Über T. Gilliams ‚Brothers Grimm‘

Besprochenvon Leif Allendorf

  • Brothers Grimm (The Brothers Grimm), Regie: Terry Gilliam, Produktion: Großbritannien, Tschechien 2005, Laufzeit: 119 Minuten.

Die Gebrüder Grimm gehören zu den erstaunlichsten Personen der Geistesgeschichte. Das von ihnen erstellte Wörterbuch kann sich in seiner Wirkung auf die deutsche Sprache mit Luthers Bibelübersetzung messen. Bekannt sind jedem Kind – nicht nur in Deutschland – die Märchen, die von den Brüdern gesammelt und damit gerettet wurden. Was wäre diese Welt ohne die Geschichten von Rotkäppchen, Dornröschen und Schneewittchen?

Wenn ein Filmemacher wie Terry Gilliam, den man in seiner Heimatsprache als „sophisticated“ bezeichnen könnte, die Geschichte dieser Brüder thematisiert, muss er damit rechnen, dass die Erwartungen hoch sind. Ob ihm dies bewusst war oder nicht: „Brothers Grimm“ – bezeichnenderweise wagte der Verleih es nicht, das Werk auf deutsch als „Gebrüder Grimm“ zu verkaufen – gelingt es, jede Erwartung zu enttäuschen. Als Komödie ist der Film nicht witzig genug, für ein Märchen besitzt er nicht genug Seele, die Action ist mäßig, nur die Kulissen sind eindrucksvoll. Leider hat man diesen Hexenwald bei „Sleepy Hollow“ von Tim Burton schon gesehen.

Perfide: Frankreich als repressive Unterdrückungsmacht

Besonders ärgerlich aber ist die einzige Aussage, zu der sich „Brothers Grimm“ dann doch entschließen kann: die historische. Zwar ist das Thema sozialgeschichtlich weitgehend entkernt. Die übrig bleibende Botschaft lautet: Deutschland ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein von der französischen Besatzungsmacht geknechtetes Land. Illustriert wird diese perfide Darstellung von der Knattercharge General Delatombe (Jonathan Pryce), einem willigen italienischen Handlanger des fremden Regimes. Keine Rede davon, dass die napoleonischen Truppen den Code Civil, also erstmals so etwas wie einen Kanon unveräußerlicher Menschenrechte, nach Deutschland brachte. Man stelle sich vor, im 22. Jahrhundert wird ein Film gedreht, der Deutschland nach Kriegsende 1945 als unschuldiges, von tyrannischen US-Besatzern unterdrücktes Volk zeigt.

Kasperletheater statt gelungener Genrefilm

Die Märchen von Prinzen und Bettlermädchen, von Knechten und Königstöchtern sind unter anderem Ausdruck des jahrhundertealten Traumes kleiner Leute, aus ihrem Elend herauszukommen. Doch Gilliam interessiert das nicht. Er wärmt stattdessen die Geschichte von den Budenzauberern auf, die unverhofft mit wirklicher Magie konfrontiert werden. Auch das haben wir in „Sleepy Hollow“ schon gesehen – mit dem Unterschied, dass Johnny Depp ein besserer Schauspieler ist als Matt Damon und Heath Ledger in diesem Film, und Tim Burton seine Genrefilme souveräner inszeniert als Terry Gilliam.

Was bleibt ist das Spiel von Monica Belucci, die von je her den Flair einer Schaufensterpuppe ausstrahlt. Verschenkt wird bei diesem „Spieglein, Spieglein an der Wand“ auch das Talent von Lena Headey, die immerhin einen guten weiblichen Robin Hood a lá Keira Knightley abgibt.
Ärgerlich an dieser uninspirierten Plünderung archaischer Motive ist ihre Oberflächlichkeit. jeder US-amerikanische Halloween-Kürbiskopf-Massaker-Film besitzt mehr Tiefe als das Kasperletheater von „Brothers Grimm“.

Schneekönigin trifft Aschenputtel: Der britische Independent-Film “My summer of love” zwischen Liebesdrama und Sozialstudie

Besprochen von Leif Allendorf

  • My Summer of Love, Regie: Pawel Pawlikowski, Produktion: Großbritannien 2004, Laufzeit: 89 Min.

Zwei Mädchen flüstern sich im Dunkeln Schwüre zu: “Wenn du mich verlässt, werde ich dich töten!”, verspricht die eine. “Und wenn du mich verlässt, dann töte ich dich!”, bestätigt die andere. Aber es wird anders kommen. Die eine wird die andere verlassen. Und die andere wird die Treulose nicht töten. Obwohl es zunächst danach aussieht.

Der britische Streifen “My summer of love” wurde mit Preisen überhäuft. Er erhielt 2005 die Auszeichnungen “Bester Britischer Film”, den “London Critics Circle Award”, den “Evening Standard British Film Award” und wurde beim “Edinburgh I)nternational Film Festival” ebenso prämiert wie vom “Directors Guild of Great Britain”. Viel Lob für einen Streifen, der sehr unspektakulär das Leben in den elenden einstöckigen Arbeiterhäuschen auf dem englischen Land schildert.

Schneekönigin liest Aschenputtel von der Straße auf

Die aus einem reichen, wohlbehüteten Hause stammende Tamsin (Emily Blunt) liest die naive Mona (Natalie Press) buchstäblich auf der Straße auf. Die Bildsprache ist eindeutig: Tamsin sitzt hoch zu Ross ihres Pferdeschimmels, Mona liegt neben ihrem kaputten Mofa auf der Landstraße, als sie einander begegnen. Aber die eiskalte berechnende Schneekönigin Tamsin und das mit ihrem christlich bekehrten Bruder in einem heruntergekommenen Pub lebende Aschenputtel Mona freunden sich an und verlieben sich schließlich.

