Neumann, Miriam: Kopftuch und Geheimpolizei. Über Marjane Satrapis politischer Comic ‚Persepolis‘, 30.11.05

Wir haben ihren Geschichten – mehr oder weniger interessiert – zugehört. Nun ist es an der Zeit, den so genannten jungen deutschen Popliteraten und ihren noch seichteren Geschwistern, den Zonenkindern, die Tür zu weisen. In einer Zeit, in der unter dem Stichwort des Antiterrorkampfes täglich schwerste Verstöße gegen Grund- und Menschenrechte begangen werden und das Beherrschen der arabischen Sprache in Verbindung mit dem Tragen von Bart oder Kopftuch bereits als höchst verdächtig gelten kann, sollten wir junge Autoren zu Wort kommen lassen, deren Lebensweg einen Einblick in die Vielfalt islamischer Lebenswelten gewährt.

Marjane Satrapi, 1969 geboren und in Teheran aufgewachsen, hat im Jahr 2000 (Erscheinungsjahr der deutschsprachigen Ausgabe: 2004) den ersten Teil einer Comic-Autobiographie vorgelegt, in der sie anhand ihrer eigenen „kleinen“ eine wirklich große Geschichte erzählt. Motiviert wurde Satrapi dabei v.a. durch verschiedenste Vorurteile gegenüber ihrem Heimatland, die der Künstlerin in ihrer Wahlheimat Frankreich entgegenschlugen: „Ich musste pausenlos gegen Klischees und Vereinfachungen anreden. Eines Tages hatte ich dann das Bedürfnis, die letzten zwanzig Jahre, die Iran so gänzlich umgekrempelt haben, festzuhalten.“

Dieses Vorhaben ist ihr in der Tat eindrucksvoll gelungen. So schildert der erste Band mit dem Titel „Persepolis. Eine Kindheit im Iran“ in beinahe erdrückend schlichten Worten und Bildern die Ereignisse im Iran der frühen 1980er Jahre aus der Sicht der Zehn- bis Vierzehnjährigen Marjane. Als einziges Kind linksintellektueller Eltern aus dem gebildeten Mittelstand erlebt die zuweilen recht altkluge Marjane den Sturz des letzten Schahs, die islamische Revolution und den Krieg gegen den Irak mit. An die Hand genommen durch die Perspektive des wissbegierigen Kindes und aufbegehrenden Teenagers Marjane wird der Leser an eine schillernde iranische Gesellschaft herangeführt, die sich auch im scheinbar permanenten Ausnahmezustand, zwischen religiöser Repression, Krieg, materieller Not, politischer Unterdrückung, Indoktrination und Propaganda immer wieder Rückzugsnischen schafft und so eine gewisse Normalität zu bewahren versucht.

Eine schnörkellose Bildersprache

Wort- und Bildsprache Satrapis, die in Frankreich lange Zeit als Kinderbuchillustratorin arbeitete, sind schnörkellos, klar und einfach, ohne jemals vereinfachend zu sein, zutiefst berührend, ohne einseitig anklagend zu werden, von entwaffnendem Humor, wo man das Lachen erstorben glaubt. Wo die Künstlerin an die Grenzen ihrer Vermittlungsfähigkeit stößt, lässt sie bewusst Leerstellen: Bilder bleiben unkommentiert, jegliche abschließende Bildrahmung fehlt. Der Tod einer gleichaltrigen Spielkameradin wird in Wort und Bild nur als Möglichkeit angedeutet, dabei bildet eine vollständig schwarz ausgemalte Bildfläche mit der Unterschrift „Kein Schrei auf der Welt hätte mein Leid und meine Wut auszudrücken vermocht“ den einzigen (möglichen) Kommentar.

Nach den vielbeachteten MAUS-Comics des Künstlers Art Spiegelman hat Marjane Satrapi mit dem ersten Band ihrer Autobiographie einmal mehr gezeigt, wie viel Potential das Medium Comic im zutiefst empfindlichen Bereich der „kleinen und großen“ Geschichtsaufarbeitung entfalten kann.

Fortsetzung der Lebensgeschichte

Nachdem die deutschsprachige Ausgabe von „Persepolis. Eine Kindheit im Iran“ auf der Frankfurter Buchmesse 2004 als „Comic des Jahres“ ausgezeichnet wurde, liegt seit Anfang des Jahres mit „Persepolis. Jugendjahre“ (französisch 2002/03) endlich der zweite Band ihrer bewegenden Autobiographie vor. Zwischen Wien und Teheran, Kommune und Kopftuch, der offiziellen iranischen Selbstdarstellung und dem „wirklichen Leben der Menschen, das hinter den Mauern stattfand“ lässt Satrapi den Leser erneut in gekonnter Zurücknahme der Ausdrucksmittel an den Höhen und Tiefen ihres Lebens und Heranwachsens teilhaben. Obwohl auch der zweite Teil der Comic-Autobiographie eine übersichtliche Kapiteleinteilung aufweist, ist es schlichtweg unmöglich, Satrapis Lebensgeschichte in Etappen zu lesen. Die kleine große Erzählung Persepolis zieht den Leser schnell in ihren Bann und lässt ihn nur langsam wieder los. Es bleibt zu hoffen, dass Satrapi uns auch weiterhin an ihrem Leben und Fühlen teilhaben lässt und ihr Vorhaben Beifall, Nachahmung und Weiterentwicklung erfährt. In jedem Fall werden wir all denen, die in dieser Zeit tatsächlich etwas zu erzählen haben, Herz und Ohr weit öffnen.

