Preckel, Anne: Die Telecollage ‚Blob‘. Eine Studie über die italienische Fernsehsendung ‚Blob‘, 15.05.06

AVINUS-Autorin Anne Preckel untersucht die Sendung Blob als medienskeptischen Ansatz im italienischen Fernsehen, in der durch Techniken wie Dekontextualisierung und Montage aktuelles Zeitgeschehen parodiert und der Zuschauer zu kritischer Reflexion angeregt wird.

Die Wirklichkeit erzeugende Eigenschaft des Fernsehens besteht darin, dass es seine eigene Medialität vergessen macht. Das bezieht sich sowohl auf die Erzeugung einer zweiten Form von medialer Wirklichkeit durch das Fernsehen insgesamt, als auch auf die Wirkung der Fernsehproduktionen im Einzelnen. Während bei fiktionalen Filmen die Ebene der Vermittlung zugunsten einer „anderen“ Wirklichkeit in den Hintergrund tritt, bleibt diese bei nichtfiktionalen Sendungen ein Stück weit sichtbar. Doch auch diese Sendungen arbeiten am Verstecken ihrer medialen Künstlichkeit.

Reality-Shows und Talk-Shows geben sich den Anstrich einer direkten und authentischen Wirklichkeitsvermittlung, entpuppen sich beim näheren Hinsehen jedoch als Inszenierungen, die eigens für das Fernsehen produziert wurden. Die sogenannten „Doku-Dramen“ bedienen sich fiktionaler Elemente, um Wirklichkeit unterhaltsam aufzubereiten. Selbst die scheinbar neutrale Form einer Nachrichtensendung organisiert die Wirklichkeit, über die sie berichtet, nach bestimmten formalen Darstellungsstandards.

Die Diskrepanz, die zwischen der Authentizitätsbehauptung der medialen Darstellung und der Realität besteht, wird in diesen Sendungen selten thematisiert. Im nichtfiktionalen Bereich etablieren sich Darstellungskonventionen, die auf eine mediale Makellosigkeit abzielen und inhaltlich beim Zuschauer konsumistische Erwartungshaltungen produzieren. Grenzen zwischen Realität und Inszenierung, Dokumentation und Fiktion scheinen sich angesichts dieser Entwicklungen mehr und mehr aufzulösen.

Die italienische Fernsehsendung Blob[1]stellt einen medienskeptischen Ansatz dar, der sich bewusst der Einordnung in ein bestimmtes Genre entzieht. Gerade Uneindeutigkeit und Unabgeschlossenheit sind es, die zum Prinzip einer medienkritischen Praxis gemacht werden. Im folgenden soll die Sendung Blob in Abgrenzung zu bekannten Darstellungsformen im Fernsehen kurz vorgestellt werden und die Frage aufgeworfen werden, inwiefern der medienskeptische Ansatz von Blob möglicherweise ein „Unterscheidungsvermögen“[2] des Zuschauers im Sinne einer medialen Kompetenz erhalten bzw. fördern kann.

Mischform

Blob könnte man als eine Mischung aus Politsatire, Nachrichtensendung und Experimentalvideo beschreiben, obwohl sich die Sendung auf keine dieser Bezeichnungen festlegen lässt. Das Prinzip beruht darauf, aus unterschiedlichen Fernsehsendungen – Nachrichten, Shows, Serien, Kinofilmen – Ausschnitte auszuwählen und zu einer „Tele-Collage“ zusammenzufügen. Aktuelle gesellschaftliche und politische Ereignisse werden aufgegriffen und gleichzeitig ein Querschnitt durch das Fernsehprogramm des Vortages geboten. In den durchschnittlich 15 Minuten Sendezeit steht nicht nur fiktionales neben nichtfiktionalem Material, sondern es werden auch die Grenzen der einzelnen Fernsehsender überschritten, da Ausschnitte aus verschiedenen Kanälen verwendet werden. Das Verhältnis von konzentrierter Information und kurzer Dauer sowie die Bezugnahme auf aktuelle Ereignisse lässt zunächst an eine Nachrichtensendung denken. Jedoch erfüllt Blob die Objektivitätskriterien[3] einer journalistischen Berichterstattung genauso wenig wie die Standards ihrer medialen Präsentation. Vielmehr geht es um einen satirischen Blick auf die Wirklichkeit: Personen des öffentlichen Lebens werden „aufs Korn genommen“, aktuelle Ereignisse überspitzt und drastisch dargestellt. Die Sendung gibt sich vordergründig unterhaltsam, legt dabei jedoch den Finger auf wunde Punkte.

