We don’t let the memory freeze. „Unfreeze“. Ein Film über das Kunstprojekt ‚Social Bookmarking‘ in Hamburg.

von Maria Kotylevskaja, Stefanie Schulz und Xin Tong

Unfreeze beschäftigt sich mit dem Kunstprojekt ‚Social Bookmarking‘, das sich mit partizipativen Erinnerungsformen befasst und an eine fast vergessene Geschichte erinnern will: an die chinesischen Zwangsarbeiter im nationalsozialistischen Hamburg und ein verlorenes Chinatown mitten in St. Pauli.

Unfreeze, D 2016, Regie und Konzeption: Maria Kotylevskaja, Stefanie Schulz und Xin Tong, Kamera: Maria Kotylevskaja, Schnitt: Stefanie Schulz, Xin Tong und Maria Kotylevskaja, Ton: Stefanie Schulz, Organisation und Übersetzung: Xin Tong, Mit: Dagmar Rauwald: Deutsche Künstlerin und Organisatorin des Projekts, Noga Stiassny: Mitorganisatorin, Ding Liu: Chinesischer Künstler. Laufzeit: 7:37 min.

Künstler und Künstlerinnen aus Deutschland und China schlossen sich zusammen, um vom 25.11.- 27.11.2016 im Rahmen unterschiedlicher künstlerischer Projekte an die Verbrechen der Nationalsozialisten an chinesischen Migranten in Hamburg St. Pauli zu erinnern.

Es wurde ein Ausstellung im Gängeviertel zu dem Thema organisiert und eine Installation direkt an der Schmuckstraße sowie andere Aktionen durchgeführt: eine Tanzperformance, ein chinesisches Essritual und eine geschichtsorientierte Diskussionsrunde am letzten Tag.

Der Film befasst sich vor allem mit der Aktion des chinesischen Künstlers Liu Ding an dem Platz des ehemaligen Arbeitslagers “Langer Morgen“ in Wilhelmsburg. Liu Ding ist ein in China bekannter Künstler, der sich unterschiedlicher Medien bedient, um seine Ideen zu vermitteln. Auf Einladung der Organisatorin und Künstlerin Dagmar Rauwald, wählte er eine partizipative Form, in der die Menschen selbst Teil der Performance wurden. Unter dem Namen ‚Social Bookmarking‘ entsteht ein Projekt, das einen historischen Ort und dessen Bedeutung in Verbindung setzt mit einem lebendigen kulturellen Austausch. Das Lesezeichen aus dem virtuellen Raum wird so auf den analogen Stadtraum übertragen und durch eine künstlerische Setzung durch die Teilnehmer realisiert.

Weitere Informationen zum Projekt ‚Social Bookmarking‘ gibt es auf der Webseite des Gängeviertels.

„Davon wird es sicherlich mehr geben!“. Julia Leyda zum Begriff „Cli-Fi” im Interview mit Annette Diegel und Nadine Eder, 05.11.2016

von Annette Diegel und Nadine Eder

Auf den Nordischen Filmtagen in Lübeck hielt die Filmwissenschaftlerin Julia Leyda am 05.11.2016 während des Lübeck Film Studies Colloquiums den Vortrag „Occupied: Cli-Fi and Contemporary TV“. Hierbei stellte sie den Begriff „Cli-Fi” – Climate Fiction anhand narrativer Strategien der norwegischen Serie Occupied aus dem Jahr 2015 vor. Dabei rechtfertigte sie die Etablierung des Begriffes durch vermehrt aufkommende Filme und Serien, die den Klimawandel und seine Folgen thematisieren.

Das Lübeck Film Studies Colloquium ist eine Kooperation der Nordischen Filmtage mit dem Journal of Scandinavian Cinema und richtet sich an Wissenschaftler und Studierende. Der Schwerpunkt lag 2016 auf dem Thema „Intercultural Meeting and Documentary Cinema“, innerhalb dessen Leyda ihren Vortrag im Rahmen der Kategorie „Environmental Issues in Nordic Film and Television“ hielt.

Annette Diegel/ Nadine Eder: Frau Leyda, Ihre Präsentation drehte sich rund um den Begriff „Cli-Fi“. Können Sie erklären, wie dieser Begriff entstand und wie er sich weiterentwickelte? Gab es denn z. B. einen ausschlaggebenden Film, durch den sich der Begriff anfänglich etablierte?

