Richter, Dörte: Leben auf der Durchfahrtstraße. Über ‚Yella‘ von Christian Petzold, 28.01.08

Ein Mann und eine Frau. Ein Anfang, der ein Ende ist und dazwischen eine Geschichte. Eine Geschichte, die im Hier und Jetzt spielt, zugleich im Innen und Außen, in der Vergangenheit und in der Zukunft und der auf eigentümliche Weise eine Gegenwart fehlt, obwohl sie nichts anderes als Alltag zu erzählen scheint.

Auf den ersten Blick ist Christian Petzolds neuer Film Yella die Geschichte einer Frau, die aufbricht, die kleine ostdeutsche Stadt Wittenberge verlässt, um im Westen, in Hannover, ihr Glück zu versuchen. Sie lässt einen Vater zurück und einen Ehemann mit Schulden. Sie geht weg, und da, wo sie hinwill, kommt sie nie an. Die Firma, die sie einstellen soll, ist pleite, ihr Leben im Hotelzimmer trostlos. Ein Hoffnungsschimmer ist die Begegnung mit Philipp, dem Banker, der seinen Kunden für viel Geld Patentrechte abkauft. Er bietet ihr an, in sein Geschäft miteinzusteigen, Yella stimmt zu und gemeinsam bilden sie ein betrügerisches Duo. Sie verlieben sich ineinander und doch ist am Ende alles wie vorher, nur noch schlimmer.

So könnte man, wenn man es wollte, den Film schildern und käme doch nur einem Bruchteil des erzählten Stoffes nahe. Vielmehr als die Geschichte einer Flucht aus einem vergangenen Leben in die Hoffnung auf ein Neues, ist Yella ein hochintelligenter Film, der bis zum Äußersten die Wahrnehmungsgrenzen und Aufnahmefähigkeit des Publikums austestet. Christian Petzold ist ein Experte auf dem Gebiet der Darstellung des Unbewussten und wie kein anderer deutscher Regisseur bedient er sich dabei mit präziser Sicherheit des Mediums Film. So gelingt es ihm bei gleichzeitig stringenter Erzählweise, die Spannung dadurch zu forcieren, dass die Zuschauer bis zum Schluss im Unklaren gelassen werden. Er fordert die Aufmerksamkeit des Publikums in hohem Maße heraus, verwirrt, zitiert und verweist auf Verknüpfungen. Damit zwingt er das Publikum in die Zeugenschaft und zu der Erkenntnis, dass sich unter der Oberfläche der gesehenen Bilder eine zweite, entsetzliche und ganz und gar andere Geschichte verbirgt.

Im gern auftrumpfenden, zuweilen tönenden deutschen Kino gehört Christian Petzold zu den stillen Erzählern. Ihm gelingt, was sonst nur der französische Film auf faszinierende Weise immer wieder neu hervorbringt – die Darstellung des Alltäglichen, Immerwiederkehrenden, der Rituale und Abläufe, in die jeder Mensch auf ganz unterschiedliche Weise eingebunden ist. Zugleich offenbart er die Lücken und Zwischenräume eines auf den ersten Blick so gewöhnlich erscheinenden Alltags. Sind die Szenen in jener Stadt, die Yella zu verlassen gedenkt, von sonnenbeschienener Leere geprägt, so steht Hannover, die Stadt, in die sie vor dieser Eintönigkeit flieht, für das Durchschnittsmaß deutscher Städte ohne eigenes Profil. Es könnte auch Düsseldorf sein, oder Delmenhorst. Aufnahme folgt auf Aufnahme, in denen nichts weiter als spiegelverglaste Fassaden unterschiedlicher Büro- und Hoteltürme zu sehen sind. Dahinter geht das Spiel weiter. Das Fassadenhafte verlagert sich nach innen, in die Menschen, die in durchschaubarer Verabredung von Gesten und Handlungen ihr Überleben zu sichern versuchen. Ein riskantes Spiel mit mehrfacher Doppelbödigkeit, in dem es um Existenielles geht: Austauschbarkeit oder Individualität.

