„Alexander“: Oliver Stone erliegt dem Heldenkitsch

Besprochen von Leif Allendorf

  • Alexander, Regie: Oliver Stone, Produktion: USA, Großbritannien, Deutschland, Niederlande 2004, Laufzeit: 175 Min.

Herodot, der „Vater der Geschichtsschreibung“, ist gleichzeitig der Begründer der abendländischen Sicht auf den Konflikt zwischen dem antiken Griechenland und Persien. Während die zerstrittenen hellenischen Kleinstaaten in Wirklichkeit dem persischen Weltreich niemals gefährlich wurden, so baute Herodot in den Historien die Geschichte der Perserkriege so auf, dass die Schlacht bei Salamis als vernichtende Niederlage des orientalischen Imperiums erschien. Bereits fünfzig Jahre nach dem Etappensieg waren Athener und Spartaner nämlich bereits wieder damit beschäftigt, sich gegenseitig zu zerfleischen – mit Unterstützung des persischen Herrschers. Erst hundert Jahre darauf gelang es dem Makedonier Alexander, das Weltreich in die Knie zu zwingen.

Natürlich gehört Alexander der Große zu einer der beliebtesten Ikonen der abendländischen Geschichtsschreibung, die persische Siege verschweigt, persische Niederlagen dagegen ausführlich würdigt. Dabei hatte gerade Alexander die Vision, den Widerstreit zwischen Orient und Okzident zu beenden und beide miteinander zu verschmelzen. Was ihm auf politischer Ebene nicht gelang – die bis heute gepflegte Feindschaft zwischen Griechen und Türken bis zum heutigen Tage belegen dies traurig – das glückte ihm in anderer Hinsicht: Von Ägypten bis an den Indus wirbelte die Kultur des Hellenismus unterschiedlichste Traditionen durcheinander und sorgte für eine der schönsten Blütezeiten der Antike.

Oliver Stone: Griechen in mongolischen Jurten

Nun hat sich der US-Amerikaner Oliver Stone an diesen Stoff herangetraut. Zumindest hatte er bessere historische Berater als Wolfgang Petersen. Hatten Brad Pitt und die übrigen griechischen Krieger in dem Troja-Film bizarrerweise in mongolischen Jurten gehaust, stimmen bei Alexander die Details.

Männerfreundschaften

Was aber noch wichtiger ist: Männliche Homosexualität – bei Troja opportunistisch verschwiegen – wird nicht nur als allgegenwärtig dargestellt. Es gelingt dem Film überdies, zu beschreiben, wie diese Homosexualität in die Gesellschaft einer kriegsführenden Nation eingebettet ist. Von frühester Jugend an bilden sich Männerbünde. Die Jungs balgen sich unter der strengen Aufsicht der Ausbilder. Männerfreundschaften werden geschlossen, Männerfeindschaften gepflegt, männliche Tugenden gepredigt: Tapferkeit, Treue, Kampfesmut. Eben all jene Eigenschaften, die man braucht, um seine Leute fern der Heimat in der Schlacht bei der Stange zu halten. Und selbst die Liebe wird zur reinen Männersache. Die Beziehung von Achilles und Patroklos in der Ilias dient Alexander und seinem Partner als Vorbild. Dass es sich bei diesen Liebschaften tatsächlich um eheähnliche Verhältnisse handelt, beschreibt Gustave Flaubert in seinem Karthago-Roman Salammbo:

“Die Lebensgemeinschaft hatte manche Freundschaft zwischen ihnen geweckt. Das Lager ersetzte den meisten die Heimat. Da sie ohne Familie lebten, übertrugen sie ihr Liebesbedürfnis auf einen Waffengefährten und schliefen Seite an Seite unter demselben Mantel im Sternenlicht. Auch waren bei dem beständigen Umherschweifen durch alle möglichen Länder, den Kämpfen und Abenteuern, seltsame Liebesverhältnisse entstanden – Verbindungen, die nicht der Moral entsprachen, aber ebenso ernsthaft waren wie Ehen, – wo der Stärkere den Jüngeren im Mordgewühl verteidigte, ihm beim Überspringen von Abgründen half, ihm den Fieberschweiß von der Stirn trocknete und Nahrung für ihn stahl; während der andere, der am Straßenrand aufgelesene Knabe, der Söldner geworden war, ihm diese Hingebung mit tausend zarten Aufmerksamkeiten und den Gefälligkeiten einer Gattin vergalt.” (Flaubert 1862, 134)

In dieser Männerwelt sind Frauen entbehrlich, abgesehen von der Eigenschaft, weitere Krieger in die Welt zu setzen.

Hollywoodsche Küchenpsychologie

In krassem Gegensatz zum analytischen Scharfblick der Gesellschaftsanalyse steht die biedere Charakteristik der Hauptfiguren im Film. Es sei Oliver Stone verziehen, dass er in Hollywoodscher Küchenpsychologie die dominante Mutter für alles verantwortlich macht. Vor dieser – so suggeriert der Film – rettet nur die Flucht in die Eroberung der Welt. Angelina Jolies Darstellung des diabolischen, schönen Muttertiers ist die schauspielerische Glanzleistung in diesem Film, der letzlich scheitert. Das liegt nicht allein an der Blässe des Alexander-Darstellers Colin Farrell. Schuld ist der Regisseur, der nicht die Disziplin hat, sich die schwülstigen Monologe seiner Hauptpersonen zu schenken, die den Film auf insgesamt drei Stunden aufblasen. Dabei fehlt auch nicht der röhrende Hirsch unter den Kriegsfilmszenen, die Durchhalterede des Feldherrn. Geradezu erschreckend, mit welcher Unbefangenheit Stone zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch einem Helden- und Führerkitsch frönt. Dahinter steht offenbar Stones Auffassung, die Weltgeschichte sei die Geschichte großer Männer vom Schlage Cäsar, Wallenstein und Napoleon. Und das ist für einen vorgeblich linken Provokateur wie Stone reichlich reaktionär.

Quellenangaben:

Flaubert, Gustave: Salammbo. Stuttgart 1995 (frz. Originalausgabe 1862)