Im Gespräch mit der Trauer

Besprochen von Andrea Hajnalka Meisel

  • Barbara Pachl-Eberhart: Vier minus drei. Wie ich nach dem Verlust meiner Familie zu neuem Leben fand. München: Heyne, 351 S., 8,99 €.

Welchen Sinn hat es, wenn zwei Kleinkinder mit Ihrem Vater von einem Zug überrollt werden und tödlich verunglücken? Der tragische Unfall einer Familie in Österreich aus dem Jahr 2008 ging auch durch die deutschen Medien. Es ist nicht nur das Unglück, das die einzige Überlebende der Familie, die Mutter, prominent werden ließ. Es ist ihr Mut, sich diesem Schicksal zu stellen, ihr Glaube an die Sinnhaftigkeit dieser Tragik und ihre Hoffnung auf eine glückliche Zukunft auch nach dem Verlust ihrer Familie. Über die Zeit nach dem tödlichen Unfall berichtet Barbara Pachl-Eberhart in ihrem autobiografischen Buch Vier minus drei.
Die Autorin erzählt zunächst in chronologischer Reihenfolge ihre Erlebnisse und streut einige Erinnerungen an gemeinsame glückliche Augenblicke als Familie mit ein. Sie selbst arbeitet zu dieser Zeit als Clown in einem Kinderkrankenhaus. Eines Tages, bei einem alltäglichen Einkauf im Supermarkt, erfährt sie über das Telefon von dem Unfall. Ihr Ehemann Helmut ist sofort tot. Auch die Kinder überleben ihre lebensgefährlichen Verletzungen nicht. Allerdings bekommt die Mutter die Möglichkeit, in den letzten Lebenstagen der Kinder Abschied zu nehmen und gewinnt in dieser Zeit die Zuversicht, dass ihre Seelen weiterleben.
Während eines Waldspazierganges nach dem Unfall verspürt die Autorin eine große Fröhlichkeit bei dem Gedanken an ihre Tochter Fini. Nach der Rückkehr in das Krankenhaus ist ihre Tochter bereits tot. Sie stellt sich den Tod daher als fröhlichen Übergang in eine unvergängliche Welt vor und malt sich ihre verstorbene Familie als glückliche Engel aus, die auf Wolken sitzen und ihr von Ferne zuschauen. Aber auch andere spirituelle Gesichtspunkte regen zum Nachdenken an. Alltägliche Vorkommnisse, wie z.B. das Grafitti „Sei mutig!“ am Ort des Unglücks interpretiert sie als Zuspruch ihres verstorbenen Ehemannes.
Warum die Autobiographie dennoch nicht zu einem der zahlreichen esoterischen Bücher verkommt, ist, weil die Autorin selber die eigenen Zweifel nicht verdrängt. Auch sie wägt innerlich ab zwischen den Argumenten für und gegen den Glauben. „Die Stimme in meinem Kopf ist manchmal sehr kritisch. Sie will es genau wissen.“ Und sie ist sich nicht immer sicher, dass sie mit einem Wiedersehen nach dem Tod rechnen darf. Sie glaubt daran, weil sie daran glauben will. Und es ist auch letztendlich Mut, sich der Verzweiflung nicht zu überlassen.

Sprache heilt

Obgleich die Geschichte von Barbara Pachl-Eberhart sprachlich schlicht gehalten ist, so ist sie allerdings ein erstaunliches Zeugnis vom therapeutischen Potenzial von Sprache. Es gibt dem Leser einen inspirierenden Einblick in die Möglichkeiten des Sprechens auch in Extremsituationen, in denen scheinbar nur noch Sprachlosigkeit existieren kann. So richtet die Autorin kurz nach dem Unglück einen offenen Brief an ihre Mitmenschen. Sie schreibt in ihrem Tagebuch Nachrichten an ihre verstorbenen Angehörigen. Sie formuliert einen Brief an den Schaffner derjenigen Eisenbahn, die ihre Familie umgebracht hat. Und sie begibt sich in Gesprächstherapien. All dieses Sprechen ermöglicht letztlich die Hoffnung nicht aus den Augen und Herzen zu verlieren.
Aber auch sie braucht nach dem Unglück eine Zeit des Schweigens und der Zurückgezogenheit. Dennoch bekommt sie durch diese Formen des Sprechens ein sensibles Bewusstsein für den Prozess der eigenen Trauer. Sie nimmt dabei die zahlreichen Tabus wahr, die im Kontext von Tod existieren. So wird ihre ausgefallene Idee, die Beerdigung als fröhliches „Seelenfest“ zu begehen und dabei farbige Kleidung zu tragen von einigen Nachbarn kritisch kommentiert. Durch das Schreiben und Reden über die eigene Trauer schafft sie es aber ihre eigenen Bedürfnisse zu respektieren und Tabus zu überschreiten. Daher lässt sie es sich auch nicht nehmen, ihren Sohn in Gegenwart von ihren Clownkollegen und bei fröhlicher Musik in den Tod zu begleiten.
Barbara Pachl-Eberhart versteht den Schicksalsschlag zwar als herbe Zumutung, akzeptiert ihn aber auch im Vertrauen darauf, dass er zu ihr gehöre. So trägt sie das, was sie erlebt hat, „wie einen würdigen, ehrenvollen Mantel“, der ihr angezogen wurde. Und sie träumt von einer Welt, „in der jede Form der Trauer“ als königlich geachtet wird. Das Buch ist empfehlenswert für alle, die sich mit der Frage „Wie kann Gott so viel Leid zulassen?“ auseinandersetzen und auch für diejenigen, die die Kraft zur Lebensbejahung nach einem Schicksalsschlag wiederfinden möchten.