Über „Geschichtsbilder und Zeitzeugen“ von Judith Keilbach

Besprochen von Victor Nono

  • KEILBACH, Judith: Geschichtsbilder und Zeitzeugen. Zur Darstellung des Nationalsozialimus im bundesdeutschen Fernsehen. Lit Verlag, Münster 2008. ISBN: 978-3825811419.

Kaum eine Woche vergeht, in der sich – insbesondere in Deutschland – das Fernsehen nicht mit dem Thema Nationalsozialismus und Holocaust auseinandersetzen würde. Es scheint, als habe dieser Flow des historischen Fernsehens heute einen Grad an Unübersichtlichkeit erreicht, der fast vergessen lässt, dass auch die mediale Aufarbeitung mit der NS-Zeit selbst eine historische Entwicklung durchlaufen hat.

Diese ist jedoch – so die von der Fernsehwissenschaftlerin Judith Keilbach verfolgte und hier gleich vorweggenommene These – keineswegs allein nur den Ergebnissen historischer Forschung oder politisch interessierter Entschuldungslogik geschuldet, sondern der Eigendynamik des Fernsehens selbst.

In ihrem Buch konzentriert sie sich auf den bisher im Vergleich zu fiktionalen Darstellungen ungleich weniger beachteten dokumentarischen Ansatz des Fernsehens, auf die Geschichtsdarstellung, die immer auch Geschichtsvermittlung war. Nicht um „Schindlers Liste“ geht es also, nicht um ein „Lachen über Hitler“ in seinen verschiedenen Varianten, sondern um die nüchternen Bestandsaufnahmen von filmischen Dokumentaristen, die vorhandenes Bildmaterial auswerten, Originalschauplätze aufsuchen und immer wieder Zeitzeugen befragen, so wie es kinematographische Vorbilder von „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais oder „Shoah“ von Claude Lanzmann einem breiteren Publikum nahebrachten.

Das Buch von Judith Keilbach ist nun die erste umfassende, ausführliche Auseinandersetzung mit dokumentarisch geprägten Fernsehproduktionen, die sich mit Nationalsozialismus und Holocaust auseinandersetzen. Dabei stellt die Autorin die Figur des Zeitzeugen in den Mittelpunkt, der im Medium Fernsehen eine zentrale Rolle spielt und gleichwohl eine Reihe von medialen Transformationen durchlaufen hat.

Anders als Jacques Derrida im Allgemeinen das Wechselspiel von Zeugnis, Indiz und Beweis in Folge der unaufhörlichen Formen der Remediatisierung beschrieb, wird die Figur des Zeugen bei ihr historisch konkret am Material greifbar. Eines der stärksten Kapitel der Arbeit ist die präzise Analyse der Transformation von Zeitzeugenschaft. So stellt sie eine „Transformation von juristischen Zeugen mit Beglaubigungsfunktion in Zeitzeugen oder ‚Erinnerungsmenschen’“ fest, „deren Status dem von ‚Fakten‘ bzw. ‚Quellenmaterial‘ gleichkommt. Als solche sind sie auch jenseits der juridischen Praktiken von Interesse – beispielsweise für die Geschichtswissenschaft oder das Fernsehen. Hier werden die Erinnerungen produktiv gemacht, um Geschichte zu rekonstruieren oder diese als historische Erfahrung von einzelnen Zeitzeugen zu konkretisieren.“ (S. 147)

Keilbach analysiert dabei die verschiedenen Verfahren, mit denen Zeugenaussagen implizit kommentiert werden, etwa durch die Wahl des Bildausschnitts, der Länge von Einstellungen, deren Quantität, durch Verweise auf andere Zeugen, Voice-Over-Techniken, Schrifteinblendungen usw. Dabei enthüllt sich ein fernsehtypisches Medieninstrumentarium, das sich keineswegs allein in der historischen Bewertung von Quellen erschließt.

Diese medienanalytische Vorgehensweise kann gerade mit Blick auf der NS-Zeit nicht allein nur Historikern überlassen werden, da es bei der medialen Vermittlung nicht allein nur um historische Wahrheit, sondern auch um die Glaubwürdigkeit von Vermittlung geht, die sich mehr denn je an medialen Kriterien ausrichtet.