Sie haben eine Gemeinsamkeit: sie sind einsam. Mona ist Waise und Tamsin hat sich von ihrem Vater völlig entfremdet. Und so werden die folgenden Wochen für die zwei Königskinder ein Sommer der Liebe. Ob sie sich gemeinsam in der fast leer stehenden Prachtvilla von Tamsins Eltern aufhalten oder Monas Bruder zuschauen, der aus seiner ehemaligen Kneipe eine christliche Begegnungsstätte macht: die Unterschiede in Temperament und sozialer Herkunft scheinen sie einander eher näher zu bringen als zu trennen.

Bis dann eben der Verrat kommt. Tamsins tränenreicher Bericht über den Verlust ihrer Schwester ist gelogen. Alles scheint rückblickend ein Betrug gewesen zu sein – selbst die Liebe, die diesem Sommer seine Einzigartigkeit verliehen hat.

Eine Milieustudie oder der Bericht einer lesbischen Amour fou?

Der Regisseur findet beeindruckende Bilder. Die Tristesse der gottverlassenen englischen Siedlung auf dem Land wird mit wunderschönen Landschaftsbildern konterkariert. Der religiöse Wahn des ehemals gewalttätigen Bruders wird kritisch gezeigt, ohne den Menschen zu denunzieren.

Allerdings fragt sich der Zuschauer am Ende, welche Geschichte hier erzählt werden sollte. Die Geschichte einer lesbischen Liebe oder eine Mileustudie aus dem Landleben?

Die hervorragenden Darsteller machen einiges wieder gut. Ärgerlich bleibt, dass der Grund für Tamsins Liebesverrat völlig im Dunkeln bleibt. In dieser Hinsicht bleibt der ansonsten so präzise Film hinter seinem Anspruch zurück.


Über „Der Felsen“ von Dominik Graf

Besprochen von Leif Allendorf

  • Der Felsen, Regie: Dominik Graf, Produktion: Deutschland 2002, Laufzeit: 122 Minuten.

Etwas ratlos reagierte die Filmkritik auf Dominik Grafs Kinofilm, in der eine deutsche Urlauberin sich auf eine verhängnisvolle Liebesgeschichte mit einen jungendlichen Kriminellen auf Korsika einlässt. Über die Professionalität des Werkes war man sich einig. Aber irgendwie wurden die Rezensenten mit dem Streifen nicht so recht warm. Die bei Eurovideo erschienene DVD gibt Gelegenheit, sich den Kinofilm noch einmal in Ruhe anzusehen. Die Geschichte lebt zweifellos von der Hauptdarstellerin Karoline Eichhorn, die mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die manchmal grausam scharfen, manchmal nächtlich verwischten Bildern der Digitalkamera durch die Ereignisse taumelt.

Filmkunst oder Manierismus?

In einer Online-Ausgabe des Film-Magazins Der Schnitt konnten sich selbst die Kritiker der gleichen Redaktion nicht einigen. „Der Felsen ist eine Initiation, glasklar, radikal, die härteste, die es gab im Kino der letzten zwanzig Jahre”, schwärmt Fritz Göttler. “Karoline Eichhorn, sie ist so unglaublich in diesem Film, wie Karina es war bei Godard und Deneuve bei Truffaut.” Der Verweis auf filmische Meilensteine wie Godards Alphaville verdeutlicht, wie hoch die Filmkunst von Dominik Graf sich von der all seiner deutschen Kollegen unterscheidet. Ist da schon zuviel Kunst? “Zweifellos, Der Felsen ist Kunst, doch sei gefragt, ob er außerhalb seines Korsetts von Kunstbegriffen, bei aller Kodierung noch lesbar ist,” kritisiert Maqtthias Grimm in der gleichen Ausgabe. “Die Strenge, mit der Graf sein Werk in jedem Aspekt als Kunst denotiert, versetzt es in eine Abhängigkeit zu seinen Mitteln, die nicht zwangsweise Sinn macht und den Intellektualismus bisweilen ebenso übertreibt wie diese Filmkritik.”

Alles ist gleich scharf

Kameramann Benedict Neuenfels schildert in einem Interview gegenüber dem Schnitt, welche Probleme die Verwendung der Digitalkamera mit sich brachte: “Alles ist scharf!” Wo der Effekt der Tiefenschärfe nicht mehr greift, ist alles gleich deutlich, Vordergrund wie Hintergrund, Hauptdarsteller und Komparsen. Dieser Realismus wird durch die in Alltagsgestammel formulierten Dialoge unterstrichen. Gleichzeitig ist das Werk hochartifiziell: Zwei Stimmen aus dem Off, eine männliche und eine weibliche, kommentieren die Ereignisse, ohne zur Klärung beizutragen. Dies in Verbindung mit der hypnotischen Musik von Dieter Schleip erzeugt einen hypnotischen Sog.

Der Kreis schließt sich nicht

Allerdings zeigt sich beim nüchternen Betrachten auf dem heimischen Bildschirm, dass nicht alles so glatt aufgeht, wie die Anfangsmetapher es nahelegt. Zu Beginn berichtet ein Afrikaner auf Korsika den Touristen von dem Spiel, in dem aus einer Reihe beliebiger Gegenstände eine Geschichte gesponnen wird. Jeder in der Runde fügt einen Gegenstand hinzu und spinnt den Faden weiter. Dem letzten Redner obliegt es dann, die Geschichte vom letzten Gegenstand mit dem ersten zu verknüpfen. Und dies will im Felsen nicht so recht gelingen. Doch selbst das wird anscheinend autopoetisch thematisiert, durch den deutschen Korsikareisenden, der dem Afrikaner zuraunt: “Na, schwindelst du wieder den Touristen etwas vor?”

Was bleibt ist dennoch filmisches Erzählen von höchstem Rang, für jeden, den es bei deutschen Filmen nach mehr verlangt als platten Komödien oder Hollywood a la Bavaria aus dem Hause Eichinger.

 

 


„Alexander“: Oliver Stone erliegt dem Heldenkitsch

Besprochen von Leif Allendorf

  • Alexander, Regie: Oliver Stone, Produktion: USA, Großbritannien, Deutschland, Niederlande 2004, Laufzeit: 175 Min.