Hinweise

Allendorf, Leif: Noch mehr Dampf im Kessel. Die Islamische Republik Iran nach der Präsidentschaftswahl 2005, 07.07.05

Immer wieder ist der Iran in aller Munde. Wirtschaftlich gesehen ein 3.-Welt-Land. Politisch und militärisch betrachtet jedoch spätestens seit der Wahl Mahmud Ahmadinedjads eine ernstzunehmende Größe. Leif Allendorf in einem Rückblick zur Präsidentschaftswahl von 2005.

Die Erfahrung, dass Wahlen heutzutage nicht gewonnen, sondern verloren werden, scheint der Iran bei der soeben entschiedenen Kür des Staatspräsident gemacht zu haben. Als “unvorstellbar unbeliebt” bezeichnete Rudolph Chimelli, Pariser Korrespondent der “Süddeutschen Zeitung”, den unterlegenen Kandidaten Akbar Haschemi Rafsanjani. Auf einer Podiumsdiskussion der Grünen-nahen “Heinrich-Böll-Stiftung” in Berlin am 5. Juli äußerte der Journalist sein Unverständnis darüber, “wie der auf die Idee kommen konnte, sich zur Wahl zu stellen”.

Diese Einschätzung teilte auf der gleichen Veranstaltung Farah Karimi, die für die Grünen im niederländischen Parlament in Den Haag sitzt. Rafsanjani, einer der reichsten Männer des Landes, stehe für alles, was bei der Bevölkerung derzeit unbeliebt ist: Korruption, Vetternwirtschaft, Verlogenheit.

Ein Verlegenheitskandidat wird Sieger

Dies warf die Frage auf, wie es denn um den Gewinner der Wahl, Mahmud Ahmedinedjad, stehe. Dieser gilt als fundamentalistischer Hardliner. Ob die Gangart des Regimes nun allerdings schärfer wird, bezweifelte Chimelli: “Die neuen Machthaber werden sich hüten, die Leute unnötig zu verärgern.” Die kleinen Erleichterungen, die der gemäßigte Präsident Chatami in den acht Jahren seiner Amtszeit dem übermächtigen Klerus abzuringen vermochte, seien kaum rückgängig zu machen. Etwas differenzierter sah dies Farah Karimi. Sie rechnet mit einer leichten Verbesserung der sozialen Zustände. Schließlich seien es die “Barfüßigen”, die Armen, die wie schon bei Chomeneis Revolution 1979 die Machtfrage entschieden hätten. Allerdings rechnet die Abgeordnete mit weiteren Repressionen gegen die Meinungsfreiheit.

Einig waren sich beide, dass es sich bei Ahmedinedschad um einen Verlegenheitskandidaten handle, der “im letzten Moment aus dem Hut gezaubert wurde”. Die Konservativen hätten damit neben der vor einem Jahr errungenen Parlamentsmehrheit nun auch die Exekutive zurückgewonnen.

Eine Alternative fehlt

Über die Zukunft des Landes will sich Rudolph Chimelli keine Illusionen machen. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs habe bislang jede iranische Regierung auf nichts anderes als auf den Erlös des Erdöls gesetzt – mit fatalen Konsequenzen für die Wirtschaft des Landes. Da klinge es besonders beunruhigend, wenn der Wahlsieger verkündete, dieses Geld solle künftig “auf den Tellern sichtbar sein”. Farah Karimi erinnerte daran, dass der drittplatzierte Kandidat des ersten Wahldurchgangs, Mehdi Karrubi, fünf Millionen Stimmen gewinnen konnte. Sein gesamtes Wahlprogramm bestand darin, jedem Volljährigen im Monat umgerechnet 50 Euro zu versprechen.

Leute wie er sowie der gescheiterte Kandidat der Reformer, Mostafa Moin, sind es, die nun die Opposition stellen werden. Beide kündigten dier Gründung einer Partei an. Chimelli glaubt allerdings, dass beide nicht in der Lage sind, einer charismatischen Figur wie dem Religionsführer Chamenei etwas entgegen zu setzen. Auch Farah Karimi hofft eher auf die im Iran sehr aktive Frauenbewegung, die es geschafft habe, neben der gebildeten Oberschicht auch andere Teile der Bevölkerung zu gewinnen.

Streit um die absolute Herrschaft der Geistlichkeit

In seinem monatlich erscheinenden “Iran-Report” hält der in Berlin lebende Autor Bahman Nirumand an der Hoffnung fest, die zersplitterte oppositionelle Szene könnte sich einigen und das Land reformieren. So fand der Aufruf des Reformers Moin zur Bildung einer “Front für Demokratie und Menschenrechte” Anklang bei Vertretern der so genannten “National-Religiösen”, die sich für Änderungen im Rahmen der geltenden iranischen Verfassung einsetzen. Stärker laizistisch orientierte Kreise aber sehen in der Abschaffung der absoluten Herrschaft der Geistlichkeit die Grundvoraussetzung für eine Modernisierung des Landes. Sie sind von einer Beteiligung an der “Front” von vorneherein ausgeschlossen. Die kommenden Monate werden zeigen, welche der beiden Strömungen in der politischen Landschaft des Iran größeren Einfluss haben. Denn dass sich angesichts der anhaltenden Verarmung der Bevölkerung – 50 Prozent untrer der Armutsgrenze und einer offiziellen Arbeitslosenquote von 15 Prozent – etwas ändern muss, darin sind sich alle Beobachter einig.