von Michael Tillmann
- COHEN, Daniel: Trois leçons sur la société post-industrielle. Seuil/ Republique des Idées, Paris 2006. ISBN 978-2020851701.
Der französische Wirtschaftswissenschaftler Daniel Cohen ist auch in Deutschland kein Unbekannter. Einige seiner Bücher über sein Steckenpferd – die Globalisierung – sind bereits bei Campus und der Europäischen Verlagsanstalt auf Deutsch erschienen. Der Autor beherrscht in der Tat die seltene und schätzenswerte Kunst, selbst komplexe wirtschaftliche Themen in verständlicher Form einem breiten Publikum näher zu bringen. Dabei bleibt er letztlich stets einem aufklärerischen Ziel verbunden: Ihm geht es um ein besseres Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge. Gerade sein Buch über die Globalisierung und seine Feinde ist hierfür ein gutes Beispiel[1].
Auch bei den drei „Unterrichtseinheiten zur postindustriellen Gesellschaft“, die Daniel Cohen in gedrängter Form auf knapp 100 Seiten in der Reihe der République des Idées vorlegt, drückt man mit großem Vergnügen die Schulbank. So erfährt man etwa, dass die postindustrielle Gesellschaft sich durch fünf Brüche definieren lässt, d.h. durch eine technologische Revolution, eine gesellschaftliche Revolution der Arbeitsorganisation, eine kulturelle Revolution mit individualistischer Stoßrichtung (Mai 1968), eine Revolution der oder besser: durch die Finanzmärkte und schließlich die Globalisierung. Man reibt sich verwundert die Augen, wenn man liest, dass der Arbeiter, der ein Paar Turnschuhe der Marke Nike herstellt, dafür einen Hungerlohn von 2,75 Dollar erhält, dass die komplette, rein materielle Produktion dieser modischen Schuhbekleidung gerade einmal bei 16 Dollar liegt, dass die Kosten sich verdoppeln, um das materielle Produkt mittels gezielter Werbestrategien in eine soziales Objekt (der Begierde) zu verwandeln und dass der verbleibende finanzielle Aufwand auf den Vertrieb entfällt. An diesem Beispiel veranschaulicht Cohen sodann ein charakteristisches Element der zweiten Globalisierung, d.h. die Konzentration der Wirtschaften in den reichen Ländern auf Konzeption und Vertrieb, während die materielle Herstellung den ärmeren Staaten überlassen wird.
Nicht minder erhellend sind Cohens Ausführungen zur demographischen Entwicklung weltweit. Obwohl der Planet nach Vorausberechnungen 2050 neun Milliarden Erdenbürger zählen wird, hat in den meisten Ländern schon ein demographischer Wandel mit sinkenden Geburtenraten eingesetzt. Dieser Wandel lässt sich offenbar mit dem globalisierten, d.h. über das Fernsehen weltweit verbreiteten Stereotyp der westlichen Frau erklären, dem auch in den peripheren Regionen der Welt nachgeeifert wird. Spannend liest sich auch, was Daniel Cohen in der dritten Unterrichtseinheit zur Frage der Existenz eines europäischen Sozialmodells zu sagen hat und den technologischen Rückstand der EU-Länder gegenüber dem Marktführer Vereinigte Staaten auf dem Weg in die Informations- und Wissensgesellschaft. In jedem Fall findet der an wirtschaftlichen Entwicklungen interessierte Leser auf wenig Raum eine Unmenge von Fakten und anschaulichen Deutungen, die der Autor zwar schon an anderer Stelle zum Teil detaillierter vorgelegt hat, die aber einen kompakten Einstieg in das Thema der Globalisierung ermöglichen.
© passerelle.de, Oktober 2006
- Daniel Cohen (2004): La mondialisation et ses ennemis. Paris: Grasset 2004.↵