„1 Mord für 2“: Die Neuverfilmung von Sleuth (1972)

Besprochenvon Paul Heisig

  • 1 Mord für 2 (Sleuth), Regie: Kenneth Branagh, Produktion: USA, Großbritannien, 2007, Laufzeit: 86 Minuten.

Im Jahr 1971 erblickte das Bühnenspiel Sleuth das Licht der Welt und gewann postwendend den Tony Award (der Oscar der Bühne) in der Kategorie Bestes Theaterstück. Für Drehbuchautor Anthony Shaffer sollte es der Höhepunkt seiner Karriere sein. Er war zwar vorerst gegen eine Verfilmung des Stoffs, ließ sich aber letztendlich doch dazu überreden, Sleuth obendrein für die Leinwand zu adaptieren. Das Ergebnis war ein grandioses Kammerspiel, welches mit Michael Caine und Laurence Olivier in den Hauptrollen nur so glänzte von feinsinnigen Dialogen, eingebettet in ein virtuos pointiertes, dramaturgisch perfekt inszeniertes Psychogemetzel.

Wenn Hollywood schon mal dabei ist, so ziemlich jeden Klassiker neu zu verfilmen, warum dann nicht auch Sleuth – funktioniert hat es ja schon einmal. Nehmen wir uns also den Literaturnobelpreisträger Harold Pinter fürs Drehbuch, den erfahrenen Shakespeare-Regisseur Kenneth Branagh, Michael Caine für das ältere, sowie Jude Law für das jüngere Publikum. Et Voila, hollywoodsches Jammer-, äh Kammerspiel im 21. Jahrhundert, da kann ja eigentlich nichts mehr schief gehen…

Und ja, der Auftakt des ersten Aktes suggeriert eine zeitgemäße Adaption. Der eher erfolglose Schauspieler Milo Tindle (Law) sucht den erfolgreichen Schriftsteller Andrew Wyke (Caine) auf, um ihn zur Scheidung von seiner Noch-Ehefrau zu bewegen, da er diese selbst heiraten will. Beobachten wir also, wie Tindle auf Wykes Cyber-Residenz empfangen wird. Während sich beide in höflicher Umgangsform einem für Tindle recht demütigenden Schlagabtausch hingeben, darf das futuristische Anwesen bestaunt werden. Dabei lässt die blaustichige Kamera mit der ausgefallenen Perspektivwahl schnell ein Gefühl von Kunstkino aufkommen. Nachdem Tindle einiges einstecken musste und wir um eine Designerstudie reicher geworden sind, kommt es zur direkten Konfrontation. Der egozentrische Wyke fühlt sich natürlich in seiner Würde verletzt und will die Gattin nicht so ohne weiteres einem respektlosen Halbitaliener überlassen – der Kampf, oder besser das Spiel um Leben und Tod, um die eigene Ehre, wie auch um die Frau kann beginnen.

Und es hätte ein tolles Spiel werden können. Während der drei Akte versuchen nun beide Protagonisten, sich gegenseitig zu demütigen. Den Sieg im ersten Akt kann dabei Wyke, den im zweiten Tindle für sich verbuchen. Dabei geht die anfängliche Präzision stetig verloren. Konnte die Kamera anfangs noch mit unkonventionellen Perspektiven gefallen, beschränkt sie sich im Weiteren Verlauf fast ausnahmslos auf die Halbtotale. Schade. Denn das skurrile Setting beherbergt durchaus Potential als Grundlage für eine Reinterpration des Urstoffs. Im 72er Original war Wyke ein durchgedrehter Krimiautor, der seine extreme Affinität zum Spiel mit all seinen Facetten manifestieren lies, indem praktisch im ganzen Haus mechanische Puppen und bewegliche Gimmicks untergebracht waren. Damit war eine herrlich anzusehende Symbiose aus Charakter und materiellem Spiegel geschaffen. Und genau dieses Potential wird nun verspielt. Nicht nur geht die Kamera nicht auf die offensichtlichen inszenatorischen Möglichkeiten des Hauses ein – das kühle, skurrile und unmenschlich artifizielle Anwesen passt darüber hinaus einfach nicht zu Wykes Charakter und verkommt so zum Gimmick ohne Verbindung zum Kontext. Dies wäre verschmerzbar gewesen, wenn Regisseur Branagh im dritten Akt nicht vollends die Kontrolle über seine beiden Charaktere verloren hätte. Die aufgebaute klare Struktur weicht einem unnachvollziehbaren Chaos und es wird sich von nun an wahllos gegenseitig gedemütigt. Dabei heult mal der eine, mal der andere. Glich im Original der Dialogkomplex noch einem Feuerwerk an zitierfähiger gegenseitiger Parodiesierung, erinnert der dritte Akt eher einer Vormittags-Talkshow. Im Zuge dessen wird wild rumgehampelt und frenetisch gestikuliert – zum Unverständnis des Zuschauers, der spätestens dann, wenn Wyke Tindle durchs Haar streicht und ihm seine homosexuelle Neigung offenbart, sich fragt was das alles soll. Oder ist Wyke doch nicht homosexuell und verspürt plötzlich eine tiefe Sympathie für Tindles Demütigungen? Wie man es auch dreht und wendet – nachvollziehbar ist keine mögliche Interpretation. Leider schwebt eben dieses Unverständnis des dritten Akts als Damoklesschwert über dem ganzen Film. Die bittere Pointe verpufft. Dem hohen Anspruch eines Kammerspiels wird hier nicht genüge getan. Hätte man es lieber beim Original belassen…