Herodot, der „Vater der Geschichtsschreibung“, ist gleichzeitig der Begründer der abendländischen Sicht auf den Konflikt zwischen dem antiken Griechenland und Persien. Während die zerstrittenen hellenischen Kleinstaaten in Wirklichkeit dem persischen Weltreich niemals gefährlich wurden, so baute Herodot in den Historien die Geschichte der Perserkriege so auf, dass die Schlacht bei Salamis als vernichtende Niederlage des orientalischen Imperiums erschien. Bereits fünfzig Jahre nach dem Etappensieg waren Athener und Spartaner nämlich bereits wieder damit beschäftigt, sich gegenseitig zu zerfleischen – mit Unterstützung des persischen Herrschers. Erst hundert Jahre darauf gelang es dem Makedonier Alexander, das Weltreich in die Knie zu zwingen.

Natürlich gehört Alexander der Große zu einer der beliebtesten Ikonen der abendländischen Geschichtsschreibung, die persische Siege verschweigt, persische Niederlagen dagegen ausführlich würdigt. Dabei hatte gerade Alexander die Vision, den Widerstreit zwischen Orient und Okzident zu beenden und beide miteinander zu verschmelzen. Was ihm auf politischer Ebene nicht gelang – die bis heute gepflegte Feindschaft zwischen Griechen und Türken bis zum heutigen Tage belegen dies traurig – das glückte ihm in anderer Hinsicht: Von Ägypten bis an den Indus wirbelte die Kultur des Hellenismus unterschiedlichste Traditionen durcheinander und sorgte für eine der schönsten Blütezeiten der Antike.

Oliver Stone: Griechen in mongolischen Jurten

Nun hat sich der US-Amerikaner Oliver Stone an diesen Stoff herangetraut. Zumindest hatte er bessere historische Berater als Wolfgang Petersen. Hatten Brad Pitt und die übrigen griechischen Krieger in dem Troja-Film bizarrerweise in mongolischen Jurten gehaust, stimmen bei Alexander die Details.

Männerfreundschaften

Was aber noch wichtiger ist: Männliche Homosexualität – bei Troja opportunistisch verschwiegen – wird nicht nur als allgegenwärtig dargestellt. Es gelingt dem Film überdies, zu beschreiben, wie diese Homosexualität in die Gesellschaft einer kriegsführenden Nation eingebettet ist. Von frühester Jugend an bilden sich Männerbünde. Die Jungs balgen sich unter der strengen Aufsicht der Ausbilder. Männerfreundschaften werden geschlossen, Männerfeindschaften gepflegt, männliche Tugenden gepredigt: Tapferkeit, Treue, Kampfesmut. Eben all jene Eigenschaften, die man braucht, um seine Leute fern der Heimat in der Schlacht bei der Stange zu halten. Und selbst die Liebe wird zur reinen Männersache. Die Beziehung von Achilles und Patroklos in der Ilias dient Alexander und seinem Partner als Vorbild. Dass es sich bei diesen Liebschaften tatsächlich um eheähnliche Verhältnisse handelt, beschreibt Gustave Flaubert in seinem Karthago-Roman Salammbo:

“Die Lebensgemeinschaft hatte manche Freundschaft zwischen ihnen geweckt. Das Lager ersetzte den meisten die Heimat. Da sie ohne Familie lebten, übertrugen sie ihr Liebesbedürfnis auf einen Waffengefährten und schliefen Seite an Seite unter demselben Mantel im Sternenlicht. Auch waren bei dem beständigen Umherschweifen durch alle möglichen Länder, den Kämpfen und Abenteuern, seltsame Liebesverhältnisse entstanden – Verbindungen, die nicht der Moral entsprachen, aber ebenso ernsthaft waren wie Ehen, – wo der Stärkere den Jüngeren im Mordgewühl verteidigte, ihm beim Überspringen von Abgründen half, ihm den Fieberschweiß von der Stirn trocknete und Nahrung für ihn stahl; während der andere, der am Straßenrand aufgelesene Knabe, der Söldner geworden war, ihm diese Hingebung mit tausend zarten Aufmerksamkeiten und den Gefälligkeiten einer Gattin vergalt.” (Flaubert 1862, 134)

In dieser Männerwelt sind Frauen entbehrlich, abgesehen von der Eigenschaft, weitere Krieger in die Welt zu setzen.

Hollywoodsche Küchenpsychologie

In krassem Gegensatz zum analytischen Scharfblick der Gesellschaftsanalyse steht die biedere Charakteristik der Hauptfiguren im Film. Es sei Oliver Stone verziehen, dass er in Hollywoodscher Küchenpsychologie die dominante Mutter für alles verantwortlich macht. Vor dieser – so suggeriert der Film – rettet nur die Flucht in die Eroberung der Welt. Angelina Jolies Darstellung des diabolischen, schönen Muttertiers ist die schauspielerische Glanzleistung in diesem Film, der letzlich scheitert. Das liegt nicht allein an der Blässe des Alexander-Darstellers Colin Farrell. Schuld ist der Regisseur, der nicht die Disziplin hat, sich die schwülstigen Monologe seiner Hauptpersonen zu schenken, die den Film auf insgesamt drei Stunden aufblasen. Dabei fehlt auch nicht der röhrende Hirsch unter den Kriegsfilmszenen, die Durchhalterede des Feldherrn. Geradezu erschreckend, mit welcher Unbefangenheit Stone zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch einem Helden- und Führerkitsch frönt. Dahinter steht offenbar Stones Auffassung, die Weltgeschichte sei die Geschichte großer Männer vom Schlage Cäsar, Wallenstein und Napoleon. Und das ist für einen vorgeblich linken Provokateur wie Stone reichlich reaktionär.

Quellenangaben:

Flaubert, Gustave: Salammbo. Stuttgart 1995 (frz. Originalausgabe 1862)

Wolfgang Petersens „Troja“: Ein Mythos wird entkernt

Besprochen von Thomas Weber

  • Troja, Regie: Wolfgang Petersen, Produktion: USA 2004, Laufzeit: 156 Minuten.