Neben den täglichen unterhaltsam-satirischen Ausgaben von Blob gibt es zeitweise auch Spezialausgaben, die einen stärker dokumentarischen Charakter haben. Im Gegensatz zu den täglichen Ausgaben wird hier ein Schwerpunktthema zusammenhängender behandelt. Die Themen können politischer, geschichtlicher oder kultureller Art sein. Behandelt wurden z.B. die geschichtlichen Hintergründe des Konflikts in Israel, der Globalisierungs-Gipfel in Genua, das Musik-Festival in San Remo, das 10-jährige Jubiläum von Blob u.ä. In diesen Ausgaben wird der subjektive Blick und die Handschrift des jeweiligen Autors deutlicher sichtbar, Ästhetik und Behandlung des Themas können stärker variieren als bei den täglichen Sendungen.[4]

Fenster zum Fernsehen

Der Inhalt der Blob-Sendungen wechselt genauso wie das Tages- und Fernsehgeschehen. Mit dem Prinzip, unterschiedliche Fernsehsendungen zu zitieren und die Fragmente in konzentrierter Form miteinander zu kombinieren, überschreitet Blob Genres und Programmgrenzen. Auf diese Weise wird einerseits ein horizontaler Querschnitt durch die aktuelle Fernsehlandschaft gegeben, und andererseits mit dem Zitieren alter Fernsehsendungen und Filmklassiker ein vertikaler Schnitt durch die Programm- und Filmgeschichte gemacht. Enrico Ghezzi, der Erfinder der Sendung, beschreibt Blob als ein Prinzip der Vergegenwärtigung und Komprimierung: „un processo di repertorizzazione e archeologizzazione del presente, e insieme, di ‘presentizzazione’ e ‘direttizzazione’ del passato e del reperto. L’istante tv precedente diventa repertorio in Blob, l’inquadratura del film più arcaico e lontano diventa momento di linguaggio del presente.” “Ein Prozess der Wiederholung und Archäologisierung der Gegenwart, und zugleich, der Vergegenwärtigung und Aktualisierung der Vergangenheit und des Wiederholten. Der Moment des vorgängigen Fernsehens wird in Blob zum Teil des Repertoirs, der Bildausschnitt des altertümlichsten und fernsten Films wird Moment einer Sprache der Gegenwart.“[5] Auf den ersten Blick scheint die Sendung wie eine wahllose „Zappingtour“ durch die Programmbreite des Fernsehens. Während jedoch das Zapping normalerweise als Mittel dient, um sich einen Überblick über das Angebot zu verschaffen und dann schließlich zu den eigentlichen Inhalten zu kommen, so wird gerade diese Übergangsphase bei Blob ins Bild gesetzt. Das Prinzip, Uneigentliches zum Eigentlichen zu machen, ist ein wichtiges inhaltliches und ästhetisches Mittel von Blob, das die Gestaltung der Sendung ausmacht. Durch die kommentarlose Aneinanderreihung zeitlich und thematisch entfernter Sujets nimmt Blob eine „Metaebene“ ein, ohne sie jedoch als eine solche zu kennzeichnen. Anders ausgedrückt: Blob präsentiert sich nicht als „Fenster zur Welt“, sondern als „Fenster zum Fernsehen“.

Die Hybridität und Uneindeutigkeit von Blob ist in besonderer Weise durch die Veränderungen des Fernsehens bestimmt, das seit seinen Anfängen unersättlich neue Inhalte und Ästhetiken absorbiert und diese zu neuen Formen verschmolzen hat. Auf den zweiten Blick zeigt sich also, dass die Ästhetik der Sendung die Eigenschaft des heutigen „Sammelmedium[s] Fernsehen“ reflektiert und zugleich die moderne Rezeptionsgewohnheit des Zapping vorführt. Insofern könnte man die Blob– Sendungen auch als zeit- und mediengeschichtliche Zeugnisse verstehen, die aktuelle Themen und Ästhetiken dokumentieren.[6]