Julia Leyda: Meines Wissens nach gibt es den Begriff „Cli-Fi“ seit beinahe zehn Jahren und zunächst wurde er online verwendet. Dan Bloom gibt an, den Begriff in erster Linie erfunden zu haben und setzt sich sehr engagiert, für die Verbreitung von „Cli-Fi“ als neuem Begriff oder als Kategorie ein. Der Begriff hat sich allerdings gewissermaßen verselbstständigt: Es wurden diverse Artikel, beispielsweise in Magazinen, veröffentlicht, die den Begriff definieren und weiterhin erläutern. „Cli-Fi“ entstand im Rahmen von Fiction, sowohl innerhalb von Romanen als auch von Filmen, wie z. B. The Day After Tomorrow (2004), bei dem der Begriff „Cli-Fi“ das erste Mal aufzufinden war.

Ist der Begriff „Cli-Fi“ tendenziell eher ein Begriff, den Forscher verwenden? Oder benutzen auch Filmemacher den Begriff, um ihrem Publikum dieses Thema näherzubringen bzw. würden sie ihre Filme selbst als „Cli-Fi-Filme kategorisieren?

JL: Das variiert und führt insbesondere innerhalb der Literatur zu verschiedenen Meinungen. Margaret Atwood z. B. hat diesen Begriff gerne angenommen und benutzt ihn häufig in ihren Arbeiten zum Klimawandel. Andere Autoren hingegen lehnen den Begriff ab und sind der Meinung, diese neue Kategorie sei nicht nötig. Journalisten sind oft daran interessiert, weil es ein neuer Begriff ist, der sich ‚strange‘ anhört. Ich habe z. B. erst vor Kurzem ein Interview mit einer Reporterin vom rbb geführt. Sie schien an dem Begriff interessiert und wollte, dass ich diesen genauer erläutere.

Inwiefern können Serien oder Filme als „Cli-Fi“ kategorisiert werden bzw. gibt es gewisse Eigenschaften, die erfüllt werden müssen, um in das Schema von „Cli-Fi“ zu passen?

JL: Da es ein relativ neuer Begriff ist, ist das noch ziemlich offengestellt. Ich benutzte ihn z. B. für jegliche [fiktionale, Anm. d. Autors] Art von Texten, die mit dem Klimawandel zu tun haben. In der norwegischen Serie Occupied geht es beispielsweise nicht um die Folgen des Klimawandels – so wie es normalerweise in einem ‚Katastrophen-Film‘ der Fall wäre. Der Klimawandel wird hier hingegen als eine Art Katalysator für die Story verwendet. Es gibt außerdem viele Filme, die den Begriff als eine Form von dystopischem Ansatz verwenden. So wird beispielsweise eine Welt dargestellt, in der nicht genügend Wasser vorhanden ist und zudem das Wetter zu heiß ist, sodass man nicht lange in der Sonne stehen kann, da die Haut zu brennen anfangen würde. Ein Szenario etwa dieser Form wurde im deutschen Film Hell (2011) aufgegriffen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass es verschiedene Ansichtsweisen und Verwendungen für den Begriff „Cli-Fi“ gibt.

Da der Fokus des heutigen Colloquiums u. a. auf Dokumentationen liegt, scheint ebenso die Frage interessant, ob bzw. inwiefern dem Begriff „Cli-Fi“, der eigentlich aus dem Fiction-Bereich stammt, ebenso ein dokumentarischer Charakter zugeordnet werden kann?

JL: Viele Leute innerhalb der Sustainability Studies suchen in „Cli-Fi“ eine spezifische ‚Message‘ für die Rezipienten. Diese gibt es jedoch nicht, denn „Cli-Fi“ ist lediglich Fiktion. Filme und Bücher, die „Cli-Fi“ aufgreifen, stammen aus dem Bereich Fiction und Fantasy. Sie können zwar den Effekt haben, uns über den Klimawandel nachdenken zu lassen, allerdings vermitteln diese keine objektiven Daten. „Cli-Fi“ entfernt sich somit ziemlich vom Dokumentarfilm, obwohl es hingegen in der Tat zahlreiche Dokumentationen über den Klimawandel gibt. Ich möchte jedoch mit meinen Arbeiten einen Blick auf diverse Vorstellungen zum Klimawandel werfen.