Denn vom Fernsehen genutzte Zeitzeugen zur Beglaubigung audiovisueller Darstellungen unterliegen selbst Transformationsprozessen; so stellt Keilbach fest: die „Schilderungen [der Zeitzeugen] von vergangenen Ereignissen und ihre körperliche Präsenz fungieren in den Fernsehsendungen inzwischen längst als formale Verfahren zur Authentifzierung der Geschichtsdarstellung und Affizierung der Zuschauer.“ (S. 147)  Tatsächlich „verschiebt sich [ihre Funktion] von der Beglaubigung der Fakten zur Affizierung der Zuschauer und der Bildungsanspruch der Sendungen (historische Aufklärung) wird durch das Ziel der emotionalen Beteiligung überlagert.“ (S 142) Und Keilbach kommt dabei zu dem Ergebnis: „Aktuelle Geschichtsdokumentationen legen sich daher oft nicht auf eine eindeutige Haltung ihren Zeitzeugen gegenüber fest. Vielmehr übernehmen sie je nach argumentativer Notwendigkeit die Statements mal affirmativ oder distanzieren sich von ihnen.“ (S. 212)

Keilbach rekurriert mit dieser Feststellung auf neuere medientheoretische Ansätze wie etwa von Francesco Casetti und Roger Odin, die mit ihrer Unterscheidung in ein Paläo- und Neo-Fernsehen gerade die mediale Eigendynamik zu charakterisieren versuchen und d.h. auch den Funktionswandel des Mediums Fernsehen. Diesen zu analysieren scheint unerlässlich, um den Umgang des Fernsehens mit Zeitzeugen überhaupt beurteilen zu können, wie die Autorin herausstellt.

Leider ist es als Leser nicht immer ganz leicht, in dem von ihr analysierten Material den Überblick zu behalten. Ein ausführlicher, kommentierter filmographischer Anhang, der die behandelten und z.T. gerade auch eher unbekannten Fernsehproduktionen übersichtlich vorstellt, hätte dieses Buch daher sinnvoll ergänzen (und der Verlag das hohe Argumentationsniveau der Autorin unterstützen) können.

Nichtsdestotrotz leistet das vorliegende Buch einen wertvollen Beitrag zur erinnerungskulturellen Debatte der letzten Jahre: Judith Keilbachs Arbeit bietet erstmals ein wichtiges analytisches Instrumentarium zur Analyse historischer Ereignisse im Fernsehen, bei denen Zeitzeugen zu Wort kommen und sich die Frage der Glaubwürdigkeit stellt.

Gedächtnismedium Film: Holocaust und Kollaboration in deutschen und französischen Spielfilmen seit 1945

Besprochen von Victor Nono

Ausgehend von den Arbeiten von Harald Welzer wendet sich Christoph Vatter einem in den letzten Jahren gewachsenen Interesse an der Mediatisierung von Erinnerung, insbesondere an den Holocaust und den Nationalsozialismus zu. Anders als Welzer interessiert er sich jedoch weniger für die Rückwirkung der filmischen Darstellung auf die Zeitzeugen als vielmehr auf den Beitrag von filmischen Darstellungen für die Diskursgeschichte des Dritten Reiches bzw. Frankreichs unter deutscher Besatzung. „Medien können nach dieser Auffassung ein Erinnerungsangebot darstellen“, schreibt Vatter,  „das – wenn es entsprechend breit rezipiert wird – zum Kommunikationsanlass werden und in einer bestehende Erinnerungskultur integriert werden kann. Das Zusammenspiel mehrerer Medien, d.h. die transmediale Darstellung eines Ereignisses oder Themas, könnte – in Analogie zu kognitiven Lerntheorien – zu einer tieferen Verarbeitung und damit auch zu produktiven Aneignungsprozessen der Rezipienten beitragen […] Die Erinnerungskultur einer Gesellschaft umfasst demnach nicht nur das erinnerte historische Geschehen, sondern auch die Summe all seiner medialer Verarbeitungen, die Gegenstand gesellschaftlicher Kommunikation waren und sind.“ (S. 37)

Diese an aktuelle Forschungsdiskussionen anknüpfende Reflexion ist für Vatter Anlass, sich der Bedeutung filmischer Darstellungen für die Erinnerungskulturen in Frankreich und Deutschland zuzuwenden. Dabei gelingt ihm zunächst eine kleine Miniatur: die knappe und übersichtliche Zusammenfassung der wesentlichen Etappen deutscher und französischer Diskurse im Vergleich, die tatsächlich einen wertvollen Überblick gerade der in Deutschland wenig bekannten französischen Entwicklungen bietet.