Dekonstruktion medialer Wirklichkeit

Es fällt auf, dass die Sendung Blob ungemein spröde und handgemacht wirkt. Verschiedene Zeiten, Orte und Sujets werden aneinandergereiht, Sätze in der Mitte abgerissen, Filmszenen geklaut – und das alles ohne die Brüche zu kaschieren. Eine Dramaturgie, wie sie in themenbezogenen Sendungen als Struktur für die Inhalte dient, fehlt. Doch um einen organischen Aufbau geht es Blob genauso wenig, wie um die Darstellung einer inhaltlichen Kohärenz. Marco Giusti, der andere Erfinder von Blob, beschreibt die Sendung vielmehr als eine mediale Praktik: „Blob è essattamente tutto e il contrario di tutto, perché è prima di tutto non un programma, ma un sistema di scrittura […] non è mai chiuso, concluso, è sempre da rivedere, da riscrivere, da riutilizzare.“ “Blob ist genau genommen alles und das Gegenteil von allem, weil es v.a. kein Programm ist, sondern ein Schreibsystem […] es ist nie geschlossen, beendet, es ist immer wieder neu zu sehen, neu zu schreiben, neu zu gebrauchen.“[7]

Im Vergleich zu anderen Sendungen überwiegt bei Blob das Prinzip der Dekonstruktion über das der Konstruktion. Man könnte auch sagen, es wird insgesamt mehr „geschnitten“ als „genäht“. Das Unterlaufen von Standards sachlicher und narrativer Darstellungsformen hat den Zweck, die Doppelspurigkeit medialer Darstellungen aufzudecken. Es geht gerade darum, den Widerspruch zwischen dem Schein und dem Sein kenntlich zu machen und die scheinbare Unmittelbarkeit des Medialen immer wieder zu durchbrechen. Die satirischen Mittel dienen dazu, illusionistische Aspekte, sei es von Personen, Anschauungen oder von Ereignissen, zu zerstören und den dahinter liegenden Gehalt zu zeigen. Auch auf der inhaltlichen Ebene richtet sich die Aufmerksamkeit hier wieder auf das „Uneigentliche“: Aus dem zur Verfügung stehenden Bilder- Repertoir wählt Blob die Momente aus, in denen etwas passiert, wenn scheinbar nichts passiert. Z.B. werden eben nicht Ausschnitte aus dem Berlusconi- Interview gewählt, die seine politischen Aussagen enthalten (diese sind allgemein bekannt und liefen vorher in den Nachrichten), sondern nur die Augenblicke aneinandergeschnitten, in denen er ratlos ist, sich räuspert und die Hände reibt.[8] Die Worte fehlen, und doch ist die Serie aneinander geschnittener Bilder eine Aussage über Berlusconis gestischen Ausdruck. Berlusconis inhaltlicher Kommentar wird in diesem Fall schlichtweg negiert. Stattdessen werden seine Gesten durch das Mittel der Wiederholung zum Symbol für eine mangelnde politische Aussagekraft.[9]

Die antagonistische Definition von Blob als „alles und das Gegenteil“[10] lässt sich auf die eben genannten Beispiele bezogen so verstehen, dass auch ein bewusstes Nichtzeigen ein Zeigen sein kann. Dieses Prinzip funktioniert v.a. auf Grundlage der Tatsache, dass sich die Sendung auf Inhalte bezieht, die in irgendeiner Form bekannt sind und insofern von den Zuschauern verstanden werden. Während das entlarvende Prinzip beim oben angeführten Beispiel auf die Selbstinszenierung eines Politikers vor der Kamera angewendet wird, wird es an anderer Stelle dazu benutzt, die Künstlichkeit der medialen Wirklichkeit vor Augen zu halten. Verwendet wird sog. Abfallmaterial, d.h. Ausschnitte, die in anderen Sendungen zugunsten einer medialen Makellosigkeit herausgeschnitten werden: Tonstörungen, verwackelte Bilder, Versprecher und ähnliche Pannen. Mit nahezu wissenschaftlichem Anspruch „mikroskopiert“ Blob solchermaßen die mediale Kulisse und legt ihren realen, und eben auch banalen Gehalt frei: „La messa in scena della banalità nostra e altrui come ricerca, come studio a tutti i costi…”. “Das Inszenieren (hier im Sinne von Vorführen) unserer und der anderen Banalität als Untersuchung, als ernsthaftes Studium…“[11] Die scheinbare Banalität von Fernsehsendungen wie etwa Talkshows und Big Brother wird in Blob genauso ernst genommen wie die Dramatik weltbewegender Themen.

