Shilik, Maria: Der Unabomber revisited: Über „Spuren eines Unsichtbaren“ von Stefan Preis, 22.07.2015

Besprochen von Maria Shilik

  • PREIS, Stefan: Spuren eines Unsichtbaren – Der Fall Kaczynski als Bibliotheksphänomen betrachtet. Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2015.

Wenn Terror Menschenleben fordert, bemühen sich Medien, Aufklärungsorgane und Polizei um schnelle, plausible Erklärungen und Motive für die Vorkommnisse: Teils um die Sensationslust der Menschen zu befriedigen und damit mehr Öffentlichkeit zu erreichen, teils um weitere Gewalt zu verhindern, vielleicht aber auch um weitere Spekulationen und Nachforschungen zu stoppen. Nach der Auflösung des Rätsels hinter dem sogenannten ‚Unabomber‘, der zwischen 1978 und 1995 mehrere Anschläge mit insgesamt drei Toten und 23 Verletzten in den USA verübt hatte, begnügten sich die Ermittler damit, den Täter Theodore Kaczynski zunächst nur als einen einsamen Menschen mit emotionalen Problemen zu beschreiben. Jedoch war Kaczynski ein hochbegabter, ehemaliger Mathematikprofessor, der sich in den 1970er Jahren zurückzog, um allein in einer Blockhütte im Wald zu leben. Er gehörte mit seinen Taten keiner Gruppierung oder Bewegung an, hatte aber durchaus seine eigene politische Motive, die er 1995 in einem ,Manifest‘ veröffentlichte.

Um den Terroristen Kaczynski richtig einordnen zu können, ist die genaue Lektüre seines ,Manifests‘ unvermeidbar, gibt erst diese doch den wesentlichen Aufschluss über seine Motive, meint Kriminologe Stefan Preis. In seiner Arbeit Spuren eines Unsichtbaren – Der Fall Kaczynski als Bibliotheksphänomen betrachtet, unternimmt er den Versuch, den Attentäter als Leser und Autor zu begreifen, indem er dessen ,Manifest‘ auf zeitgenössische kulturelle Strömungen und auf den Einfluss von anderen theoretischen Schriften untersucht. Auf diese Weise verbindet die Arbeit die unterschiedlichen Disziplinen der Kriminologie, Philosophie und Literaturwissenschaft.

Laut seines ,Manifests‘ war es ein wesentliches Ziel von Kaczynski, einer vollkommen technologieunabhängigen Gesellschaft näher zu kommen. Die Menschen sollten nicht länger als Sklaven einer Technokratie und als unmündige Bürger leben, sondern zur Freiheit und zur Natur zurückkehren. Deshalb richteten sich seine Taten gegen Computer- und IT-Wissenschaftler an Universitäten und auch gegen Fluglinien. Preis versucht zu erkunden, wie Kaczynski zu solchen Ansichten gekommen ist. Dazu bespricht er in kurzen Kapiteln, die leider nicht immer schlüssig miteinander verknüpft sind, welche theoretischen Strömungen und einzelnen Ideen Kaczynski beeinflusst haben könnten: Er nennt dabei Autoren der Frankfurter Schule ebenso wie Autoren des Kulturpessimismus sowie Aktivisten der Gegenkultur. Preis weist insbesondere darauf hin, dass Kaczynskis Ideen wesentlich durch Nietzsches Anarchie-Vorstellungen geprägt sind. Leider unternimmt er einige thematische Exkurse an solch unpassenden Stellen, dass sie damit den roten Faden und die Herleitung des Themas unterbrechen. So wird beispielsweise im ersten Kapitel, bei der Erläuterung von Kaczynskis Biografie, noch bevor diese zu Ende ausgeführt wird, ein Zwischenkapitel über Nietzsches Einfluss auf einen Roman eingebaut, der Kaczynski geprägt haben soll. Im Weiteren geht Preis wieder auf Kaczynskis Lebensweg ein. Eine Zusammenführung der Argumente, die für Nietzsches generellen Einfluss auf Kaczynskis Ideen und sein ,Manifest‘ sprechen, hätte der Arbeit gut getan. Insgesamt beschleicht einen beim Lesen immerzu das Gefühl der Unübersichtlichkeit der Argumente.

Gleichzeitig werden weitere Argumente und Zusammenhänge viel zu lose in den Raum gestellt. Das vierte Kapitel ordnet Kaczynskis Aktivitäten in eine technologie-skeptische kulturelle Strömung der 1970er Jahre ein, welche u.a. im dystopischen Hollywoodfilm ihren Ausdruck fand. Kaczynski selbst bezieht sich in seinem ,Manifest‘ nicht auf diese Welle des Hollywoodkinos, so dass diese Behauptung von Preis nicht belegt werden kann. Ob Kaczynski von diesen Filmen wirklich beeinflusst wurde, bleibt eine nicht nachvollziehbare Spekulation.

Wie Stefan Preis selbst behauptet, reicht die bloße Lektüre radikaler Schriften noch nicht, um gewalttätig zu werden. Wenn es so wäre, wäre jeder Leser ein potenzieller Terrorist. Leider schafft es seine Arbeit aber nicht, zu erklären wie Kaczynski von einem Menschen in der Bibliothek zu einem radikalen Terroristen werden konnte, womit die finale Erklärung seiner Taten noch immer aussteht.