Es gibt Stoffe, die kehren mit schöner Regelmäßigkeit in den kulturindustriellen Verwertungskreislauf zurück, der immer wieder die gleichen Geschichten remediatisiert, sie zu neuen Clustern und Produktzyklen zusammenstellt. Dabei verändert sich der Stoff bei jeder Bearbeitung und sagt weniger etwas mittels seiner schon hinreichend erzählten Story aus, sondern vielmehr durch die Art und Weise eben jener Bearbeitung.

Troja-Cluster mit Brad Pitt und Wolfgang Petersen

Wolfgang Petersens Verfilmung des Troja-Stoffes mit Brad Pitt in der Rolle des Achill ist eines der herausragenden Ereignisse des neuen Troja-Clusters vor allem auf Grund der öffentlichen Aufmerksamkeit, die dem Film zu Teil wurde. Die Art und Weise der Petersen-Inszenierung erzählt dabei eine Geschichte der mythologischen Entkernung: die Debatte der Götter, die sich in Homers Epos immer wieder in das Geschehen einmischten, wurden ebenso aus dem von Petersen linear und eindimensional konstruierten Handlungsstrang eliminiert, wie die rund 10 jährige Belagerung von Troja oder gar die homophilen Neigungen des Helden Achill, mit denen ein Star wie Brad Pitt sich beim amerikanischen Publikum offenbar nicht den Ruf „ruinieren“ wollte.

Industrielle Verwertung

Sogar Mike Hillenbrand von der amazon.de-Redaktion, dem industriellen Verwerter der seit dem 17.09.04 erhältlichen DVD/VHS – Version, fällt auf: “Hollywood-Star und ‘sexiest man alive’ Brad Pitt dreht immer mal wieder Filme, in denen er seinen gelungenen Körper seinen weiblichen Fans präsentieren darf. Mit Troja legt er einen der besseren Streifen aus dieser Kategorie vor. Das Epos lebt hauptsächlich von seiner und Eric Banas Ausstrahlung, der Achills Widersacher Hektor spielt. Während die meisten anderen ihrer Kollegen gegen die aufwendig inszenierten Bilder und Special Effects hoffnungslos unterliegen (einzig wirklich erwähnenswerte Ausnahme ist hier Priamos-Darsteller Peter O’Toole), können Pitt und Bana dem opulent ausgestatteten Drama ihren Stempel aufdrücken. An ihnen liegt es sicher nicht, dass trotz aller Bildgewalt ein etwas schaler Beigeschmack nach dem Filmgenuss bleibt.”

Reduktion des Stoffes

Und sogar den Zuschauern fallen offensichtliche Schnitzer auf; so schreibt etwa Philipp Weinreuter als Rezensent für amazon.de: “Fangen wir also kurz und knapp mit einigen wesentlichen Inhalten an die fehlen, bzw. falsch sind:

* die Götter, der Apfel der Zwietracht werden ausgeklammert, keine Athene, keine Hera, keine Aphrodite, keine Heirat von Pelus und Thetis, kein Apollon usw.

* 10 Jahre Belagerung werden unterschlagen,

* Menelaos wird völlig unnötiger Weise von Hektor erstochen,

* Agamemmnon wird von Brisis erstochen,

* Ajax kommt viel zu kurz und wird auch von Hektor besiegt,

* auf griechischer Seite fehlen Dimomedes, Philoktetes und Neoptolemos gänzlich,

* Änäas komm auf trojanischer Seite viel zu kurz.”

Dabei ist ein Vergleich von literarischer Vorlage und filmischer Umsetzung mit Vorsicht zu genießen. Veränderungen sind häufig notwendig oder unumgänglich. Doch es fragt sich, wohin die Modifikationen führen sollen?

Internationales Popcorn-Kino

Bei Petersen kommt jedenfalls eine Troja-Geschichte heraus, die wie geschaffen ist fürs internationale Popcorn-Kino, nach gängigen Drehbuchrezepten angerichtet, frei von komplexen Zusatzstoffen, gewürzt mit hinreichend bekannten Stars (oder solchen, die es werden wollen wie Diane Kruger) und garniert mit durchaus beeindruckenden special effects, die die Kosten für das visuell aufgemotzte Schlachtengetümmel weiter in die Höhe treiben und damit auch die Budgets, an denen künftige Filme sich zu orientieren haben, wenn sie dem Zuschauer einfach nur eine gute Geschichte erzählen wollen.

 

„Swimming Pools“: Inszeniert von Jacques Deray und François Ozon

Besprochen von Halina Rasinski

  •  Der Swimmingpool (La Piscine), Regie: Jacques Deray, Produktion: Frankreich, Italien 1969, Laufzeit: 120 Minuten.
  • Swimming Pool, Regie: François Ozon; Produktion: 2003, Laufzeit: 99 Minuten.

Das Spritzen von Wasser durchbricht die heiße Stille von blauem Pool, blauem Himmel und Ferienhaus. David Hockneys Bild „A bigger Splash“ aus dem Jahr 1967 könnte für Jacques Deray’s „La Piscine“ („Der Swimming Pool“)von 1968 Pate gestanden haben: Alain Delon liegt dekadent am Rand eines Pools, leert die letzten Tropfen aus einem Glas. Jemand springt, er wird nass, Romy Schneider taucht auf, glänzend vom Nass, und legt sich auf ihn.

Jean-Paul (Alain Delon) und Marianne (Romy Schneider) machen Ferien an der Côte d’Azur. Privat ist das Traumpaar dieser Zeit schon getrennt. Im Film verleben sie aber noch heiße Stunden. Bis Harry (Maurice Ronet) mit seiner Tochter Pénélope (Jane Birkin) kommt. Jean-Paul, eifersüchtig wegen des vertraulichen Verhältnisses seiner Freundin zu ihrem alten Freund Harry, nimmt Pénélope ins Visier. Die Spielrunde ist eröffnet.Marianne, die Poolnixe, beobachtet und beherrscht die Szenerie. Eines Nachts kommt Harry betrunken nach Hause und wird vom ebenfalls betrunkenen Jean-Paul in den Pool geschubst. Jedes Mal, wenn Harry versucht, aus dem Waser zu steigen, stößt der andere wieder hinein. Aus einem vermeintlichen Scherz zwischen Rivalen wird tödlicher Ernst. Ein scheinbar emotionsloser Alain Delon taucht seinen Widersacher unter Wasser, bis dieser tot an der Oberfläche des Pools schwimmt.