Blob hat seinen minimalistischen Stil mit den Jahren weiterentwickelt. Für die Auswahl von Bildern und Inhalten gilt das Prinzip „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“, doch die Dauer der Ausschnitte hat sich im Laufe der Zeit mehr und mehr verkürzt. Auch wenn sich bei der Montage der ständig wechselnden Inhalte immer neue Assoziationen ergeben, haben die satirischen Gestaltungsmöglichkeiten Grenzen, da es sich immer um die Wiederverwendung bereits fertiger Fernsehbilder handelt: „[…] l’unico potere che è nelle tue mani è quello di frazionare, frizionare, ricucire, isolare, scegliere la frase del politico che ti serve per il tuo commento comicarolo o alto, altissimo all’attuale situazione nazionale…”. „Die einzige Macht, die du hast, ist ein Zerstückeln, Verkuppeln, Aneinandersetzen, Isolieren des Politikersatzes, den du ausgewählt hast, damit er dir für dein komisches oder todernstes Kommentar zur Lage der Nation nützt.“[12]

Die tägliche Ausstrahlung der Sendung verlangt von den Autoren eine hohe Produktionsgeschwindigkeit, die Montage ist ein Wettlauf mit der Zeit. Bis zur letzten Minute wird die Ausgabe verändert, um noch aktuelleres Material zu integrieren. Die spröde Wirkung der Sendung kommt so auch unwillkürlich zustande. Gleichzeitig ist der hohe Zeitdruck bei der Produktion auch eine Garantie für die „Purness“ des Gezeigten. Für Erzählstrategien, wie sie in einem Kinofilm oder einer Dokumentation realisiert werden können, fehlt bei Blob einfach die Zeit. Selbst zum Zeitpunkt der Ausstrahlung sind die Inhalte bereits wieder von neuen Inhalten überholt. So ist das einzige Beständige der Sendung ihre Unfertigkeit: „…solo quando il tempo non c’è c’è Blob, appare.“ „Es scheint so, als ob es Blob nur gibt, wenn es die Zeit nicht gibt.“[13]

Ästhetischer Kommentar

Die Kommentierung besteht bei Blob nicht in der Formulierung einer Aussage, sondern funktioniert auf einer subtileren Ebene. Sie ist ein ästhetisches Prinzip und entsteht in der Anwendung assoziativer Strategien bei der Auswahl der Ausschnitte (Sujets) und ihrer Montage (Tempo, Rhythmus, Bild und Ton). Übertreibungen, Verfremdungen und die Kombination fiktionalen und nicht- fiktionalen Materials dienen dabei als Momente, einen skeptischen Blick auf die Wirklichkeit zu bieten. Bei anderen Sendungen gibt es immer eine zusätzliche Vermittlungsinstanz, von der aus das Gezeigte verbal kommentiert wird – etwa durch den Moderator, Nachrichtenansager oder Sprecher im Dokumentarfilm – und auch bei fiktionalen Filmen wird die Perspektive des Geschehens ersichtlich. Bei Blob fehlt eine zusätzliche Vermittlungsinstanz oder inhaltliche Gesamtaussage, auch gibt es keine durchgängige Perspektive. Blob bezieht insofern eine Stellung zum Gezeigten, als dass es dieses in ungewohnte Zusammenhänge stellt, es mit satirischen Mitteln demaskiert und bestimmte Wirklichkeitsaspekte fokussiert.