Das Hauptaugenmerk von Vatters Arbeit liegt indes auf der Beobachtung der filmischen Entwicklung, die mit eindrucksvollen Analysen glänzt. Dabei wählt Vatter jeweils exemplarisch für eine historische Phase Filme aus, die in besonderem Maße die Debatte prägten: Angefangen bei René Clement, Wolfgang Staudte, Helmut Käutner, Julien Duvivier, Kurt Hoffmann und Claude Berri bis hin zu Louis Malle, Rainer Werner Fassbinder, Gérard Jugnot und Roland Suso Richter reicht eine breite Palette hochkarätiger Filmemacher, die die Entwicklung bis 2002 verfolgt.  Auch wenn sich die Systematik der Auswahl der Filme nicht immer erschließt, überzeugen die Einzelanalysen durch die pointierten Analysen, die filmanalytische und diskursanalytische Ergebnisse miteinander in Verbindung setzen.  Vatters Buch bietet damit erstmals einen vergleichenden Überblick über die „Filmgeschichte des Diskurses“ über Holocaust und Nationalsozialismus in Deutschland und Frankreich.

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Geschichte – Erinnerungen – Ästhetik

Besprochen von Victor Nono

Dass Erinnerungskultur schon immer schon durch Medien geprägt war und ist, hat sich in der Forschung der letzten Jahren mehr als durchgesetzt. In dieser Linie, die Medien der Erinnerungskultur zu beschreiben, liegt auch eine der neuesten Publikationen, der von Kirsten Dickhaut und Stephanie Wodianka herausgegebene Band Geschichte – Erinnerung – Ästhetik, der sich der Beziehung zwischen diesen drei Begriffen widmet, wobei vor allem auf die Figur der Medialität referiert wird, die sich auf die von den Autorinnen gebrauchten Chiffre des „Ästhetischen“ verkürzt. So wird die Idee der Geschichte selbst als etwas Kontextabhängiges erfahren, als etwas, dass nach dem jeweiligen Stand der Ästhetik in einem „spezifischen kulturhistorischen Kontext wie ‚Geschichte‘ erinnert wird“ (Dichhaut/Wodianka 2010, S. XVII). Medienerfahrungen zeigen sich ferner in der Form der Ästhetik oder der Ästhetisierung von Geschichte. „In einer generelleren Hinsicht begründet die Historizität von Formen und Konzepten des Ästhetischen aber auch ein stets kulturhistorisch zu verortendes Verhältnis zwischen ästhetischer Präformierung von Geschichtswahrnehmung und Ästhetisierung von Geschichte“, heißt es bei den Autorinnen. Und schließlich könne Ästhetik die Deutung von Geschichte verändern oder selbst in Geschichte eingreife oder – als Medienereignis – „selbst zum erinnerungswürdigen Ereignis werden“ (Dickhaut/Wodianka, S. XVIII). Die in dem Band visierte Medialität konzentriert sich auf das Spannungsfeld zwischen Geschichtsschreibung (Nora, Bloch, etc.) und Literatur mit einem klarem Schwerpunkt auf romanische Autoren. Dabei versucht das Projekt Brücken zu schlagen zwischen Geschichtswissenschaft, Erinnerungsforschung und Literaturwissenschaft – so der disziplinäre Leitfaden. Leider fehlt es – nimmt man Ansgar Nünnings Beitrag zu theoretischen Modellen literarischer Geschichtsschreibung einmal aus – weitgehend an konzeptionellen Reflexionen, die den Anspruch hätten, modellbildend das Verhältnis von Geschichte, Erinnerung und Ästhetik zu skizzieren und dabei auch deren Medialität zu berücksichtigen, gerade auch weil der Band mehrere Jahrhunderte – vom Mittelalter bis in die Gegenwart – umfasst. Gelungen ist dem Werk hingegen eine eindrucksvolle Sammlung qualitativ hochwertiger Einzelbeiträge, die sich mit vielfältigen (vor allem für Romanisten interessanten) Phänomenen der Geschichtsschreibung und der Literaturgeschichte beschäftigen, die unter dem Aspekt der Gedächtnis- und Erinnerungsproblematik gegen den Strich gelesen wurden.

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Gedächtnis und Erinnerung: Ein interdisziplinäres Handbuch

Besprochen von Victor Nono

In den letzten Jahren hat sich das Interesse am Diskurs über Gedächtnis und Erinnerung deutlich verstärkt, zum einen, weil Zeitzeugen für zentrale Ereignisse des 20. Jahrhunderts wie den Holocaust, den Nationalsozialismus und den 2. Weltkrieg aus Altersgründen kaum mehr zur Verfügung stehen oder weil die historischen Ereignisse wie die Auflösung der Ost-West-Gegensätze selbst neue Formen der Erinnerungskultur provozieren, und zum anderen weil neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder Diskurse der unterschiedlichsten Disziplinen differenziertere Analysen als je zuvor ermöglichen.

