Dreimal auf Anfang: Mühl-Benninghaus‘ Studie zum deutschen Fernsehen

Besprochenvon Michael Krause

  • MÜHL-BENNINGHAUS, Wolfgang (Hg.): Dreimal auf Anfang : Fernsehunterhaltung in Deutschland. Vistas Verlag, Berlin 2006. ISBN 978-3891584255.

Für die meisten Menschen fängt die Geschichte des deutschen Fernsehens erst im geteilten Nachkriegsdeutschland an. Doch das stimmt nicht. Auch wenn im Dezember 1952 das Fernsehen der DDR in Berlin-Adlershof und wenige Tage später der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) den regulären Sendebetrieb in West-Berlin aufnahmen, war das nicht das erste Mal, dass ein regelmäßiges Fernsehprogramm in Deutschland zu empfangen war. Schon im „Dritten Reich“ hatte der Sender „Paul Nipkow“ seit 1935 ein regelmäßiges Programm aus Berlin gesendet, das in öffentlichen Fernsehstuben in Berlin und Hamburg und gegen Ende des Krieges vor allem in Lazaretten gesehen wurde. Von Beginn an war Unterhaltung wichtiger Bestandteil für die Programmmacher, die ihre Formate teils in Anlehnung an Film und Hörfunk orientierten, teilweise aber auch völlig neu entwickelten. Etablierte Unterhaltungsformen wie Varieté, Theater oder Kabarett waren ebenfalls Vorbilder. Für die NSDAP hatten Rundfunkunterhaltungsformen zudem einen sehr hohen Stellenwert, da die Massen nach Joseph Goebbels vom Geist der Partei „indirekt“ und „innerlich durchtränkt“ werden sollten. Adolf Hitler allerdings mied das noch junge Medium, wohl weil es sich kaum zur wirkungsvoll-pathetischen Inszenierung seiner Person eignete.

Bei den Fernsehanfängen nach dem Krieg spielte Unterhaltung wieder eine wichtige Rolle. Der Band Dreimal auf Anfang – Fernsehunterhaltung in Deutschland widmet sich diesen drei Entwicklungen der Fernsehunterhaltung. Er umfasst neun Beiträgen deutscher Film- und Fernsehwissenschaftler sowie mehr als 20 Interviews mit Zeitzeugen. Den Schwerpunkt des Buches bildet der Vergleich zwischen BRD und DDR bis etwa Mitte der 1960er Jahre. Herausgeber Wolfgang Mühl-Benninghaus versammelte dazu größtenteils Beiträge von Kollegen des Forscherkollegs „Programmgeschichte DDR-Fernsehen“ zu den Themen Show, Magazin, Kinder- und Jugendsendungen, Spielshows und Sport. In seinem Aufsatz „Schwierigkeiten mit der Unterhaltung“ gelingt es Mühl-Benninghaus, das deutsche Verständnis von Unterhaltung seit dem 19. Jahrhundert bis in die Nachkriegsjahrzehnte zu skizzieren und den Begriff im Hinblick auf historisch gewachsene Milieus und die beiden deutschen Gesellschaftsentwürfe zu problematisieren.

Dass Kulturpolitiker in der DDR reiner Unterhaltung ablehnend gegenüber standen, sofern sie nicht politisch für gesamtgesellschaftliche, den Sozialismus fördernde Zwecke genutzt werden konnte, verwundert kaum. Doch auch im Rundfunk der BRD erkennt Mühl-Benninghaus noch bis in die 1960er Jahre ein ganzheitliches Unterhaltungsverständnis, wonach diese sowohl Ausgleich und Entspannung verschaffen als auch „ästhetisch-erzieherisch“ wirken sollte. Dieser Anspruch ging jedoch spätestens im Jahr 1965 mit den Musiksendungen „Beat-Club“ in der BRD und „Basar“ im DDR-Fernsehen vollends bzw. zu großen Teilen verloren, wie Stefan Krüger und Alexandra Pfeil-Schneider in ihrem Beitrag aufzeigen. Sie vergleichen darin Formen der Jugendunterhaltung im Fernsehen der beiden deutschen Staaten. „Beat-Club“ und „Basar“, als erste, reine Unterhaltungsangebote für Jugendliche, waren trotz systembedingter Unterschiede wegweisend in ihrer Ästhetik und ihrem Publikumszuschnitt für nachfolgende Produktionen.

Ebenfalls sehr lesenswert sind die pointierten, aufschlussreichen Aufsätze Antje Buddes zur Fernsehunterhaltung im Dritten Reich, sowie der Aufsatz Gerd Hallenbergers zur Showgeschichte in BRD und DDR. Dieter Wiedemanns Beitrag zur Unterhaltsamkeit im frühen DDR-Kinderfernsehen fällt dagegen etwas ab, denn er löst seinen Titel „Der Unterhaltungswert der sozialistischen Erziehung“ nicht schlüssig ein. Zwar wird darin unter anderem in den 1970/80er Jahren eine Wende hin zu mehr Unterhaltung konstatiert, doch wird nicht klar, worin diese im Kinderfernsehen genau bestand. Sein Beitrag bleibt auch sonst essayistisch und vage. Ebenfalls störend ist, dass nicht jedes der vielen Interviews zum Anliegen des Bandes beiträgt, die frühe Fernsehunterhaltung zu beleuchten. Neben echten Perlen, wie den Gesprächen mit dem Medienwissenschaftler Knut Hickethier und dem Rundfunkjournalisten Heinz Riek, die viele interessante Details erhellen, fällt das allzu biographische, langatmige Interview mit dem Kameramann Horst Sauer unangenehm auf.

In dem insgesamt aber sehr informativen Sammelband, der beim Deutschen Rundfunkmuseum in einer Reihe von Schriften zum Rundfunk erschienen ist, bleiben diese Beiträge allerdings die Ausnahme. Erfreulich ist, dass den Autoren beim Vergleich des Unterhaltungsfernsehens in BRD und DDR in den meisten Beiträgen eine erstaunlich unvoreingenommene Sicht auf beide Fernsehtraditionen gelingt. Aufgrund seiner lockeren Vielfalt und der vielen Perspektiven ist der Band nicht notwendiger Weise chronologisch zu lesen. Die Einstiegsbarriere für Nichtfernsehwissenschaftler ist gering, weil die Aufsätze ansprechend geschrieben sind und sich selten ausgesprochener Fachtermini bedienen. Der großzügige, fehlerfreie Satz macht Freude und der Preis von 25 Euro für 360 Seiten und etwa 90 Schwarz-Weiß-Fotografien ist zudem fair.