In einer Blob-Ausgabe über die Ausschreitungen während des Globalisierungsgipfel am 20.7.2001 in Genua[14] werden z.B. Originalaufnahmen von Straßenschlachten zwischen Polizisten und Demonstranten mit Aufnahmen des Ausbruchs des Vulkans Etna und Filmszenen des Kubrick- Films Odyssee 2001 kombiniert. Die realen menschlichen Gewalthandlungen werden mit der Gewalt eines Naturereignisses assoziiert, der Titel eines Science Fiction- Films zur Metapher für die Vorfälle in Genua. Die Bild- und Tonmontage haben einen verfremdenden Effekt: Szenen prügelnder Demonstranten und Polizisten werden von einem französischen Liebeslied begleitet, das von einem „rendezvous“ handelt, Bilder des toten Carlo Giuliani mit dem Atemgeräusch des Astronauten aus dem o.g. Film Kubricks verbunden.

Neben der satirischen Montageform ist ein weiteres wesentliches Element der Kommentierung die Verwendung von Übertiteln. Die Übertitel haben sich seit den Anfängen von Blob mehr und mehr zu einer eigenständigen Ausdrucksebene entwickelt. Während am Anfang der Name „Blob“ als ständiges Sigel eingeblendet wurde, wurde er im Laufe der Zeit zu Wortspielen erweitert, die einen zusätzlichen Kommentar zu den Bildern abgeben. In den heutigen Übertiteln kommt der Name „Blob“ z.T. nicht mehr vor, weil der in den Nationalfarben gefärbte Schriftzug zum eindeutigen Erkennungsmerkmal der Sendung geworden ist. Alexander Kluge beschreibt den Effekt von Übertiteln als eine Aktivierung des Zuschauers: Dieser sei durch das Lesen zusätzlich gefordert, die innere lesende Stimme überlagere sich mit dem Filmgeschehen und identifiziere den Textinhalt mit dem konkreten Bildgeschehen.[15] Neben dem „Was“ des Bildgehaltes und dem „Wie“ der Montage handelt es sich bei den Übertiteln um einen weiteren Parameter der Blob-Ästhetik, der eine skeptische Sichtweise auf das Gezeigte impliziert. Der Unterschied zu der Stimme eines Kommentators ist, dass es in der Tat der Zuschauer selbst ist, der die Übertitel liest und sie unmittelbar mit dem verbindet, was er sieht und hört. Sie sind so kurz, dass sie mehr Bausteine als Überschriften oder Erklärungen des Gezeigten sind.

Bei Blob haben die Übertitel zum einen eine dokumentierende Funktion, wenn sie die Bilder kennzeichnen und inhaltlich erläutern. Zum anderen stellen sie Brüche und Distanz her, wenn sie eine dem Bild entgegengesetzte Bedeutung anführen oder mit Mehrdeutigkeit spielen. In der o.g. Blob– Sendung kennzeichnen die Übertitel „BlobalG8, „Blobalforum“, „GenovaxBlob“ Schauplatz und Geschehen, andere Übertitel wie z.B. „zona rossa“, „età della pietra“ und „BlackBlob“, geben den gezeigten Bildern einen übergeordneten metaphorischen Gehalt.[16] So ist die Bezeichnung „zona rossa“ ein Wortspiel, das erstens auf den konkreten Ort der „roten Zone“ verweist (die abgesperrte Innenstadt Genuas), zweitens für eine politische Richtung und drittens für das in Genua vergossene Blut steht.[17] Der Übertitel „BlackBlob“ funktioniert ebenfalls farbsymbolisch und verbindet in der Sendung die Inhalte, die alle – ob fiktional oder dokumentarisch, konkret oder kontextbezogen – mit Tod, Gewalt und (globalen) Machtansprüchen zu tun haben.[18]