Diese Szene ist der großartige Höhepunkt eines Spannungsaufbaus voll kühler Erotik. Keine Wutausbrüche, keine Sexszenen, es wird alles nur angedeutet. Die Kamera fährt an Romy Schneiders Körper entlang und ruht auf den Beinen von Alain Delon. In langen Einstellungen defilieren die Stars am Rande des Pools, dessen Kanten in die Horizontalen des Bildes schneiden wie die Blicke, die sie sich gegenseitig zuwerfen. Eifersüchtig und begehrlich. Es bleibt alles an der Oberfläche. Die glatte Haut wie das Wasser des Pools, die leichten Jazzklänge und das Lächeln von X. Alles ist schön.

Ein Kriminalbeamter versucht, einzudringen in das Geheimnis, aber Marianne – inzwischen Mitwisserin des Mordes – schweigt. Der Mord wird letztlich nicht aufgeklärt, Pénélope, das Kind, fährt nach Hause. Die beiden Verschwörer bleiben zusammen. Es ist Herbst geworden und die Blätter rauschen.

So auch bei François Ozons Remake, „Swimming Pool“. Die Blätter spiegeln sich am Anfang des Films allerdings nicht im Pool, sondern in der Themse. Sarah Morton (Charlotte Rampling) verlässt London, um sich im Ferienhaus ihres Verlegers (Charles Dance) inspirieren zu lassen. Sie richtet sich mit Magerquark und etwas Alkohol in diesem Haus ein und betrachtet den abgedeckten Pool. Als sie die Plane hochhebt, sieht sie nur welkes Laub.

Unangemeldet erscheint die Tochter ihres Verlegers, Julie (Ludivine Sagnier). Sie trägt bauchfrei und bringt jeden Abend einen anderen Mann mit nach Hause. Sarah Morton sieht ihr dabei zu. Nach anfänglichem Ärger kommt ihr eine Idee für einen Roman. Sie liest heimlich das Tagebuch der jungen Frau, in dem ein Photo von Romy Schneider prangt.

Die Kamera fährt am Körper des Mädchens entlang und stoppt bei den Beinen eines Kellners aus dem Dorf. Nachdem Sarah, Julie und dieser Kellner tüchtig gefeiert haben, ist dieser plötzlich verschwunden. Sarah entlockt Julies Geständnis: Sie hat den Mann erschlagen, weil er nicht mit ihr schlafen wollte. Gemeinsam begraben sie ihn. Am Schluss sind wir wieder in London und begreifen, dass Julie nur eine Fantasiefigur von Sarah Morton war, eine Inspirationsquelle für ihr neues Buch.

Die Plotpoints, von der Ankunft Julies bis zu dem Mord, wirken unmotiviert und konstruiert. Ozons Referenzen sind durchschaubar: Miss Marple, der Horrorfilm, Jacques Derays Original. Der Film ist ein einziges Spiel mit Zitaten. Aber wo „La Piscine“ durch die klare, einfache Form des Kammerspiels überzeugt und die Spannung durch die Enge des Raumes erzeugt – wir verlassen das Haus nur für eine Autofahrt der beiden Kontrahenten und kurze Szenen am Ende des Films im Polizeirevier und am Flughafen – verstrickt sich Ozon in seinen Realitätsebenen. Jacques Deray erzeugte Erotik dadurch, dass Delon mit einem Zweig über Romy Schneiders Rücken streicht. Ozon zeigt explizite Sexszenen, aber hinter seiner Oberfläche ist nichts. Sein Film bleibt daher kalt, fast unerotisch. Seine Geschichte baut keine Dramatuik auf wie „La Piscine“. Der Zuschauer mag sich in Marpel’scher Spitzfindigkeit vergnügen – der fade Geschmack von Magerquark bleibt. Bei diesem Film könnte man zu dem Schluss kommen, die neunziger Jahre könnten sich in punkto Erotik mit den Sechzigern nur noch in der Phantasie messen. Dabei hat „Bungalow“ von Ulrich Köhler kürzlich bewiesen, dass ein Pool immer noch die Kulisse für trügerische Leichtigkeit, sexuelle Anziehungskraft und aufgestauter Aggressionen sein kann.

 

 

Keira Knightley – postfeministisch inflektiert: King Arthur

Besprochenvon Beatrice Michaelis

  • King Arthur, Regie: Antoine Fuqua, Produktion: USA, Irland, Großbritannien 2004, Laufzeit: 121 Minuten.

Auf der verzweifelten Suche nach einer Genealogie für unerkannt bleibende starke politische Führer und wahre Helden, die für die Freiheit einer Nation, ja der ganzen Welt kämpfen, macht sich der Produzent mit den Hollywood-weit besten Verbindungen zum Pentagon, Jerry Bruckheimer, nun gemeinsam mit dem Hobby-Historiker, Halbtags-Archäologen und Freizeit-Drehbuchautor David Franzoni über den alteuropäischen Artus-Mythos her.

Die historische “Wirklichkeit” des Hobby-Historikers und Halbtags-Archäologen

Der beste Teil des sinnfällig King Arthur betitelten Films kommt im Grunde noch bevor die Bilder zu laufen beginnen: In einer Einblendung werden der geneigte Zuschauer und die noch geneigtere Zuschauerin darüber informiert, dass es sich bei dem folgenden Film um die historische Wahrheit, ja um nichts als die Wahrheit handele. Alle HistorikerInnen hätten bisher geirrt, doch nun sei es, unter anderem durch archäologische Funde (welcher Art, wird leider nicht spezifiziert), gelungen nachzuweisen, dass es Artus wirklich gab. Gleich nach dem Vorspann droht uns dann auch „the untold true story that inspired the legend.“ Dieser Film rückt einige historische, manchmal auch ganz persönliche, Fehlannahmen zurecht. Wir wissen jetzt endlich auch, dass Artus schwarze Locken und keinen Bart trug. „Marmor, Stein und Eisen Schlicht“: Wie schon andernorts kommentiert (Rezension in der Berliner Zeitung nebst Interview mit Michael Mecklenburg, FU), verspielt King Arthur in seinem blödsinnigen Insistieren auf der historischen Wahrheit sowohl die Sympathien von Filmliebenden als auch jegliches Mitgefühl von MediävistInnen.