Dieser Film ist nach Toter Mann (2001) und Wolfsburg (2003) die nunmehr dritte Zusammenarbeit von Christian Petzold und Nina Hoss, die dafür im Februar auf der Berlinale den Silbenen Bären als „Beste Darstellerin“ erhielt; eine vierte, der Film „Jerichow“, soll folgen. Diese Zusammenarbeit gehört zu den glücklichsten überhaupt im aktuellen deutschen Film, was möglicherweise daran liegt, dass der Zugang zu einem Stoff und der daraus zu erzählenden Geschichte von Regisseur und Hauptdarstellerin auf erstaunlich ähnliche Weise gesucht und gefunden wird. Nina Hoss, man muss es so sagen, gehört auf der Theaterbühne wie im Film zu den präzisesten Schauspielerinnen, die es gibt. Ihr ist es möglich, eine Figur so hochkonzentriert zu spielen, dass diese im selben Moment ein Gefühl und sein Gegenteil verkörpert. So fremd wie ihr Name bleibt uns ihre Yella, und doch vermag man ihr Handeln nachzuvollziehen, weil Nina Hoss die Wahrhaftigkeit der Widersprüche ihrer Figur darzustellen weiß. Wer ist diese Yella? Eine Frau von Anfang dreißig, mit noch ausreichender Kraft für einen Neubeginn, zugleich belastet von Erfahrungen und Schuld, ruhelos und abgebrüht zugleich, in ihrer Präsenz einschüchternd und hilfsbedürftig.

Doch will der Film diese Frage überhaupt beantworten? Mehr als alles andere fungiert Yella als filmisches Prinzip der Abwege und Störungen. Der Zuschauer wird aufgefordert, ihrer kaleidoskopartigen Persönlichkeit nachzugehen und damit zugleich den Film in seinem Kopf Stück für Stück zusammenzusetzen. Hinweise bekommt er zuhauf geliefert, nur offenbaren diese sich als solche erst in der Rückschau. Woher hat Yella diese enorme sensitive Fähigkeit, Dinge wahrzunehmen, die kein anderer bemerkt? Was löst sie in der Begegnung mit anderen Menschen aus, was wird in ihr erkannt? Woher diese eigentümliche Nähe zum Wasser? Das Leben, in das sie hinein gerät, ist eines voller Ruhelosigkeit, verbracht in Zügen und auf langen Autofahrten, in Sitzungsräumen und Hotelzimmern. Ein Leben dazwischen, einer Zeit und einem Ort eigentümlich enthoben. Folgt man den zahlreich verwendeten Metaphern in diesem Film, erzählt er die Tatsache, dass kein Alltag ohne Vergangenheit zu erleben ist, dass Gefühle aus früheren Zeiten ein Weggehen verhindern können, dass Schuld – reale oder projizierte – jemanden bis an den Rand des Wahnsinns zu treiben vermag.

Zwischenwelten oder miteinander verschränkte Wahrnehmungs- und Realitätsebenen sind von Beginn an Themen der Filme von Christian Petzold. In Die innere Sicherheit dringt die reale Welt der neunziger Jahre massiv in die selbstgezimmerte Autonomie eines seit 15 Jahren im Untergrund lebenden Terroristenpärchens. Die Konfliktverschärfung und der unaufhaltsame Zusammenprall innerer und äußerer Lebenswelt personfiziert sich in der von Julia Hummer dargestellten pubertierenden Tochter, dem, neben den altgedienten und schal gewordenen Überzeugungen, so offensichtlich realen Überbleibsel einer anderen Zeit. In seinem vorletzten Film Gespenster verschränkt Petzold das Leben einer Mutter, die ihre Tochter als Kleinkind verlor, mit dem Leben eines halbwüchsigen Mädchens, das ihre Tochter sein könnte. Zwei Geschichten, die zusammenpassen könnten und es am Ende nicht tun. Beide Figuren sind füreinander, was sie nicht sein können – Bedrohung und Stütze zugleich.

Christian Petzold lockt auf Fährten, lässt den Zuschauer die Hoffnungskeime seiner Figuren ebenso erspüren wie die darauffolgenden Enttäuschungen und verfällt doch niemals in ein larmoyantes Erzählen.Die wahrgenommenen Zwischenwelten seiner Figuren sind Wunschorte, die aus dem Unvermögen, die Realität so wahrzunehmen wie sie ist, resultieren. Dieses Unvermögen, zugleich als Begabung erzählt, durchzieht als Thema seine Filme, ebenso wie ein erfreulich wiederkehrendes und doch jeweils ganz andere Figuren verkörperndes Schauspielensemble, das selbst die kleinste Nebenrolle hochkarätig ausfüllt. Herausragend Devid Striesow als Philipp und Hinnerk Schönemann als Yellas verzweifelter Ehemann, ebenso aber auch Barbara Auer und Burkhard Klausner als Ehepaar, das von ihr erpresst wird.

 

Yella ist ein Film, der Ruhelosigkeit und Stillstand als zwei Enden dessen, was man Leben nennen mag, erzählt. Der Wunschort, an den sich die Hauptfigur begibt, ist eine Zeitschleife. Wer sagt uns, dass es das nicht gibt? Als Möglichkeit eines befristeten Auswegs, als letzte Hoffnung?