Medienskeptizismus

Nach Ansicht des Medienkritikers Alexander Kluge hat die Logik des Fernsehens, Wirklichkeit in Form von Programmen zu vermitteln, den Effekt, den unmittelbaren Zugang zu ihr zu verstellen. Die Einteilung in „objektive“ und „fiktionale“ Sendungen stellt eine Verflachung der Wirklichkeit dar: „Fakten allein sind nicht wirklich, Wünsche nur für sich auch nicht“.[19] Ein solches „Schubladenfernsehen“ fördert laut Kluge eine „kollektive Unaufmerksamkeit“ (Kluge 1985, 55), da sich der Zuschauer an das Nebeneinander von Realität und Fiktion, Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem und dekontextualisierte Information gewöhnt, ohne aktiv auf das Gesehene antworten zu können. Abstumpfung und Desensibilisierung gegenüber den gezeigten Inhalten haben v.a. etwas mit der einseitigen Form der Vermittlung in den einzelnen Sendungen zu tun: „Sehe ich z.B. eine Fernsehdokumentation über Südafrika, so registriere ich nicht nur das Geschehen, sondern ich werde dadurch entmutigt, dass ich es, vor dem Fernsehschirm sitzend, nicht ändern kann. An diese widersprüchliche Haltung produziert das Genre eine Gewöhnung, unabhängig davon, ob der Dokumentarist das will. Man kann darauf nicht antworten, indem man den Film feiert: ‘24 mal in der Sekunde die Wahrheit’ “. (Kluge 1975, 117) Eine authentische filmische Vermittlung von Wirklichkeit muss nach Kluge die objektive und subjektive Seite gleichermaßen berücksichtigen. So steht in Kluges eigener Filmpraxis der Gebrauch fiktional-subjektiven und dokumentarisch-deskriptiven Materials in keinem Widerspruch.[20] Dieses Montageprinzip macht sich auch die Telecollage Blob zunutze. Die Brüche auf Bild- und Tonebene und die inhaltlichen Verfremdungen sind ästhetische Prinzipien, die konventionellen Darstellungsformen des Fernsehens zuwiderlaufen. Der skeptische Anspruch von Blob besteht darin, den Umgang mit der Wirklichkeit im Fernsehen und damit auch die Bedingungen des eigenen Zustandekommens zu hinterfragen: „una macchina della verità per scoprire i meccanismi della comunicazione, per metterli in discussione. […] un terzo occhio di sorveglianza e al tempo stesso di esplosione dei meccanismi ufficiali.“ „Ein Mechanismus der Wahrheit, um die Mechanismen der Kommunikation aufzudecken, um sie zur Diskussion zu stellen […] Ein drittes Auge der Überwachung und gleichzeitig eine Explosion der offiziellen Mechanismen.“ (Giusti 1993, 15)

Aus einer wahrnehmungstheoretischen Perspektive betrachtet, funktioniert dieses Montageprinzip wie eine neuronale Schaltung: Zeitlich und räumlich voneinander entfernte Bilder und Bedeutungen werden miteinander verknüpft, Inhalte des kollektiven Zuschauergedächtnisses aktualisiert.[21] Die angebotenen Ausschnitte sind Fragmente, die dem Zuschauer außerhalb der gewohnten Sendekontexte dargeboten werden. Blob benutzt hier das Mittel der Dekonstruktion, um Wahrheitsgehalte zutage zu fördern, die sonst von der medialen Inszenierung überdeckt werden. Während die Dekonstruktion und Dekontextualisierung im Fernsehen den negativen Effekt haben kann, Wahrheit abzuschneiden, so wird sie in Blob als künstlerisches Mittel zur Wahrheitsproduktion genutzt.

Laut Alexander Kluge ist die Unabgeschlossenheit eines Films eine Voraussetzung dafür, dass sich der Film im Kopf des Zuschauers vervollständigen kann. (Kluge 1975, 120f.) Die Möglichkeit einer solchen „porösen Struktur“ besteht darin, beim Zuschauer Erfahrungshorizonte zu schaffen, in denen sich das Vorstellungsvermögen neu organisieren kann. Angesichts der Tatsache, dass das Vorstellungsvermögen v.a. Zeit braucht, wäre zu fragen, inwiefern dies bei einer rasanten und inhaltlich dichten Sendung wie Blob möglich ist. Der schnelle Wechsel von Bild, Ton und Thema hat den Effekt, dass beim Zuschauer ständig neue Aufmerksamkeit produziert und ein „Eintreten ins Medium“ verhindert wird. Blob bietet keine Antworten an und nimmt keine eindeutige Stellung zum Gezeigten ein. Die skeptische Arbeit der Sendung besteht darin, gewohnte Sinn- und Darstellungskonventionen zu zerstören und satirisch zuzuspitzen. Die Bewertung wird dem Zuschauer überlassen. Die Sendung fördert insofern die Fähigkeit zur Differenzierung, als dass sie vom Zuschauer eine aktive Beteiligung verlangt: „Il completamento, la forma che quella sera, domani sera ha assunto o assumerà sono affidati da sempre a voi, ai vostri codici sparsi, alla vostra disattenzione, al vagore dei vostri occhi, al vostro desiderio di lettori, alla vostra immaginazione di terroristi o pacifisti.” „Die Vervollständigung, die Form, die Blob an diesem Abend angenommen hat und morgen Abend annehmen wird, ist für immer euch anvertraut, eurer individuellen Interpretation, eurer Unaufmerksamkeit, der Unbestimmtheit eurer Augen, eurem Wunsch als Leser, eurer Vorstellung von Terroristen und Pazifisten.“ (Ghezzi 1993, 6)