Til Schweiger als Sachsenführer

Selbst wenn man sich bemühte, über diese Anfangswehen des Filmes mit freizeitlichem Stumpfsinn hinwegzusehen, belohnt der weitere filmische Verlauf das wohlgemeinte Abschalten des Gehirns nicht mit guter Unterhaltung. Die in einer grausigen Pastiche aus literarischen Texten, Sagenstoff, und – vergessen wir sie nicht – historischen Fakten zusammengezerrten Ritter der Tafelrunde reden misogyn und plump männerfreundschaftlich daher, die Kampfszenen hätten besser nie stattgefunden und Til Schweiger als Sohn des Sachsenführers wäre passender als Co-Moderator seiner Frau in RTL2-Pampers-TV besetzt worden.

Guinevere ohne Affäre

Auch von Artus wollen wir nicht schweigen. In der Bruckheimerschen Geschichtsschreibung ist er ein Rom-loyaler Heeresführer, der schmerzhaft erfahren muss, wie gefährlich es ist, Mythen als historische Wahrheit zu begreifen. Sein Rom, für das er mit seinen Kumpanen gegen die Sachsen und zunächst noch die Woads kämpft, existiert so nicht mehr. Desperat sucht er nach einem höheren Sinn, nach einem common cause, einer metaphysischen Motivation seines irdischen Schuftens, doch erst im Koitus mit Guinevere findet er zu sich, seinem Volk und seiner Berufung: die Befreiung der Briten von den Sachsen, auf dass sie ewig free, free und nochmals free sein werden. Glücklicher Artus, dass der Drehbuchschreiber ihm nicht auch die Affäre Guineveres mit Lancelot zugemutet hat. Das wären wohl zu viele Enttäuschungen für den gebeutelteten Heros gewesen. Und so zeigt der Film, dass schon Anno Domini 452 Monogamie die Quelle ist, aus der Weltbefreier ihre Kräfte ziehen.

Postmoderne Guinevere

Allerdings ist Guinevere eine durchaus postfeministisch inflektierte Figur. Ihren stärksten Auftritt hat sie nicht etwa, wenn sie sommerlich bekleidet Pfeile durch den immer dichter werdenden Schneesturm schießt (auch wenn solch eine Temperaturunempfindlichkeit bemerkenswert ist, aber nur wenn man nicht weiß, dass im hochsommerlichen Irland gedreht wurde), sondern als sie auf Lancelots indirekte Vergewaltigungsdrohung, im angreifenden Sachsenheer seien eine Menge einsamer Männer, entgegnet: „Don’t worry, I won’t let them rape you!“ Unerklärlich bleibt, warum einzig die Guinevere postmodern angeschwipst und ein bisschen widerständig daher kommen darf, während sich alle männlichen Charaktere unglaublich bierernst – oder sollte man sagen meternst? – nehmen.

Wer sich nun berufen fühlt, Produzent Bruckheimer, Regisseur Fuqua und Drehbuchautor Franzoni über die spärlichen historischen Quellen, die literarische und mythologische Überformung und die politische Instrumentalisierung der Artus-Figur zu informieren, möge zunächst das Lexikon des Mittelalters, S. 1074ff., konsultieren. Man kann es aber auch einfach sein lassen.

Don’t come watching: Der neue Wim Wenders-Film will ein Familiendrama zeigen, wo keins mehr stattfindet

Besprochenvon Christoph Hermann

  • Don’t Come Knocking. Regie: Wim Wenders, Produktion: Deutschland, USA 2005, Laufzeit: 122 Minuten.

Der in die Jahre gekommene Cowboy Darsteller Howard Spence scheint plötzlich genug von seiner Karriere zu haben, mitten in einer Filmproduktion verlässt er in einer Drehpause das Set und reitet noch im Filmkostüm davon. Da er großer Filmstar ist, lässt er sich nicht ersetzen und seine Fahnenflucht bringt ein Geschäft in Gefahr, bei dem es um Millionen von Dollar geht. Deshalb lässt die Filmversicherung gleich einen ihrer Agenten einfliegen, der sich auf Howards Spur macht.

Diesen zieht’s heim zu Mami, die von Ihrem Sohn seit dreißig Jahren nichts gehört oder gesehen hat, außer durch die Zeitungen, denn die Sex-, Drogen- und Alkoholexzesse des Stars sind ausführlich in den Zeitungsausschnitten beschrieben, die seine Mutter fein säuberlich in einem Album aufbewahrt hat. Ganz verständnisvolle Mutter macht sie ihm keine Vorwürfe, dagegen teilt sie ihm mit, dass er seit zwanzig Jahren einen Sohn hat. Kellnerin Doreen war eine seiner zahllosen Affären, die er schon lange vergessen hat. Nun macht er sich auf, die zu suchen, die nie auf ihn gewartet haben.

Unverständliche Familienszenen

Mutter und Sohn sind die letzten zwanzig Jahre auch gut ohne den Zeugungsvater ausgekommen, sie ist von der Kellnerin zur Geschäftsführerin aufgestiegen, er ist Musiker und tritt bereits in ihrer Gaststätte auf. Daß der Sohn dem verlorenen Vater nicht sofort um den Hals fällt, ist nachvollziehbar. Warum er dann aber gleich den zutiefst Gekränkten markieren muss und in einem Wutanfall seine gesamte Zimmereinrichtung einschließlich Sofa aus dem Fenster wirft, bleibt unverständlich. Auch die Mutter macht dem Cowboy noch eine Szene. Unter Tränen wirft sie ihm vor, was für ein Feigling er sei, der sein ganzes Leben vor den Problemen nur davonlaufe. Das mag zwar stimmen, aber wieso das der reifen und unabhängigen Frau nach all den Jahren noch so nahe gehen soll, bleibt ebenfalls unbeantwortet. Wahrscheinlich müssen die beiden noch einmal Wut und Trauer markieren, weil sonst zu deutlich wäre, was Howard hier realistischerweise nur zu erwarten gehabt hätte: Gleichgültigkeit und Desinteresse.