Würden Sie demnach sagen, dass ausgehend von „Cli-Fi“-Filmen oder -Serien nicht zwingenderweise bestimmte Schlüsse gezogen werden müssen?  Oder ist es hingegen die Absicht bestimmter Filme und Serien, das Bewusstsein für den Klimawandel zu stärken?

JL: Das hängt natürlich von dem Film oder der Serie ab. Es gibt immer wieder Reviews über einen bestimmten Film, in dem Fragen auftauchen, inwiefern das Dargestellte denn akkurat oder möglich ist. Dies sind zwar wichtige Fragen, allerdings ist für mich hierbei die wichtigste Frage, wie diese Filme uns über den Klimawandel nachdenken lassen und uns motivieren. Nicht im intellektuellen Sinne, sondern auf emotionaler Ebene und folglich auf diese Weise unser Denken und Verhalten beeinflussen. Das geschieht natürlich nicht nur anhand eines einzigen Filmes. Das Anschauen mehrerer Filme steigert jedoch das Potenzial, unsere Gefühle und Eindrücke zu intensivieren. Es wird somit eher eine emotionale Wirkung hervorgerufen als eine bestimmte ‚Message‘.

Glauben Sie, dass es zukünftig vermehrt Filme geben wird, die sich dem „Cli-Fi“ Genre zuordnen lassen?

JL: Definitiv! Es ist ein immer mehr an Bedeutung gewinnendes Thema, das in den Nachrichten und in unserer Welt stets präsent ist. Es könnte derzeit kaum weniger TV-Serien über dieses Thema geben… Occupied und Incorporated sind bislang zwei der wenigen Serien, die dieses Thema wirklich aufgreifen. Davon wird es sicherlich mehr geben!

Dieses Interview wurde in englischer Sprache geführt und nachträglich übersetzt.

Julia Leyda war 2016 als Senior Fellow am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam tätig und forschte an dem Projekt „Cultural Affordances of Cli-Fi: 21st-Century Scenarios of Climate Futures”. Des Weiteren doziert sie an der Norwegian University of Science and Technology (NTNU) im Fachbereich Kunst- und Medienwissenschaften in Trondheim. Derzeit forscht sie intensiv zum Thema „Climate Fiction” („Cli-Fi“) in Film und Fernsehen. Siehe dazu auch das Paper The Dystopian Impulse of Contemporary Cli-Fi.

„Rehumanize refugees“. Regisseur Michael Graversen im Interview über seinen Film „Dreaming of Denmark“, 04.11.2016

von Hannah Doll, Gesa Hinterlang und Naika König

Bei den 58. Nordischen Filmtagen in Lübeck (02.-06.11.2016) wurde unter anderem der Dokumentarfilm Dreaming of Denmark (2015) von Michael Graversen gezeigt. Für die Verwirklichung seines Dokumentarfilms folgte Graversen dreieinhalb Jahre lang dem Leben des afghanischen Flüchtlings Wasiullah. Der Film wurde unter anderem mit dem Amnesty Award des Giffoni International Film Festivals ausgezeichnet.
Hannah Doll, Gesa Hinterlang und Naika König haben Michael Graversen am 04.11.2016 interviewt.

Dreaming of Denmark (Drømmen om Danmark), DK 2015,
Regie: Michael Graversen, Kamera: Michael Graversen, Schnitt: Rebekka Jørgensen und Sofie Steenberger, Ton: Raoul Brand, Produktionsfirma: Klassefilm v/ Lise Saxtrup, Laufzeit: 62 min.

Zur Filmhandlung: Wasiullah floh mit 15 Jahren alleine aus Afghanistan und verbrachte die Zeit bis zu seiner Volljährigkeit in einem Asylcenter für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Dänemark. Dort lernte Graversen den Jungen beim Dreh seines Dokumentarfilms No Man’s Land (2013) kennen. Graversen wird von Wasiullah kontaktiert, als dessen Asylantrag abgelehnt wird und ihm mit Vollendung seines 18. Lebensjahres die Abschiebung droht. Er entschließt sich nach Italien zu fliehen um dort eine Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen – immer mit dem Ziel am Ende in seine neue Heimat Dänemark zurückkehren zu können.