Über „Der Wanderer“ von Hartmut Lange

Besprochen von Iris Thalhammer

  • LANGE, Hartmut: Der Wanderer : Novelle. Diogenes, Zürich 2008. ISBN 978-3-257-23594-4.

„‚Der Wanderer’ sollte das Werk heißen. Mehr war von ihm nicht zu erfahren.“ Der Erfolgsautor Matthias Bamberg arbeitet an seinem neuen Roman. Über die Beschreibung von aufsteigendem Rauch aus einem Aluminiumrohr kommt er allerdings nicht hinaus. Nur mit Mühe erträgt er das ständige Räuspern seiner Frau und die Geräusche aus dem Büro ein Stockwerk höher. „Hinter den harmlosen Dingen lauert das Entscheidende.“ – Bambergs Frau unterhält eine Affäre mit dem Steuerberater von oben, jenem, der nie grüßt, stets die Treppe und nicht den Aufzug nimmt.

Unvermittelt treffen wir dann den Schriftsteller an der Atlantikküste an. Er hat sich dort mit seiner Frau verabredet, die nicht kommt. Stattdessen räumt sie während seiner Abwesenheit die Wohnung halb aus und verschwindet. Zurück bleibt nur ein Notizzettel: „Mit A. nach Kapstadt“.

In Heimito von Doderers Strudlhofstiege, erklärtes Vorbild für Bambergs Romanprojekt, findet der Protagonist in rastloser Bewegung zu sich selbst. Auch Langes Figur ist viel unterwegs: von Berlin an den Atlantik, von Wien nach Kapstadt. Aber die Selbstfindung bleibt aus. Der verlassene Ehemann observiert die Strandpromenade von Kapstadt, ohne wie erhofft seine Frau zu finden. Das letzte Bild zeigt Bamberg in der Steppe Afrikas.

Hartmut Langes Blick auf Details des Alltags ist wunderbar. Die allerflüchtigsten Eindrücke werden präzise wahrgenommen und festgehalten. Die Schauplätze bleiben dennoch seltsam blass. Teilweise erinnert die experimentelle Anordnung an Kleist, aber im Gegensatz zu dessen klassischen Novellen verfolgt Lange diese Arbeitsweise nicht konsequent – beispielsweise wenn Bamberg plötzlich mit dem Reiseführer „Tipps für individuelle Entdecker“ in der Steppe verschwindet.

„Es sind immer nur Erscheinungen, von denen man wünscht, man könnte ihnen auf den Grund kommen.“ Wer eine dramaturgisch erzählte Geschichte lesen will, wird enttäuscht. Lange löste seine sonst formstrenge Novelle insofern von den Genrekonventionen, als er den Höhepunkt ausspart. Wer sich aber für Detailbeschreibungen begeistern kann, wird Der Wanderer mit Genuss lesen.