Blob fällt buchstäblich aus dem Rahmen des italienischen Fernsehens. Die Etablierung eines konstruktivistischen künstlerischen Verfahrens als Prinzip einer täglichen Fersehsendung zur besten Sendezeit ist eine bemerkenswerte Innovation. Das Potential von Blob scheint v.a. gerade darin zu liegen, dass das Prinzip der Unfertigkeit und Offenheit auf einer assoziativen Ebene der Wahrnehmung wirkt. Durch die „poröse Struktur“ wird der Zuschauer in besonderer Weise einbezogen, er wird zum sinngebenden Bestandteil von Blob. Die Notwendigkeit skeptischer Ansätze im italienischen Fernsehen kann angesichts der bekannten nationalen medienpolitischen Umstände nicht oft genug betont werden. Es ist in gewisser Weise erstaunlich und bezeichnend, dass Blob seit der Gründung im Jahr 1989 einen ungebrochenen Zuschauererfolg verzeichnen kann und inzwischen aus dem italienischen Fernsehen nicht mehr wegzudenken ist.

Quellen

Fernsehsendungen

  • BlackBlob, Juli 2001, RAI 3, Vittorio Manigrasso
  • Silvio contro tutti, 2.10.2002, RAI 3, Vittorio Manigrasso
  • Blob- Sendungen der Jahre 2002 und 2003, RAI 3

Weiteres

  • Interviews mit den Mitarbeitern der Sendung Blob

 

Eisenstein 1923, S. 61.[[7]]

Endnoten    (↵ returns to text)

  1. Der Titel der Sendung Blob entstand in Anlehnung an die amöbische Killer- Masse im Science Fiction Film The Blob (deutscher Titel Blob – Schrecken ohne Namen), Irvin S. Yeaworth Jr., USA 1958. Remake 1988.
  2. “Unterscheidungsvermögen“ ist ein Schlüsselbegriff in der medienskeptischen Arbeit des Filmemachers und Autors Alexander Kluge. Damit ist im weiten Sinne die Fähigkeit zur differenzierten Wahrnehmung von Zusammenhängen und zur Kritikfähigkeit gemeint.
  3. Als diese Kriterien gelten u.a. Faktentreue, Maßstabgerechtigkeit, Vollständigkeit, Verständlichkeit, Trennung zwischen Berichterstattung und Kommentierung, Quellentransparenz.
  4. Ein Zusatz in den Spezial-Ausgaben ist die Verwendung selbstgedrehter Aufnahmen. Die Spezial-Ausgaben ließen sich insofern in Richtung einer essayistischen Form des dokumentarischen Films weiterdenken.
  5. Ghezzi 1993, S. 6.
  6. Seit der Gründung der Sendung 1989 sind ca. 3500 Blob-Ausgaben gesendet worden. Anlässlich des 15jährigen Bestehens der Sendung wurde in der Nacht des 17. und 18.4.2004 auf dem TV- Kanal RAI 3 eine Blob- Chronik gesendet, die einen Querschnitt durch das Repertoir von 15 Jahren Sendegeschichte gab. Die Blob- Sendungen dokumentieren mit einem kritischen Blick v.a. die politischen Entwicklungen in Italien während der letzten 15 Jahre.
  7. Giusti 1993, S. 12)