Eine Nacht auf dem Sofa

Zu dem ganzen Familiendrama gesellt sich fast beiläufig noch eine junge Frau, die ständig mit einer übergroßen Urne mit der Asche ihrer jüngst verstorbenen Mutter im Arm durch die Szene läuft. Richtig geraten: der Cowboy hat auch eine Tochter gezeugt. Das muss man aber erraten, denn wer sie ist und warum sie dort auftaucht, scheint niemanden besonders zu interessieren, vielleicht sind Vater-Tochter Konflikte auch nicht so wichtig. Zumindest nicht so dramatisch, die Tochter randaliert nämlich nicht herum sondern sitzt mit ihrem Vater die ganze Nacht auf dem auf der Straße gelandeten Sofa und bietet Howard das an, was er wohl von seinem Sohn erhofft, nämlich Verständnis. Was dann am Morgen kommt ist nicht die Sperrmüllabfuhr sondern der Versicherungsagent, der dem Cowboy Handschellen anlegt um ihn wieder zum Filmset zurückzubringen, was niemand zu verhindern sucht, am wenigsten der entnervte Filmzuschauer.

Männer, die mit ihrem Altern und der Vaterrolle Probleme haben, gibt es sicher zuhauf. Darüber einen Film zu machen, ist nicht die schlechteste Idee. Schade, dass das Wim Wenders nur vorgetäuscht hat. Er wird doch nicht etwa schon zu alt sein?

 

„1 Mord für 2“: Die Neuverfilmung von Sleuth (1972)

Besprochenvon Paul Heisig

  • 1 Mord für 2 (Sleuth), Regie: Kenneth Branagh, Produktion: USA, Großbritannien, 2007, Laufzeit: 86 Minuten.

Im Jahr 1971 erblickte das Bühnenspiel Sleuth das Licht der Welt und gewann postwendend den Tony Award (der Oscar der Bühne) in der Kategorie Bestes Theaterstück. Für Drehbuchautor Anthony Shaffer sollte es der Höhepunkt seiner Karriere sein. Er war zwar vorerst gegen eine Verfilmung des Stoffs, ließ sich aber letztendlich doch dazu überreden, Sleuth obendrein für die Leinwand zu adaptieren. Das Ergebnis war ein grandioses Kammerspiel, welches mit Michael Caine und Laurence Olivier in den Hauptrollen nur so glänzte von feinsinnigen Dialogen, eingebettet in ein virtuos pointiertes, dramaturgisch perfekt inszeniertes Psychogemetzel.

Wenn Hollywood schon mal dabei ist, so ziemlich jeden Klassiker neu zu verfilmen, warum dann nicht auch Sleuth – funktioniert hat es ja schon einmal. Nehmen wir uns also den Literaturnobelpreisträger Harold Pinter fürs Drehbuch, den erfahrenen Shakespeare-Regisseur Kenneth Branagh, Michael Caine für das ältere, sowie Jude Law für das jüngere Publikum. Et Voila, hollywoodsches Jammer-, äh Kammerspiel im 21. Jahrhundert, da kann ja eigentlich nichts mehr schief gehen…

Und ja, der Auftakt des ersten Aktes suggeriert eine zeitgemäße Adaption. Der eher erfolglose Schauspieler Milo Tindle (Law) sucht den erfolgreichen Schriftsteller Andrew Wyke (Caine) auf, um ihn zur Scheidung von seiner Noch-Ehefrau zu bewegen, da er diese selbst heiraten will. Beobachten wir also, wie Tindle auf Wykes Cyber-Residenz empfangen wird. Während sich beide in höflicher Umgangsform einem für Tindle recht demütigenden Schlagabtausch hingeben, darf das futuristische Anwesen bestaunt werden. Dabei lässt die blaustichige Kamera mit der ausgefallenen Perspektivwahl schnell ein Gefühl von Kunstkino aufkommen. Nachdem Tindle einiges einstecken musste und wir um eine Designerstudie reicher geworden sind, kommt es zur direkten Konfrontation. Der egozentrische Wyke fühlt sich natürlich in seiner Würde verletzt und will die Gattin nicht so ohne weiteres einem respektlosen Halbitaliener überlassen – der Kampf, oder besser das Spiel um Leben und Tod, um die eigene Ehre, wie auch um die Frau kann beginnen.

