Schmidt, Stefanie: Solaris in Neuhardenberg. Martin Wuttkes Theater-Inszenierung des Stanislaw Lem-Romans erfasst nicht die Komplexität des Originals, 21.02.05

  • Solaris. Theaterstück nach Stanislaw Lem. Textbearbeitung und Regie: Martin Wuttke. Mit Jeanne Balibar, Inga Busch, Fedja van Huêt, Christophe Kotanyi, Jörg Pohl und Volker Spengler. Premiere: 26.08.2004, Hangar, Flugplatz Neuhardenberg.

Adaptionen von Büchern sind nicht leicht. Ein futuristischer Roman wie Stanislaw Lems „Solaris“ stellt dabei eine besondere Herausforderung dar, der sich bereits Regisseurgrößen wie Steven Soderberg gestellt haben. Inwiefern Martin Wuttkes „Solaris“-Inszenierung gelungen ist, beschäftigte Stefanie Schmidt.

„Solaris ist ein kleiner Totentanz vor dem Hintergrund einer bedrohlich erscheinenden Vergangenheit in Form von aufdringlichen, leidenden und tobenden Wiedergängern – Unerlöste allesamt – und einer Zukunft in Form eines breiigen Ozeans, der sich jeder Erforschung entzieht – launisch und unberechenbar. Der Ort: eine ächzende Forschungsstation, vollgestopft mit unbrauchbarem, in Netzwerken zirkulierendem Wissen und fragmentarischen Geschichten über die Verletzlichkeit des Menschen. Die Schauplätze: allesamt Räume des Zwangs und der Unfreiheit; alles, was sich zur Simulation der Hölle eignet.”
Martin Wuttke

Martin Wuttkes Theater-Inszenierung von Solaris auf dem ehemaligen Flugplatz in Neuhardenberg hat nochmals – wie bereits vor zwei Jahren die Soderbergh-Verfilmung mit George Clooney oder der in den 70er Jahren produzierte Tarkowskj-Film – an den legendären Science-fiction-Roman zurückdenken lassen, den der polnische Philosoph und Schriftsteller Stanislaw Lem vor mehr als 40 Jahren verfasst hat.

Überbordende Spielfassung, die Textkenntnis voraussetzt

Obwohl inhaltlich der Versuch gemacht wird, sich an den Originaltext zu halten, tut man als Zuschauer gut daran, wenn nicht das Buch, so zumindest einen der beiden Filme zu kennen. Leider nämlich ist das Ergebnis der von Castorf geprägten modernen Inszenierung weniger ein besseres Verständnis des Textes, als vielmehr eine überbordene Spielfassung, die in ihrer kausalen Logik kaum mehr nachvollziehbar ist, dafür aber zumindest visuelles Vergnügen verspricht. Die Dominanz des Optischen über das gesprochene Wort steht gleichzeitig in einem Missverhältnis zu der Schwere ambitioniert dozierter Fremdtexte: Neben Nietzsche und Heidegger, lässt Wuttke Brecht und Heine, ja sogar Goethes Mephisto – in Gestalt eines kleinen über die Wiese laufenden Hündchens – in seine Interpretation miteinfließen.

NVA-Fluggelände als Spielstätte

Dennoch erscheint der gewählte Ort für diese Geschichte mehr als passend: so kann man sich vom Hangar aus aufs weite Feld des ehemaligen NVA-Fluggeländes schauend, sehr gut vorstellen, man befände sich eben nicht mehr auf der Erde, sondern auf jener Raumstation auf Solaris, die zu Forschungszwecken dieses unbekannten plasma- und gallertartigen Ozeans gebaut wurde. Jahrzehntelange Versuche, Sinn und Zweck dieser lebendigen Materie zu erforschen – so die Story – sind erfolglos geblieben. Die Geschichte kreist nun um das Schicksal des Psychologen Kelvin (hier gespielt von dem Holländer Fedja van Hujet), der eines der letzten Forschungsteams auf dieser Raumstation retten soll.

Die Labors, in die sich die Wissenschaftler Snaut (Jörg Pohl) und Satorius (Christophe Kontanyi) verstört zurückgezogen haben, sind in Nina von Mechows Szenenbild kleine, an gläserne Gewächshäuser erinnernde Behausungen, die verloren in der Weite des Hangars oder des davor liegenden Flugfeldes herumstehen. Dort draußen steht auch ein seltsam unwirklicher Garten. Leser von Lems Buch werden sich erinnern, dass der Flieger Berton in seinem Bericht vor einer Kommission von jenem Garten spricht, der von den Strahlen des Ozeans aus seinen prägenden Erinnerungen herausdestilliert und in eine Scheinwirklichkeit versetzt worden ist.

