch ist seine Sprache, die sich ständig in langen Beschreibungen verliert, und nicht von der Sprache der angeführten, oftmals literarischen Schriften von beispielsweise Schiller und Goethe unterscheidet.

Dazu kommt es regelmäßig zu krassen thematischen Sprüngen, so z.B. innerhalb einer halben Seite von Gospeltexten über Kreditkarten-Werbung, Habermas, den Terroranschlägen des 11. Septembers bis hin zur Bibel, sowie die immer wieder eingeschobenen pathetischen Schilderungen biographischer Sternstunden des Autors, der es sich nicht verkneifen kann, von seinem Erlebnis eines Auftritts der Band „The Doors“ in Frankfurt am Main zu berichten. Diese Vermengung einzelner Episoden aus den unterschiedlichsten Bereichen und Epochen führt sehr bald dazu, dass der Leser sozusagen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht und das eigentliche Thema völlig aus den Augen verliert.

Eine kulturgeschichtliche Betrachtung sollte enthierarchisieren und den Fokus auf bisher außer Beachtung gelassene Aspekte, auf das „Mikro“ in der Geschichte richten, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Grober hingegen bedient das Klischee der klugen Köpfe der deutschen Geschichte (Goethe, Schiller, Humboldt etc.) und stellt den Begriff „Nachhaltigkeit“ als eine individualistische Entwicklung im Denken der großen Dichter und Denker dar. In seinen vereinfachten Darstellungen erliegt er der Versuchung, rückblickend jede noch so beiläufige Erwähnung eines für ihn relevanten Begriffs als „Vorgriff“ auf erst 200 Jahre später entwickelte Konzepte zu betrachten.

Das Ganze geschieht in einer pseudo-wissenschaftlichen Schreibweise, die schon mit der irreführenden Wahl des Buchtitels beginnt, sich in den zahlreichen gar nicht oder ungenau nachgewiesenen Zitaten fortsetzt und in einer für den Leser frustrierend undurchsichtigen Argumentationsweise gipfelt. Bis zum Schluss bleiben die Erwartungen des kulturhistorisch interessierten Lesers unerfüllt und die Frustration erreicht tatsächlich ihren Höhepunkt im allerletzten Absatz, der mit der Plattitüde „Pflanzt mehr Bäume!“ zusammengefasst werden kann.

Grobers Fähigkeiten mögen ausreichen, um metaphysische Bücher über das Wandern und die spirituelle Rettung der Menschheit durch die Rückkehr zur Natur zu schreiben. Von Versuchen, wissenschaftliche Abhandlungen zu verfassen, sollte er in Zukunft aber besser Abstand nehmen.

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