Und es hätte ein tolles Spiel werden können. Während der drei Akte versuchen nun beide Protagonisten, sich gegenseitig zu demütigen. Den Sieg im ersten Akt kann dabei Wyke, den im zweiten Tindle für sich verbuchen. Dabei geht die anfängliche Präzision stetig verloren. Konnte die Kamera anfangs noch mit unkonventionellen Perspektiven gefallen, beschränkt sie sich im Weiteren Verlauf fast ausnahmslos auf die Halbtotale. Schade. Denn das skurrile Setting beherbergt durchaus Potential als Grundlage für eine Reinterpration des Urstoffs. Im 72er Original war Wyke ein durchgedrehter Krimiautor, der seine extreme Affinität zum Spiel mit all seinen Facetten manifestieren lies, indem praktisch im ganzen Haus mechanische Puppen und bewegliche Gimmicks untergebracht waren. Damit war eine herrlich anzusehende Symbiose aus Charakter und materiellem Spiegel geschaffen. Und genau dieses Potential wird nun verspielt. Nicht nur geht die Kamera nicht auf die offensichtlichen inszenatorischen Möglichkeiten des Hauses ein – das kühle, skurrile und unmenschlich artifizielle Anwesen passt darüber hinaus einfach nicht zu Wykes Charakter und verkommt so zum Gimmick ohne Verbindung zum Kontext. Dies wäre verschmerzbar gewesen, wenn Regisseur Branagh im dritten Akt nicht vollends die Kontrolle über seine beiden Charaktere verloren hätte. Die aufgebaute klare Struktur weicht einem unnachvollziehbaren Chaos und es wird sich von nun an wahllos gegenseitig gedemütigt. Dabei heult mal der eine, mal der andere. Glich im Original der Dialogkomplex noch einem Feuerwerk an zitierfähiger gegenseitiger Parodiesierung, erinnert der dritte Akt eher einer Vormittags-Talkshow. Im Zuge dessen wird wild rumgehampelt und frenetisch gestikuliert – zum Unverständnis des Zuschauers, der spätestens dann, wenn Wyke Tindle durchs Haar streicht und ihm seine homosexuelle Neigung offenbart, sich fragt was das alles soll. Oder ist Wyke doch nicht homosexuell und verspürt plötzlich eine tiefe Sympathie für Tindles Demütigungen? Wie man es auch dreht und wendet – nachvollziehbar ist keine mögliche Interpretation. Leider schwebt eben dieses Unverständnis des dritten Akts als Damoklesschwert über dem ganzen Film. Die bittere Pointe verpufft. Dem hohen Anspruch eines Kammerspiels wird hier nicht genüge getan. Hätte man es lieber beim Original belassen…

 

Über Wim Wenders ‚Don’t Come Knocking‘

Besprochen von Christoph Hermann

  • Don’t Come Knocking. Regie: Wim Wenders. Produktion: Deutschland/USA 2005. Laufzeit: 122 Min.

Der in die Jahre gekommene Cowboy Darsteller Howard Spence scheint plötzlich genug von seiner Karriere zu haben, mitten in einer Filmproduktion verlässt er in einer Drehpause das Set und reitet noch im Filmkostüm davon. Da er großer Filmstar ist, lässt er sich nicht ersetzen und seine Fahnenflucht bringt ein Geschäft in Gefahr, bei dem es um Millionen von Dollar geht. Deshalb lässt die Filmversicherung gleich einen ihrer Agenten einfliegen, der sich auf Howards Spur macht.

Diesen zieht’s heim zu Mami, die von Ihrem Sohn seit dreißig Jahren nichts gehört oder gesehen hat, außer durch die Zeitungen, denn die Sex-, Drogen- und Alkoholexzesse des Stars sind ausführlich in den Zeitungsausschnitten beschrieben, die seine Mutter fein säuberlich in einem Album aufbewahrt hat. Ganz verständnisvolle Mutter macht sie ihm keine Vorwürfe, dagegen teilt sie ihm mit, dass er seit zwanzig Jahren einen Sohn hat. Kellnerin Doreen war eine seiner zahllosen Affären, die er schon lange vergessen hat. Nun macht er sich auf, die zu suchen, die nie auf ihn gewartet haben.

Unverständliche Familienszenen

Mutter und Sohn sind die letzten zwanzig Jahre auch gut ohne den Zeugungsvater ausgekommen, sie ist von der Kellnerin zur Geschäftsführerin aufgestiegen, er ist Musiker und tritt bereits in ihrer Gaststätte auf. Daß der Sohn dem verlorenen Vater nicht sofort um den Hals fällt, ist nachvollziehbar. Warum er dann aber gleich den zutiefst Gekränkten markieren muss und in einem Wutanfall seine gesamte Zimmereinrichtung einschließlich Sofa aus dem Fenster wirft, bleibt unverständlich. Auch die Mutter macht dem Cowboy noch eine Szene. Unter Tränen wirft sie ihm vor, was für ein Feigling er sei, der sein ganzes Leben vor den Problemen nur davonlaufe. Das mag zwar stimmen, aber wieso das der reifen und unabhängigen Frau nach all den Jahren noch so nahe gehen soll, bleibt ebenfalls unbeantwortet. Wahrscheinlich müssen die beiden noch einmal Wut und Trauer markieren, weil sonst zu deutlich wäre, was Howard hier realistischerweise nur zu erwarten gehabt hätte: Gleichgültigkeit und Desinteresse.

Eine Nacht auf dem Sofa

Zu dem ganzen Familiendrama gesellt sich fast beiläufig noch eine junge Frau, die ständig mit einer übergroßen Urne mit der Asche ihrer jüngst verstorbenen Mutter im Arm durch die Szene läuft. Richtig geraten: der Cowboy hat auch eine Tochter gezeugt. Das muss man aber erraten, denn wer sie ist und warum sie dort auftaucht, scheint niemanden besonders zu interessieren, vielleicht sind Vater-Tochter Konflikte auch nicht so wichtig. Zumindest nicht so dramatisch, die Tochter randaliert nämlich nicht herum sondern sitzt mit ihrem Vater die ganze Nacht auf dem auf der Straße gelandeten Sofa und bietet Howard das an, was er wohl von seinem Sohn erhofft, nämlich Verständnis. Was dann am Morgen kommt ist nicht die Sperrmüllabfuhr sondern der Versicherungsagent, der dem Cowboy Handschellen anlegt um ihn wieder zum Filmset zurückzubringen, was niemand zu verhindern sucht, am wenigsten der entnervte Filmzuschauer.

Männer, die mit ihrem Altern und der Vaterrolle Probleme haben, gibt es sicher zuhauf. Darüber einen Film zu machen, ist nicht die schlechteste Idee. Schade, dass das Wim Wenders nur vorgetäuscht hat. Er wird doch nicht etwa schon zu alt sein?

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„Die digitale Riesenchance“, Wim Wender im Gespräch mit Ronald Klein
Regisseur Wim Wenders spricht über sein Videodreh für die Band „Die Toten Hosen“, über seine Arbeit in den USA und das Klischee vom „Autorenfilm“. Thema ist außerdem die damals aktuelle Filmarbeit von Wenders, End of Violence.