Relativität von Moral und Erinnerung

Kaum dort angekommen, findet Kelvin Solaris und seine verbliebenen Besatzmitglieder in einem desolaten Zustand vor, deren mysteriöse Ursachen er erst mit der Zeit und anhand seiner Geschehnisse aufklären kann. Der denkende Ozean Solaris – der im Übrigen von Wuttke individualisiert wurde (Volker Spengler) – ist nämlich der Spiegel des menschlichen Bewusstseins und konfrontiert jedes einzelne Mitglied der Besatzung mit seinen am intensivsten gespeicherten Erinnerungen in Form von menschlicher Gestalt. Kelvins „Gast“ ist seine bereits vor 10 Jahren verstorbene Frau, die in Wuttkes Theaterstück – „um Verwirrungen vorzubeugen“ – von zwei Personen (Jeanne Balibar und Inga Busch) gespielt wird. Doch dem Text nach kann Kelvin – genauso wenig wie seine Kollegen – diese Gestalt nicht von der Erinnerung der wirklichen Harey unterscheiden: Eben weil sie weder Mensch, noch Kopie, sondern die materialisierte Realisierung seines Gedächtnisses ist. So kreist „Solaris“ primär um die Fragen der Relativität von Vergangenem und Zukünftigem, Moral und Erkenntnis, Schein und Sein, die Lem – wie auch Tarkowskj, der im übrigen für seine Verfilmung 1972 den Spezialpreis der Jury auf dem Filmfestival in Cannes erhielt – in seinem Buch zu größeren philosophischen Gedanken wie etwa der Unmöglichkeit des menschlichen Verstandes, letzte Erkenntnis zu erlangen, ausweitet.

Castorfsche Vermengung von Video und Theater

Während Lem in seinem Buch verstärkt auf den unsere Vorstellungskraft übersteigenden denkenden Ozean eingeht, wird dieses Thema von keiner Adaption in diesem Maße berücksichtigt. War die Tarkowskj-Verfilmung noch am stärksten dem ursprünglichen Text entlehnt, so konzentriert Soderbergh die gesamte Thematik der Solaris auf die an sich eher nebensächliche Liebesgeschichte mit George Clooney und Natascha McElhone. Wenn Wuttke auch im Vergleich Teilstücke des Buches aus dem Kontext reißt und hierbei genau das macht, wovor sich Lem gefürchtet hat – nämlich einer „Verhackstückelung“ seines Textes – , so reduziert er dennoch Solaris nicht allein auf eine „love-story in space“. Schon die gewählte castorfsche Präsentation der Vermengung von Video und Theater, lässt das Thema der Gegenüberstellung von Realität und Wahrnehmung auch zu dem des Zuschauers machen. Mit dem Verschwimmen der Konturen der Schauspieler hinter dem Plexiglas der Gewächshäuser stellt sich die Frage, welcher Abbildung man eher trauen soll: der der Leinwand oder der der Bühne.

Diese neuartige Technik, die sich seit einigen Jahren im modernen Theater trendartig ausbreitet, wird gleichsam von der Idee begleitet, Romanstoffe zu adaptieren. So wird etwa ein anderer Castorf-Schüler Sebastian Hartmann am Wiener Burgtheater Hermann Hesses Steppenwolf inszenieren, neben Friederike Heller mit der Blendung von Elias Canetti. In Meiningen wird man Schillers Romanfragment Der Geisterseher von Sebastian Baumgarten zu sehen bekommen, in Wiesbaden bald eine eigene Bühnenfassung des Nibelungenliedes und an der Berliner Volksbühne wieder einmal Dostojewski, diesmal Der Spieler, inszeniert von Johan Simons.

Das vermehrt kommende „Autorentheater“, in dem sich die Regisseure gerne als neue Stofferoberer sehen wollen, preferiert die Komplexität von Romanen. So erklärte Frank Castorf in der Süddeutschen Zeitung vom 06. September 2004, gerade Dostojewski löse bei ihm etwas Religiöses aus, wohingegen einfache Theaterstücke an ein zentrales Planungskomitee erinnerten. Angesichts der allgemeinen negativen Resonanz des Wuttkeschen Lem-Versuches jedoch bleibt es nicht aus, zu bekennen, dass komplexe Inhalte am besten noch der Literatur zu entnehmen sind.

 

Hinweise

Filme

  • Solaris. UDSSR 1972. 159 Min. Regie: Andrej Tarkowski. Kamera: Wadim Jusow. Mit Natalja Bondartschuk, Donatas Banionis, Nikolai Grinko.
  • Solaris. USA 2002. 98 Min. Regie und Buch: Steven Soderbergh. Produktion: Steven Soderbergh und James Cameron. Musik: Cliff Martinez. Mit George Clooney, Natascha McElhone, Jeremy Davies, Viola Davis,Ulrich Tukur.