„Lilting“ – Die Grenzen der Kommunikation

Besprochen von Anne Brauer

  • Lilting, Regie: Hong Khaou, Produktion: UK 2014, Laufzeit: 86 Minuten.

Manchmal lässt sich mehr sagen, indem nichts gesagt wird, oder, wie im Fall von „Lilting“, vieles nur in Andeutungen geschieht. Der mehrfach nominierte Film erzählt die Geschichte von Junn (Cheng Pei-pei), einer chinesisch-kambodschanischen Rentnerin. Vor vielen Jahren ist sie mit ihrer Familie nach England gezogen, um ihrem Sohn Kai (Andrew Leung) bessere Chancen zu bieten. Nach dem Tod ihres Mannes wird Kai ihr einziger Bezugspunkt, da sie sich auch nach all den Jahren in der Fremde weigert, Englisch zu lernen. Inzwischen lebt sie in einem Altersheim, was sie ihrem Sohn zum Vorwurf macht.

Kai würde sie zwar gerne zu sich holen, doch wohnt er mit seinem Freund Richard (Ben Wishaw) zusammen. Seine Mutter kennt Richard nur als Kais Mitbewohner, denn von seiner Homosexualität und Beziehung zu Richard hat Kai ihr aus Angst vor ihrer Reaktion nicht erzählt. Als Kai bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, ist Junn irritiert, als Richard sie besucht und ungewöhnlich tief von Kais Tod getroffen zu sein scheint. Um die Sprachbarriere zu überwinden und Junn eine Freude zu machen, engagiert Richard eine junge Übersetzerin (Naomi Christie). Vann ermöglicht es erstmals, dass Junn sich mit ihrem Verehrer Alan (Peter Bowles), einem weiteren Bewohner des Altersheims, austauschen kann. Doch es stellt sich heraus, dass gerade die Möglichkeit, miteinander zu sprechen, die Beziehung zerstört. Und auch als Richard Junn anbietet, zu ihm zu ziehen, reagiert die alte Dame ablehnend.

Der Film setzt verschiedene Kunstgriffe ein, wie zu wie Szenen erst teilweise, und später vollständig oder aus einer anderen Perspektive zu zeigen. Die Anfangsszene, in der Kai seine Mutter das letzte Mal besucht, wird später noch einmal gezeigt – diesmal aber mit Kais deutlichem Zögern, seiner Mutter von seiner Beziehung zu Richard zu erzählen. In einer surrealen Szene werden, während die Kamera durch den Raum schwenkt, nacheinander die Paare Kai und Richard, Junn und Alan, Richard und Vann, und Junn und Kai beim Tanzen gezeigt. Da sie aus der Handlung herausgenommen ist, wirkt sie allerdings auch befremdlich. Trotz der melancholischen Grundstimmung hat der Film auch lustige Züge: Richard arrangiert ein Rendezvous für Alan und Junn. Während die beiden Turteltauben ihr Essen genießen, überlegen Richard und Vann in der Küche unter amüsiertem Kichern, was für Unanständigkeiten sich die beiden Alten wohl erzählen.

Es ist ein langsamer, leiser Film über Kommunikation und ihre Grenzen. Wenn Junn spricht, werden zumeist Untertitel eingeblendet, doch an einigen Stellen wird der Zuschauer, genauso wie Richard oder Alan, im Ungewissen gelassen. Der Höhepunkt des Films ist die Aussprache zwischen Junn und Richard, die ohne Dolmetscherin miteinander reden und ein Verständnis über die Sprache hinaus finden.

An einigen Stellen hätte mehr Hintergrund gegeben werden können. Es ist zum Beispiel schade, dass auf die Familiengeschichte Junns nicht eingegangen wird. Es wird lediglich erwähnt, dass sie vor 40 Jahren in Kambodscha gelebt hat und somit vermutlich vor dem Schreckensregime der Roten Khmer geflohen ist. Der Film behandelt, neben Kommunikation, viele weitere Themen, die aber oft nur angedeutet werden: Homosexualität, ‘coming out’, die Unvereinbarkeit von Kulturen, Tod, Verlust und die Schuld zwischen Eltern und Kindern. Der Film stimmt nachdenklich, und sein schwer nachvollziehbarer Titel „Lilting“ (aus dem Englischen: trällernd, im singenden Tonfall sprechend), der laut Regisseur auf die trällernden Qualitäten des Filmes verweist, deutet schon die teilweise kryptische Umsetzung der Handlung an.