Bei der großen Anzahl der Veröffentlichungen der letzten Zeit ist es schwierig, den Überblick über einige der grundlegenden Eckpunkte zu behalten, auf die die Diskurse sich immer wieder beziehen.

Das von Christian Gudehus, Ariane Eichenberg und Harald Welzer herausgegebene interdisziplinäre Handbuch zu Gedächtnis und Erinnerung fasst wesentliche Aspekte der Debatte der letzten Jahre über Gedächtnis und Erinnerungskultur zusammen, spiegelt damit durchaus den aktuellen Forschungsstand und leistet vor allem Orientierung in diesem z.T. etwas unübersichtlichen Feld.

Die von den Herausgebern koordinierte Arbeit zahlreicher weiterer Autoren strukturiert das Feld nach vier Aspekten: 1. Es werden zunächst die neurobiologischen und psychologischen Grundlagen von Gedächtnis erörtert um 2. vor allem in Sozial- und Kulturwissenschaften etablierte Vorstellungen von autobiographischem, kollektivem, kulturellem, kommunikativem und sozialem Gedächtnis zu erläutern. Den 3. Punkt bilden die Medien des Erinnerns, die, nach unterschiedlichen Medien von Schrift, Architektur, Literatur, Film und Fernsehen usw. gegliedert, Formen des Erinnerns nachspüren, um dann 4. die unterschiedlichen Schwerpunkte der Gedächtnis- und Erinnerungsforschung verschiedener Disziplinen von der Geschichtswissenschaft bis hin zur Geschlechterforschung herauszustellen.

Auch wenn die einzelnen Artikel dabei unverbunden bleiben und nicht aufeinander reagieren, ja oft konträre oder abweichende Vorstellungen im Verständnis von Gedächtnis und Erinnerung zeigen, ist doch eine eindrucksvolle Übersicht entstanden, die dem Anspruch eines Nachschlagewerks durchaus gerecht wird. Es erkundet dabei weniger neue Positionen (etwa zur in den letzten Jahren aufgekommenen Diskussion über die Medialität des Erinnerns) und dokumentiert vielmehr vorhandene Debatten. Als solches ist dieses Handbuch ein hilfreiches Instrument für alle, die in dem unübersichtlichen Diskurs über Erinnerungskultur den Überblick behalten wollen.

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Über „Gesellschaftliche Erinnerung“ von Martin Zierold

Besprochen von Victor Nono

In den letzten Jahren sehen wir nicht nur eine enorme Ausweitung der Beschäftigung mit Holocaust und Nationalsozialismus in populären Medien, sondern auch eine Vielzahl neuer wissenschaftlicher Studien dieses durch Medien gewandelten Diskurses, der für den Beginn einer neuen Phase der Erinnerungskultur sprechen könnte.

Das Gros der Literatur konzentriert sich dabei auf zwei Aspekte: Zum einen auf die Mediatisierung von Erinnerung, also auf die Tatsache, dass Erinnerung nicht unabhängig von Medien gedacht werden kann und dass Erinnerung gerade an Holocaust und Nationalsozialismus in zunehmendem Maße von Massenmedien aufgegriffen und bearbeitet wird. Zum anderen auf die Frage, in welcher Weise die Mediatisierung von Erinnerungen auf die Zeitzeugen zurückwirken und die Erinnerungen überformen oder bereits bei der Wahrnehmung der Ereignisse präformieren.

Neben einer präzisen Zusammenfassung vor allem der von sozialpsychologischer und gesellschaftswissenschaftlicher Seite in den letzten Jahren betonten Veränderung der Erinnerung von Zeitzeugen durch Medien, wie etwa in den Arbeiten von Harald Welzer, plädiert Martin Zierold in seiner Studie für eine medienwissenschaftliche Perspektive, die die Medialität von Erinnerung berücksichtigt.

Zentrale Referenz für erinnerungskulturelle Diskurse ist für die meisten Arbeiten der von Jan und Aleida Assmann in den letzten Jahren entwickelte erinnerungstheoretische Ansatz eines Übergangs von einem kommunikativen zu einem kulturellen Gedächtnis, das erklärt, warum im Verlauf von rund 4 Generationen oder ca. 80 Jahren Erinnerungen aus einer alltäglichen Kommunikation übergehen in kulturell ritualisierte bzw. mediatisierte Erinnerungen.

