Berlin: Die Sinfonie der Großstadt (1927)

Besprochen von Marcel Hanke

Großstädte versprühen einen gewissen Charme, sei es durch ihre Betriebsamkeit, die Anonymität oder das Vorhandensein verschiedenster Kulturen. Oftmals sind sie die heimlichen Stars in vielen großen Produktionen. Doch schon 1927 stand eine Stadt im Mittelpunkt eines Filmes: „Berlin: Die Sinfonie der Großstadt“ von Walter Ruttmann. Es ist eine Dokumentation über einen Tag aus dem Berlin der Dreißiger Jahre, seine Glanz – und Schattenseiten. Der Film beginnt mit einer Zugfahrt. In einer wunderbaren Sequenz aus schnellen Schnitten, nähern wir uns dem morgendlichen Berlin. An uns vorbei fliegen Felder, Häuser und Strommasten. Die Stadt schläft noch, als der Zug im Anhalter Bahnhof ankommt. Es ist 5 Uhr morgens. Die Kamera streift durch leere Straßen und zeigt eine verborgene Schönheit, eine Unschuld, wie man sie im Verlauf des Filmes nicht mehr zu sehen bekommen wird. Nur eine Katze und ein Schutzmann sind auf den Beinen, als die Stadt langsam erwacht und die ersten Personen auf die Straßen strömen. Schon bald ist aus den wenigen Menschen eine Masse geworden, welche sich auf den Bahnsteigen tummelt und ihre Arbeit beginnt. Die Stadt hat zu Leben begonnen. Wie wild fahren nun die Züge und Busse durch die Gegend. Sie sind das System, das Alles am Laufen hält und werden den ganzen Film lang auftauchen. Weitere wunderbar geschnittene Passagen schließen sich an, als mehrere Tore geöffnet werden und nahtlos ineinander fließen. Detailgetreue Ansichten von Maschinen gewähren einen, besonders aus unserer Sicht, nahezu einmaligen und nostalgischen Blick in die Arbeitsverhältnisse der damaligen Zeit. Aber nicht nur das geschäftige Treiben der Arbeiter wird dem Zuschauer näher gebracht, sondern auch das Leben der Frauen und Kinder, wie sie zur Schule strömen, den Einkauf erledigen. Auch hier greift Ruttmann auf schon bekannte Elemente zurück, wie die ineinander laufenden Schnitte. Ein weiteres Highlight im Film ist sicherlich die Sequenz in der Mittagspause, da dort das gesellschaftliche Leben kompakt zusammengefasst wird. Man springt von Tisch zu Tisch. Vom einfachen Essen der Arbeiter, zum dekadenten Mahl der Oberschicht. So gibt es teilweise signifikante Unterschiede in der Gesellschaft und Ruttmann zeigt sie auf: einen Mann, der Zigarettenstummel sammelt; Kinder, die im Dreck spielen – die Armut ist allgegenwärtig. Passend zu diesen gegensätzlichen Szenen gibt es eine Passage im Film, die das Leben in der Großstadt gut widerspiegelt: die Achterbahnfahrt zum Ende des Filmes symbolisiert wunderbar das stetige Auf und Ab in einer Großstadt bzw. im Sein allgemein. Dazu passen auch die eingestreuten Sequenzen vom Selbstmord der Frau, wobei man hier doch davon ausgehen kann, dass diese Szene gestellt sei. Ein Indiz ist sicher der starke close-up auf die Augen, welcher schon expressionistische Züge annimmt und sicherlich nicht so entstanden sein kann, wie die restlichen Aufnahmen. Des Weiteren gibt es noch ein, zwei Einstellungen, die ebenso künstlich gewirkt haben. Man sollte sich jedoch nicht an solchen Kleinigkeiten hochziehen, da man so das Werk ganz klar abwertet, und das hat es nicht verdient. Allein das Herzblut, welches investiert wurde, die eineinhalb Jahre Dreharbeiten; sie zeugen von der Liebe Ruttmanns zu diesem Projekt und verdienen Anerkennung. Natürlich wiederholen sich einige Passagen im Film, aber ist es nicht in der Realität auch so? Natürlich stellt man sich die Frage, warum eigentlich Berlin, da der Film eigentlich genauso gut hätte in Paris, London oder New York gedreht werden können. Doch da liegt der große Reiz in diesem Werk, da „Berlin: Die Sinfonie der Großstadt“ ein Film über jede der genannten Großstädte sein könnte, weil sie nach dem gleichen Prinzip funktionieren und am Leben gehalten werden. Es ist die allgemeine Faszination an diesen Schmelztiegeln, seinen Bewohnern, seinen Mechanismen, die diesen Film und die Städte so interessant machen. Verpackt in eine ansprechende musikalische Untermalung, dürfte sich dieses Stück lebendige Geschichte in den Herzen von Filmliebhabern festsetzen. Wenn sich dann der Film, also auch der Tag, dem Ende neigt, und man die Menschen beim abendlichen Tanzen, Speisen und Genießen des Lebens beobachtet, so möchte man meinen, dass der Tag wohl nie enden würde. Doch dann kommen einem die Anfangsszenen ins Gedächtnis und man weiß, dass auch die Stadt bald zur Ruhe kommt und ihren verdienten Schlaf erhält, damit es am nächsten Tag wieder vom Neuen losgehen kann. Sicherlich ist dies kein einfacher Film, da er von seinem Zuschauer Aufmerksamkeit und bei einigen vielleicht auch Durchhaltevermögen fordert, doch man wird nicht enttäuscht sein, und wenn man die Chance hat diesen Film zu sehen, dann sollte man diese auch ergreifen.
© Frankies Filmecke

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