    Das ästhetische Prinzip der Sendung bedient sich künstlerischer Verfahren wie der operativen Montage und der Dada- Kunst. Wie bei einer Dada- Collage, die in Fragmente zerlegte Bilder, Texte oder Lieder zu einem neuen Kunstwerk verbindet, fügt Blob bereits fertige Film- und Fernsehbilder zu einem neuen medialen Produkt zusammen.Bestehende Sinneinheiten werden dekonstruiert und aus den einzelnen abbildenden Stücken etwas Neues geschaffen: „An die Stelle der statischen ‘Wiederspiegelung’ tritt […] die freie Montage bewusst ausgewählter, selbständiger (auch außerhalb der vorliegenden Komposition und Sujet- Szene wirksamen) Einwirkungen (Attraktionen), jedoch mit einer exakten Intention auf einen bestimmten Endeffekt – die Montage der Attraktionen.“

  8. Silvio contro tutti, 2.10.2002, RAI 3, Vittorio Manigrasso.
  9. Blob wird in Italien unter Politikern und Personen des öffentlichen Lebens als wichtige Plattform medialer Präsenz wahrgenommen. In der Sendung aufzutauchen, kann genauso schmeichelhaft wie peinlich sein, auf jeden Fall lässt es aber keinen kalt. Dem Terroristen Mario Moretti, der an der Entführung und Ermordung des Politikers Aldo Moro beteiligt war, nahm Blob z.B. die Stimme. Sie zeigte den sonst um keine Antwort verlegenen Moretti schweigend, ohne Antworten. Moretti hatte die Sendung gesehen und sich in einer Interviewsendung über seine mediale Präsentation in Blob aufgeregt. Er beklagte, es würde ein falsches Bild von ihm vermittelt werden. Der schlagfertige Interviewer antwortete ihm mit dem Hinweis, es gebe keine Wirklichkeit, sondern lediglich Interpretationen von Wirklichkeit.
  10. Giusti 1993, S. 12.
  11. Giusti 1993, S. 17.
  12. Giusti 1993, S. 14.
  13. Ghezzi 1993, S. 8.
  14. Black Blob, Juli 2001, RAI 3, Vittorio Manigrasso.
  15. Kluge 1965, S. 33.
  16. Übersetzungen: “Blob auf dem G 8”, “Blob im Forum”, „Genova trifft Blob“, „Rote Zone“, „BlackBlob “, „Steinzeit“.
  17. Es wird z.B. das Bild eines blutüberströmten Demonstranten mit „zona rossa“ übertitelt. Der Übertitel „età della pietra“ wird über dem Bild Steine sammelnder Demonstranten eingeblendet und stellt einen Bezug zu den Affen in Kubricks Film her.
  18. Diese Bilder sind (Auswahl): Ein tobender Affe aus Kubricks Film Odyssee 2001; die Präsentation des Gewehrgeschosses, durch das Carlo Giuliani ums Leben kam; ein Schlag in die Genitalien in Kubricks Film A Clockwork Orange; Bilder des ausbrechenden Vulkans Etna; eine kontroverse Auseinandersetzung auf dem Social Forum; ein Kommentar Berlusconis über seine enge Beziehung zu Bush; Bilder des toten Carlo Giuliani usw.
  19. Kluge 1980, S. 7.
  20. „Ähnlich ergänzen einander, richtig angewendet, die musikalisch-poetisch erzählenden und die dokumentarischen Formen des Films. Auch hier ist es die Mischform, die zwischen Dokument und Fiktion, zwischen Montage und ungekürzter Wiedergabe, die zwischen Phantasie und Wirklichkeitssinn vermittelt. Soziologie und Märchen sind eben nicht, wie man annimmt, Gegensätze, sie sind Pole in ein und derselben Sache, die verschieden aussieht, je nachdem, ob man von der Fähigkeit des Menschen, es mit den Fakten auszuhalten, oder von seiner Fähigkeit, Wünsche zu bilden, ausgeht.“ A. Kluge, Ulmer Dramaturgien: Reibungsverluste (1980), S. 7.
  21. Nur auf dieser Grundlage funktionieren die Assoziationen, Andeutungen und Sinnverstümmelungen, die Blob vornimmt. Diese Tatsache wird einem besonders als ausländischer Zuschauer bewusst, der ein anderes Hintergrundwissen mitbringt. Wenn die politischen Hintergründe und Fernsehsendungen nicht geläufig sind, ist es z.T. schwer, die satirischen Andeutungen (Parodien, Insiderinformationen, kulturelle Assoziationen) zu verstehen.