Martin Zierolds Buch setzt nun gerade bei dieser weitverbreiteten Referenz an, nimmt sie gleichsam als Anlass für eine kritische Auseinandersetzung mit den Unzulänglichkeiten dieses weitverbreiteten Modells: Das beginnt mit der Kritik an einer allzu saloppen Metaphorik, die im Grunde die Frage einer konkreten medialen „Trägerschaft“ eines kollektiven Gedächtnisses ignoriert. Zierold kritisiert etwa: „Wenn nicht geklärt wird, wie das ‚kollektive Gedächtnis‘ nach Ansicht der jeweiligen Autoren modelliert ist, legt die geringe theoretische Ausarbeitung vieler Entwürfe Lesarten nahe, die dieses Gedächtnis geradezu als ontologische Entität erscheinen lassen.“ (S. 86)

Stattdessen fordert er eine differenziertere Auseinandersetzung mit der Medialität von Gedächtnis und Erinnerung und verweist auf Autoren wie Astrid Erll, die ein “ ‚ausdifferenziertes Mehrebenenmodell der ‚Medien des kollektiven Gedächtnisses“ entwickelt, das seines eng an Siegfried J. Schmidts „Medienkompaktbegriff“ (S. 103) anschließt, wie Zierold schreibt.

Aus dieser Sicht wird vor allem der Ansatz von Jan und Aleida Assmann problematisch, der Medien zwar in die Reflexion mit aufnimmt, in ihnen doch zugleich auch einen blinden Fleck zu haben scheint.  So kritisiert Zierold, „dass die Auseinandersetzung mit den aktuellen elektronischen Medien am wenigsten überzeugen kann. Während Argumentationen zu Schriftlichkeit und Buchdruck sich auf eine Fülle von Studien stützen können, bleibt die Analyse gegenwärtiger Medienentwicklungen zurück. Hier ist auch terminologisch erneut zu kritisieren, dass A. Assmann elektronische Medien bedenkenlos im Kontext des ‚kulturellen Gedächtnisses‘ behandelt, obgleich der Begriff qua definitionem, wie oben dargelegt, für die Analyse jüngerer Entwicklungen kaum geeignet ist. Doch nicht nur vor diesem Hintergrund ist die Unterscheidung zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis für gegenwärtige Gesellschaften höchst zweifelhaft: In wenig differenzierten Gesellschaften mag noch gelten, dass eine qualitative Grenze zu ziehen ist zwischen medial vermittelter Erinnerung an eine absolute Vergangenheit und primär interpersonal vermittelter ‚lebendiger‘ Erinnerung an Generationen-Erfahrungen, die über eine Zeitspanne von 80-100 Jahre reichen. Heute jedoch scheint es schon fast banal, darauf hinzuweisen, dass die Mehrheit unserer Kenntnisse stets medial vermittelt ist, ob sie sich auf eine ‚absolute‘ Vergangenheit, die Erfahrungen der Elterngeneration oder die aktuelle Gegenwart beziehen.“ (S. 91/92)

Zierold akzeptiert daher auch nicht die von A. Assmann skizzierte Position, die dazu führe, – wie er schreibt – die Massenmedien „als das Ende jeder Erinnerung abzutun.“ (S. 92)

Gerade im Hinblick auf die Steigerung der Komplexität der aktuellen Medienlandschaft durch die Multiplikation von Medien ist Zierolds Kritik wohl überfällig und vor allem als Plädoyer für eine differenziertere Beachtung von Medien zu lesen. Eine medienkulturwissenschaftliche Perspektive, wie von ihm vorgeschlagen, ist nicht nur ein Desiderat, sondern wohl eine unverzichtbare Forderung, je mehr wir uns der Gegenwart – also Erinnerungskulturen annähern, die sich erst durch die Analyse ihrer Medialität erschließen.

Zierolds Buch liefert zugleich einen präzise zusammengefassten Überblick über die aktuellen Diskurslinien, angefangen bei jenen über individuelles bis hin zu sozialem, kommunikativem und kulturellem Gedächtnis. Sein Buch ist jedem zu empfehlen, der eine kritische Diskursanalyse der aktuellen Debatten über Erinnerungskulturen sucht ohne die Orientierung verlieren zu wollen.

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